Wie die globale Erwärmung das Leben im Meer bedroht
Der dritte und letzte Beitrag zum Sonderbericht des Weltklimarats beschreibt, wie die Lebewesen im Wasser unter den heisseren und saureren Bedingungen leiden.
Von Arian Bastani, 07.10.2019
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Die Weltmeere leisten einen unglaublichen Beitrag zum Klimaschutz: Mit ihrer Wärme- und CO2-Aufnahme halten sie die globale Erwärmung im Zaum. Davon haben wir im Einführungsbeitrag zum Klima im Ozean berichtet.
Doch das führt dazu, dass sie eine Reihe von Veränderungen durchlaufen: Die Meere werden wärmer und saurer, ihre Eiskappen schmelzen und zusätzliches Schmelzwasser vom Land verlangsamt ihre Umwälzung. Wie das alles funktioniert, ist im zweiten Teil dieser Trilogie nachzulesen.
Im letzten Beitrag zum neuen Bericht des Weltklimarats widmen wir uns den Lebewesen im Ozean. Auch wenn wir Menschen bisher noch relativ wenig von den Veränderungen im Wasser mitbekommen: an den Bewohnern des Ozeans gehen sie nicht spurlos vorbei.
Schwindende Biomasse
An Land bilden Pflanzen die Basis der Nahrungskette. Im Meer ist es das Phytoplankton. Unter diesem Begriff wird eine Vielzahl mikroskopisch kleiner Algen zusammengefasst. Sie kommen vor allem an der Oberfläche des Wassers vor, denn sie betreiben, wie Landpflanzen auch, Fotosynthese: Sie wandeln Kohlendioxid und Wasser mittels Sonnenlicht zu organischem Material um. Das Kohlendioxid dafür beziehen sie aus dem Wasser. Sie spielen damit eine wichtige Rolle für die ozeanische Kohlenstoffsenke.
Nebenbei produzieren diese Mikroalgen dadurch auch einen Grossteil des Sauerstoffs, den Menschen und Tiere brauchen. Die Algen sind für das Leben auf der Erde von so fundamentaler Bedeutung, dass ohne sie der Schritt an Land womöglich nie möglich gewesen wäre. In diesem Sinne verdanken wir unser Dasein nicht zuletzt diesen winzigen Meeresbewohnern.
Viele Phytoplankton-Arten haben Kalkschalen. Kalk ist Kalziumkarbonat und besteht aus den Ionen von Kalzium und Karbonat. Letztere werden durch die Aufnahme von CO2 im Ozean immer seltener. Das erschwert den Algen die Bildung ihrer Schalen.
Ausserdem steigt durch die CO2-Aufnahme der Säuregehalt im Wasser. Grundsätzlich ist das für jeden Organismus ein Problem, da der Säuregehalt im Körperinneren konstant sein sollte. Menschliches Blut hat beispielsweise einen Säuregehalt um pH 7,4. Bereits bei einer Abnahme von mehr als 0,05 Punkten spricht man von einer Azidose. Bei Schalen von Algen kann der steigende Säuregehalt zusätzlich dazu führen, dass das Karbonat aus dem Kalk herausgelöst wird. Die Algen werden dadurch geschädigt.
Zusammen mit der Abschwächung der Umwälzung des Ozeans, die weniger Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche bringt, führen diese Faktoren zu einer Abnahme des Phytoplanktons. Doch dabei bleibt es nicht. So, wie es an Land etwa den Antilopen zusetzt, wenn das Gras fehlt, und damit auch den Löwen, so wirkt sich auch die Abnahme des Phytoplanktons entlang der gesamten Nahrungskette aus. Auf jeder Stufe – also Algen, Krebse, Fische und so weiter – werden es noch weniger Tiere. Das liegt daran, dass ein Grossteil der Biomasse der vorherigen Stufe nicht verwertet werden kann.
Gemäss den Modellierungen von Forschern, die auf Beobachtungsdaten basieren und etwa den Einfluss der Fischerei herausrechnen, hat die tierische Biomasse – ohne Phytoplankton, andere Algen und sonstige Wasserpflanzen – seit 1971 bereits um etwa 6 Prozent abgenommen.
Der weitere Verlauf der Kurve ist abhängig davon, wie es mit dem CO2-Ausstoss weitergeht. Denn neben dem Verlust des Phytoplanktons setzt der Meeresfauna auch die Versauerung, die Erwärmung und die damit verbundene Abnahme der Sauerstoffkonzentration zu. Gemäss dem neuen Bericht des Weltklimarats über die Ozeane hat letztere seit 1970 bereits um bis zu 3 Prozent abgenommen.
Bemühungen, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, kommen deshalb auch den Meeresbewohnern zugute. Ihre Masse nimmt bis Ende Jahrhundert «nur» um weitere 3 Prozent ab, falls das Unterfangen gelingt. Machen wir dagegen weiter wie bisher, geht die Biomasse im Vergleich zu 1971 um über einen Fünftel zurück – wie gesagt, ohne dabei die bereits heute starke Überfischung zu berücksichtigen.
Mehr noch als die kontinuierliche Verstärkung dieser generellen Stressfaktoren sind Extremereignisse ein Problem für marine Lebewesen.
Korallen und Hitzewellen
Ähnlich, wie Starkniederschläge oder Dürreperioden durch den Klimawandel an Land zunehmen, häufen sich Extremereignisse auch unter der Wasseroberfläche. Ein Beispiel dafür sind Hitzewellen im Ozean. In der Wissenschaft bezeichnet man damit das obere Ende – meist die letzten 1 bis 5 Prozent – der Temperaturverteilung. Also die Tage, an denen wir es kaum ohne Ventilator aushalten. Analog funktioniert das Prinzip im Meer.
Allerdings ist die Verteilung dort gleichmässiger. Das kennen wir aus dem Alltag: Im Sommer kann es, gerade in den Bergen, tagsüber brütend heiss sein und in der Nacht beissend kalt. Ein See dagegen ist abends kaum kühler als mittags. Grund dafür ist die grosse Wärmekapazität des Wassers, die auch für die massive Wärmeaufnahme der Weltmeere verantwortlich ist.
Aufgrund dieser schmaleren Temperaturverteilung führt eine Erwärmung im Ozean zu überproportional mehr Hitzewellen als an Land. Seit den frühen 1980er-Jahren hat sich dort die Wahrscheinlichkeit für Hitzetage verdoppelt.
Mit zunehmender Wärmeaufnahme steigen aber nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Dauer und Intensität von Hitzewellen. Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit sind sie bereits heute mehr als doppelt so lang: Sie dauern 25 statt 11 Tage. Darüber hinaus sind sie auch doppelt so heiss.
Die zukünftige Entwicklung ist wiederum davon abhängig davon, wie es mit den CO2-Emissionen weitergeht. Können wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränken, werden Hitzewellen im Ozean fast viermal so lang und über 2,5-mal so intensiv sein wie vor 1900. Bei 3,5 Grad Celsius Erwärmung sind sie 6-mal so intensiv und über 10-mal länger.
Das sind ziemlich schlechte Nachrichten. Wer kann, sucht bei solchen Bedingungen das Weite – in der Schweiz verbringen wir die Sommerferien ganz gerne in den Bergen, wo die Temperaturen vor allem nachts nicht ganz so hoch sind. Wer im Büro bleiben muss, hat allerdings das Nachsehen.
So ist es auch im Ozean. Korallen können zum Beispiel vor der Hitze nicht einfach fliehen. Seit 1997 wurden Korallenriffe auf der ganzen Welt immer häufiger durch Hitzewellen geschädigt, wie der Klimarat in seinem neuen Bericht festhält. Die Riffe erholen sich davon nur langsam – wenn überhaupt.
Die längeren und intensiveren Hitzewellen vermindern die Wahrscheinlichkeit einer Erholung. Sie töten die Korallen direkt. Sogar deren Kalkskelett fällt regelrecht in sich zusammen, denn nach Absterben des Gewebes wird die Kalkstruktur von Mikroben angegriffen. Mit den Riffen verschwindet nach und nach ein Ökosystem, von dem global rund eine halbe Milliarde Menschen abhängig sind.
Noch bedeutender ist für die menschliche Zivilisation aber der Fischfang.
Umzug unter Wasser
Über ein Drittel der globalen Bevölkerung bezieht die Proteine in der Ernährung hauptsächlich aus dem Meer. Ob Fische, Krabben oder Muscheln: Der Ozean ist nur schon wegen seines Nahrungsreichtums enorm wichtig.
Dieser nimmt jedoch nicht nur wie erwähnt ab. Er bewegt sich auch fort.
Im letzten Beitrag haben wir gezeigt, dass sich aufgrund des Klimawandels Meeresströmungen verändern: Etwa wird der Golfstrom schwächer. Eine Folge davon ist die Erwärmung des Wassers vor der Nordostküste der USA. Betrachtet man Arten, die in dieser Region häufig gefangen werden, scheint sich diese Erwärmung bemerkbar zu machen: Von Krabben und Hummern über Makrelen bis zu Haien wandern fast alle Arten Richtung Norden.
Forscher haben über 5 Jahrzehnte lang knapp 650 dieser Arten untersucht. Wie in der folgenden Grafik dargestellt, verschob sich ihr Verbreitungsgebiet in dieser Region im Schnitt um etwa ein halbes Grad geografischer Breite Richtung Norden. Das entspricht etwa 55 Kilometern.
Global betrachtet, haben sich marine Spezies sogar noch deutlich weiter nordwärts verbreitet. Der Klimarat schreibt von 52 Kilometern pro Jahrzehnt für Arten, die in den obersten 200 Metern beheimatet sind, respektive von 29 Kilometern für solche unter 200 Metern – und zwar seit den 1950er-Jahren.
Berufs- und Hobbyfischern ist dies nicht entgangen. Sie müssen ihre Netze und Angeln immer weiter nördlich auswerfen – oder sie gehen leer aus.
Betroffen sind allerdings nicht nur Arten, die in den Netzen der Fischer enden. Auch Wale wurden im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer weiter nördlich gesichtet. Sie stehen an der Spitze der Nahrungskette und bieten damit Anhaltspunkte für das gesamte Ökosystem. Einzelne Arten, wie etwa der Pottwal – bekannt aus «Moby-Dick» –, haben ihr Verbreitungsgebiet gleich um mehrere Breitengrade nach Norden ausgedehnt. Käpt’n Ahab müsste heutzutage für seine Beute wohl weiter segeln.
Schluss
Vorläufig wirkt sich die Klimadynamik im Ozean vor allem auf dessen Bewohner aus. Die Umweltbedingungen, an die sie angepasst sind, verändern sich. Wenn es ihnen möglich ist, suchen Arten ihr Glück in neuen Gefilden. Andere sind an ihren Lebensraum gebunden.
Doch auch wir Menschen kommen nicht unversehrt davon. Viele spüren schon heute die diversen Auswirkungen der Erderwärmung auf die Weltmeere. Dabei wissen wir nicht einmal, was noch alles auf uns zukommt.
Viele Vertreter kommender Generationen werden ihr Zuhause aufgeben müssen – seien dies Holzhütten auf Inselstaaten oder Wolkenkratzer in Metropolen. Und auch Menschen, die nicht in Meeresnähe leben, werden sich ihrer Abhängigkeit immer mehr bewusst werden. Das fehlende Fischfilet mag einigen egal sein – doch Sauerstoff zum Atmen brauchen wir alle.