Das Trauerspiel

Erst der vernichtende PUK-Bericht, nun das administrative Gutachten von Alt-Oberstaatsanwalt Andreas Brunner: Die Kritik an den Bündner Behörden im Fall Quadroni wiegt schwer – die Regierung antwortet mit schwachen Worten.

Eine Analyse von Anja Conzett und Michael Rüegg, 28.11.2019

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Es hätte gut werden können.

Es wäre die Chance der Bündner Regierung gewesen, Verantwortung zu übernehmen und Stärke zu beweisen.

Zu zeigen, dass nicht jedes Polizeikader die Führungs­kompetenz eines Stück Treibholzes und nicht jeder Regierungsrat das Verantwortungs­gefühl eines Kuckucks hat – und man rigoros gegen jene vorgeht, die den Ruf redlicher Beamten mit ihrem fragwürdigen Verhalten besudeln.

Diese Chance hat sie verpasst, die Bündner Regierung. Um Lichtjahre.

Der Anlass: die Präsentation des zuhanden der Regierung erstellten Berichts der externen administrativen Untersuchung im Fall Adam Quadroni.

Im Mai des letzten Jahres, einen Monat nach Erscheinen der Baukartell-Serie in der Republik, hatte der damalige Justiz- und Polizei­direktor, Christian Rathgeb, eine Idee: Ein externer Experte sollte die Vorgänge in seinem Departement rund um den Umgang mit Whistleblower Adam Quadroni durchleuchten – speziell die Umstände seiner spektakulären Verhaftung mithilfe eines Sonder­kommandos der Kantonspolizei.

Mit der Ankündigung einer externen Untersuchung entzog sich die Regierung dem medialen Druck – sie durfte fortan auf die Abklärungen verweisend schweigen. Und Rathgeb konnte nach den Wahlen im Juni 2018 bequem sein Departement abgeben. Er ist nun für die Bündner Finanzen zuständig.

Und womöglich dachten die Regierungs­mitglieder, die Medien­karawane zöge weiter. Oder wie es etwas grobschlächtig in Bezug auf Skandal­berichterstattung gerne heisst: Morgen jagen die wieder eine neue Sau durchs Dorf.

Doch der Experte, in der Person des pensionierten leitenden Zürcher Ober­staatsanwalts Andreas Brunner, erfüllte seinen Auftrag gewissenhaft – und lieferte nun, im Herbst 2019, seinen Bericht ab. Praktisch zeitgleich mit dem PUK-Bericht, den der Grosse Rat des Kantons Graubünden am Dienstag präsentiert hat.

Dass nun zwei Berichte zu denselben Vorgängen vorliegen, ist in der Tat etwas unüblich. Die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission – der ersten in der Geschichte des Kantons – geschah, nachdem Strafrechtler Brunner seinen Auftrag bereits übernommen hatte.

Zwei Berichte, ein Grundtenor

Mittwochmorgen, Chur. Im Medienraum der Bündner Regierung bleibt kaum ein Stuhl unbesetzt. Vorne in der Mitte sitzt Andreas Brunner. Vor fünf Jahren erreichte er sein Pensions­alter, ein Jahrzehnt lang leitete er davor die grösste Straf­untersuchungs­behörde der Schweiz mit weit über hundert Staats­anwälten, nach einer Justiz­reform frisch neu organisiert – Brunner selber war deren Projektleiter gewesen.

Der promovierte Jurist hat den Ruf, einen messerscharfen Verstand zu besitzen. Und vor allem ein unbestechlicher Strafverfolger zu sein. Macht beeindruckt ihn nicht, höchstens vielleicht seine eigene.

Streng und klar in der Analyse: Andreas Brunner an der Medienkonferenz, an der er seinen Bericht zum Baukartell vorstellte. Rechts im Hintergrund Regierungsrat Peter Peyer. Gian Ehrenzeller/Keystone

Wie ein Greifvogel vor dem Sturz blickt Brunner über das Referentenpult. Und entschuldigt sich dafür, dass es viele Parallelen zum PUK-Bericht gebe, der tags zuvor publiziert worden war. Doch wer identische Berichte erwartet, liegt falsch. Denn Brunner geht einerseits mit der Polizei mancherorts noch härter ins Gericht als die PUK. Andererseits enthält sein Gutachten mindestens ein Detail, das im PUK-Bericht nicht vorkommt: Und das betrifft die Frage, ob nicht doch ein Zusammen­hang zwischen dem Baukartell und der Verhaftung Quadronis durch die Kantons­polizei besteht.

Die drei mit dem «Gschmäckle»

Dabei ist Brunner viel zu gewieft, um den Zusammenhang selber herzustellen. Das war nicht Teil seines Auftrags. Aber sowohl in den schriftlichen als auch in den kürzeren mündlichen Ausführungen betont der Gutachter drei Verbindungen zwischen an der Quadroni-Verhaftung beteiligten Personen und der Unterengadiner Bauwirtschaft:

Bei der Nennung des Letzteren umgeht Brunner geschickt eine fragwürdige Anordnung des Kantons­gerichts, alles über den Regionen­richter im Bericht zu schwärzen. Und lässt damit erahnen, was er von der Kooperations­weigerung der Kantons­richter hält.

Mehr sagt Brunner nicht ausserhalb seines Gutachtens­auftrags. Ausser dass er die Medien­mitteilung der Regierung – «offensichtlich» – nicht mitgeschrieben habe.

Und was schreibt die Regierung?

Für die scheint der Fall abgeschlossen. Das Gremium begrüsse, dass nun die Fakten auf dem Tisch lägen. Man wolle nach vorne schauen, sagt Regierungsrat Peter Peyer (SP). Er wurde erst letzten Juni neu gewählt und übernahm das in der Kritik stehende Departement. Von den damals zuständigen Regierungs­kollegen ist keiner gekommen.

Nicht Christian Rathgeb, der, obwohl er die Anschuldigungen Quadronis kannte, die Abweisung dreier entsprechender Aufsichts­beschwerden visierte; der erst eine Untersuchung einleitete, als der mediale Druck gross genug war, seine Wiederwahl zu gefährden. Und damit seinen Untergebenen und Konkurrenten im Regierungsrats­rennen, Kapo-Kommandant Walter Schlegel, unter den Karren warf.

Auch nicht Jon Domenic Parolini, der als Scuoler Gemeinde­präsident lange über die Machenschaften des Kartells informiert war, nichts tat, gemäss «Beobachter» sogar Geschenke vom Kartell annahm und als privater Bauherr selbst Opfer der Preis­absprachen wurde – und der 2018 gegenüber dem Rätoromanischen Radio und Fernsehen RTR über Quadroni sagte, dieser sei «unglaubwürdig».

Auch nicht Mario Cavigelli, der das Tiefbauamt, das vor seiner Zeit Quadronis Unterlagen nicht wollte, erst deckte – bis er, wie man hört, mit rigoroser Hand aufzuräumen begann.

Die Regierung zögert – und verschenkt ihr Vertrauen

Der Neue soll es also richten. Und Peyer brilliert. Zumindest in der Disziplin «Kollegialitäts­prinzip». Stoisch hält er sich ans im Regierungsrat minutiös austarierte Wording:

Die Regierung bedauert, dass im Umgang mit [Adam Quadroni] nicht alle Institutionen, welche im Bericht [Brunner] erwähnt werden, in allen Belangen vollumfänglich korrekt gehandelt haben.

Liest man Andreas Brunners Würdigungen der Sachverhalte, kann man ob dieser sprachlichen Pirouette nur staunen. Da hat ein Postenchef offenbar gelogen und illegale Haus­durchsuchungen durchgeführt; sein Chef steht im Verdacht, Beweismittel vorenthalten zu haben, die Quadroni entlastet hätten; ein befangener Amtsarzt hat eine psychiatrische Einweisung vorgenommen; eine Sozialarbeiterin hat sich als Anwältin von Quadronis Frau missverstanden; und ein Regionalgerichts­präsident hat Anweisungen der nächsthöheren Instanz ignoriert. Und dokumentiert wurde – wenn überhaupt – stets nur das, was ins gewünschte Bild passte: das Bild eines gefährlichen Irren, der jederzeit ausrasten könnte. Dazu Gutachter Brunner: In den sechs Monaten vor seiner spektakulären Verhaftung sei Adam Quadroni «nie negativ gegenüber Behörden aufgefallen».

Das sind nur Auszüge. Die Liste der Verfehlungen, teils grober Natur – und gemäss Brunner in mindestens einem Fall auch strafrechtlich relevant –, wirkt schier endlos. Am Ende der Lektüre ist es fast erträglicher, an ein Komplott zu glauben, als dass die Bündner Behörden dermassen vernichtend unfähig sind.

Aber nur fast. Denn die These, dass Quadroni ein Ziel war und die Akteure sich untereinander abgesprochen haben, ergibt ein noch düstereres Bild der Zustände im Unterengadin. Davon will man aber in Chur nichts wissen. Dort lebt man nach dem Pilatus-Prinzip – und wäscht die Hände in Unschuld.

Das ist erstaunlich. Denn Experte Brunner hat ein Sünden­register präsentiert, angesichts dessen sich einem vernünftigen Menschen die Nacken­haare sträuben. Und die Regierung sieht ein «nicht in allen Belangen vollumfänglich korrektes Handeln».

Keine Entschuldigung. Ein Bedauern.

Dabei ist es nun verbrieft: Adam Quadroni wurde Opfer behördlicher Schlamperei und Willkür. Das steht nun schwarz auf weiss in zwei unabhängigen Untersuchungen. Wie also geht die Bündner Regierung damit um?

Folgendermassen – und hier bitten wir um Verzeihung für die Wiederholung:

Die Regierung bedauert, dass im Umgang mit [Adam Quadroni] nicht alle Institutionen, welche im Bericht [Brunner] erwähnt werden, in allen Belangen vollumfänglich korrekt gehandelt haben.

Das ist sie. Das ist die Reaktion der Bündner Exekutive gegenüber Adam Quadroni. Keine Entschuldigung. Keine Wiedergut­machung für erlittenes Unrecht. Sondern ein Ausdruck des Bedauerns. Und der Hinweis in der Medien­mitteilung auf die Ausführungen in Brunners Bericht, Quadroni sei halt ein schwieriger Mensch, und der Rechts­staat stehe «besonders im Umgang mit schwierigen Menschen auf dem Prüfstand».

Das Himmeltraurige daran ist: Sich mit Verweis auf die laufenden Straf­untersuchungen noch nicht zu entschuldigen, wäre akzeptabel gewesen. Unter der Bedingung, dass dasselbe für die eigenen Mitarbeiter gelten würde – diejenigen, die möglicherweise eine Straftat begangen haben.

Doch hier ist die Regierung weitaus weniger zurückhaltend.

Zwar laufen noch Straf­untersuchungen gegen einige der erwähnten Personen. Zwar wird auch das Kantons­gericht das Verhalten von Gerichts­präsident Orlando Zegg prüfen müssen (es sei denn, es verweigert wie bisher die Zusammen­arbeit an der Aufarbeitung). Zwar hat Andreas Brunner selber strafrechtlich relevante Beweis­mittel an die Staats­anwaltschaft weitergeleitet – nämlich eine Notiz mit einer Sachverhalts­schilderung durch Polizei­grenadiere, die Adam Quadroni bei einem Einsatz vom Verdacht der Drohung und Gewalt gegen Beamte entlastet. Und die ausgerechnet von Marco Steck, dem Mann der Bauleiterin, aus den Akten zurück­gehalten worden war.

Doch zur Frage, welche personellen Konsequenzen die Aufarbeitung des Falls für die Beteiligten hat, schreibt die Regierung:

Die Verantwortlichen haben bewiesen, dass sie die nötigen Lehren gezogen haben und gewillt sind, Optimierungen vorzunehmen. Die Regierung spricht deshalb den Institutionen sowie ihren Führungspersonen und Mitarbeitenden das Vertrauen aus.

Mit andern Worten: Hier greift die Regierung der Straf­untersuchung vor. Sie sagt nicht, es gelte die Unschulds­vermutung. Sie sagt, sie vertraue den Mitarbeitern. Damit übernimmt sie bereits jetzt die Verantwortung.

Wenn ein Polizist Beweise unterschlägt, ist das keine Lappalie. Es ist ein erhebliches Delikt.

Übernimmt die Regierung auch die Verantwortung dafür?

Peter Peyer windet sich, aber ein Nein gibt es von ihm nicht an der Medien­konferenz. Ein Ja auch nicht wirklich.

Das ist schwach.

Auch schwach: Polizei­kommandant Schlegel, der für das Handeln seiner Polizisten verantwortlich ist, muss auf jeden Fall keine Konsequenzen befürchten – er soll nun aufzeigen, wie er künftig seine eigenen Fehler vermeiden will.

Das, obwohl es dem Kommandanten gemäss PUK zu widerstreben schien, sich aktiv an der Aufklärung zu beteiligen. Mehr noch: Auch sonst scheint die Kantons­polizei nicht viel von der PUK zu halten. In den Stellung­nahmen zum PUK-Bericht lässt die Anwältin eines Herrn XY, Kantons­polizei, vermelden, der Bericht sei verpolitisiert und zweckentfremdet – und lässt Zweifel an der Unabhängigkeit der überparteilichen Kommission aufkommen.

Eine Polizei, die keinerlei Respekt vor einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission hat – einem der wichtigsten demokratischen Kontroll­instrumente –, ist ein rechts­staatlicher Albtraum.

Der Regierung scheint das egal zu sein – Konsequenzen hat die Aufarbeitung bislang keine. Für niemanden.

Stattdessen will die Regierung nun einen Katalog von Massnahmen umsetzen, die Gutachter Brunner vorschlägt. Darunter solche, die für Freunde des Rechtsstaats alarmierend wirken müssen: Brunner empfiehlt, für die Kantons­polizei im Unterengadin «intensive Schulungen durchzuführen», weil «die handwerklichen Fähigkeiten im Zusammen­hang mit der Anwendung des Polizei­gesetzes zu verbessern seien».

Die Judikative verbarrikadiert sich

Auch das Kantonsgericht macht eine schlechte Falle: Es weigert sich, nicht nur gegenüber Staatsanwalt Brunner, sondern auch dem ihm überstellten Parlament in Form der PUK Auskunft über Richter Zegg zu geben, gegen den mindestens ein Strafverfahren wegen Amts­missbrauch läuft – und der weiter richten darf.

Zur Erinnerung: Das Bündner Parlament ist die Wahlbehörde der Kantons­richterinnen. Und es übt die Aufsicht über die Gerichte aus. Befremdend: Noch nicht einmal die Begründung des Kantons­gerichts, weshalb die PUK nichts zu den Gerichten schreiben darf, durfte die Kommission abdrucken.

Kurz: Das Kantonsgericht sträubt sich gegen eine transparente Aufarbeitung. Und die Regierung scheint weniger zu bedauern, was Quadroni widerfahren ist, als dass sie bedauert, dass die Sache ans Licht gekommen ist.

Das Bündner Baukartell war ein kriminelles Netzwerk, das auch deshalb existieren konnte, weil viel zu viele irgendwie davon profitiert haben. Wenn nicht direkt, dann halt, indem es allen etwas besser ging, wenn mehr Geld ins Tal floss.

Ein Problem dieses Ausmasses löst man nicht mit ein paar Berichten und Massnahmen. Es ist ein Kultur­wandel nötig. Dafür wäre Entschlossenheit nötig.

Es ist ein trauriges Bild, das der Kanton Graubünden da abgibt. Nicht nur bei der Lektüre der beiden Berichte. Sondern vor allem in ihrer Reaktion darauf.

Zwei von drei staatlichen Gewalten haben bereits versagt.

Die Einzigen, die den Ruf von Graubünden noch retten können, sind die 120 Grossrätinnen und Grossräte.

Bleibt zu hoffen, dass sie in ihrer weiteren Abklärungs­arbeit die Vorgänge ums Baukartell sauber, sachlich und unmissverständlich aufarbeiten.

Die PUK hat vorgemacht, wie das geht.

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