
Cassis bleibt, Kampfjets im Anflug – und E-Voting macht Sorgen
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (81).
Von Andrea Arežina, Elia Blülle, Dennis Bühler und Bettina Hamilton-Irvine, 12.12.2019
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Bei den Bundesratswahlen war die Spannung bereits draussen, bevor sie losgingen. Gestern kurz vor Mittag bestätigte sich in Bern, was zuvor alle prophezeit hatten: Alles bleibt beim Alten.
Das neue Parlament wählte CVP-Bundesrätin Viola Amherd mit einem Glanzresultat von 218 Stimmen. Problemlos wiedergewählt wurden auch die Bundesräte Ueli Maurer, Alain Berset, Guy Parmelin, Karin Keller-Sutter und mit dem schlechtesten Resultat Ignazio Cassis. Er kommt auf 145 Stimmen.
Das Präsidium übernimmt die ebenfalls wiedergewählte SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Hingegen keine Chance hatte die Bundesratskandidatur von Regula Rytz. Sie erhielt 82 Stimmen. Eine bittere Niederlage. Doch schadet diese der Grünen Partei?
Carlos Hanimann sucht in seiner Analyse zu den Wahlen eine Antwort: Die Zauderformel.
Und damit zum Wichtigsten der vergangenen sieben Tage.
Kampfjets: 6 Milliarden für die Flieger
Worum es geht: Das Parlament will neue Kampfjets kaufen. Es ist gewillt, dafür bis zu 6 Milliarden Schweizer Franken auszugeben. Der National- und der Ständerat haben der Beschaffungsvorlage zugestimmt.
Warum das wichtig ist: Wenn die Schweiz ihre Lufthoheit aufrechterhalten will, braucht sie neue Kampfjets. Ohne die Flugzeuge würde der Armee ihre wichtigste Einheit fehlen, und sie wäre de facto nutzlos. In der Debatte war umstritten, ob die Schweiz für die Beschaffung tatsächlich so viel Geld ausgeben soll, wie das der Bundesrat vorsieht. Die linke Minderheit forderte eine billigere Variante.
Wie es weitergeht: Noch unschlüssig sind sich die Räte in der Frage, wie hoch der Anteil der sogenannten Gegengeschäfte sein soll. Die Entscheidung fällt nächste Woche. Die bundesrätliche Vorlage verlangt, dass jeder im Ausland für die Kampfjets ausgegebene Franken zu 60 Prozent mit Aufträgen im Inland kompensiert werden soll. Davon würde vor allem die hiesige Industrie profitieren. So oder so: Der Vorlage droht Verzögerung. Die «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA) rüstet sich für ein Referendum. Wie bereits 2014 wird wohl wieder das Volk entscheiden, ob die Schweiz neue Kampfjets kaufen soll – oder nicht. Damals verhinderten die Stimmbürger den Gripen-Kauf im letzten Moment.
E-Voting: Nationalrat stoppt Versuchsbetrieb
Worum es geht: Im Sommer hatte der Bundesrat entschieden, vorerst auf die Einführung von E-Voting zu verzichten. Jetzt stoppt der Nationalrat auch den Versuchsbetrieb. Er nahm am Montag einen entsprechenden Vorstoss des im Oktober abgewählten SVP-Nationalrats Claudio Zanetti an.
Warum das wichtig ist: Der Versuchsbetrieb könne erst weitergeführt werden, wenn der Bundesrat nachweise, dass die bekannten Sicherheitsprobleme gelöst seien, befand eine Mehrheit im Nationalrat. Es erstaunt nicht, dass es den Parlamentarierinnen beim Thema E-Voting mulmig wird: Im Juli sistierte die Post ihr elektronisches Abstimmungssystem, nachdem der Bund Druck gemacht hatte; Hacker fanden schwere Mängel im Quellcode. Vor gut einem Jahr hatte bereits der Kanton Genf sein E-Voting-System eingestellt – aus Kostengründen.
Wie es weitergeht: Als Nächstes befasst sich der Ständerat mit der Vorlage. Bereits seit März sammeln E-Voting-Gegner Unterschriften für eine Volksinitiative, die eine elektronische Stimmabgabe verbieten will. Mit dem nationalrätlichen Entscheid dürften sie neuen Aufwind erhalten.
SBB-Spitze: Erfahrener Freiburger übernimmt
Worum es geht: Vincent Ducrot wird neuer Chef der SBB. Der 57-Jährige ersetzt Andreas Meyer; er hat das Unternehmen während 12 Jahren geführt.
Warum das wichtig ist: Ducrots Ernennung ist keine Überraschung, schon seit Monaten wird er als möglicher Nachfolger Meyers gehandelt. Allerdings sagte Ducrot gegenüber dem Nachrichtenportal «Nau» früher in diesem Jahr, er fühle sich für dieses Amt eigentlich zu alt. Und auch SBB-Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar ist sich bewusst: «Vincent Ducrot ist kein Generationenwechsel.» Trotzdem entschied sich der SBB-Verwaltungsrat für den erfahrenen Freiburger, der bis 2011 bereits während 18 Jahren für die SBB gearbeitet hatte. Aktuell leitet Ducrot die Freiburger Verkehrsbetriebe TPF. An einer Pressekonferenz am Dienstag betonte er, dass ihm Pünktlichkeit besonders wichtig sei. Die zunehmende Anzahl verspäteter Züge ist denn auch eine der grössten SBB-Baustellen.
Wie es weitergeht: Ducrot tritt sein Amt am 1. April 2020 an. Für die Gewerkschaft des Verkehrspersonals ist Ducrot eine gute Wahl, doch warte keine einfache Aufgabe auf ihn. Konkrete Pläne will Ducrot noch nicht offenlegen. Darauf angesprochen, sagte der oberste Bähnler des Landes: «Lassen Sie mich zuerst ankommen.»
Terrorbekämpfung: Der Ständerat hat noch Fragen
Worum es geht: Der Ständerat hat am Montag überraschend zwei Vorlagen zur Terrorismusbekämpfung zurückgewiesen. Nun muss sich die Sicherheitspolitische Kommission noch einmal damit beschäftigen.
Warum das wichtig ist: Der Bundesrat will Terrorismus energischer bekämpfen können. Dazu schlägt er einerseits härtere Strafen für Terroristen vor, andererseits präventiven Hausarrest für sogenannte Gefährder. So sollen die Sicherheitsbehörden zukünftig auch schon gegen potenzielle Terroristen vorgehen können, wenn diese noch gar nicht straffällig geworden sind und wenn nicht genügend Hinweise zur Eröffnung eines Strafverfahrens vorliegen – ein rechtsstaatlich heikles Vorgehen. «Man segelt hier sehr hart am Wind», sagte FDP-Ständerat Andrea Caroni dazu: «Ich könnte mir vorstellen, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof irgendwann sagt, nun seid ihr zu weit gegangen.» Thomas Minder (parteilos) hingegen sprach von einem «Softie-Gesetz». Zurückgewiesen wurden die beiden Vorlagen aber vor allem, weil die geplante internationale Zusammenarbeit auf Kritik stiess.
Wie es weitergeht: Bevor der Ständerat wieder am Zug ist, wird sich auf seinen Wunsch noch die Rechtskommission mit den Vorlagen befassen. Im Nationalrat, der als Zweitrat über das Geschäft befinden wird, stösst der vorgesehene Hausarrest bereits auf Widerstand. Die Grüne Fraktion werde sich dafür einsetzen, dass dieser Punkt gestrichen werde, sagt Nationalrätin Aline Trede.
Medienförderung: Kein neuer Verfassungsartikel
Worum es geht: Heute ist der Bund zuständig für Radio und Fernsehen, nicht aber für die gedruckte Presse. Deshalb darf er Zeitungen und Zeitschriften nicht direkt fördern. Nach dem Willen des Nationalrats soll das so bleiben: Er hat am Montag vier parlamentarische Initiativen abgelehnt, die die Bundeskompetenz auf die gedruckte Presse ausweiten wollten.
Warum das wichtig ist: Indirekt fördert der Bund die Presse bereits seit Jahrzehnten: über die Verbilligung der Zustelltarife. Im August hat der Bundesrat vorgeschlagen, den Kreis der anspruchsberechtigten abonnierten Tages- und Wochenzeitungen zu erweitern und die Gesamtsumme der Förderung von 30 auf 50 Millionen Franken zu erhöhen. Unter Rechtsexperten und Politikerinnen umstritten ist die Zuständigkeit des Bundes für den Onlinebereich. Unter Medienministerin Simonetta Sommaruga will der Bundesrat im ersten Halbjahr 2020 nun aber ein Massnahmenpaket vorlegen, das sich auf Basis der geltenden Verfassungsgrundlage umsetzen lässt: Er will jene Onlinemedien unterstützen, die Geld für ihre journalistischen Inhalte verlangen, sich an die journalistischen Standards des Presserats halten und einen bestimmten Anteil an redaktionellen Inhalten aufweisen. Hierfür sollen mittelfristig 50 Millionen Franken pro Jahr bereitgestellt werden.
Wie es weitergeht: Im neuen Parlament dürften die Vorschläge des Bundesrats gute Chancen haben. Doch die Mühlen mahlen langsam: Onlinemedien dürfen laut dem Bundesamt für Kommunikation nicht vor dem Jahr 2023 mit Förderungsgeldern rechnen.
Radio SRF: Nur ein Drittel der Berner Mitarbeiter zieht um
Worum es geht: Aktuelle Nachrichten produziert und sendet Radio SRF künftig aus Zürich, Hintergründe und Analysen aus Bern. Dies hat die Geschäftsleitung von Radio und Fernsehen SRF am Dienstag mitgeteilt.
Warum das wichtig ist: 70 Mitarbeiter der Nachrichtenredaktion und von SRF 4 News müssen wegen der Standortverlegung von Bern nach Zürich umziehen, rund 150 Radio-Mitarbeiterinnen bleiben in der Bundesstadt. Vor einem Jahr hatte die Ankündigung, das gesamte Radiostudio nach Zürich zu führen, zu einem Sturm der Entrüstung geführt – ein Sturm, der nun also nicht nutzlos blieb. Auch die Republik hatte gewarnt, ein Umzug nach Zürich gefährde die Qualität der Radioberichterstattung. Dennoch sprach die Radio- und Fernsehgenossenschaft Bern Freiburg Wallis am Dienstag von einem «schmerzlichen Entscheid». Und die Gewerkschaft SSM warnte, die Radio-Hintergrundsendungen drohten von der digitalen Entwicklung abgeschnitten und schrittweise abgebaut zu werden.
Wie es weitergeht: Die Angst besteht weiterhin, das Radiostudio könnte in den nächsten Jahren trotz anderslautender Beteuerungen schrittweise nach Zürich verlegt werden. «Wir werden der SRG genau auf die Finger schauen», sagte der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer, «und eine allfällige Salamitaktik vehement bekämpfen.»
Die letzte offene Frage dieser Woche: Gibt es eine Rochade?
Siebeneinhalb Wochen lang haben Bundeshausjournalisten und -journalistinnen darauf gehofft, dass sich die Ergebnisse des «Grünsonntags» am 11. Dezember irgendwie auswirken werden. Schliesslich wissen sie aus Erfahrung, dass kaum etwas dröger ist als eine spannungsfreie Gesamterneuerungswahl der Landesregierung.
Und dann: Langeweile pur, einen ganzen Vormittag lang.
Leider verheisst die nahe Zukunft keine Besserung: Zwar steht morgen Freitag die Departementsverteilung auf dem Programm, im Leben professioneller Politbeobachter in der Regel ein alle paar Jahre wiederkehrender Höhepunkt. Doch sind Rochaden heuer so gut wie ausgeschlossen. Viola Amherd, Karin Keller-Sutter, Guy Parmelin und Simonetta Sommaruga führen ihre Departemente erst seit einem Jahr; Ueli Maurer befindet sich im Spätherbst seiner Laufbahn; Alain Berset will das Innendepartement niemand anderem überlassen; und Ignazio Cassis hat – o Schreck! – kürzlich angekündigt, sich zehn Jahre lang um die Aussenpolitik kümmern zu wollen.
Wie bei den Wahlen gilt wohl auch bei der Departementsverteilung: Alles bleibt beim Alten.
Illustration: Till Lauer