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Ein atypischer Schweizer, zu Unrecht vergessen

Von Michael Rüegg, 17.10.2019

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Nehmen wir an, man sei dabei, ein grosses Drama zu verfassen, und hätte die Auflage, eine Person in die Geschichte hineinzuschreiben, die Schweizer ist. Was für eine Figur würde dabei herausschauen?

Der Buchhalter?

Die stumme Magd?

Ganz sicher kein exzentrischer Liebhaber.

Das Klischee des braven, introvertierten Schweizers ist genauso falsch wie die Annahme, dass unser Land keine grossen klassischen Komponisten hervor­gebracht hat. Was das eine mit dem anderen zu tun hat?

Viel. 1770, zur selben Zeit, als im Ruhr­pott Ludwig van Beethoven auf die Welt kam, gebar eine unverheiratete Küchen­hilfe namens Susanne Dupuis im Hause des Neuen­burger De-Meuron-Clans einen kleinen Jean Baptiste Édouard Louis Camille.

Das Kind zeigte eine dermassen über­zeugende Begabung für alles Musikalische, dass die wohl­meinenden De Meurons es nach Genf schickten, wo Édouard (wie er sich später hauptsächlich nannte), bei Maestro Gaspard Fritz Unter­richt erhielt, während seine Mutter im Haushalt putzte und kochte. Mit 14 Jahren verliess Dupuis, der sich später etwas vornehmer «Du Puy» oder «Dupuy» nannte, erstmals Schweizer Boden und setzte seine Studien in Paris fort.

Seine erste Anstellung als Komponist und Dirigent erhielt er, noch keine 20 Jahre alt, in Rheins­berg, am Hof des Prinzen Heinrich von Preussen, dessen grosser Bruder Friedrich auch ausserhalb von Historiker­kreisen eine gewisse Bekanntheit geniesst.

Eine schönere Karriere kann man sich als Schweizer Bastard einer Hausmagd im 18. Jahr­hundert eigentlich nicht wünschen. Doch Édouard stand sich gelegentlich selber etwas im Weg. Zum Beispiel, als er nach sechs Jahren in Rheinsberg eines schönen Sonntags hoch zu Ross die Kirche betrat – während eines Gottes­dienstes, wohl gesagt. Der absurde Auftritt hatte seinen Preis: die Verbannung vom Hof.

Ging er halt nach Schweden, der junge Édouard, an den dortigen Königshof, wo er auch als Sänger auftrat und bereits mit Mitte zwanzig in die Schwedische Akademie für Musik aufgenommen wurde. Doch auch Schweden musste er verlassen. Dem König gefiel nicht, dass Dupuy bei offenem Fenster eine Hymne aufs napoleonische Frankreich sang.

Nächste Station war Dänemark: Dort entdeckte Dupuy sein Talent als Liebhaber. Und er machte sich als Promotor von Wolfgang Amadeus Mozarts Musik einen Namen. Dupuy organisierte die dänische Erst­aufführung des «Don Giovanni» – und sang auch gleich die Titelrolle. Die Damen im Publikum sollen ob des Sängers «weicher und klangvoller Stimme» reihen­weise in Ohn­macht gefallen sein.

Zu Édouards zahlreichen Eroberungen gehörte auch eine junge Dame namens Charlotte Frederikke, was insofern etwas ungünstig war, als dass es sich bei ihr um die Gattin des späteren Königs Christian VIII. handelte. Da half Dupuy auch die Tatsache nicht, dass er zwei Jahre zuvor bei der Verteidigung Kopen­hagens gegen einen Angriff der Briten zum Leutnant ernannt worden war – seine königliche Hoheit verzieh dem Komponisten nicht, er schmiss ihn 1809 raus.

Bereits 1810 konnte er dank einer glücklichen Fügung nach Stock­holm zurück­kehren, weil dort ein neuer König auf dem Thron sass – der mit dem Grafen Bernadotte einen Schützling Napoleons als Nach­folger adoptiert hatte.

In Stockholm verblieb Dupuy bis zu seinem frühen Tod, allerdings nicht ohne vorher zum Professor ernannt worden zu sein und eine Musik­schule gegründet zu haben. Anlässlich einer pompösen Beerdigung wurde Édouard Dupuy unter den Klängen von Mozarts Requiem 1822 zu Grabe getragen.

Was für ein Leben! Was für ein Mann! Doch während die Königliche Oper in Kopenhagen etwa Dupuys Singspiel «Jugend und Leichtsinn» lange im Repertoire führte, ist der Komponist in seiner ursprünglichen Heimat ein Mensch ohne Namen. Gerade zweimal strahlte das Schweizer Radio in den vergangenen Jahren die Ouvertüre zu diesem Werk aus, allerdings etwas abseits der prime time, zuletzt am 13. Januar 2015 um 3.42 Uhr in der Früh.

Nun steht Dupuys Einleitung zur zumindest im Titel auto­biografisch wirkenden Oper «Jugend und Leichtsinn» kurz vor der Wieder­aufführung. Die junge Zürcher Dirigentin Lena-Lisa Wüsten­dörfer hat ihn und seinen fast ebenso unbekannten Schicksals­genossen Hans Huber aus der Versenkung geborgen. Mit ihrem neu gegründeten Symphonie­orchester Swiss Orchestra stellt Wüsten­dörfer die vergessenen Schweizer Komponisten den unvergesslichen Ausländern Beethoven und Mozart gegenüber.

Eine späte Ehre für den rastlosen Musiker, Sänger, Komponisten, Liebhaber, Professor und Leutnant ehrenhalber.

Auf Augenhöhe mit Mozart.

Zu den Aufführungen

Die Konzerte des Swiss Orchestra finden unter dem Titel «Schweizer Sinfonik Reloaded» statt, dirigiert von Lena-Lisa Wüstendörfer. Und zwar an folgenden Tagen: 20.10. in Zürich (Tonhalle Maag), 21.10. in Bern (Casino), 24.10. St. Gallen (Tonhalle) und 27.10. in Genf (Victoria Hall).

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