Welt in Serie

Mad Women

Worin gründet unsere Nostalgie für Eleganz und Konformismus der Sixties? Eine feministische TV-Serie gibt eine faszinierende Antwort.

Von Elisabeth Bronfen, 27.08.2019

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Wir schreiben das Jahr 1958. Am Anfang der Serie «The Marvelous Mrs. Maisel» geht die von Rachel Brosnahan gespielte Titelfigur Miriam «Midge» Maisel ganz in der Welt des arrivierten jüdischen Bürger­tums auf. Mit ihrem Gatten Joel (Michael Zegen) und ihren zwei Kindern bewohnt sie in der Upper West Side von Manhattan ein geräumiges Apartment im gleichen Haus wie ihre Eltern. Die elegante Einrichtung soll den Geruch des Shtetl und die Gräuel des Holocaust, die sie nur aus Erzählungen kennt, mit ostentativem Wohlstand ausblenden.

Zwar hat Midge auf dem College russische Literatur studiert, nun aber ist sie mit ihrem Leben als Hausfrau ganz zufrieden. Stets perfekt gekleidet, steht sie ihrem Gatten tatenfroh zur Seite, sogar dann, wenn er sich abends im Greenwich Village als Stand-up-Comedian versucht. In einem kleinen roten Notizbuch schreibt sie alles auf, was ihr während seiner uninspirierten Auftritte einfällt. Schliesslich gehört es zu ihrem Selbst­verständnis, ihn in allem, was er tut, zu unterstützen.

Aus zahllosen Kostüm­filmen und TV-Serien, die kritisch auf die Eisenhower-Jahre zurück­blicken, wissen wir: Das kann nicht gut gehen. Der Ausbruch aus dieser von strenger Etikette, Vorurteilen und Verboten regulierten Lebens­welt ist vorprogrammiert. Tatsächlich tritt auch eines Abends die Ernüchterung ein, nach einem Reinfall im «Gaslight Cafe». Gezwungen zu erkennen, wie untalentiert er eigentlich ist, lässt Joel seine Frustration an seiner Frau aus. Ohne Erklärung verlässt er die Familie und zieht mit seiner Sekretärin zusammen.

Zwar wird er diese Entscheidung bald bereuen, aber Midge hat sein Weggehen die Tür zu einem neuen Leben geöffnet – und für ihn ist da kein Platz mehr. Vorher ging sie ganz in seinem Traum auf, doch nun macht sie sich diesen selbst zu eigen. Am selben Abend, an dem Joel sich von ihr trennt, fährt Midge betrunken mit einem Taxi zurück in das Café. Die Wuttirade, die auf der Bühne spontan aus ihr heraus­bricht – impulsiv und befreiend unanständig – lässt sie ihr eigenes Genie erkennen.

Statt mit der Pistole schiesst sie mit Worten. Schamlos macht sie sich über den Mann lustig, der sie aus allen Wolken der behüteten Häuslichkeit hat fallen lassen, und gibt zugleich ihre eigene Intimität preis. Unerwartet ist sie ins Rampen­licht getreten und hat begriffen: Sie will nicht nur schön zum Ansehen und angenehm im Umgang sein. Sie will, dass man ihre Stimme hört.

Das ist, seit Ibsens Nora die Haustür hinter sich zugeschlagen hat, die klassische Wette des Melodramas. Doch Amy Sherman-Palladino, Showrunner dieser Serie der Amazon-Studios, will eine andere feministische Geschichte des Aufbegehrens erzählen. Als Vorbild für ihre Titel­heldin dient ihr nämlich Joan Rivers, die mit bahnbrechenden comedy routines zu einem Zeitpunkt den eigenen Körper und persönliche Gefühle zum Objekt der Komik machte, als es in den USA noch kaum Frauen in dieser Unterhaltungs­sparte gab.

Auch in den Selbst­darbietungen der fabelhaften Midge flackert die radikale Komik des Selbst­bekenntnisses auf: Die Grenze zwischen dem, was sie erlebt, und ihrer unverblümten Selbst­beichte ist gänzlich fliessend. Eben darin gründet aber auch die Wider­sprüchlichkeit ihres Erfolges. Die Entertainerin der 1950er-Jahre gehörte eher ins Musical als in die Stand-up-Comedy, weil Letztere von einem schlüpfrigen Wortwitz lebt, der sich gegen das vornehme Benehmen auflehnt, welches Midge sich so mühsam antrainiert hat.

Sie aber trägt ihre schonungslose Demontage der amerikanischen Hausfrau und des von ihr gelebten verlogenen Wohlstands als glamourös gekleidete Dame zur Schau. Weder ihre Weiblichkeit noch ihr Privileg stellt sie infrage. Darin liegt auch der doppel­züngige Charme dieser historischen TV-Serie. Zusammen mit den stilechten Kostümen und der präzise recherchierten Ausstattung werden berühmte Schlager der 1950er-Jahre als Soundtrack eingesetzt. Die Musik zieht uns nahtlos zurück in eine Welt, in der eine glatte Oberfläche der Eleganz herrscht – selbst in der Gefängnis­zelle, in der Midge eine Nacht verbringt, weil sie für ihre obszöne Rede verhaftet worden ist.

Aufgerufen wird nicht das reale New York dieser Zeit, sondern jenes hochgradig stilisierte, das wir aus den Filmen von Todd Haynes kennen. Haynes dient das enge Korsett des Retro dazu, die Repression der Nachkriegs­kultur als eine schreckliche Enge erfahrbar zu machen, die notgedrungen kippen muss. Auch der Aufbruch, den Midge uns vorlebt, wird durch die Linse jener gesellschaftlichen Umbrüche gefilmt, von denen wir wissen, dass sie kommen werden. Diese Welt wird es eine Dekade später nicht mehr geben. In «The Marvelous Mrs. Maisel» dürfen wir deren saubere Fröhlichkeit um so mehr geniessen, als wir von ihrem Untergang wissen.

Midge gelingt das Doppel­leben, das ihr Gatte angestrebt hat. Für sie ist es kein Widerspruch, ihren Zorn über den Habitus der Upper West Side zur Schau zu stellen, im Gegensatz zu den Heldinnen im Melodrama aber gar nicht daran zu leiden. So rau die Geschichten auch sein mögen, die sie von sich erzählt, sie selber ist es überhaupt nicht. Die Stand-up-Comedy dient vor allem der Erfüllung ihrer Ambitionen.

Umso mehr stellen sich Fragen: Worin liegt die Anziehungs­kraft einer solchen Retrotopia, die in der Vergangenheit eine Utopie für uns Heutige zu entdecken meint? Wünschen wir uns als Korrektiv unserer allzu bewegten Epoche eine Sicherheit zurück, aus der man einmal mehr ausbrechen könnte? Erfüllt dieser nostalgische Blick einen Wunsch nach Grenzen, die man wieder überschreiten könnte? Oder ist es einfach die Freude an der Rückkehr eines vertrauten Erzähl­musters, das einmal mehr die Nachhaltigkeit des american dream bestätigt? Midge darf, wie es die amerikanische Verfassung vorschreibt, uneingeschränkt nach weiblichem Glück streben.

Aus zahlreichen Celebrity-Biografien kennen wir denselben schicksal­haften Verlauf: zuerst die plötzliche Entdeckung der eigenen Begabung, dann eine ernüchterte Selbst­zügelung, die aber nur den Drang verstärkt, es doch zu probieren. Erst der mühsame Weg der Selbst­verbesserung und der Rückschläge, die mit der Einsicht in die eigenen Fehler einher­gehen, führt schliesslich zum Durchbruch. George Cukors ikonische Verfilmung von «A Star is Born» bringt es auf den Punkt: Nur über die Leiche des Gatten, der ihr zum Ruhm verholfen hat, kann der von Judy Garland gespielte Musical­star sich behaupten. Sie tut dies bei seiner Trauer­feier, indem sie sich zum ersten Mal nicht mit ihrem Bühnen­namen ankündigt, sondern als Mrs. Norman Maine.

In der Abschluss­szene der ersten Staffel spielt «The Marvelous Mrs. Maisel» auf diesen Platzwechsel an. Einmal mehr tritt Midge im «Gaslight Cafe» auf. Gegenstand ihrer Scherze ist die Trennung von ihrem glücklosen Ehemann, der ohne ihr Wissen im Publikum sitzt. Die Einsicht, dass sie das Talent besitzt, das ihm fehlt, kommt einem Dolchstoss gleich. Erschüttert stürzt Joel auf die Strasse, die Kamera aber kehrt zu Midge zurück. Sie ist am Ende ihrer Nummer angekommen. Dem begeisterten Publikum streckt sie souverän ihre mit langen schwarzen Satin­handschuhen bedeckten Arme entgegen. Auch sie war bislang unter einem anderen Namen aufgetreten. Jetzt aber hat sie ihren Ort im Rampenlicht erobert und kann sich die Taufe zum erfolgreichen Star selber verabreichen. Stolz verkündet sie «My name is Mrs. Maisel. Thank you and good night.» Die Arme streckt sie dabei ganz nach oben aus. Im freeze frame wird ihre Siegerpose einige Sekunden lang angehalten, bevor das Filmbild erlischt. Sie hat dem Gatten zusammen mit seinem Namen auch den Traum gestohlen.

Im Zeitalter der Time’s-up-Bewegung ist das eine besonders aussage­kräftige Variante der Geburt des weiblichen Stars.

Illustration: Michela Buttignol

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