Hey, Alter!
Wenn weniger Kinder zur Welt kommen und mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, verändert sich die Bevölkerung. Die Schweiz in drei Charts, über fast 200 Jahre.
Von Simon Schmid, 02.09.2019
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Hey, Alter!
Wenn sich junge Leute so grüssen, dann nehmen sie damit die Zukunft der ganzen Gesellschaft vorweg. Denn die Schweiz altert demografisch rapide.
Woran liegt das? Und was sind die Folgen?
In diesem Beitrag tasten wir uns mit drei Zeitreihen an diese Fragen heran. Sie reichen von 1860 respektive 1876 über die Gegenwart bis ins Jahr 2050.
1. Fertilität
Die erste Zeitreihe befasst sich mit dem Nachschub an jungen Menschen: der zusammengefassten Geburtenziffer. Sie gibt anhand einer Hochrechnung über alle Altersstufen in einem Kalenderjahr hinweg an, wie viele Kinder eine Frau in ihrem gesamten Leben durchschnittlich zur Welt bringen würde.
Aktuell liegt dieser Schnitt bei 1,5 Kindern. Im Jahr 1876, in dem die Zeitreihe anfängt, waren es noch 4,4 Kinder. Obwohl in diesen Zahlen gewisse Effekte nicht berücksichtigt sind (wir wissen noch nicht mit Sicherheit, wie viele Kinder die heutigen jungen Frauen später tatsächlich zur Welt bringen werden), ist damit klar: Über die letzten eineinhalb Jahrhunderte ist die Geburtenziffer stetig gesunken. Pro Frau kommen weniger Kinder zur Welt.
Die Gründe für den Geburtenrückgang sind vielschichtig, aber in der Schweiz letztlich dieselben wie auf der ganzen Welt: steigender Wohlstand, bessere Gesundheit, höhere Lebensqualität. Weil im Vergleich zu früher weniger Säuglinge sterben, werden gar nicht erst so viele Kinder in die Welt gesetzt.
Die Hauptveränderung hat bei den Grossfamilien stattgefunden. Der Anteil der Frauen, die drei oder mehr Kinder zur Welt bringen, ist stark gesunken, während der Anteil der Frauen mit zwei Kindern gestiegen ist. Nur wenig verändert hat sich übrigens der Anteil kinderloser Frauen: Schon vor 100 Jahren blieb jede fünfte Frau ohne Nachwuchs, das ist heute noch so.
Zur Mitte des 20. Jahrhunderts kam es zwar erst zu einer Babyflaute und dann zu einem Nachholeffekt. Doch die für eine konstante Bevölkerung nötige Quote von 2,1 Kindern pro Frau wurde bereits in den 1930er-Jahren ein erstes Mal und ab 1971 dann definitiv unterschritten. Gemäss Prognosen der Uno wird sie auch in Zukunft nur minimal steigen: auf 1,6 Kinder im Jahr 2050.
2. Mortalität
Umgekehrt verhält es sich mit der zweiten Zeitreihe, die wir anschauen: der Lebenserwartung. Sie steigt seit 150 Jahren – und wird noch weiter steigen.
1876, zu Beginn der Messungen, durfte ein Neugeborenes im Schnitt damit rechnen, gerade einmal 40 Jahre alt zu werden. Allein im ersten Lebensjahr verstarb jedes fünfte Kind. Seither hat sich die Lebenserwartung mehr als verdoppelt: 2017 lag sie für Männer und Frauen gemittelt bei 83 Jahren.
Die Sterblichkeit ist in der Schweiz, wie in den anderen Industrieländern auch, über die letzten eineinhalb Jahrhunderte also stark zurückgegangen.
Die Gründe dafür sind gut erforscht: Dank medizinischen Fortschritten und verbesserten Hygienestandards konnte die Säuglingssterblichkeit stark reduziert werden. Krankheiten wie die Tuberkulose, die im 19. Jahrhundert die bedeutendste Todesursache junger Erwachsener war, wurden besiegt. Ab 1950 vermochte die Medizin besonders den älteren Menschen zu helfen.
Medizinische Fortschritte, gesündere Lebensweisen und der ganz allgemein höhere Wohlstand werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass Menschen länger leben. Bis 2050 wird die Lebenserwartung bei der Geburt nach Schätzungen der Uno nochmals um drei bis vier Jahre steigen – auf fast 87 Jahre.
3. Altersquotient
Weniger Kinder, längere Lebenserwartung – was diese zwei Trends im Zusammenspiel bewirken, das zeigt die dritte Zeitreihe: der Altersquotient.
Dieser Quotient bemisst das Verhältnis der «Rentner» zu den «Aktiven» in der Gesellschaft: Im Zähler steht die Anzahl Personen von über 65 Jahren, im Nenner steht die Anzahl der Personen im Alter von 20 bis 65 Jahren.
Dieses Verhältnis betrug bis in die Zwischenkriegszeit ungefähr 10 Prozent. Auf eine «Rentnerin» kamen demnach zehn «Aktive» (wir schreiben diese beiden Begriffe in Anführungszeichen, weil es damals erstens noch gar kein Rentensystem gab und weil es zweitens wertende, aber auch unscharfe Begriffe sind).
Inzwischen steht der Altersquotient bei 30 Prozent – auf zehn Personen im Alter von 20 bis 65 Jahren kommen demnach bereits drei Personen über 65 Jahre.
Gemäss dem Referenzszenario des Bundesamts für Statistik wird der Altersquotient weiter steigen: 2050 dürfte er bereits bei 51 Prozent liegen. Im Hinblick auf die Finanzierung der Altersvorsorge ist dies eine wichtige Kennzahl. Denn sie gibt darüber Auskunft, wie viele aktive Erwerbstätige dereinst für einen Rentner aufkommen müssen. Es sind genau zwei.
Allerdings ist das Rentenalter von 65 Jahren, das derzeit für Männer gilt, nicht von Natur aus vorgegeben, sondern wird durch die Politik definiert. Welche Auswirkungen diese Politik hat, wird deutlich, wenn man den Quotienten mit anderen Alterswerten für den Renteneintritt berechnet:
Würden die Menschen 2050 bereits mit 60 Jahren in Rente gehen, wäre der Altersquotient noch höher: Er läge bei 71 Prozent. Das entspricht einem Verhältnis von etwa 1,4 Aktiven pro Rentner.
Beim Rentenalter 68 läge der Altersquotient demgegenüber nur bei 41 Prozent und beim Rentenalter 72 sogar nur bei den heutigen 31 Prozent.
Gerade die letzte Zahl zeigt, wie tiefgreifend die demografische Alterung unsere Gesellschaft beeinflusst. Um bis Mitte des Jahrhunderts auf einen ähnlichen Altersquotienten wie heute zu kommen, müsste die Politik das Rentenalter innerhalb von 30 Jahren um nicht weniger als sieben Jahre anheben.
Hey, Alter ...
Die historischen Daten stammen allesamt vom Bundesamt für Statistik. Teils wurden die Werte aus mehreren Tabellen zusammengefügt. Die Prognosen stammen einerseits aus dem Referenzszenario des Bundesamts für Statistik und andererseits aus den World Population Prospects der Vereinten Nationen.