Serie «Homestory» – Folge 10

Kommando Leopard

Simone Richner, Präsidentin des Berner Jungfreisinns, tut erst mal geheimnis­krämerisch. Und SP-Nationalrätin Barbara Gysi schiesst direkt gegen die Gesundheits­politik der SVP. «Homestory», Folge 10.

Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 08.08.2019

Simone Richner ist verkatert. Sazerac. Sie will nicht, dass wir wissen, wo sie arbeitet. Das habe sie mit dem Arbeit­geber so vereinbart. Sie arbeite bei einer Bundes­behörde, sagt die Anwältin. Wir spielen das Ratespiel.

«Sie sind sicher bei der Kesb», sagen wir, die mit dem Schweizer Föderalismus wenig vertrauten Deppen.

«Nein», sagt Richner.

Nach unglaublicher Detektiv­arbeit, wir googeln «Simone Richner Anwältin», stossen wir auf ihr Linkedin-Profil und eine Broschüre auf der Website der Berner FDP, die sie als Mitarbeiterin der Bundes­anwaltschaft ausweisen.

Richners Rücken schmerzt. Die Nacht war lang. Viele Cocktails, viele Gespräche. «Ich bin nicht die Clubgängerin, ich ziehe lieber von Bar zu Bar», sagt sie. «Dabei ist Sazerac mein Lieblings­cocktail. Er ist anfangs ziemlich heavy und wird mit dem Schmelz­wasser immer besser. Es ist der perfekte Drink, wenn man jemanden lange nicht gesehen und viel zu besprechen hat.» Wir sind froh, dass wir nach CVP-Bierbrauer Alois Gmür und der Grünen-Nationalrätin Aline Trede noch eine weitere Person treffen, die in der Schweizer Politik eine anständige Trinkkultur pflegt.

«Leute, die in Zürich vielleicht in eine FDP gehen würden, gehen bei uns in Bern in die SVP»: Simone Richner.

Die Präsidentin der Jung­freisinnigen Bern erzählt von der wichtigen Vorbild­funktion von Frauen in der Politik. «Ich bin die erste alleinige Präsidentin des Berner Jungfreisinns», sagt die Nationalrats­kandidatin. «Ich merke, dass ich eine Art Galions­figur bin. Die Frauen vergleichen sich mit mir, und man bildet einen gewissen Anziehungs­punkt. Ich höre es von anderen Frauen, die auf regionaler Ebene Funktionen übernommen haben: dass der Frauen­anteil an der Basis zunimmt, wenn Frauen an der Spitze stehen. Die Frauen denken sich: Wenn die es kann, dann kann ich es auch.»

Die Gender­thematik sei wichtig, und es sei wichtig, dass man den Fokus auf die Bekämpfung von Diskriminierung lege, aber gleichzeitig überborde man in diesem Kampf manchmal, sagt Richner, etwa, wenn man in Bern alle Fussgänger­streifen neu anschreiben müsse, weil die Linke der Meinung sei, dass der bestehende Begriff Fussgängerinnen ausschliesse. Wir entgegnen, dass Feministinnen die heutige Sprache als Ausdruck einer patriarchalen Struktur begreifen würden, warum also nicht gleich auch die Sprache ändern?

Serie «Homestory»

Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.

Folge 3

Pro­te­stan­ti­sche Disziplin, ka­tho­li­scher Genuss

Folge 4

Lust for Life

Folge 5

Highway to the Danger Zone

Folge 6

Und täglich grüsst das Murmeltier

Folge 7

Like a Prayer

Folge 8

Black Hawk Down

Folge 9

Brokeback Olten

Sie lesen: Folge 10

Kommando Leopard

Folge 11

In einem Land vor unserer Zeit

Folge 12

Straight White Male

Folge 13

When the Man Comes Around

Folge 14

Die Posaune des linksten Gerichts

Folge 15

Guns N’ Roses

Folge 16

Wir Sonn­tags­schü­ler des Li­be­ra­lis­mus

Folge 17

Alles wird gut

Folge 18

Höhenluft

Folge 19

Im Osten nichts Neues

Folge 20

Here We Are Now, Entertain Us

«Das ist ein extrem formalistischer Ansatz. Als Juristin weigere ich mich, mich auf solche Kleinigkeiten einzulassen», sagt Richner. «Für mich zählt das grosse Ganze. Wenn die Leute Steuer­gelder für neue Strassen­schilder bezahlen müssen, kann es sogar kontra­produktiv wirken. Frauen müssen sich als ebenbürtige Wesen darstellen. Sich in die Opferrolle zu begeben und auf Kleinigkeiten rumzureiten, das bringt nichts.»

Dann erzählt Richner von einem schwelenden Konflikt zwischen einem libertären und einem liberalen Flügel im Schweizer Jung­freisinn. «Die Libertären wollen gar keine staatliche Funktion mehr», sagt sie. «Wir Liberalen sind davon überzeugt, dass es einen schlanken Staat braucht.» Sie selbst gehöre zum linken, liberalen Flügel in der Partei, was sich schon allein durch ihre Herkunft erkläre: «Die Stadt Bern ist ein rot-grünes Pflaster, wo man im Vergleich zu Zürich auch als Bürgerlicher sehr links politisiert. Diese Dominanz zieht das ganze rechte Lager nach links. Leute, die in Zürich vielleicht in eine FDP gehen würden, gehen bei uns in die SVP.»


Im Jahr 1292 überfielen die Habsburger die Stadt Wil und brannten sie nieder. Als wir an diesem tristen, regnerischen Tag in die Stadt einfahren, fragen wir uns, ob man es nicht besser dabei belassen hätte. Nein, hätte man nicht. Denn Wil ist einer der Wohnorte unseres Lieblings­millionärs Hausi Leutenegger, Bob-Olympia­sieger und, wie wir dank einer hervorragenden SRF-Dokumentation wissen, treuer Raiffeisen-Kunde, ein Mann, der an der Seite von Klaus Kinski die Welt mit dem Actionfilm «Kommando Leopard» bereicherte. Warum interviewen wir nicht Hausi Leutenegger und dessen sprechenden Papagei Jacqui in Hausis Finca auf Maspalomas, fragen wir uns, als wir in der Wiler Altstadt die Klingel eines Reihen­hauses drücken. Wenig überraschend öffnet nicht Hausi Leutenegger die Tür, sondern SP-Nationalrätin Barbara Gysi.

«Die SVP ist in Panik. Und das Gesundheits­thema ist ideal, um das aufzuzeigen»: Barbara Gysi.

Gysi kann uns zwar keine spannenden Anekdoten vom Filmset mit Klaus Kinski erzählen, jedoch einiges zum Thema Gesundheits­politik, die ganz oben auf dem Sorgen­barometer der Schweizer Bevölkerung steht.

«Die SVP ist in Panik», sagt die linke Gesundheits­politikerin und nimmt einen Schluck Eisenkraut­tee. «Und das Gesundheits­thema ist ideal, um das aufzuzeigen.» Die Leute liefen Sturm gegen die Erhöhung der Mindest­franchise, gegen die stetig steigenden Prämien, die Kürzungen bei den Prämien­verbilligungen, sagt Gysi. «Als linke Politikerin kriege ich häufig sehr viele negative Reaktionen. Aber wenn ich mich gegen die Franchisen­erhöhung ausspreche oder Unterschriften für unsere Prämien­entlastungs­initiative sammle, mit der wir erreichen wollen, dass Kassen­prämien nur noch maximal 10 Prozent eines Haushalts­einkommens ausmachen, dann spüre ich das Gegenteil: Leute aus allen politischen Lagern unterschreiben und schicken Mails, wo sie ihre negativen Erlebnisse mit den Kassen schildern und uns für das Engagement danken.»

Während die SP in Luzern drei Personen bis vors Bundes­gericht begleitet habe, die schliesslich erfolgreich gegen Streichungen bei den Prämien­verbilligungen geklagt hätten, seien viele bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit irgendeiner Kasse verbandelt. Wir wollen Fakten, und die Politikerin sagt: «Giezendanner, SVP, KPT-Verwaltungsrat. Roland Eberle, SVP, Groupe-Mutuel-Verwaltungsrat. Ruth Humbel, CVP, Verwaltungsrat Concordia. Lorenz Hess, BDP, Visana-Verwaltungsrats­präsident. Clottu, Frehner, beide SVP, beide im Groupe-Mutuel-Beirat, wie auch Bischofberger von der CVP. Pezzatti von der FDP, de Courten, SVP, beide Interpharma. In der SGK, der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, wo ich sitze, ist die Hälfte der Mitglieder irgendwie mit dem Gesundheits­wesen verbandelt. Eder, FDP, Präsident der SGK-Ständerat, sitzt im Stiftungsrat der Sanitas. Brand von der SVP und Dittli von der FDP präsidieren die Branchen­verbände Santésuisse und Curafutura …»

Die SVP habe in den letzten Jahren immer Politik zugunsten der Kassen gemacht, habe Dreijahres­verträge für die Wahl­franchise gefordert, damit die Leute nicht mehr einfach nach einem Jahr wechseln könnten. Und dann habe die Partei die Erhöhung der Grund­franchise «massiv unterstützt» und gefordert, diese direkt bei 500 Franken anzusetzen und nicht wie anfangs geplant in kleinen Schritten von 50 Franken zu erhöhen. «In letzter Sekunde hat die SVP eine Kehrtwende vollzogen», sagt Gysi. «Denn die Schreiben, die wir erhalten, flächen­deckend, diese Schreiben kriegt die SVP von der eigenen Basis auch. Und die hat sie nicht mehr gespürt. Zwei Tage vor den Zürcher Wahlen sind sie gemeinsam mit der CVP eingeknickt. Das zeigt ihre Unsicherheit, ihre Panik, denn der Ärger über die Versicherungen, welche sie vertreten, ist in der Bevölkerung gross.»

Die Politik zugunsten der Kranken­kassen halte sie für «Rechts­populismus», sagt Gysi. «In der Kommission wird die obligatorische Kranken­versicherung immer wieder als linkes Gesetz verschrien. Das ist bei genauer Betrachtung falsch. Es wurde in der Zeit erarbeitet, als Flavio Cotti Innen­minister war. Lediglich das Fein­tuning stammte dann von seiner Nachfolgerin Ruth Dreifuss.»

Die Bürgerlichen hätten im Wahljahr Angst vor der eigenen Politik bekommen, sagt Gysi. «Hätte das Parlament eine Erhöhung der Mindest­franchise beschlossen, wären wir mit dem Referendum gekommen. Das hatten wir angedroht, und dann hat die SVP realisiert: Dieses Geschenk können wir den Linken im Wahljahr nicht machen.»

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