Auf lange Sicht

Die Wahl­resultate in sechs Schweizerkarten

Wo haben die Parteien verloren, in welchen Wählerschichten haben sie gewonnen, wer war in den Städten vorne, wer auf dem Land? Die Wahlanalyse auf der Ebene der zweitausend Schweizer Gemeinden.

Von Simon Schmid, 21.10.2019

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Unterstützen auch Sie die Republik mit einem Abo: Einstiegsangebot nur bis 31. März 2024.

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr

Die Wahlen 2019 haben die Polit­geografie aufgemischt. Neue Hochburgen sind entstanden – Parteien haben ihre regionalen Stärken unter Beweis gestellt, aber auch Schwach­stellen in der Wähler­demografie offenbart.

Wir präsentieren: Die räumliche Analyse der Nationalrats­wahlen auf Ebene der Gemeinden, gegliedert nach den sechs wählerstärksten Parteien.

SVP – hoher Ausländeranteil, hohe Verluste

Vor vier Jahren war die Deutsch­schweiz noch fest in SVP-Hand: Praktisch flächen­deckend erzielte die Partei Wähler­anteile von 30 Prozent und mehr.

Heute ist das Bild granularer. Zwar ist die SVP in ihren Bastionen wie dem Berner Oberland, in Schwyz und Nidwalden noch immer bei 40 bis 50 Prozent, teils sogar mehr. Der Thurgau bleibt fest in der Hand der Schweizerischen Volkspartei. Doch in Kantonen wie Aargau und Luzern hat die Partei eingebüsst. Der SVP-Teppich hat sich gelichtet, besonders in der Romandie.

Die SVP bleibt in der Deutschschweiz stark

Wähleranteil der SVP

Wähleranteil
2 % bis 10 %
10 % bis 20 %
20 % bis 30 %
30 % bis 40 %
40 % bis 60 %
60 % bis 84 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Gesamtschweizerisch verlor die SVP gestern 3,8 Prozent­punkte. Am meisten büsste sie dort ein, wo die Schweiz urban, jung und divers ist: in den Städten, in Gemeinden mit tiefem Anteil von über 65-Jährigen und in Gemeinden mit hohem Ausländer­anteil. Es gibt fast keine Gemeinde­gruppe – mit Ausnahme der rätoromanisch sprechenden Gemeinden –, in der die SVP nicht verlor.

SVP verliert dort, wo viele Ausländer wohnen

Mittlere Veränderung nach Gemeindeeigenschaft

Tiefer Ausländeranteil−1,7 % 0Mittlerer Ausländeranteil−3,0 % 0Hoher Ausländeranteil−3,7 % 0

Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Quelle: BFS

Die SVP hat damit nicht nur geografisch, sondern auch demografisch das Terrain eingebüsst, das sie an den Wahlen vor vier Jahren gutgemacht hatte. Nur in einer von fünf Gemeinden gewann sie schweizweit Wähleranteile.

SP – schwere Einbussen in Zürich

Auch die SP zählt zu den Verlierern: Die Farbe Rot ist auf der Polit­landkarte weniger intensiv als vor vier Jahren. Besonders in der Westschweiz und im Tessin haben sich die Reihen der Gemeinden, in denen die SP üblicher­weise 15 bis 25 Prozent der Wähler für sich gewinnt, gelichtet. Dasselbe gilt in der Agglomeration Zürich, wo die SP Federn lassen musste.

In der ganzen Schweiz präsent, aber schwächer

Wähleranteile der SP

Wähleranteil
0 % bis 5 %
5 % bis 10 %
10 % bis 15 %
15 % bis 25 %
25 % bis 35 %
35 % bis 49 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Gesamtschweizerisch kommen die Sozial­demokraten neu auf 16,8 Prozent. In Regionen wie dem Entlebuch und dem Oberwallis, aber auch im Thurgau lag die Partei schon immer deutlich darunter. Auch 2019 bleibt die SP hier im einstelligen Bereich. Interessanter­weise legte sie in der Zentral­schweiz aber leicht zu – anders als in Zürich, wo sich nun viele Wähler von ihr abgewendet haben. In Zürich und im Tessin fährt die SP ihre grössten Verluste ein.

Weniger Zürcher wählen die SP

Mittlere Veränderung nach Gemeindestandort

Zentralschweiz0+1,9 % Nordwestschweiz0+0,2 % Région lémanique−1,1 % 0Ostschweiz−1,3 % 0Espace Mittelland−1,9 % 0Tessin−2,3 % 0Zürich−3,3 % 0

Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Quelle: BFS

Die zweitstärkste Partei gehört damit ebenso wie die stärkste Partei, die SVP, zu den Wahlverlierern. Nur in knapp 700 von über 2200 Gemeinden – etwas mehr als ein Viertel – konnte sie mehr Wähler als 2015 für sich gewinnen.

FDP – die beste Verliererin

Die FDP gibt sich gerne als Rivalin der SP. Bei den Nationalrats­wahlen 2019 sitzen die sozial­politischen Antipoden jedoch im selben Boot. Beide Parteien verlieren in Kantonen wie Zürich und Bern sowie in Teilen des Jurabogens an Strahl­kraft. Gerade in der Romandie, einer ihrer traditionellen Hochburgen, verliert die FDP viele Wähler. Die blaue Abdeckung ist im Waadtland mit Anteilen von 15 bis 25 Prozent zwar noch markant – doch in die Nähe von 40 Prozent kommen die Freisinnigen um den Genfersee fast nirgends mehr.

Weniger dominant in der West- und Südostschweiz

Wähleranteile der FDP

Wähleranteil
0 % bis 5 %
5 % bis 10 %
10 % bis 15 %
15 % bis 25 %
25 % bis 35 %
35 % bis 70 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Unter den Wahlverlierern ist die FDP mit einem Minus von 1,3 Prozent­punkten noch relativ gut davon­gekommen. Mit Ausnahme des Kantons Appenzell Ausser­rhoden, der die Statistik für die gesamte Ostschweiz schönt, bietet jedoch keine Gross­region einen Lichtblick. Und dort, wo Italienisch, Französisch oder Rätoromanisch gesprochen wird, sind der FDP bei den Wahlen verhältnismässig am meisten Wähler davongelaufen.

FDP hält sich in der Deutschschweiz am besten

Veränderung nach Gemeindesprache

Deutsch−0,7 % 0Italienisch−1,8 % 0Französisch−2,2 % 0Rätoromanisch−3,0 % 0

Mittlere Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Quelle: BFS

Auch sozio­demografisch betrachtet verliert der Freisinn fast durchs Band. Die Anteile der FDP sind in urbanen wie auch in ländlichen Gemeinden geschrumpft. Ein Plus gab es für die Partei insgesamt in knapp 700 von gut 2200 Gemeinden – fast in gleich vielen wie bei der SP.

Grüne – Italienisch als Lieblingssprache

Die grüne Karte wirkte bislang ziemlich blass – selbst mit einer angepassten Farbcodierung, die den niedrigeren Anteilen Rechnung trug. Seit gestern ist dies anders. Die Grünen kommen im Mittelland fast überall auf 5 Prozent.

Als eigentliche Stammlande der Wahlsieger kristallisiert sich der Jurabogen heraus: Vom Baselbiet bis nach Genf vermochten die Grünen, 15 Prozent oder gebietsweise sogar 20 Prozent der Wählerinnen auf ihre Seite zu ziehen.

Ein Bogen vom Baselbiet bis nach Genf

Wähleranteile der Grünen

Wähleranteil
0 % bis 2 %
2 % bis 5 %
5 % bis 10 %
10 % bis 15 %
15 % bis 20 %
20 % bis 38 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Die Grünen waren nicht nur im Jura, sondern generell in der Westschweiz erfolgreich. In französisch­sprachigen Gemeinden gewannen sie durchschnittlich 7,8 Wähler­prozentpunkte hinzu – rund 2 Punkte mehr als über die ganze Schweiz betrachtet. Im Tessin waren es sogar 8,5 Prozent­punkte. Stark sind die Grünen auch in Städten wie Zürich, Bern und Luzern.

Grüne legen in der lateinischen Schweiz zu

Veränderung nach Gemeindesprache

Italienisch0+8,5 % Französisch0+7,8 % Rätoromanisch0+6,0 % Deutsch0+4,1 %

Mittlere Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Quelle: BFS

Insgesamt legten die Grünen in 90 Prozent aller Gemeinden an Stimmen zu. Verluste gab es für die Grünen einzig im Kanton Uri. 2015 hatte die Partei noch versucht, das Rennen um den einzigen Sitz mit einer Spreng­kandidatin aufzumischen, und dabei einen Achtungs­erfolg gelandet. Dieses Jahr traten die Grünen dort nicht mehr an. Es ist, abgesehen von Ob- und Nidwalden und den beiden Appenzell, der einzige graue Fleck in der grünen Politlandkarte.

CVP – besser in der Stadt als auf dem Land

Die Wählerlandkarte der CVP ist seit je sehr zersplittert. Auch nach den Wahlen 2019 ist dies nicht anders. Die – inzwischen – fünftstärkste Partei kommt in ihren katholischen Kerngebieten auf Anteile von 40, 50 oder sogar 60 Prozent. Dazu zählen das Oberwallis und Teile der Inner­schweiz. In Uri ist die CVP stark, auch in der Surselva, in Appenzell Inner­rhoden und im Jura. Dagegen ist die Partei in Zürich, Bern oder der Waadt beinahe inexistent.

In katholischen Orten dominiert die CVP

Wähleranteile der CVP

Wähleranteil
0 % bis 5 %
5 % bis 10 %
10 % bis 15 %
15 % bis 25 %
25 % bis 35 %
35 % bis 80 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Mit einer Einbusse von gesamt­schweizerisch nur 0,2 Prozent­punkten zählen die Christ­demokraten fast schon zu den Wahlsiegern – prognostiziert worden war ein stärkerer Einbruch. Interessanter­weise schneidet die Partei in den städtischen Gemeinden und in der Agglomeration besser ab als auf dem Land. Die Verschiebungen bei der CVP sind jedoch insgesamt marginal.

CVP verliert vor allem auf dem Land

Veränderung nach Gemeindetyp

Städtisch−0,2 % 0Intermediär−0,2 % 0Ländlich−0,6 % 0

Mittlere Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Intermediär = dichter periurbaner Raum und ländliche Zentren. Quelle: BFS

Die Christdemokraten vermochten ihren Anteil in total rund 900 von 2200 Gemeinden zu steigern. Sie weisen die stabilste Entwicklung von allen auf.

Grünliberale – je urbaner, je besser

Noch stärker fragmentiert als die CVP war bislang die GLP. 2019 hat die Partei ihre regionale Vertretung bis auf wenige Ausnahmen – Jura, Glarus, Uri, Ob- und Nidwalden sowie die beiden Appenzell – komplettiert. Nur in einzelnen Walliser und Tessiner Gemeinden bleiben die Grünliberalen ohne Stimmen.

Urbanes Zielpublikum mit Fokus in Zürich

Wähleranteile der GLP

Wähleranteil
0 % bis 2 %
2 % bis 4 %
4 % bis 7 %
7 % bis 10 %
10 % bis 15 %
15 % bis 24 %
keine Stimmen

Quelle: BFS

Eindrücklich ist die Präsenz in Zürich. In der Stadt kommt die GLP auf bis zu 16 Prozent, in der Agglomeration auf 10 bis 15 Prozent. In ihrer Hochburg verzeichnete die Partei mit 5 Prozent­punkten und mehr auch die grössten Zugewinne. Rund um den Genfersee steigerten sich die Grünliberalen ebenfalls. Überschaubar bleibt der Erfolg in der Zentral- und Ostschweiz und im Tessin.

GLP baut ihre Hochburg weiter aus

Veränderung nach Gemeindestandort

Zürich0+5,3 % Région lémanique0+3,4 % Espace Mittelland0+2,9 % Nordwestschweiz0+2,8 % Ostschweiz0+1,5 % Zentralschweiz0+1,1 % Tessin0+0,1 %

Mittlere Veränderung in Prozentpunkten zwischen 2015 und 2019. Quelle: BFS

Die Grünliberalen sprechen ein urbanes Milieu an. In den Städten läuft es ihnen besser als auf dem Land, bei jungen und durchmischten Gemeinden schneiden sie gut ab. Ausserdem haben sie ein bürgerliches Profil. Dort, wo die Grünen chancenlos sind, schöpft die GLP das ökologische Potenzial ab. In SVP-dominierten Gemeinden wie Kandersteg oder Frutigen im Berner Oberland kommt die Partei beispiels­weise auf 12 respektive 13 Prozent. Die Gesamt­verteilung der GLP lässt sich sehen: Schweizweit machte sie in acht von zehn Gemeinden vorwärts. Mehr gelang nur den Grünen.

Hinweis: In einer vorherigen Version des Artikels wurden die Wählerverluste der FDP nach Alters­kategorien aufgeschlüsselt. Dabei hat sich ein Fehler eingeschlichen. Wir haben die Grafik durch eine aussagekräftigere Auswertung ersetzt.

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Artikel wie diesen gibt es nur, wenn genügend Menschen die Republik mit einem Abo unterstützen. Kommen Sie bis zum 31. März an Bord!

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr