Politik, untermalt mit Ding-Dingeling-Boing
Von Michael Rüegg, 05.11.2019
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Das Zürcher Rathaus, am 15. Juni 1698 wurde es als Neubau eingeweiht, modern, mit einem grossen Feuerwerk. Seither hat das Gebäude am Limmatquai nur geringfügige Änderungen erfahren. Wasserklosetts wurden eingebaut, ein Lift, Aschenbecher trotz Rauchverbot nicht abgeschraubt, weil unter Denkmalschutz.
Ab dem 19. Jahrhundert verfügt der Ratssaal über eine Zuschauertribüne, denn seit 1833 sind die dort stattfindenden Sitzungen öffentlich. Montag für Montag tagt hier das 180-köpfige Kantonsparlament. Es macht Gesetze.
Genau wie die Limmat, die seelenruhig unter dem Gebäude vorbeifliesst, interessieren sich auch viele Zürcherinnen und Zürcher nicht sonderlich für das Geschehen im Ratssaal. Sehr zur Enttäuschung der Gewählten. Besonders bitter: Wie anlässlich der vergangenen eidgenössischen Wahlen wieder mit Erschrecken festgestellt, interessieren sich gerade die sogenannt Jungen kaum für Politik. Da hilft es auch nicht, dass praktisch jeden Montag eine Schulklasse auf der Tribüne sitzt und der Debatte zuhört. Also dabei, wie Kantonsrätinnen aus allen Ecken Zürichs lange Sätze vorlesen, die sie Monate zuvor in ihre Laptops getippt haben.
Es ist dem Kantonsrat hoch anzurechnen, dass er sich einen Bildungsauftrag gibt. Nun hat er vorgestellt, wie er ab sofort Jugendlichen der Sekundarstufe die Legislative näherbringen will: mit einer Web-App.
Das Resultat ist kein Spiel im eigentlichen Sinne, eher die Simulation eines Spiels. Aber es bedient sich eines treffenden Bildes. Seine Designerin sei, sagt der Mann, dessen Firma die Software entwickelt hat, auf besagter Tribüne gestanden und habe den zündenden Gedanken gehabt:
Der Kantonsratssaal sieht aus wie ein gigantischer Flipperkasten.
Es ist wiederum dem Kantonsrat hoch anzurechnen, dass er diesen unkonventionellen Gedanken nicht als beleidigend empfand. Denn nun können Kinder anhand des Flipperspiels entdecken, wie Gesetze entstehen.
Und die Metapher ist strapazierfähiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte. So sei nämlich der Flipper «eine Mischung aus Geschicklichkeit und Glück», eben wie die Politik, sagt Markus Späh, das für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Ratsmitglied. Und seine Kollegin Sylvie Matter, die als Gymnasiallehrerin den Flipper in ihrer Klasse testen konnte, ergänzt, dass eben «jeder den Ball ins Spiel bringen könne». Und selbst die Medien haben im Ding-Dong-Bling-Klong ihren festen Platz.
Erkunden kann man nun die Kunst des Legiferierens – musikalisch untermalt von einer Gameboy-Version des Sechseläutenmarschs – anhand dreier umgesetzter Gesetzesprojekte: der Jokertage an Schulen, der Limmattalbahn und des Hundegesetzes.
Letzteres gilt als etwas missglückt, weil es sich unter anderem teilweise nicht an Halter, sondern direkt an Hunde richtete. Und bereits ein paar Jahre nach seinem Inkrafttreten ruderte die Politik zurück und wollte das Hundegesetz wie einen Cockerspaniel coupieren. Der Stimmbevölkerung ging das Ansinnen zu weit, sie pfiff ihr Parlament zurück.
Aber eben auch ein schlechtes Gesetz kann als gutes Beispiel dafür dienen, wie es entstanden ist.