
Stress für Trump und Johnson, Malta ermittelt – und Proteste bei Tamedia
Woche 39/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck, Oliver Fuchs und Sylke Gruhnwald, 27.09.2019
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Ein Telefonat bringt Trump in Bedrängnis
Darum geht es: Am Dienstag hat die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi … nun ja, was genau? Medien berichteten, dass sie eine Untersuchung eingeleitet hat, die als erster konkreter Schritt in Richtung eines Verfahrens zur Amtsenthebung gegen den Präsidenten Donald Trump gilt. Entsprechende Untersuchungen laufen jedoch schon länger im Justizausschuss. Pelosi will nun aber alle Untersuchungen gegen den Präsidenten formal zu einem Verfahren zusammenfassen. Trump habe «gravierend gegen die Verfassung verstossen», sagte sie.
Warum das wichtig ist: Hintergrund ist die Whistleblower-Beschwerde eines Geheimdienstmitarbeiters. Teil dieser Beschwerde ist ein im Juli geführtes Telefonat zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky. Trump bat Selensky, eine Untersuchung wegen Korruption gegen den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden zu starten. Selensky sicherte Trump Unterstützung zu. Fraglich ist, ob der Präsident seinen ukrainischen Amtskollegen dazu gedrängt hat, gegen einen seiner grössten politischen Rivalen vorzugehen, den Top-Anwärter auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2020. Zumindest drehte sich das halbstündige Telefonat hauptsächlich um Joe Biden und seinen Sohn Hunter Biden, Verwaltungsrat eines ukrainischen Erdgasproduzenten. Das zeigt eine nun veröffentlichte Rekonstruktion des Gesprächs. Wie Recherchen der «Washington Post» zeigen, hatte Trump wenige Tage vor dem Telefonat 391 Millionen Dollar Hilfsleistungen für die Ukraine blockiert. Trump streitet ab, dass es sich dabei um ein Druckmittel gehandelt habe, und spricht von einer «Hexenjagd», während Selensky beteuert, er sei nicht unter Druck gesetzt worden. Am Donnerstag wurde derweil aufgrund des wachsenden Drucks die komplette Whistleblower-Beschwerde veröffentlicht. Darin heisst es, Trump habe seine Macht missbraucht, um die Ukraine zu einer Einmischung zu drängen, und habe dies danach zu vertuschen versucht.
Was als Nächstes geschieht: Noch ist unklar, wie genau das Amtsenthebungsverfahren ablaufen soll. Die Verfassung macht dazu nur wenige formale Vorgaben. Klar ist nur: Das Repräsentantenhaus prüft derzeit in verschiedenen Ausschüssen, ob Trumps Handlungen einer Amtsenthebung würdig sind. Kommt es mehrheitlich zu diesem Schluss, hält der Senat das eigentliche Amtsenthebungsverfahren ab. Dieses ähnelt einem Gerichtsverfahren, mit den Senatoren als Jury. Mit einer Zweidrittelsmehrheit kann der Senat entscheiden, den Präsidenten seines Amtes zu entheben. Da der Senat von den Republikanern dominiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass es dazu kommen wird.
In Grossbritannien wirds grundsätzlich
Darum geht es: Am Dienstag hat das oberste Gericht Grossbritanniens die parlamentarische Zwangspause aufgehoben. Premierminister Boris Johnson hatte diese sogenannte Prorogation dem Parlament verordnet, vorderhand um eine neue Regierungsperiode vorzubereiten. Kritiker warfen ihm aber vor, das Parlament in einer kritischen Phase des Brexit-Prozesses für fünf Wochen aushebeln zu wollen. Die elf Richterinnen kamen einstimmig zum Schluss, dass die Zwangspause «rechtswidrig, null und nichtig» sei. Bereits am Mittwoch tagte das Unterhaus wieder.
Warum das wichtig ist: Die vorsitzende Richterin wählte in der Urteilsverkündung drastische Worte: «Der Effekt [der Prorogation] auf das Fundament unserer Demokratie war extrem.» Überhaupt war im Urteil viel von der Verfassung, der Demokratie und dem Rechtsstaat die Rede. Beobachter vermuten, dass die Richter ganz bewusst allgemein verständlich und sehr grundsätzlich argumentiert hätten. Es sei ein Urteil ebenso an die Adresse der Bevölkerung gewesen wie an die der Regierung. Kritiker warfen den Richtern vor, dass sie ihre Kompetenzen überschritten hätten und dass sie sich in die Politik einmischten. Johnson selbst nannte das Urteil «falsch», sagte aber, dass er es respektieren werde. Währenddessen mehren sich die Stimmen, die Johnson vorwerfen, das Land mit seinem kompromisslosen Kurs und seiner aggressiven Rhetorik immer tiefer zu spalten. «Er stachelt Brexit-Befürworter gegen Gegner auf, Alte gegen Junge, Schottland gegen England und die Bevölkerung gegen das Parlament», sagte ein ehemaliger konservativer Abgeordneter im Unterhaus.
Was als Nächstes geschieht: In aller Kürze: Damned if we know. Etwas ausführlicher: Johnson besteht weiterhin auf dem Brexit am 31. Oktober. Er schloss eine erneute Prorogation nicht aus – und verlangte, ebenfalls zum wiederholten Mal, Neuwahlen. Die Opposition will aber keine Neuwahlen, solange das Brexit-Datum nicht verschoben ist. Eine Verschiebung wiederum lehnt Johnson ab, obwohl er unterdessen gesetzlich dazu verpflichtet wäre. In dieser komplett verfahrenen Situation bleibt ein Brexit ohne Deal eine realistische Gefahr. Mehrere EU-Länder signalisieren derweil, dass ein Austrittsabkommen nur noch zu stemmen sei, wenn bis nächste Woche ein konkreter Vorschlag Grossbritanniens vorliege. Auch in der konservativen Partei steigt das Unwohlsein über Johnsons Kurs.
Tamedia-Journalisten protestieren gegen Tamedia
Darum geht es: 128 Journalistinnen und Produktionsmitarbeitende von «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» und den Mantelredaktionen von Tamedia haben sich am Montag in einem Protestbrief an Verleger Pietro Supino gewandt. Unter dem Titel «Nicht in unserem Namen!» protestieren sie gegen die zunehmende Vermischung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten beim Medienkonzern Tamedia.
Warum das wichtig ist: «Tamedia publiziert seit Monaten ganzseitige Anzeigen, die in Layout, Schrift, Autorenschaft eindeutig darauf abzielen, den Leser über ihren Anzeigencharakter zu täuschen und vorgaukeln, es handle sich um redaktionellen Inhalt», heisst es im Brief an Supino. Weil die traditionellen Inserate immer weniger werden, setzen Verlage immer stärker auf Sponsored Content und sogenannte Native Ads – Werbeanzeigen, die journalistischen Inhalten täuschend ähnlich sehen. Die Forderung der Tamedia-Mitarbeitenden an Supino ist unmissverständlich: «Wir protestieren gegen jede Form von Anzeigen mit täuschender Absicht und fordern Sie und den Verlag dazu auf, diese Praxis umgehend einzustellen.» Ansonsten werde die Glaubwürdigkeit des Journalismus untergraben.
Was als Nächstes geschieht: Wohl nichts. Bereits am 16. Mai dieses Jahres hatte der Presserat in einer Stellungnahme festgehalten, Tamedia handle mit dieser Werbepraxis in «offensichtlicher Täuschungsabsicht» – und dies verstosse gegen die «Rechte und Pflichten der Journalistinnen». Trotzdem änderte Tamedia die Praxis nicht wesentlich. 2017 warb der Verlegerverband, der von Tamedia-Verwaltungsratspräsident Pietro Supino präsidiert wird, in einem Werbefilm sogar aktiv für Werbung, die sich als Journalismus tarnt. Der Verlegerverband gehört auch zu den Trägern des Schweizer Presserats.
Maltas Regierung lässt Mordfall untersuchen
Darum geht es: Knapp zwei Jahre nach dem tödlichen Bombenanschlag auf die regierungskritische Journalistin Daphne Caruana Galizia hat die maltesische Regierung am vergangenen Freitag eine öffentliche Untersuchung angeordnet. Eine Kommission soll klären, ob der Mord durch staatliche Stellen hätte verhindert werden können. Ob das Attentat durch staatliche Stellen ermöglicht wurde. Und ob staatliche Stellen wussten, dass Caruana Galizia in Gefahr war, und trotzdem untätig blieben.
Warum das wichtig ist: Caruana Galizia hatte bis zu ihrem Tod am 16. Oktober 2017 vor allem zu Amtsmissbrauch, Vetternwirtschaft, Fällen von Korruption und Geldwäscherei recherchiert – zunächst für maltesische Zeitungen und später auf ihrem Blog «Running Commentary». Sie berichtete über Skandale, in die auch Regierungschef Joseph Muscat, dessen Minister und Staatsbeamte verwickelt gewesen sein sollen. Der Europarat hatte die maltesische Regierung im Frühjahr aufgefordert, bis zum 26. September eine Untersuchungskommission einzusetzen. Die Familie von Caruana Galizia und deren Unterstützerinnen hatten immer wieder eine unabhängige Aufarbeitung gefordert. Die Unabhängigkeit der Untersuchungskommission ist denn auch der Knackpunkt. Premierminister Joseph Muscat beauftragte ein dreiköpfiges Ermittlungsteam. Den Vorsitz übernimmt ein pensionierter Richter. Er wird unterstützt von einem emeritierten Dekan der Universität von Malta und Regierungsberater sowie einem Forensiker, der zudem gerade einen Regierungsposten antrat. Malta liegt auf Platz 77 von 180 Staaten in der Rangliste der Pressefreiheit. In den vergangenen zwei Jahren hat das Land 32 Plätze eingebüsst.
Was als Nächstes geschieht: Es bestehe die Gefahr, dass die Ermittlungen «ein vom Staat gesponsertes Reinwaschen des eigenen Rufs» würden, zitiert der «Spiegel» den Sohn der toten Journalistin, Matthew Caruana Galizia. Die Nichtregierungsorganisation «Reporter ohne Grenzen» wird beobachten, ob die Untersuchungskommission unabhängig und unparteiisch arbeitet. Christian Mihr, deutscher Geschäftsführer von «Reporter ohne Grenzen», erklärt in einer Pressemitteilung: «Die maltesische Regierung darf aber nicht glauben, dass sie die Öffentlichkeit allein durch die Einsetzung einer Untersuchungskommission ruhigstellen kann […].» Ein Bericht der Kommission soll spätestens in neun Monaten vorliegen.
Britisches Traditionsunternehmen kollabiert
Darum geht es: Der britische Reiseveranstalter Thomas Cook ist pleite. Nach 178 Jahren hat der Konzern am Montag Insolvenz angemeldet. Bis zu 600’000 Touristen sollen vom plötzlichen Geschäftsstopp betroffen sein. Thomas Cook beschäftigt weltweit mehr als 21’000 Mitarbeiterinnen.
Warum das wichtig ist: Die Krise der Pauschalanbieter traf den Branchenältesten mit voller Härte. Seit Monaten befanden sich die Zahlen im Sinkflug, Dutzende Filialen mussten seit Beginn des Jahres geschlossen werden, die Suche nach einem Käufer fürs Fluggeschäft verlief ergebnislos. 1,5 Milliarden Pfund Verlust fuhr das bereits verschuldete Unternehmen im ersten Halbjahr 2019 ein. Laut Thomas Cook hat unter anderem der drohende Brexit die Briten von Ferienbuchungen abgehalten. Eigentlich begann die Krise jedoch schon 2007, als der Merger mit dem mässig erfolgreichen Unternehmen MyTravel bei Thomas Cook einen Berg von Schulden verursachte. 2011 kam es zum Beinahe-Kollaps, der nur durch zusätzlich eingeschossene Mittel verhindert werden konnte. Auch vergangenen Sommer erhielt Thomas Cook eine Finanzspritze von 750 Millionen Pfund, um bis Ende 2020 die Geschäfte zu sichern. Weil das nicht reichte, forderte die Konzernleitung – vergeblich – 200 Millionen Pfund Staatshilfe. Weil aufgrund des Konkurses mehr als 150’000 britische Reisende weltweit gestrandet sind, kündigte die Regierung an, diese im Rahmen der «Operation Matterhorn» kostenlos nach Hause zu bringen.
Was als Nächstes geschieht: Während die britische Insolvenzverwaltung den Kollaps unter die Lupe nimmt, ziehen Parlamentarier eine Untersuchung der Konzernleitung und der Auditoren in Betracht. So sollen sich «aussergewöhnliche Einträge» in der Bilanz von Thomas Cook befinden, sagte die für Buchhaltung zuständige Regulationsbehörde. Auch Boni könnten untersucht werden. Condor, die deutsche Tochterfirma von Thomas Cook, kann ihren Betrieb derweil aufrechterhalten – dank einem Überbrückungskredit der deutschen Regierung in der Höhe von 380 Millionen Euro.
Was sonst noch wichtig war
Israel: Benjamin Netanyahu soll eine neue Regierung bilden, obwohl sein Bündnis bei den Wahlen nur zweitstärkste Kraft wurde.
Malta/EU: Deutschland, Frankreich, Italien und Malta haben sich auf eine Verteilung von geretteten Migranten geeinigt; der Deal ist provisorisch.
Schweiz/USA: Die USA wollen E-Zigaretten verbieten. Nun geraten diese auch in der Schweiz unter Verdacht, Lungenkrankheiten auszulösen.
Ägypten: Ägypterinnen protestieren in grosser Zahl gegen die Regierung – zum ersten Mal seit der Machtübernahme von Diktator Abdel Fattah al-Sisi.
EU: Google muss das «Recht auf Vergessenwerden» nicht ausserhalb der EU anwenden, hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
Frankreich: Der ehemalige Präsident Jacques Chirac stirbt im Alter von 86 Jahren.
Zum Schluss: Netflix-Vibes am Paradeplatz
Stellen Sie sich einen Bankenkrimi vor. Vielleicht haben Sie auf Netflix «Bad Banks» geguckt, so was in der Art. In der Hauptrolle: der CEO und der Chef der Vermögensverwaltung einer Grossbank. Der eine ist nach jahrelanger harter Arbeit CEO geworden, der andere gilt als aufstrebendes Talent. Sie arbeiten Seite an Seite. Bis der CEO glaubt, der andere giere nach seinem Posten. In der Villa des CEO kommt es zum Streit. Ein grosses Zerwürfnis, niemand kann schlichten. Also verlässt das aufstrebende Talent die Firma – und geht ausgerechnet zur grössten Konkurrentin! Der CEO fürchtet, der wütende Überläufer könnte kostbares Know-how mitnehmen – nichts Neues in der Bankenwelt. Also lässt seine Grossbank den Abtrünnigen beschatten. Weil aber die Detektei, die normalerweise Sozialhilfeempfänger ausspioniert, etwas gar unsauber arbeitet, entdeckt der Beschattete seine Beschatter – und zeigt sie an. Die Behörden ermitteln nun wegen Drohung und Nötigung, der CEO leitet eine interne Untersuchung ein. Währenddessen befinden sich die Aktien im Sinkflug. So weit das, was bisher an die Medien durchgesickert ist. Jetzt fragt sich die Zuschauerin natürlich, warum sich eine Grossbank keine bessere Detektei leistet. Wer da die Medien füttert und wie selektiv. Und natürlich, wie bei jeder guten Serie, wann die nächste Staffel kommt.
Top-Storys
Für Sie nur das Beste Sie wissen nicht, was Sie als Nächstes lesen sollen? Der «Guardian» kann Ihnen helfen. Er hat diese Woche nämlich die 100 besten Bücher des 21. Jahrhunderts gekürt.
Breaking Worse Am 11. Oktober bringt Netflix den «Breaking Bad»-Film raus. Jetzt wurde ein erster Trailer zu «El Camino» veröffentlicht. Viel mehr gibt es hierzu nicht zu schreiben, ausser: Anschauen!
The Pee Tape Es gibt ein Video, das seit einer Weile im Netz kursiert und das bisher erstaunlicherweise nur wenige Menschen gesehen haben. Es zeigt Donald Trump auf einem Stuhl in einem Hotelzimmer. Und während er auf diesem Stuhl sitzt, liegen auf dem Bett vor ihm zwei nackte Frauen, die sich bepinkeln. Kann es sein, dass dieses Video echt ist? Und wieso gibt es dann keinen Aufruhr? Das Onlinemagazin «Slate» hat nachgeforscht.
Von Hongkong keine Spur TikTok, die Video-App des chinesischen Konzerns ByteDance, war in der ersten Hälfte 2018 die am häufigsten heruntergeladene App weltweit. Lange Zeit war nicht klar, wie der Konzern seinen Content filtert. Politische Posts sind inexistent. Betreibt ByteDance, eines der erfolgreichsten Start-ups der Welt, politische Zensur? Der «Guardian» konnte erstmals in die Moderationsrichtlinien blicken.