Warum stoppt Google die fragwürdige CVP-Kampagne nicht?

Ausgerechnet die brave Mittepartei fährt im Wahlkampf einen aggressiven Werbe­feldzug im Internet. Die Kritik folgt prompt, die Empörung ist gross. Kaum hinterfragt wird dagegen bis jetzt die Rolle des Suchmaschinenkonzerns.

Von Adrienne Fichter, 19.09.2019

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Verärgert hat die CVP alle. Die FDP, die Grün­liberalen, die Sozial­demokraten und auch die SVP.

Für viele Beobachter ist nun klar: Das ist jetzt also der gross angekündigte Internet­wahlkampf der CVP. Die konsens­orientierte, meist wenig aufregende Partei ist damit tatsächlich zum Gesprächs­thema Nummer eins in den sozialen Netz­werken geworden.

Nur wohl nicht so, wie sie sich dies vorgestellt hat.

Die @CVP_PDC lanciert das wohl grösste digitale Negative Campaigning, das Schweizer Wahlen je gesehen haben – und sie schiessen gegen alle. Eine Hochrisikostrategie. #wahlCH19 pbs.twimg.com/media/EEpM-qMW4AAe8hm.png

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Mit ihrer vermeintlich seriösen Wahlkampf­plattform – die Internet­adresse lautet Kandidaten2019.ch – diffamiert die Mitte­partei ihre Konkurrenz. Und liefert damit ein Beispiel für systematisches negative campaigning, wie es in der Schweiz bisher noch nie vorgekommen ist.

Wer zum Beispiel den Namen des Luzerner SP-Nationalrats­kandidaten David Roth in die Such­maschine eintippte, erhielt als Erstes eine Werbe­anzeige mit dem Titel: «David Roth SP/Luzern Eidgenössische Wahlen 2019».

Der angezeigte Link dazu: www.kandidaten2019.ch/programm-SP

Nichts wies auf den ersten Blick darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Website von SP-Kandidat Roth handelte. Sogar farblich kam die Seite im SP-Rot daher. Der dazugehörige Text allerdings war alles andere als schmeichelhaft: «Unser Gesundheits­wesen steht vor dem finanziellen Kollaps. David Roth kandidiert für die SP. Die SP will 1. die steigenden Gesundheits­kosten nicht bei der Wurzel packen, 2. noch mehr Steuer­gelder umverteilen, 3. das unersättliche Gesundheits­system mit noch mehr Prämien­verbilligungen quer­subventionieren.» Darunter ein oranger Button «Zeig mir lieber echte Lösungen». Und Informationen, weshalb die CVP die bessere Wahl sei.

Ausgerechnet jene Partei, deren Zürcher Regierungsratskandidatin Silvia Steiner 2015 Opfer einer anonymen Flugblattkampagne wurde, schlägt damit im Netz mit zweifelhaften Methoden gegen Konkurrenten um sich.

Und ist damit in Sachen Such­maschinen­werbung ungeheuer erfolgreich: Die CVP-Plattform erschien bei mehreren Namen von Kandidaten zuoberst in den Google-Suchresultaten. Dies aus drei Gründen:

  1. Paid content wins. Gebuchte Werbe­plätze werden bei Google immer oberhalb der einfachen «organischen» Such­resultate angezeigt.

  2. Professionalität. Die CVP wendet das ABC des Suchmaschinen­marketings an. Für jeden Kandidaten der Gegner­parteien wurde eine eigene Unterseite mit dem Namen und Such­begriffen angelegt.

  3. Keine Konkurrenz. Die CVP hat im Netz die Namens­hoheit zu fast allen Konkurrenten gekapert. Das war nicht schwierig, weil die betroffenen Kandidatinnen offenbar kaum Werbe­anzeigen auf ihre eigenen Namen gebucht haben. Der Keyword-Planner von Google attestiert selbst bei Namen von prominenten Politikerinnen und Politikern «niedrigen Wettbewerb», was bedeutet: Es gibt keine Anzeigen auf ihren Namen.

Entsprechend gross ist die Empörung bei den Betroffenen. Betreut wird die CVP-Kampagne von ihrer Hausagentur Enigma, über deren Praktiken die Republik bereits in der Vergangenheit berichtet hatte.

Diskutiert wird in den Medien derzeit vor allem der Stil: Darf die CVP das? Doch die entscheidende Frage, die bislang niemand stellte, lautet: Weshalb genehmigte Google diese Werbe­kampagne überhaupt?

Solange nichts illegal ist, nimmt Google das Geld

Gemäss den Richtlinien von Google AdWords kann es sich bei der CVP-Kampagne um einen klassischen Fall von missbräuchlicher, irreführender Werbung handeln. In den Richtlinien steht: «Nutzer sollen sich nicht durch von uns ausgelieferte Anzeigen getäuscht fühlen. (…) Anzeigen und Ziel­seiten, mit denen die Nutzer durch das Weglassen relevanter Informationen bzw. durch die Bereitstellung irreführender Informationen zu Produkten, Dienst­leistungen oder Unternehmen getäuscht werden sollen, sind unzulässig.» Und weiter heisst es als Richtlinienverstoss: «Anzeigen, mit denen Nutzer irregeführt und zu ungewollten Interaktionen verleitet werden».

Weshalb also hat Google die Anzeigen trotzdem genehmigt?

Google will keine einzelnen Kampagnen kommentieren – und verweist auf Anfrage der Republik auf die Richt­linien. Experten, die auf Google-Marketing spezialisiert sind, verwundert diese lasche Haltung nicht. Für den Konzern sei letztlich nur relevant, ob Werbe­anzeigen gegen das Strafrecht verstossen.

In der Schweiz gilt diesbezüglich der Artikel 174 über persönliche Verleumdung. Die CVP verwendet zwar persönliche Namen als Lockmittel, attackiert aber letzten Endes «nur» auf Parteien­ebene. «Solange es nicht strafrechtlich illegal wird, wird Google das Geld nehmen», sagt eine Expertin für Suchmaschinen­marketing zur Republik.

Um viel Geld geht es dabei offenbar nicht. Anders als bei Facebook, wo die Parteien gemäss der Facebook Ad Library grosse Summen in den Wahlkampf im Internet investieren, scheinen die Werbe­anstrengungen der Parteien bei Google eher bescheiden zu sein – weil kaum jemand Namen von einzelnen Politikerinnen und Politikern googelt.

Die Republik hat die Zahl der Suchabfragen für die Namen einiger National- und Ständeräte gemeinsam mit Suchmaschinen­experte Stefan Vetter ermittelt. Die Such­volumen für den Monat August sind ernüchternd (Zahlen für den Monat September sind noch nicht erhältlich). Sie bewegen sich im niedrigen vierstelligen Bereich.

Geringe Reichweite

Anzahl der Suchanfragen für Politiker im August 2019

petra gössicedric wermuthmarcel doblerdamian müllerjacqueline badranfranz grüteryvonne ferimattea meyernicola forsterbarbara gysibeat flachastrid bärtschi0 1000 2000 3000 4000

Quelle: Keyword Planner Google Ads

Dennoch lohnen sich die Werbe­anzeigen für die Politiker. Gemäss Angaben des Google-Tools Keyword Planner bewegen sich die Raten der Klicks auf die Namen der Kandidaten zwischen 7 und 11 Prozent, was im Vergleich zu kommerziellen Werbe­anzeigen eher hoch ist.

Die Kampagne der CVP läuft weiter

Mittlerweile hat die CVP die umstrittene Kampagne für die prominentesten unter den Bundes­parlamentariern vom Netz genommen. Das bedeutet, dass derzeit keine personalisierten Suchanzeigen für Politiker wie Christian Wasserfallen, Cédric Wermuth oder Jacqueline Badran sichtbar sind.

Anders bei den hinteren Listen­plätzen und den Newcomern: Wer etwa die Namen des Grün­liberalen Nicola Forster, der SP-Politikerin Lelia Hunziker oder von BDP-General­sekretärin Astrid Bärtschi googelte, erhielt bis gestern Mittwoch­vormittag auf Platz 1 der Suchbegriffe die CVP-Kampagne.

Die CVP sagte gegenüber mehreren Medien, die Kampagne werde täglich nach Verbrauch des Tagesbudgets deaktiviert. Die Republik fragte bei der CVP nach, wie hoch das Tages­budget sei. Die CVP gab keine Auskunft dazu. Auf die Frage, ob die Genehmigung der Anzeigen durch Google problemlos verlief, antwortete CVP-Sprecher Michaël Girod, das sei problemlos gewesen.

Den diffamierten Politikern bleibt somit nur die Möglichkeit, bei der CVP zu intervenieren oder selbst bei Google zu investieren. Indem man die CVP bei Google AdWords – so heisst das Werbe­netzwerk – überbietet, können die negativen Suchresultate aus der Top-Position verdrängt werden. Das Werbe­netzwerk funktioniert nach dem Auktions­prinzip. Konkret müsste David Roth also eine Anzeige zum Suchbegriff «David Roth» buchen und professionell betreuen – und Google dafür mehr Geld bezahlen als die CVP, damit er in den Such­ergebnissen an erster Stelle kommt.

Oder aber die Betroffenen beschweren sich bei Google. Das Prozedere für die Autorisierung von Werbe­anzeigen verläuft fast immer automatisiert, wie die Medien­forscher Daniel Kreiss und Shannon C. McGregor heraus­gefunden haben. Erst wenn eine Anzeige von vielen Nutzerinnen markiert und gemeldet wird, wird sie Google-intern von Menschen geprüft.

Kandidaten2019.ch wurde erst am 20. August registriert

Perfid ist die Kampagne vor allem auch deshalb, weil der Plattform­name einen seriösen Eindruck erweckt: «Kandidaten2019». Damit wird ein anderes, grund­legendes Problem des Internets sichtbar: Das «first come, first served»-Prinzip bei der Registrierung von Adressen. Unabhängig davon, welche Personen oder Organisationen dahinter­stecken und was damit angerichtet wird.

Unsere Nachbar­länder haben bereits einschlägige Erfahrungen mit irreführenden politischen Websites gemacht.

In Österreich existiert etwa die Website Nationalratswahl.at. Dabei handelt es sich nicht um eine offizielle Website einer öffentlichen Institution, wie man vermuten könnte. Spätestens beim Abschnitt über Medien wird klar, dass der Betreiber, ein Mann namens Robert Marschall, damit seine Verachtung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF und dem politischen Establishment kundtun will.

Ein anderes Beispiel ist die deutsche Website Abtreibung.de. Auch diese Domain suggeriert, neutrale Informationen über Schwangerschafts­abbrüche zu vermitteln. Tatsächlich handelt es sich um eine kirchennahe Organisation mit einer klaren Agenda. Wegen des Werbe­verbots für Abtreibungen in Deutschland ist die Website der religiösen Abtreibungs­gegner besonders gut auffindbar.

Die URL «Kandidaten2019.ch» suggeriert, dass es sich um einen seriösen Vergleichs­dienst handelt und nicht um eine partei­politische Plattform. Registriert wurde sie gemäss Switch-Verzeichnis erst am 20. August 2019.

Bumerang-Effekt oder neue Wählerstimmen?

Die Schweiz hat mit der CVP-Kampagne ihren ersten digitalen negative-campaigning-Präzedenzfall. (Die von der Republik enthüllte «Kampagne 19» auf Facebook stammte von einer SVP-nahen Privatperson).

Digitale Sticheleien zwischen den Parteien in den sozialen Netzwerken sind zwar an der Tages­ordnung. Doch bisher waren die Absender dieser Attacken immer als solche klar erkennbar. Die Werbe­anzeigen zu Kandidaten2019.ch hingegen sind irreführend. Wie viele Leute die CVP-Kampagne erreicht, wird wohl im Dunkeln bleiben. Transparenz über politische Werbe­anzeigen bei Google gibt es keine, im Gegensatz zu Facebook.

Ob sich diese Aktion für die CVP als Bumerang erweist oder ob die grosse mediale Aufmerksamkeit für die Kampagne zusätzliche Wähler­stimmen bringen wird, zeigt sich am 20. Oktober.

Die Zürcher Regierungsrats­kandidatin Silvia Steiner jedenfalls wurde 2015 als Opfer der verleumderischen Flugblatt­aktion auf einen Schlag bekannt, die Zugriffe auf ihren Wikipedia-Eintrag schnellten in die Höhe. Natürlich auch dank der Medienberichte.

Vielleicht tut die CVP mit ihrer fragwürdigen Kampagne letztlich ihren Gegnern einen Gefallen.

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