Serie «Homestory» – Folge 20

Here We Are Now, Entertain Us

Zum Abschluss unserer Wahljahr-Serie ein Hausbesuch bei Hausi Leutenegger: zur Lage der Schweiz im 21. Jahrhundert und zu Alkohol, Bobfahren, Sportwagen. «Homestory», Folge 20.

Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 15.10.2019

Der Sommer ist vorbei und mit ihm die endlosen Boots­fahrten und Grillfeste. Am kommenden Sonntag wählt unser von Bellfleisch und Dosen­bier gezeichnetes Schweizer­volk ein neues Parlament. Wir sind äusserst aufgeregt und können ohne Benzo­diazepine kaum mehr schlafen. Zum ersten Mal können wir nachvollziehen, wie sich ein Katholik fühlen muss, wenn er auf dem Peters­platz steht und wartet, bis aus der Sixtinischen Kapelle Rauch aufsteigt.

Es gäbe natürlich weitaus wichtigere Fragen, die uns im Herbst umtreiben könnten, etwa, ob wir zur Jagd grüne oder braune Barbour­jacken tragen sollen. Oder in welchem Etablissement wir uns mit Wild­speisen den Bauch vollschlagen.

«Ich habe Häuser gekauft wie andere Schuhe»: Hausi Leutenegger, diesmal mit Blick auf Wil.

Denn böse Zungen behaupten, das Parlament diene in erster Linie einer Reproduktion des Status quo. Die Genialität der liberalen Herrschafts­konstruktion liege darin, alle politischen Kräfte in ein System zu integrieren, wo nach festen Spielregeln die Interessen des nationalen Standorts ausgehandelt würden.

Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf sicher nicht: Schon seit zwanzig Jahren warnt die Grüne Partei vor dem Klima­wandel und hat dabei weniger erreicht als streikende Schüler in einem halben Jahr.

Auch wir haben uns ein halbes Jahr lang für eine höhere Sache aufgeopfert, haben im Dienste der Demokratie Unmengen von Alkohol getrunken und viel Zeit mit Menschen verbracht, die an einer narzisstischen Persönlichkeits­störung leiden – der Volksmund nennt sie Politiker.

Serie «Homestory»

Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.

Folge 3

Pro­te­stan­ti­sche Disziplin, ka­tho­li­scher Genuss

Folge 4

Lust for Life

Folge 5

Highway to the Danger Zone

Folge 6

Und täglich grüsst das Murmeltier

Folge 7

Like a Prayer

Folge 8

Black Hawk Down

Folge 9

Brokeback Olten

Folge 10

Kommando Leopard

Folge 11

In einem Land vor unserer Zeit

Folge 12

Straight White Male

Folge 13

When the Man Comes Around

Folge 14

Die Posaune des linksten Gerichts

Folge 15

Guns N’ Roses

Folge 16

Wir Sonn­tags­schü­ler des Li­be­ra­lis­mus

Folge 17

Alles wird gut

Folge 18

Höhenluft

Folge 19

Im Osten nichts Neues

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Here We Are Now, Entertain Us

Zweifellos hat die Zusammen­setzung des Parlaments einen Einfluss auf unsere Lebens­realität, etwa, ob in der Gesundheits­kommission eine von der Krankenkassen­lobby gekaufte bürgerliche Mehrheit sitzt oder eine rot-grüne. Doch nach Dutzenden stunden­langen Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern und wieder halbwegs nüchtern fragen wir uns schon, ob ein nationales Parlament die grossen Probleme dieser Zeit – Klimawandel, Digitalisierung, Jobverlust – überhaupt lösen kann. Und warum in öffentlichen Debatten die Lösungs­kapazität des Parlaments nie infrage gestellt wird. Wer heute in seinem Umfeld offenbart, dass er nicht wählt, wird mit verächtlichen Blicken und Kommentaren abgestraft. Als ob es eine grosse Leistung wäre, eine Liste in ein Couvert zu legen. Als ob für viele Politikerinnen und Politiker ein Posten im Parlament nicht in erster Linie eine Karriere­option wäre.

Doch lassen wir böse Zungen reden. Nachdem wir so viel Blut und Schweiss investiert haben, lassen wir uns dieses Wahl­spektakel sicher nicht auf der Zielgeraden von Zynikern verderben.


Wie wir von Karl Marx gelernt haben, ereignen sich alle welthistorischen Ereignisse zweimal. So auch unser Besuch im sankt-gallischen Kleinod Wil. Anders aber als bei unserer ersten «Homestory»-Reise begrüsst uns an diesem Montag­abend nicht SP-National­rätin Barbara Gysi. Nein. Es ist Hausi Leutenegger, der Burt Reynolds der Schweizer Alpen, der uns in einer Mercedes S-Klasse vom Bahnhof abholt.

Der kritische Republik-Leser mag sich fragen: Hausi Leutenegger in meiner geliebten Wahlserie?

Seien Sie beruhigt: Wir haben von den Besten gelernt. Für eine Dokumentation über den gefallenen Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz ist unser hochgeschätztes Qualitäts­fernsehen SRF, das wir in der grossen Schlacht um die No-Billag-Initiative noch mit unserem Leben verteidigt haben, mit einem ganzen Kamera­team auf die Kanarischen Inseln geflogen, um den langjährigen Raiffeisen-Kunden Hausi Leutenegger als Betroffenen zu interviewen. Wir dachten uns, wenn man in einer Raiffeisen-Dokumentation als zentrale Figur Hausi Leutenegger interviewen kann, wo die einzige Verbindung darin besteht, dass er Raiffeisen-Kunde ist, dann können wir in einer Wahlserie Hausi Leutenegger ebenfalls interviewen, denn er ist ja immerhin auch Schweizer Stimmbürger.

Nach einer einminütigen Fahrt in seinem Mercedes einmal um einen Häuserblock führt uns der Multi­millionär in eine grosse Terrassen­wohnung in der Wiler Altstadt, die ironischer­weise oberhalb einer Raiffeisen-Filiale liegt.

Als wir mit einem Glas Thurgauer Weisswein auf Leuteneggers Sofa Platz nehmen, fühlen wir uns, als seien wir von einer sehr langen Reise nach Hause zurück­gekehrt, oder hegelianisch gesprochen: wie wenn der Geist zu sich selber kommt.

«Diese Wiler Wohnung hier – haben Sie nicht auch eine Wohnung in Genf?», fragen wir.

«Eine Wohnung? Eine Villa! Ich wohne richtig. Diese Wohnung hier benutze ich fast nie. Mein eigentliches Zuhause sind die Kanarischen Inseln. Ich habe Häuser gekauft wie andere Schuhe.»

Nach zwei Gläsern Wein sind wir schon per Du mit dem ehemaligen Bob-Olympiasieger (Sapporo 1972), «denn, meine Herren», sagt er: «Es gibt nur zwei Sorten von Menschen, die mich siezen müssen: Ärzte, die mir sagen, ich sei nicht gesund, und Polizisten bei einer Verkehrskontrolle.»

«Meiner Königsdisziplin, dem olympischen Trinken, war Klaus Kinski nicht gewachsen»: Ein Glas geht immer noch für Hausi.

Er fragt uns, was wir überhaupt von ihm wollen, und wir sagen, dass wir seine Meinung zur Schweizer Politik hören wollen, so, wie das Schweizer Fernsehen seine Meinung hören wollte zur Raiffeisenbank.

«Es erstaunt mich nicht, dass ihr mich treffen wollt», sagt Hausi. «Der normale Schweizer hat Hausi Leutenegger gerne. Ich habe viel gegeben. Den Sport gesponsert. Neuchâtel Xamax. Dreissig Jahre lang jedes Jahr 100’000 Franken. Wer mit mir Essen geht, wird immer eingeladen. So wie ich euch gleich einladen werde.»

«Wie ist deine Meinung als Unter­nehmer von der Politik?»

«Ich habe Spitzensport getrieben. Ich habe eine Firma aufgebaut. Ich konnte mich nicht auch noch um Politik kümmern. Aber die Abwahl von Bundesrat Blocher war ein grosser Fehler. Er war ein Unter­nehmer. Er kam aus dem Nichts. Wir haben denselben Jahrgang.»

Wir fragen ihn, warum es um die SVP so schlecht stehe. Der Partei fehle der «big smiling man» Toni Brunner: «Brunner ist ein Mensch, den man einfach gern hat. Ein Sympathie­haken. Er hat alles richtig gemacht. Hat den Leuten ihre Meinung gelassen. Der Brunner-Effekt fehlt der Partei jetzt. Ich gehe jedes Jahr mit ihm an die Olma. Mich kennt dort jeder. Ich brauche einen Bodyguard. Burkhalter, der Schwingermeister.»

Nachdem wir zwei Flaschen Wein getrunken haben, zeigt er uns einen Aktenkoffer voll mit Artikeln über ihn. Von der Klatsch­presse bis zu seriösen Wirtschafts­magazinen: «Alle wollen mich.» Dann spazieren wir rüber ins Restaurant Schwanen. Auf dem Weg rät er uns, unsere Bärte abzurasieren, weil sie uns unfassbar alt aussehen liessen. Und ein Schnauz wäre okay? «Schnäuze gehen immer.»

Wir bestellen Rehschnitzel und Zander­filet und hundert­fränkigen Rotwein. Dann schauen wir alle zusammen auf einem Smartphone den Trailer zu seinem Achtzigerjahre-Actionfilm «Kommando Leopard» mit Klaus Kinski.

«Kinski war ein Tyrann», sagt Hausi. «Aber mich hat er geliebt. Ich bin ja auch Bob-Olympiasieger. Meiner Königs­disziplin, dem olympischen Trinken, war er nicht gewachsen. Trinken konnte Kläusli nicht.»

Olympisches Trinken?

«Wer mit mir essen geht, wird immer eingeladen»: Der Olympiasieger im Restaurant Schwanen.

Ehrfürchtig schauen wir ihn an und stellen die Frage aller Fragen: «Hausi, warum bist du nicht in die Politik gegangen? Warum bist du nicht Bundesrat geworden?»

«Ich hätte einen guten Bundesrat abgegeben», sagt er. «Aber man kann nicht alles machen. Ein Millionen­imperium aufbauen und politisieren. Ich habe 38 Filme gedreht. Ich war in Hollywood. Ich war auf allen Plakaten der Welt. Ich war National­turner und Olympia­sieger. Mehr kannst du einfach nicht machen. Ich werde nächstes Jahr achtzig. Ich will jetzt einfach noch ein paar gesunde Jahre verbringen und ein bisschen wichtig tun.»

Dafür sei er einmal fast James-Bond-Darsteller geworden. «Sie wollten mich. Sie wussten, das ist einer, der kann es einfach. Aber mein Englisch war zu schlecht.»

Langsam sind wir betrunken, als Hausi anfängt, uns die wirklich wertvollen Tipps mit auf den Weg zu geben. «Am Morgen musst du aufstehen und zehn Liegestütze machen. Dann musst du in den Spiegel schauen und sagen: Ich bin der Schönste. Ich bin ein Supertyp. Die Welt gehört mir. Und wenn du dann aus dem Haus gehst, solltest du immer gleich ein Kompliment machen: Frau Meier, Sie schauen aber sehr gut aus heute Morgen! Ein Kompliment kostet ja nichts.»

Während des Gesprächs erinnern wir uns zurück an unseren Redaktions­lunch von vor ein paar Stunden im Restaurant Sonne an der Langstrasse, wo wir einen gelben Ferrari Testarossa gesichtet haben.

«Hausi, das geht doch nicht: Ein gelber Ferrari?»

«Ein Ferrari muss eigentlich rot sein. Aber Autos bedeuten mir nicht viel. Ich fahre Mercedes. Aber die habe ich eigentlich nur, weil Freunde von mir Auto­garagen besitzen und ich denen eine Freude machen wollte. Also habe ich hin und wieder einen Mercedes gekauft.»

Wir fühlen uns ein wenig wie Patricia Boser in einer ihrer legendären «Lifestyle»-Sendungen, als wir langsam, aber sicher ins Esoterische abgleiten.

«Hausi, glaubst du an Schicksal?»

«Sicher glaube ich an Schicksal. Es gibt viele Dinge, die man nicht erforschen kann. Ich bin ein treuer Kirchen­gänger. Ich habe immer gerne beraten. Ich hätte Berater werden sollen. Wenn einer meiner Arbeiter Rücken­schmerzen hatte, habe ich immer sofort gesagt: Du musst zum Arzt. Ich habe dem Sport Millionen gegeben und wunder­schöne Dinge erlebt wegen meiner Grosszügigkeit. Ich war bei Dreharbeiten auf den Philippinen im Taifun. Ich habe immer Glück gehabt. Es gibt ein Gesetz: ohne Glauben kein Erfolg. Was du deinem Mitmenschen tust, hast du dir selbst angetan.»

Wir sinnieren mit dem Unternehmer über einen Spruch aus den Evangelien, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Himmel­reich komme. Hausi sagt, er sei nicht nur reich gewesen, er habe immer auch gegeben, und bestellt uns eine neue Runde Alkohol: «Einen doppelten Cognac für die Herren! Dann haben die Chrampfer am Morgen auch Kopfschmerzen.»

Wir trinken den Cognac und sind glücklich. Hausi ist noch ein Mensch, der seine Gäste zu unterhalten weiss.

Er kramt ein paar Hunderter aus dem Porte­monnaie und bezahlt mit ordentlichem Trinkgeld.

Beschwingte Heimreise: Die Republik-Reporter Olivier Würgler (links) und Daniel Ryser müssen erfreulicher­weise nicht selbst fahren.

Wir torkeln Richtung Bahnhof.

«Wo in Zürich ist eigentlich eure Redaktion?», fragt er.

«An der Langstrasse», sagen wir.

«Langstrasse», sagt Hausi. «Geile Strasse.»

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