TeleZüri wirbt «aus Versehen» für CVP-Nationalratskandidat
Ein Zürcher Lokalsender macht Werbung für einen Politiker. Dieser will nichts davon gewusst haben.
Von Adrienne Fichter, 15.10.2019
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Wer sich in den letzten Tagen im Grossraum Zürich auf Facebook tummelte, staunte: Der Zürcher Regionalsender TeleZüri verbreitete Wahlwerbung für einen Nationalratskandidaten.
In zahlreichen Facebook-Werbeanzeigen mit dem Logo des Senders nennen politische Schwergewichte wie der Zürcher SVP-Regierungsrat Ernst Stocker und seine Regierungsratskollegin Natalie Rickli Gründe, weshalb der CVP-Kandidat und Bauunternehmer Josef Wiederkehr aus Dietikon nach Bern ins eidgenössische Parlament gehört.
Wie ist so etwas möglich?
Es ist in diesen letzten Wahlkampftagen nichts Ungewöhnliches, wenn Politikerinnen Medienartikel in den sozialen Netzwerken bewerben. Damit verschaffen sie ihren Positionen mehr Legitimität. Insbesondere die Grüne Partei profitiert derzeit von erhöhter Medienaufmerksamkeit. Viele Medien berichten über den Klimawandel und seine Folgen. Kein Wunder, zeigt der Facebook-Ad-Manager in der Übersicht der aktiven Polit-Werbeanzeigen derzeit besonders viele Artikel von der NZZ oder vom «Tages-Anzeiger».
Ungewöhnlich ist jedoch der umgekehrte Vorgang: Wenn also ein Medium einen Kandidaten anpreist. So wie TeleZüri: Zwischen dem 11. Oktober und gestern Nachmittag bot der Lokalsender dem CVP-Kandidaten Wiederkehr eine unfreiwillige Plattform.
Einmal mehr sorgt die CVP respektive einer ihrer Exponenten damit für einen digitalen Aufreger in diesem Wahlkampf.
Wer sagt nicht ganz die Wahrheit?
Verlinkt wurden die Wahlaufrufe der beiden Zürcher SVP-Regierungsräte auf eine Publireportage des Senders. Auf Facebook wurden die Spots unter dem Logo von TeleZüri ausgespielt.
Laut Pascal Scherrer, Leiter TeleZüri, Tele M1 und TeleBärn, handelte es sich dabei um einen Fehler: «Ein politischer Kandidat darf im Namen von TeleZüri keine politische Werbung schalten.»
Die Kampagne erreichte bisher etwa 5000 bis 10’000 Personen, gemäss der Werbebibliothek vor allem 25- bis 34-Jährige.
Nationalratskandidat Wiederkehr behauptet, nichts mit der Facebook-Kampagne von TeleZüri zu tun gehabt zu haben, wie er gegenüber der Republik festhält. Ihm sei vonseiten des Lokalsenders lediglich Reichweite für seine Publireportage zugesichert worden.
Also müssen die Marketingverantwortlichen von TeleZüri die Kampagne genehmigt haben. Offenbar unabsichtlich, wie Pascal Scherrer sagt: «Die additiven Facebook-Ads sind aus Versehen durchgewinkt worden.»
Welche der beiden Seiten sagt nicht ganz die Wahrheit?
Der Disclaimer weist klar darauf hin, dass CVP-Kandidat Wiederkehr der Werbetreibende der Kampagne ist. Dafür muss er in irgendeiner Form Zugang zum Werbekonto von TeleZüri auf Facebook erlangt haben. TeleZüri hingegen bestreitet jedoch, Benutzerdaten an Josef Wiederkehr weitergegeben zu haben oder ihn dazu autorisiert zu haben.
Facebook hat Desinformation nicht im Griff
Ob beabsichtigt oder nicht: Wiederkehr profitiert davon, dass in der Schweiz politische Werbung kaum reguliert ist; offline höchstens ansatzweise, online überhaupt nicht.
Facebook hält auch die verwirrende Aktion für nicht problematisch. Es werde ja Transparenz hergestellt darüber, wer die Anzeige bezahle, heisst es. In der Tat: «Finanziert durch Josef Wiederkehr» steht beim «Gesponsert»-Hinweis.
«Die Anzeigen sind als politisch deklariert, was in der Schweiz ja freiwillig ist», sagt ein Facebook-Sprecher auf Anfrage der Republik.
Die Kontrollmechanismen von Facebooks Werbesystem scheinen nicht wirklich zu greifen. Dies hat sich auch jüngst in den USA wieder gezeigt.
Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren hat letzte Woche in einem Testversuch eine Kampagne geschaltet mit dem Titel «Mark Zuckerberg unterstützt Donald Trump». Warren hatte nach eigenen Angaben bei der Autorisierung der Anzeige keine Probleme. Für die demokratische Präsidentschaftskandidatin ein Beweis, dass Facebook das Desinformationsproblem immer noch nicht im Griff hat.
Auch «Vice»-Journalisten hatten mit einem Experiment aufzeigen können, wie leicht manipulierbar die Fremdfinanzierung von politischen Kampagnen ist.
Wer auch immer die fragwürdige Aktion der TeleZüri-Kampagne autorisiert und umgesetzt hatte: Es dürfte an der Zeit sein, über die Regulierung von politischer Onlinewerbung nachzudenken.