«Capital et idéologie» in der Ultrakurzversion

12.10.2019

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Manchmal ist ein Buch so monumental, dass eine Zusammen­fassung davon selbst zu einem Roman wird. Genau so ist es bei «Capital et idéologie», der neuen wirtschafts­historischen Arbeit des französischen Ökonomen Thomas Piketty: Das 1200-Seiten-Werk ist derart reich an Zahlen­material und Theorie, dass sich Autor Daniel Binswanger gezwungen sah, ihm eine nicht minder monumentale Rezension zu widmen, um ihm gerecht zu werden.

Hier finden Sie die ausführliche Buchrezension von «Capital et idéologie».

Als besonderen Service, gewisser­massen als Abstract des Abstracts, fassen wir an dieser Stelle Pikettys wichtigste Punkte in aller Kürze zusammen.

  • Thema von «Capital et idéologie» ist, wie bereits beim letzten Buch von Piketty, «Das Kapital im 21. Jahr­hundert», die Ungleichheit. Der Professor an der Paris School of Economics untersucht, wie diese in verschiedenen Zeitaltern ausgeprägt war und gesellschaftlich legitimiert wurde.

  • Der 48-jährige Wissenschaftler unterscheidet vier Epochen: die feudale Standes­gesellschaft vor der Französischen Revolution, die sogenannte Eigentümer­gesellschaft im 19. Jahr­hundert, die «sozial­demokratische Ära» nach dem Zweiten Weltkrieg und die Neo-Eigentümer­gesellschaft ab den 1980er-Jahren. Zu historischen Umbrüchen kam es jeweils, wenn sich bestimmte Formen der Ungleichheit nicht mehr aufrecht­erhalten liessen.

  • Ein Fokus ist das 19. Jahr­hundert. Piketty weist statistisch nach, dass die Französische Revolution zwar die Standes­privilegien der voraus­gehenden Epoche abschaffte, aber die materielle Ungleichheit nicht zu beseitigen vermochte. Bis zum Ersten Weltkrieg blieben die Einkommen und insbesondere die Vermögen einseitig verteilt, nicht nur in Frankreich.

  • Die beiden Weltkriege des 20. Jahr­hunderts brachten eine Nivellierung der Verhältnisse. Verantwortlich dafür war aber nicht in erster Linie, wie die gängige Meinung besagt, die physische Zerstörung von Eigentum und Produktions­anlagen, sondern vielmehr die Wirtschafts­politik. Die starke Herauf­setzung der Einkommens- und Vermögens­steuern sowie die rigide Kontrolle von Devisen­transaktionen und Kapital­märkten führten in Kombination mit Staats­bankrotten und Phasen hoher Inflation dazu, dass die Ungleichheit in vielen Ländern auf historisch niedrige Werte sank.

  • Ausgehend von den USA und Grossbritannien führten Globalisierung und die neoliberale Wende ab den 1980er-Jahren dazu, dass die Ungleichheit wieder zunahm. Die Steuer­progression wurde entschärft, durch bewusste Nachlässigkeit des Fiskus entstanden Schlupf­löcher für hohe Vermögen.

  • Parallel dazu bildeten sich neue politische Konflikt­linien heraus: Der Wettstreit zwischen linken und rechten Parteien wurde überlagert durch den Konflikt rund um die Globalisierung und offene Grenzen, kurz, um die aussen­wirtschaftliche Offenheit. Seither stehen sich nicht mehr zwei Blöcke gegenüber, sondern deren vier. Die zentrale politische Frage ist laut Piketty, welche Allianzen sich innerhalb dieser Blöcke bilden. So zu tun, als sei der «elitäre Inter­nationalismus» die einzige Option jenseits des sozial-nationalistischen Gedanken­guts, hält der Franzose für gefährlich.

  • Die Politik tut sich seit einigen Jahr­zehnten schwer, Massnahmen zur Minderung der sozialen Ungleichheit zu beschliessen. Das liegt, wie Piketty anhand von Wahl­statistiken zeigt, auch daran, dass linke Parteien heute vornehmlich von gut ausgebildeten Bürgern gewählt werden. Die Sozial­demokratie erreicht die Arbeiter­schaft immer weniger. Umgekehrt ist die «Bildungs­ungerechtigkeit» – der Staat gibt für Kinder von Hoch­qualifizierten mehr Geld aus als für Kinder der Arbeiter­schicht – ein zentraler Mechanismus, über den Ungleichheit heute reproduziert wird.

  • Um diesen Entwicklungen zu begegnen, schlägt Piketty unter anderem vor, die betriebliche Mitsprache von Angestellten zu verbessern und den Staat in den Bereichen, wo es Sinn macht – Bildung, Gesundheit und Infrastruktur –, in seiner Rolle zu stärken. Als wichtigste Massnahme sieht der Ökonom aber höhere Steuern an. Unter anderem will Piketty den Grenzsatz auf hohen Einkommen bei 90 Prozent ansetzen. Das bedeutet, dass Topverdiener ab einem bestimmten Betrag nur noch einen Bruchteil ihrer zusätzlichen Einkünfte behalten könnten. Auch die grossen Vermögen sollen mit stark progressiven Sätzen besteuert werden. Damit könnte unter anderem ein «bedingungs­loses Grund­kapital» finanziert werden, das jeder Bürgerin und jedem Bürger bei Vollendung des 25. Lebens­jahrs ausbezahlt würde. Nicht nur die Einkommen, auch die Vermögen würden bis zu einem gewissen Grad demokratisiert.

  • Piketty ist kein Kommunist: Er will das Privat­eigentum nicht abschaffen, sondern mobilisieren – so, dass es den grösst­möglichen gesellschaftlichen Nutzen stiftet und ein Auseinander­driften der Gesellschaft verhindert.

Eine Stärke von «Capital et idéologie» ist das Zahlen­material: Die Analysen des Autors sind mit zahlreichen Grafiken unterlegt. Unter anderem zeigt Piketty erstmals historische Ungleichheits­zahlen für Länder wie Russland und Indien, aus denen solche Statistiken bisher nur spärlich vorlagen. Alle Grafiken aus dem Buch sind zudem auf Pikettys Website verfügbar.

Zur ausführlichen Rezension von «Capital et idéologie».

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