Maskuline Stärke, konterkariert: Raphaela Vogel, «In festen Händen», 2016. © Raphaela Vogel, Bild: Markus Tretter

Vogels Perspektive

Die Zeit der unverrückbaren Wahrheiten ist vorbei: Junge Künstlerinnen leben eine neue Ästhetik des Feminismus. Zum Beispiel Raphaela Vogel mit ihrer faszinierenden Werkschau im Kunsthaus Bregenz.

Von Max Glauner, 06.12.2019

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Das Foto besitzt Charme: Ein weisser, adrett geschorener Königs­pudel sitzt im Schulter­profil mit erwartungsvoll erhobenem Kopf vor einem Herbstlaub­hintergrund. Er apportiert. Aber ach, die Szene kippt. In seiner Schnauze hält er seinem Frauchen respektive Herrchen ausserhalb des Bildes kein Stöckchen, sondern eine gebrauchte Damen­binde entgegen.

Das doppelsinnige Foto zierte vor einem Jahr die Rückseite des bekanntesten Gratis­führers der Berliner Kunstszene. Er war zwei Monate in jeder Galerie der deutschen Hauptstadt ausgelegt. Auch auf der Vorderseite war ein weisser Pudel abgebildet, munter auf einer grünen Wiese tollend, mit Kuh im Hintergrund. Ein unverdächtig-triviales Bild, auf das sich jedoch das Peinliche, Irritierende des Hundes mit Binde auf der Rückseite unweigerlich übertrug.

Die Fotos sind Arbeiten der jungen Künstlerin Raphaela Vogel, geboren 1988 in Nürnberg, zu ihr gehört auch der putzige Pudel, der auf den Namen Rollo hört. Dass auch der treue Gefährte Effi Briests in Fontanes proto­emanzipatorischem Roman so heisst, erfuhr die Wahl­berlinerin erst, nachdem sie ihn so genannt hatte.

Durchtriebenes Spiel von Nähe und Abstossung: Pudel Rollo mit Damenbinde. © Raphaela Vogel

Es würde aber zu kurz greifen, die beiden Fotos als eine aus der Hüfte geschossene Provokation abzutun. Rollo spielt nicht nur auf die abertausendmal im Netz geteilten Katzen- und Hunde­fotos an, wobei er deren Kuschel­effekt cool unterläuft. Der Bildausschnitt und die Habacht­stellung verleihen dem ständigen Begleiter der Künstlerin auch eine emblematische Wappentier-Qualität. Er steht für Vogels durchtriebenes Spiel von Nähe und Abstossung, von Gabe und Entzug, gefühligem Pathos und kalkuliertem Minimalismus. Er steht symbolisch für die tabulose Entspanntheit ihrer künstlerischen Interventionen. Und für die Arbeits­weise einer neuen Generation von medien­affinen, weder der Radikalität noch der Ironie abgeneigten Postfeministinnen.

Ein Paukenschlag

Die Inszenierung Rollos als heraldische Kreatur erzeugt ein Echo zu Vogels erster spektakulären Arbeit «In festen Händen», 2016. In der Motoren­halle, dem Ausstellungs­raum des Dresdner Kultur­zentrums Riesa Efau, hängte sie zwei identische Bronze­löwen an den Hinter­beinen befestigt kopfunter an die Decke. Sie hatte sie auf einem verwahrlosten Lagerplatz entdeckt und dem Besitzer abgekauft. Statt sie als objets trouvés wieder fest auf den Boden zu platzieren, schwebten die beiden Monumental­skulpturen als vertikales Spiegel­bild knapp einen halben Meter über dem Boden, sodass die beiden Stand­platten sich touchierten. Die realistischen Bildhauer­werke aus dem 19. Jahr­hundert, naturnah, einschüchternd, dramatisch, waren gründlich aus dem Gleich­gewicht gebracht worden. Wie der apportierende Rollo wurden sie in ihren ikono­grafischen Zuschreibungen – hier die maskuline Stärke, die Virilität, die Macht – konterkariert. Dieses Werk ist ein echter Pauken­schlag. Kaum eine zweite Arbeit der letzten Jahre inszeniert Selbst­bewusstsein und Ambiguität einer Künstlerin derart überzeugend.

Die Löwen sind jetzt wieder im Rahmen von «Bellend bin ich aufgewacht» (wieder tönt Rollo im Hinter­grund), einer grossen Werkschau Raphaela Vogels im Bregenzer Kunsthaus, zu sehen. Allein diese aberwitzige Installation ist es wert, an den österreichischen Bodensee zu reisen. In Dresden war «In festen Händen» ideal platziert: Die Bronze­löwen hingen an einem Laufkran mitten in einer Industrie­halle. Damals schien es kaum vorstellbar, dass sie an einem anderen Ort solche Wucht entfalten könnten, lag ein zusätzlicher Reiz doch darin, dass der eiserne Kran­balken mit dem Gewicht der Skulpturen an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu kommen schien. Zudem stand die nüchterne Zweck­architektur der Industrie­halle im kruden Gegensatz zum dramatisierten Realismus der Tiere, die anmuteten wie zur Schlachtung bereite Grosswildjagd-Trophäen.

Anders in Bregenz. Die Installation empfängt die Besucherin, den Besucher bereits im ersten Ausstellungs­saal im Erdgeschoss. Sie vermittelt auch hier den Eindruck, sie sei nur für diesen einen Raum des Kunsthaus­architekten Peter Zumthor geschaffen worden: Der Saal scheint zu sich selbst gekommen zu sein, atmet nahezu sakrale Ruhe. Die anfangs nur diffus zu erkennende Installation steht nicht im Gegensatz zur Umgebung, sondern die grüne Patina der Bronze harmoniert ausgewogen mit den differenzierten Grau­abstufungen von Boden, Fenster, Wänden.

Das Auge kann die unter die Decke gehängten Löwen im vergleichsweise grellen Gegenlicht der Fenster­wand zunächst nur unscharf erkennen. Ein deutlich empfangener Reiz ist hingegen eine zarte Frauen­stimme, die Stimme der Künstlerin, die ohne Begleitung und fast beiläufig ein Liedchen singt, das die Installation auf absurde Weise zu thematisieren scheint: «Wie stark ist der Mensch? Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertragen? – Hurra, wir leben noch!» Es ist ein Schlager, mit dem sich die Pop-Interpretin Milva 1983 in die Hitparaden katapultierte.

Der ganze Raum ist davon erfüllt. Noch bevor der Besucher die Quelle des Gesangs errät, die Löwen in Augen­schein nehmen kann, entfalten die Töne eine skulpturale Qualität. Der Besucher glaubt in einer Klang­wolke zu versinken, die im Wider­spruch zu der mächtigen Form der aufgehängten Löwen steht. Wie schon in Dresden hat ihnen die Künstlerin an Nasen­ringen schwarze Kugeln angehängt. Gewichte? Es sind Lautsprecher, aus denen der Singsang der Künstlerin dringt.

Von Näherem besehen, schlägt die symbolische Fragilität der triumphierenden Löwen in eine formale um: Die Aufhängung der Skulptur an Tragriemen, Schäkeln und Ketten wirkt äusserst labil. Zwar scheinen die Bronzelöwen an der Decke stabil befestigt zu sein, doch bei der leisesten Berührung geraten sie ins Pendeln. Da scheint nichts mehr gesichert, verankert, souverän. Die Löwen als Schlangen­bezwinger und Überwinder des Bösen – jahrhunderte­lang die Kernaufgabe der Jungfrau Maria – sind vom Sockel gehoben und schweben hilflos im Raum. Man darf es als feministische Appropriation männlicher Herrschafts­symbole lesen. Eine Programm­erklärung der Künstlerin.

Destillierer und Chaotiker

Nach Elias Canetti könnten Künstler in zwei Gruppen eingeteilt werden: Destillierer und Chaotiker. Während die Ersteren ihr Künstler­leben einem zentralen Thema, einer alles bestimmenden formalen Aufgabe widmen, suchen die Zweiten nach ihrem künstlerischen Ausdruck, indem sie ruhelos mit unterschiedlichsten Medien und Lösungs­ansätzen experimentieren. Raphaela Vogel gehört zu den Letzteren. Lustvoll bespielt sie auch die Bregenzer Obergeschoss­säle. Im ersten und zweiten greift sie auf ältere Installationen und Werk­gruppen zurück, während sie im dritten eine neue, eigens für Bregenz geschaffene Arbeit zeigt.

In jedem Saal steht eine Video­arbeit im Zentrum (Ausstellungsansicht). © Raphaela Vogel, Bild: Markus Tretter
Lustvoll bespielt Vogel die Räume (Ausstellungsansicht). © Raphaela Vogel, Bild: Markus Tretter
Raphaela Vogel, «Tränenmeer», 2019, Videostill. © Raphaela Vogel

Überall treibt sie ein Spiel mit Appropriationen, von Zelt­gestängen bis zu akquirierten Mini-Land-Baumodellen. Sie prüft und nutzt verschiedenste Materialien, vom Hundehaar bis zu Polyurethan/Elastomer. Dabei bedient sie sich einer Vielzahl von Medien und Ausdrucks­formen, von der Malerei bis zu Video­projektionen, in denen sie selbst und ab und an auch Maskottchen Rollo die Protagonisten sind. Auch für die Kamera, die an Drohnen, an Teleskop­stäbe oder ans Hunde­halsband montiert wird, ist immer die Künstlerin selber verantwortlich.

In jedem Saal steht eine Video­arbeit im Zentrum: «Tränenmeer», 2019, Vogel auf einem Felsen in der Brandung; «Son of a Witch», 2018, Vogel in einer dämmrigen Matratzen­gruft und in Schamanen­höhlen; und schliesslich «Rollo», 2019, Vogel auf einem gelben Baukran­gestänge mit ihrem Hund. Durch die ungewohnten Kamera­perspektiven, unterschiedliche Linsen und die digitale Nach­bearbeitung geraten diese Videos zu psychedelischen Trips, die die Künstlerin zwar ins Zentrum stellen, sie aber weder narzisstisch noch voyeuristisch überbesetzen. Da ist keine Selbst­zelebration. Vogel wirkt wie eine Forscherin auf der Spur von Blick­regimen, Inszenierungs­strategien, Bildpolitiken.

Ist es anklagend, ist es ironisch?

Wie muss man diese Arbeiten in die Geschichte der feministischen Kunst einordnen? Ausstellungs­kurator Thomas D. Trummer wird offensichtlich von dieser Frage umgetrieben. Eine erste Antwort hat er mit einer ikonografischen Fussnote versucht: Im Sockel­geschoss der Vogel-Show ist der Schwarzweiss-35-mm-Film «Nr. 1 – Aus Berichten der Wach- und Patrouillen­dienste» der Filme­macherin Helke Sander aus dem Jahr 1984 zu sehen. Der Film zeigt, wie eine Mutter mit ihren Klein­kindern einen Baukran am Hamburger Haupt­bahnhof besteigt, um vom Ausleger Flugblätter hinab­zuwerfen, auf denen sie auf ihre Wohnungsnot aufmerksam macht.

Sanders Film soll eine Klammer zu Vogels Video «Rollo» öffnen. Die Analogien – Kran, Frau bringt sich in Gefahr – sind in der Tat offensichtlich. Doch Vogel klettert nicht mit einem Kleinkind, sondern mit ihrem Pudel­maskottchen auf den Kran. Ist es anklagend, ist es ironisch? Bei aller Nähe gibt es entscheidende Differenzen.

Überwundene Vorbilder: Helke Sander, «Nr. 1 – Aus Berichten der Wach- und Patrouillen­dienste», 1984, Filmstill Nr. 1. © Helke Sander/Deutsche Kinemathek, Berlin

Die Ästhetik Sanders ist politische Agitprop (Agitation und Propaganda). Sie will politische Aufklärung des Publikums erzielen, in diesem Fall Bewusstsein schaffen für das Wohnungs­elend, von dem vor allem Frauen betroffen sind. Kunst wird hier funktionalisiert, um soziale Missstände an- und um Frauen­rechte einzuklagen.

Performance, Film und Video als verfügbare, schnelle Medien waren in den 1960er-Jahren, zu den Anfangs­zeiten der feministischen Bewegung, das Mittel der Wahl für solche Interventionen. Bis heute zieht etwa die 1985 gegründete Künstler- und Aktivistinnen­gruppe Guerrilla Girls mit Affen­masken durch die Kunst­institutionen, provoziert, agitiert und hält die Aktionen mit Plakaten und Videos fest. Ihr Fokus: die bis heute offensichtliche Unter­vertretung weiblicher Künstlerinnen in Sammlungen und Museen. «Do women have to be naked to come into the Met. Museum?» (Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?) lautet der Slogan der Aktivistinnen.

Schnell wurde jedoch der Vorwurf laut, der feministische Aktionismus benutze Kunst bloss als Mittel zum Zweck: Die Kunst werde instrumentalisiert. Die Guerrilla Girls hat das nicht angefochten. Mit Performance und Happening bedienen sie nicht zufällig ein Medium, das wie die Künstlerinnen selber lange keinen Platz in den bürgerlichen Institutionen gefunden hat. Seit in den 2000er-Jahren Aufführungs­formate, Performances und Events vermehrt Einzug in den offiziellen Kunst­betrieb hielten, haben auch Kuratoren und das breitere Publikum die formalen Qualitäten dieses medial breit angelegten, kollektiven Aktionismus erkannt.

Diese offensive, politisch fordernde Richtung feministischer Kunst setzt sich bis heute auf vielfältige und lustvolle Weise fort. Andrea Fraser zum Beispiel konterkariert in amüsanten und intelligenten Lecture Performances die Verlogenheit des Kunst­systems, indem sie im Modus subversiver Affirmation in verschiedene Rollen seiner Akteurinnen schlüpft, deren Ambivalenzen und Widersprüche aufzeigt.

Anders geht die 1965 geborene US-amerikanische Aktivistin Andrea Bowers vor: Sie stellte mit «Open Secret», 2018, einen modernen Pranger in die Art Basel, auf dem sie ihr Archiv von über zweihundert Biografien von Prominenten veröffentlicht, die sich in den vergangenen Jahren sexueller Belästigung und Übergriffe schuldig gemacht haben. Die Provokation zeigte Wirkung. Zwei der Infotafeln mussten nach Einsprüchen entfernt werden.

High und low, Milva und Nina Simone

Daneben entwickelt sich seit den 1960er-Jahren aber auch eine dezidiert feministische Kunst, die nicht unmittelbaren politischen Aktivismus betreibt, sondern das Selbst- und Erscheinungs­bild der Geschlechter befragt, die Macht­verhältnisse, Zurichtungen, Entfremdungen thematisiert und Möglichkeiten von Selbst­bestimmtheit und Selbst­verwirklichung erkundet. Körper und Präsenz stehen im Mittelpunkt.

Neue, feminin konnotierte Materialien werden erforscht. Zu nennen sind etwa die Performerinnen Joan Jonas, Valie Export, Hannah Wilke oder die Künstlerinnen Louise Bourgeois, Eva Hesse und später Rosemarie Trockel, die auch aus Mangel an Aufmerksamkeit auf «weibliche» Stoffe und Medien wie Zeichnung, Tusche, Textilien, Latex oder Fiberglas zurück- und vorgriffen. Eine nachfolgende Generation beschäftigt sich dann vor allem mit den medialen und queeren Rollen­bildern Künstler/Künstlerin, wie die US-Amerikanerinnen Cindy Sherman, Sarah Lucas, die Engländerin Marine Syms, die Niederländerin Mathilde ter Heijne oder die Schweizerin Pipilotti Rist.

Es ist dieser zweite Traditions­strang, an den die Arbeit Raphaela Vogels anschluss­fähig scheint. Doch der klare Blick, die tabulose, opulente Kombination von high und low, Milva und Nina Simone, die lustvolle Aneignung und Material­verarbeitung sowie nicht zuletzt der grosszügige Humor, der zur Verfügung stellt und nicht bevormundet, haben auch eine neue, ganz eigene Qualität. Als Kind einer allein­erziehenden Mutter sei sie immer schon für feministische Themen, Frauen­rechte und Emanzipation sensibilisiert gewesen, erklärt die Künstlerin im Gespräch. Dass sie in den Bildhauer­klassen während ihres Studiums oft die einzige Frau war, stiess ihr sauer auf. Doch Selbst­erfahrungs­gruppen oder mit einem Plakat durch die Strassen laufen ist erst mal nicht ihr Ding. Ihre Mittel sind andere.

Es mag damit zu tun haben, dass die neue Künstlerinnen-Generation, zu der Vogel gehört, sich auch berufen kann auf eine ganze Reihe von Vorgängerinnen, die in selbst­bewussten und grossen Massstäben ihre Positionen in einem feindlichen Umfeld durchgesetzt haben, ohne dass ihr Geschlecht ausser im Namens­schild neben der Arbeit sichtbar würde. Es handelt sich dabei vorwiegend um konkrete und konzeptuelle Kunst von Künstlerinnen wie Roni Horn, Rachel Whiteread, Katharina Grosse oder Friederike Feldmann. Mit diesen Setzungen wurde den Arbeiten von Frauen nicht mehr allein das Fleissige und Kleinteilige zugetraut und abverlangt.

Selbstbewusst tritt nun eine Kohorte junger Künstlerinnen auf den Plan, die mit aufwendigen Inszenierungen vom Museums­raum Besitz ergreifen. Zu nennen wären etwa die junge Französin Pauline Curnier Jardin mit ihren höhlen­artigen Video­installationen, die US-Amerikanerinnen Anicka Yi und Kaarie Upson mit ihren wuchernden Albtraum­fluchten oder die Engländerin Marianna Simnett mit ihren ambivalenten Video­filmen um die Themen des Heran­wachsens und des Missbrauchs.

Ungeniert werden dabei nicht nur Frauen als Referenz­grössen zitiert, sondern auch männliche Künstler­kollegen, denen man für dieses Lager nicht unbedingt eine Vorbild­funktion zugetraut hätte. Kaarie Upson unterhält sich in einem Katalog­buch munter mit dem an der Grenze des guten Geschmacks agierenden Paul McCarthy und zitiert in ihren Videos David Lynch. Bei Vogel sind die Bezüge zum englischen Konzept­künstler Simon Starling, ihrem Lehrer an der Frankfurter Städel­schule, ebenso offensichtlich wie diejenigen zum US-amerikanischen Polyurethan-Elastomer-Spezialisten Matthew Barney.

Dabei ist auch die feministische Selbst­befragung, die Reflexion auf die Rolle als Künstlerin, als Frau, weiterhin zentral. Doch sie wird mit Distanz und Skepsis, nicht selten mit einer gehörigen Portion Ironie serviert. Die Zeiten der grossen Thesen, schnellen Lösungen, unumstösslichen Wahrheiten – das männliche «Ich muss mal schnell die Welt retten» – sind für diese neue Generation vorbei. Beuys hatte einem toten Hasen das Wesen der Kunst erklärt, Vogel beschränkt sich mit Maskottchen Rollo auf Ausflüge zur Erkundung der Welt.

Der Generationen­wechsel wird auch ermöglicht durch ein förderndes Umfeld, einen Humus, auf dem diese neue und eigensinnige Kunst gedeihen kann. Das schaffen Freunde, Gleichgesinnte und aufgeschlossene Institutionen. Allen voran den Leiterinnen der Basler Kunsthalle und des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Elena Filipovic und Susanne Pfeffer, ist es zu verdanken, dass in den vergangenen Jahren im deutsch­sprachigen Raum grossformatige und unbequeme Positionen junger Künstlerinnen gezeigt werden konnten. So stiess Raphaela Vogel 2018 in der Basler Kunsthalle auf ein Publikum, das bereits mit den Material­transformationen der jungen US-Amerikanerin Anicka Yi vertraut war und dieses Jahr Kaari Upsons «Egomantik» mit der von Vogel vergleichen konnte.

Yi, Vogel, Upson – damit stehen bereits drei für einen neuen Feminismus in der Kunst, der sich in kein Label pressen lässt. Bei ihnen gibt es keine unmittelbare Botschaft, keine unverrückbare Wahrheit. Dazu ist ihre Generation zu skeptisch geworden. Vogel hat diesen Skeptizismus zum ästhetischen Prinzip erhoben: Sie macht das allgegen­wärtige Drohnenauge Gottes zum ambigen Tool ihrer polyperspektivischen Künstlerexistenz und bringt brüllende Löwen kopfüber zum Schweben.

Zur Ausstellung

«Raphaela Vogel – Bellend bin ich aufgewacht» ist noch bis zum 6. Januar 2020 im Kunsthaus Bregenz zu sehen.

Zum Autor

Max Glauner arbeitet als freier Kultur­journalist für den «Freitag», den «Tages­spiegel», die «Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung», Frieze.com, «Artforum» und «Kunstforum international». Er lebt in Berlin und Zürich und ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, wo er zu innovativen Produktions- und Aufführungs­formaten sowie Strategien der Partizipation und Kollaboration lehrt und forscht.

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