Er will unseren Segen

Faber wird als Musiker gefeiert für seine Gesellschafts­kritik und gescholten für seine Provokationen. Im Gespräch räumt er Fehler ein. Und stolpert schon wieder übers eigene Ego.

Von Timo Posselt (Text) und Anne Morgenstern (Bild), 01.11.2019

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Unruhestifter und Narzisst: Faber provoziert auch mit seinem neuen Album.

Juli 2018: In Chemnitz hetzen Neonazis Menschen durch die Innenstadt. Der Schweizer Musiker Faber kocht vor Wut und will sie in einen Song schütten: «Das Boot ist voll». Beunruhigend-repetitiver Piano-Einklang, Fabers tiefe Stimme, ein paar rechte Diskursfetzen, bis schliesslich alles im Refrain kulminiert:

Besorgter Bürger, ja
Ich besorg’s dir auch gleich
Geh auf die Knie, wenn ich dir mein’ Schwanz zeig’
Nimm ihn in den Volksmund blond, blöd, blau und rein
Besorgter Bürger, ja, ich besorg’s dir auch gleich

Autsch. Antifaschismus als Vergewaltigungs­fantasie? Faber hatte danebengegriffen. Wieder einmal.

Die erste Single des neuen Albums «I Fucking Love My Life» bestätigte die schlimmsten Befürchtungen: Faber, der billige Provokateur. Faber, der Sexist. Faber, der Unverbesserliche.

Im Gespräch sagt der Musiker, das Wortspiel mit «Volksmund» sei tatsächlich schwach gewesen. «Ich war von Anfang an mit diesen Zeilen im Konflikt.» Trotzdem nahm er sie so auf. Als die Single mit Video erscheint, bereut er die Zeilen sofort, ruft sein Management an und will sie ersetzen. Unmöglich, heisst es erst. Seine besten Freunde ermutigen ihn, Faber insistiert und zieht die Single in dieser Form schliesslich zurück. Zu spät. Im Internet ist längst ein Shitstorm losgebrochen. Neu heisst es im Song:

Besorgter Bürger, ja
Ich besorg’s dir auch gleich
Wenn sich 2019 ’33 wieder einschleicht
Wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht
Besorgter Bürger, ja, ich besorg’s dir auch gleich

Zwei Zeilen sexualisierte Gewaltfantasie weniger, zwei Zeilen Diskurskritik mehr. Seinen Fans erklärte Faber auf Facebook, er wolle nicht, dass sie nach so wichtigen Strophen nur noch den «Schwanz-Refrain» im Kopf hätten. Die Einsicht kam spät. Schliesslich hatte er den Song mit dem ursprünglichen Refrain längst live gespielt.

Faber, ein zerrissener Künstler?

Immer nur «Brüstebeinearschgesicht»

Seit 2017 gilt Julian Pollina alias Faber als der willkommene Unruhestifter in der Sonntagsmesse des deutschsprachigen Kuschelpops. «Sei ein Faber im Wind» lautet der titelgebende Slogan seines Debütalbums. Darauf singt der junge Künstler in akzentfreiem Hochdeutsch Zeilen wie diese: «In Paris brennen Autos und in Zürich mein Kamin.»

Faber raunt, röchelt und brummt in seinen Songs, als hätte er Stahlwolle verschluckt. Wenn er in Refrains seinen Bariton jeweils bis zum Anschlag presst, gelingt ihm die grösste Intensität. Dabei tragen ihn vier ausgezeichnete Musiker mit akustischen Gitarren, Balkan-Bläsern und scheppernder Percussion. Faber-Songs sind meist stampfend-besoffene Gassenhauer. Sie können beides: Fussgängerzone und Saalsporthalle.

Aufgewachsen im behüteten Zürcher Seefeld, ist Julian Pollina nach dem Musikgymnasium mit eigenen Liedern und italienischen Covers durch die Bars der Stadt getingelt. Seine Eltern unterstützten ihn: Als Sohn des schweizerisch-sizilianischen Liedermachers Pippo Pollina und der Dokumentar­filmerin Cristina Pollina-Roos musste Faber sich nie fürs Künstlerleben rechtfertigen. Als er im Publikum eines Konzerts der Mundartband «Stiller Has» Sophie Hunger sieht, spricht er sie an: Ob er ihr ein paar Songs vorsingen dürfe? Er darf – und sie nimmt ihn kurzerhand mit auf Tour.

Schon damals hatte Faber ein stilsicheres Händchen für eingängige Akustik-Popsongs. Nur sang er leider auch Zeilen wie: «Warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?» Oder: «Zieh dich aus, du kleine Maus / Du bist zwar erst sechzehn / Ach komm, wir drehen Sexszenen.» Ganz schön viel «Brüstebeine­arschgesicht» im Kopf (so der Titel eines anderen Songs).

Der Erfolg kam trotzdem: Millionen Streams auf Spotify, Headliner-Slots an Festivals, drei ausverkaufte Tourneen durch Deutschland, die Schweiz und Österreich.

Den Sexismus umkehren

Er habe sicher Fehler gemacht, sagt der heute 26-jährige Faber im Gespräch. Etwa die «Nutte» im Song «Sei ein Faber im Wind»: «Das war kein Rollenspiel, keine Satire. Das war schlicht falsch.» Mit dem Erfolg spüre er auch zunehmend seine künstlerische Verantwortung: «An Konzerten standen die Leute manchmal besoffen an der Bar und warteten nur, bis die Beleidigung fiel, um sie mitzugrölen. Das war natürlich nie meine Absicht. Darum spiele ich diesen Song nicht mehr live.» Faber gibt sich einsichtig, verteidigt die Zeile aber als «Gefühlsausbruch» und redet irgendetwas von Kontext. Offenbar will er den Triebtexter Faber noch nicht aufgeben.

Auch «I Fucking Love My Life» strotzt vor expliziten sexuellen Bezügen. Beispielsweise in «Top»: Zu Reggae-Beat und knatternden Bläsern besingt ein Kunstfigur-Ich Frauen als sexualisierte Körper, wünscht sich einseitigen Oralsex und verspricht dafür Klamotten aus dem «Topshop». Sex und Gegenleistungen wie schon im früheren Song «Tausendfranken­lang»? Faber will «Top» als Karikatur misogyner Deutschrap-Texte der erfolgreichen Spotify-Playlist «Modus Mio» verstanden wissen. So heisst es in der Strophe: «Ich steh für gar nichts und für gar nichts steh ich ein.»

Selbst wenn man seiner Argumentation folgen wollte: Dann wirkte diese Wertekritik geradezu putzig. Denn das, was laut Faber «Überzeichnung» sein sollte, reicht nicht annähernd an die Frauenverachtung und Inhaltsleere der entsprechenden Deutschrap-Texte heran. Deren krasser Machismus kann nicht überzeichnet, höchstens unterlaufen werden. Wie das ginge, hat der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Trap-Persiflage «Ich hab Polizei» gezeigt. Wenn Faber bloss sexistische Stereotype kopiert, läuft er Gefahr, diese zu untermauern. Gerade wenn sie so verdammt gut ins Ohr gehen wie fast alle seine Lieder.

In «Vivaldi» zitiert Faber zu akustischer Gitarre und omnipräsenter Posaune seine früheren Songs als zweideutiges Echo, indem er sie einem weiblichen Ich in den Mund legt: «Komm wir drehen Sexszenen / Wie’s in deinem Text steht / Ich bin zwar nicht 16, ich bin Mitte 30 / Ich weiss, dass dir heiss ist.» Es gehe ihm um die Umkehr von Geschlechter­rollen: «Die Männer sollen merken, wie ekelhaft es sich anfühlt, so angemacht zu werden.»

Da hat er sich etwas vorgenommen. Mit Fabers Stimme singt nun also eine dauerspitze Frau davon, wie sehr sie seinen «Dick» will. Den eigenen Sexismus einfach umdrehen, und fertig ist die Gesellschafts­kritik? Wow. Fabers künstlerische Möglichkeiten als Texter sind offenbar beschränkt.

Mal ganz naiv gefragt: Warum überhaupt muss es immer so explizit sein?

«Das weiss ich auch nicht, und ich bin unsicher, ob ich es wieder so machen würde. Ständig das Explizite nervt wahrscheinlich, ginge mir wohl genauso. Andererseits gibt es fast unendlich viele künstlerische Projekte, die gar nichts aussagen und damit nerven.»

Also lieber «Brüstebeine­arschgesicht» als nichts aussagen?

Faber, die Identifikationsfigur

Musikalisch ist auf «I Fucking Love My Life» eine zaghafte Entwicklung zu spüren: etwas weniger Strassenmusik, etwas mehr Elektronik. So schwelgen in den Songs «Komm her» oder «Das Leben sei nur eine Zahl» zuckrige Synthies. Die sind jedoch die Ausnahme: Faber vertraut einmal mehr auf seine Kernkompetenz eingängiger Akustik-Pop-Nummern.

Seine viel gelobte Gesellschafts­kritik dreht sich ebenfalls im Kreis: In den 14 Songs (mit zwei Instrumentals) wiederholen sich die kritischen Zeilen zu Social Media und linksliberalen Widersprüchen inhaltlich fast im Wortlaut.

Doch wenn sich Faber das eigene Umfeld vornimmt, trifft er unverhofft auch mal ins Schwarze. In «Ihr habt meinen Segen» besingt er ohne jeden musikalischen Ballast, nur mit akustischer Gitarre, seine Generation und sich selbst: Julian und Lisa hadern genauso mit den politischen Ansprüchen wie den unzähligen Möglichkeiten im Leben. Ihnen steht die Welt offen, doch sie können sich nicht entscheiden. Auch nicht für einander.

Kein Ironieversuch, keine Pose. Faber singt ganz unmittelbar und prosaisch über eine zerbrochene Beziehung. Faber, die Identifikations­figur, buddelt hier eine Kuhle des Trosts, in die sich legen kann, wer will: «Du hast meinen Segen / aber erwarte nicht zu viel von deinem Leben.»

Solch autobiografische Songs möchte er seinen Nächsten nicht immer antun, sagt er. Schade. Denn wenn Faber sich selbst verletzlich zeigt, zeigt er auch Empathie für die Verwundbarkeit der anderen. In solchen Momenten ist zu spüren, was neben den grossen Melodien an lyrischer Beobachtungs­gabe und präziser Gesellschafts­kritik noch in ihm stecken könnte.

Stattdessen will Faber polarisieren. Dabei stolpert er immer noch über den eigenen Narzissmus. Er provoziert und möchte trotzdem gefallen. Wie anstrengend.

Zum Album

Faber: «I Fucking Love My Life» (Universal). Albumlink und Tourdaten (ab 28. Februar 2020) finden Sie hier.

Zum Autor

Timo Posselt, 1991 geboren, studierte in Basel und im norwegischen Bergen Deutsch, Genderstudies und Geschichte. Er schreibt als freier Journalist über Pop, Film und Literatur und lebt in Basel. Für die Republik schrieb er zuletzt über die Subkultur Parkour.

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