Es geht nicht um meine Gefühle
Von Olivia Kühni, 30.09.2019
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Im Grunde war der Titel unglücklich gewählt: «100 Tage Frauenstreik: Wie besiegen wir die Machokultur auf den Redaktionen?» Aber ich bin Journalistin, und als solche weiss ich: Titel sind nur das Glitzersteinchen auf der Verpackung; der Inhalt zählt. Jedenfalls: Kürzlich hatte ich die Ehre, auf einem Podium des Schweizer Reporter-Forums mitzudiskutieren, auf dem es um ebendiese «Machokultur» in vielen Redaktionen ging.
Das allein wäre nun nicht weiter erwähnenswert.
Nun ist dieses Thema allerdings erstens eines, das viele Leute beschäftigt. Und zweitens zielte die Diskussion auf eine Weise am Punkt vorbei, wie das eben oft geschieht, und weil mich das wahnsinnig macht, hier ein paar Worte dazu. Wenn man denn schon die besagte Machokultur überstanden hat aus dem einfachen Grund, dass man selber auch ein wenig ein Macho ist, wenn auch in weiblich. Jedenfalls:
Was läuft schief?
Der übliche Ton: Betroffenheit und Befindlichkeit
Schief läuft, vereinfacht gesagt: Wir diskutieren allzu oft über mangelnde Fairness, wenn wir darüber reden, dass Frauenstimmen in Redaktionen weniger mächtig sind. Das ist der völlig falsche Ansatz: Es geht nicht um Nettigkeit. Es geht um Qualität. Es braucht verschiedene Stimmen und ein gutes Management in Redaktionen, weil das wichtig für guten Journalismus ist – nicht, weil sonst die Frauen leiden. Solange wir das nicht begreifen, wird sich genau gar nichts ändern.
Und wir begreifen es allzu oft nicht.
«Könnt ihr erzählen, wie ihr die Machokultur in den Redaktionen erlebt?» war die erste Frage auf diesem Podium. Es ist der übliche Ton auch sonst: Betroffenheit und Befindlichkeit. Um zu zeigen, dass man «die Frauen» mit ihrem Anliegen ernst nimmt, werden sie an Konferenzen zu Randzeiten gefragt, wie sie sich fühlen. Aber es geht nicht um meine Gefühle. Sie würden staunen, wie viele Frauen stoisch ihres Weges gehen, ob nun irgendwo eine Machokultur herrscht oder nicht. Es geht darum, ob es sich Organisationen weiterhin leisten wollen, aus lauter Wurstelei und Bequemlichkeit ihre wichtigste Ressource zu verlieren, nämlich begabte Menschen.
Kurz: Es geht um ein grundlegendes strukturelles Problem. Nicht um ein Frauenanliegen.
Die Machokultur ist ein Symptom
Das grundlegende strukturelle Problem ist folgendes: Leistung ist in Wissensjobs unglaublich schwierig und kaum objektiv zu definieren. Oft behilft man sich darum mit Konstrukten oder Traditionswerten. In der Wissenschaft etwa mit der Publikationsliste, im Journalismus tendenziell mit der Anzahl verfasster Texte. Hinzu kommen eine Reihe anderer Unprofessionalitäten, die Sie bestimmt auch aus anderen Branchen kennen: Sitzungen dauern zu lang, finden zu oft statt und ohne Protokoll – als Ausgleich ist es dafür okay, unvorbereitet zu sein. Feedbackrunden («Blattkritik») sehen so aus, dass in der grossen Runde jeder nach Bedarf sagt, was er oder sie so findet. Und offene Stellen werden besetzt, indem man seine Bekannten anruft und die dann zu einem einigermassen informellen Interview lädt.
Mit all dem ist der Journalismus nicht allein, weil diese Dinge nicht einfach sind. Gutes Management ist verdammt schwierig. Nur bekommt man halt das, was man – wenn auch unbewusst – fördert. Also Leute, die gut darin sind, in Einzelarbeit viele eigene Texte zu schreiben. Die problemlos lange in Sitzungen und entsprechend lange am Arbeitsplatz sitzen können und die kein Problem damit haben, sich zu Dingen zu äussern, zu denen sie nicht vorbereitet sind. Überhaupt ihre Meinung zu sagen, selbst wenn nicht ganz klar ist, zu welchem Zweck. Die ausserdem tendenziell bekannt sind mit bereits etablierten Journalisten, also: ähnlich alt sind, Ähnliches studiert haben und in derselben Stadt wohnen. Das ist weder neu noch überraschend, und ich habe vor sechs Jahren schon darüber geschrieben.
Die «Machokultur», mit anderen Worten, ist ein Symptom.
Wollen wir sie ändern, müssen wir nicht über Gefühle oder Vorsätze reden, sondern die Strukturen ändern. Und wie, dazu gibt es einiges an Erkenntnissen. Hier nur eine kleine Auswahl.
Vorbilder einstellen: Chefs prägen die Kultur. Und sie sind Vorbild. Wer beispielsweise junge Frauen für den eigenen Laden begeistern will, tut gut daran, Frauen auf Chefposten zu setzen. Oder auch junge Leute, denen ja auch gerne gesagt wird, sie müssten grundsätzlich erst vierzig werden. Obwohl Kurt Tucholsky völlig richtig sagte: «Erfahrung heisst gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre lang schlecht machen.»
Von der IT lernen: Das Inspirierendste bei der Republik (und überhaupt bei vielen Start-ups) sind die kurzen Wege zu den Spezialistinnen von Business und IT. Vor allem Letztere können etwas, was viele Journalistinnen nicht können: immer wieder anpassen, lernen, mit Fehlern umgehen.
Ämtli verteilen: Männer schreiben den grossen Essay, Frauen helfen mit Pflichtstoff aus – wenn das auffällt, wie zeitweise auch hier in der Republik-Redaktion: eingreifen oder klar festhalten, dass auch das Leistung ist.
Jobprofil: Überhaupt, klare Jobprofile – in anderen Branchen eine Selbstverständlichkeit – fehlen in vielen Redaktionen. Sie sind essenziell, weil sie eben Leistung und Erwartungen festhalten. Und weil sie eine wichtige Grundlage sind für professionellere Anstellungsprozesse.
Daten sammeln: Um nicht mit oder gegen gefühlte Wahrheit zu kämpfen, helfen oft ein paar einfache Analysen. Beispielsweise, wie viele Frauen überhaupt für das eigene Medium schreiben – etwas, was die Republik seit Juni erhebt.
Es gäbe nun noch viel mehr dazu zu sagen, aber es reicht mir und sicher auch Ihnen für heute.
Etwas Wichtiges aber noch. Es ist ein viel gepflegter Irrtum, dass ein wenig gutes Managementhandwerk allen Spass kaputtmacht. Im Gegenteil: Es macht endlich Platz für Exzentrik, Widerspruchsgeist, Frechheit – vor allem für jene, die sonst stundenlang hintenrum Ineffizienz aufräumen.