Die Wahlresultate in sechs Schweizerkarten
Wo haben die Parteien verloren, in welchen Wählerschichten haben sie gewonnen, wer war in den Städten vorne, wer auf dem Land? Die Wahlanalyse auf der Ebene der zweitausend Schweizer Gemeinden.
Von Simon Schmid, 21.10.2019
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Die Wahlen 2019 haben die Politgeografie aufgemischt. Neue Hochburgen sind entstanden – Parteien haben ihre regionalen Stärken unter Beweis gestellt, aber auch Schwachstellen in der Wählerdemografie offenbart.
Wir präsentieren: Die räumliche Analyse der Nationalratswahlen auf Ebene der Gemeinden, gegliedert nach den sechs wählerstärksten Parteien.
SVP – hoher Ausländeranteil, hohe Verluste
Vor vier Jahren war die Deutschschweiz noch fest in SVP-Hand: Praktisch flächendeckend erzielte die Partei Wähleranteile von 30 Prozent und mehr.
Heute ist das Bild granularer. Zwar ist die SVP in ihren Bastionen wie dem Berner Oberland, in Schwyz und Nidwalden noch immer bei 40 bis 50 Prozent, teils sogar mehr. Der Thurgau bleibt fest in der Hand der Schweizerischen Volkspartei. Doch in Kantonen wie Aargau und Luzern hat die Partei eingebüsst. Der SVP-Teppich hat sich gelichtet, besonders in der Romandie.
Gesamtschweizerisch verlor die SVP gestern 3,8 Prozentpunkte. Am meisten büsste sie dort ein, wo die Schweiz urban, jung und divers ist: in den Städten, in Gemeinden mit tiefem Anteil von über 65-Jährigen und in Gemeinden mit hohem Ausländeranteil. Es gibt fast keine Gemeindegruppe – mit Ausnahme der rätoromanisch sprechenden Gemeinden –, in der die SVP nicht verlor.
Die SVP hat damit nicht nur geografisch, sondern auch demografisch das Terrain eingebüsst, das sie an den Wahlen vor vier Jahren gutgemacht hatte. Nur in einer von fünf Gemeinden gewann sie schweizweit Wähleranteile.
SP – schwere Einbussen in Zürich
Auch die SP zählt zu den Verlierern: Die Farbe Rot ist auf der Politlandkarte weniger intensiv als vor vier Jahren. Besonders in der Westschweiz und im Tessin haben sich die Reihen der Gemeinden, in denen die SP üblicherweise 15 bis 25 Prozent der Wähler für sich gewinnt, gelichtet. Dasselbe gilt in der Agglomeration Zürich, wo die SP Federn lassen musste.
Gesamtschweizerisch kommen die Sozialdemokraten neu auf 16,8 Prozent. In Regionen wie dem Entlebuch und dem Oberwallis, aber auch im Thurgau lag die Partei schon immer deutlich darunter. Auch 2019 bleibt die SP hier im einstelligen Bereich. Interessanterweise legte sie in der Zentralschweiz aber leicht zu – anders als in Zürich, wo sich nun viele Wähler von ihr abgewendet haben. In Zürich und im Tessin fährt die SP ihre grössten Verluste ein.
Die zweitstärkste Partei gehört damit ebenso wie die stärkste Partei, die SVP, zu den Wahlverlierern. Nur in knapp 700 von über 2200 Gemeinden – etwas mehr als ein Viertel – konnte sie mehr Wähler als 2015 für sich gewinnen.
FDP – die beste Verliererin
Die FDP gibt sich gerne als Rivalin der SP. Bei den Nationalratswahlen 2019 sitzen die sozialpolitischen Antipoden jedoch im selben Boot. Beide Parteien verlieren in Kantonen wie Zürich und Bern sowie in Teilen des Jurabogens an Strahlkraft. Gerade in der Romandie, einer ihrer traditionellen Hochburgen, verliert die FDP viele Wähler. Die blaue Abdeckung ist im Waadtland mit Anteilen von 15 bis 25 Prozent zwar noch markant – doch in die Nähe von 40 Prozent kommen die Freisinnigen um den Genfersee fast nirgends mehr.
Unter den Wahlverlierern ist die FDP mit einem Minus von 1,3 Prozentpunkten noch relativ gut davongekommen. Mit Ausnahme des Kantons Appenzell Ausserrhoden, der die Statistik für die gesamte Ostschweiz schönt, bietet jedoch keine Grossregion einen Lichtblick. Und dort, wo Italienisch, Französisch oder Rätoromanisch gesprochen wird, sind der FDP bei den Wahlen verhältnismässig am meisten Wähler davongelaufen.
Auch soziodemografisch betrachtet verliert der Freisinn fast durchs Band. Die Anteile der FDP sind in urbanen wie auch in ländlichen Gemeinden geschrumpft. Ein Plus gab es für die Partei insgesamt in knapp 700 von gut 2200 Gemeinden – fast in gleich vielen wie bei der SP.
Grüne – Italienisch als Lieblingssprache
Die grüne Karte wirkte bislang ziemlich blass – selbst mit einer angepassten Farbcodierung, die den niedrigeren Anteilen Rechnung trug. Seit gestern ist dies anders. Die Grünen kommen im Mittelland fast überall auf 5 Prozent.
Als eigentliche Stammlande der Wahlsieger kristallisiert sich der Jurabogen heraus: Vom Baselbiet bis nach Genf vermochten die Grünen, 15 Prozent oder gebietsweise sogar 20 Prozent der Wählerinnen auf ihre Seite zu ziehen.
Die Grünen waren nicht nur im Jura, sondern generell in der Westschweiz erfolgreich. In französischsprachigen Gemeinden gewannen sie durchschnittlich 7,8 Wählerprozentpunkte hinzu – rund 2 Punkte mehr als über die ganze Schweiz betrachtet. Im Tessin waren es sogar 8,5 Prozentpunkte. Stark sind die Grünen auch in Städten wie Zürich, Bern und Luzern.
Insgesamt legten die Grünen in 90 Prozent aller Gemeinden an Stimmen zu. Verluste gab es für die Grünen einzig im Kanton Uri. 2015 hatte die Partei noch versucht, das Rennen um den einzigen Sitz mit einer Sprengkandidatin aufzumischen, und dabei einen Achtungserfolg gelandet. Dieses Jahr traten die Grünen dort nicht mehr an. Es ist, abgesehen von Ob- und Nidwalden und den beiden Appenzell, der einzige graue Fleck in der grünen Politlandkarte.
CVP – besser in der Stadt als auf dem Land
Die Wählerlandkarte der CVP ist seit je sehr zersplittert. Auch nach den Wahlen 2019 ist dies nicht anders. Die – inzwischen – fünftstärkste Partei kommt in ihren katholischen Kerngebieten auf Anteile von 40, 50 oder sogar 60 Prozent. Dazu zählen das Oberwallis und Teile der Innerschweiz. In Uri ist die CVP stark, auch in der Surselva, in Appenzell Innerrhoden und im Jura. Dagegen ist die Partei in Zürich, Bern oder der Waadt beinahe inexistent.
Mit einer Einbusse von gesamtschweizerisch nur 0,2 Prozentpunkten zählen die Christdemokraten fast schon zu den Wahlsiegern – prognostiziert worden war ein stärkerer Einbruch. Interessanterweise schneidet die Partei in den städtischen Gemeinden und in der Agglomeration besser ab als auf dem Land. Die Verschiebungen bei der CVP sind jedoch insgesamt marginal.
Die Christdemokraten vermochten ihren Anteil in total rund 900 von 2200 Gemeinden zu steigern. Sie weisen die stabilste Entwicklung von allen auf.
Grünliberale – je urbaner, je besser
Noch stärker fragmentiert als die CVP war bislang die GLP. 2019 hat die Partei ihre regionale Vertretung bis auf wenige Ausnahmen – Jura, Glarus, Uri, Ob- und Nidwalden sowie die beiden Appenzell – komplettiert. Nur in einzelnen Walliser und Tessiner Gemeinden bleiben die Grünliberalen ohne Stimmen.
Eindrücklich ist die Präsenz in Zürich. In der Stadt kommt die GLP auf bis zu 16 Prozent, in der Agglomeration auf 10 bis 15 Prozent. In ihrer Hochburg verzeichnete die Partei mit 5 Prozentpunkten und mehr auch die grössten Zugewinne. Rund um den Genfersee steigerten sich die Grünliberalen ebenfalls. Überschaubar bleibt der Erfolg in der Zentral- und Ostschweiz und im Tessin.
Die Grünliberalen sprechen ein urbanes Milieu an. In den Städten läuft es ihnen besser als auf dem Land, bei jungen und durchmischten Gemeinden schneiden sie gut ab. Ausserdem haben sie ein bürgerliches Profil. Dort, wo die Grünen chancenlos sind, schöpft die GLP das ökologische Potenzial ab. In SVP-dominierten Gemeinden wie Kandersteg oder Frutigen im Berner Oberland kommt die Partei beispielsweise auf 12 respektive 13 Prozent. Die Gesamtverteilung der GLP lässt sich sehen: Schweizweit machte sie in acht von zehn Gemeinden vorwärts. Mehr gelang nur den Grünen.
Hinweis: In einer vorherigen Version des Artikels wurden die Wählerverluste der FDP nach Alterskategorien aufgeschlüsselt. Dabei hat sich ein Fehler eingeschlichen. Wir haben die Grafik durch eine aussagekräftigere Auswertung ersetzt.