Die Schweiz, die FDP und die Menschenrechte
Ein Gastbeitrag von Daniel Hürlimann und Maya Hertig Randall, 07.08.2019
Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:
Die schweizerische Bundesverfassung verbietet in Artikel 8 seit zwanzig Jahren explizit auch die Altersdiskriminierung – es ist hierzulande also ein Grundrecht, nicht wegen des Alters diskriminiert zu werden. Noch bis vor kurzer Zeit wurde dieses Recht vorwiegend im arbeitsrechtlichen Kontext oder in Zusammenhang mit Altersgrenzen für politische Ämter eingefordert. Das hat sich geändert.
Dass Altersdiskriminierung viel umfassender verstanden werden muss, legt das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) anschaulich dar. Demnach können sich alte Menschen auch in Bereichen wie etwa Gesundheit, Privatsphäre, Krankenkasse oder Heimalltag auf ihr verfassungsmässiges Recht berufen, nicht diskriminiert zu werden. Das setzt allerdings voraus, dass sie ihre Rechte kennen. Mit seiner kürzlich publizierten Studie «Grundrechte im Alter» erfüllt das Kompetenzzentrum diesen Anspruch auf Information.
Menschenrechte nachhaltig abzusichern, ist eine anspruchsvolle Aufgabe – auch in der Schweiz. Sie erschöpft sich nicht im Rechtsschutz, sondern erfordert Prävention und Sensibilisierung. Gerade das Kompetenzzentrum für Menschenrechte leistet hierzu wertvolle Beiträge: Es ist weder eine Beschwerdestelle noch ein Gericht, sondern sorgt mit seiner praxisnahen Aufklärungs- und Forschungsarbeit dafür, dass die Menschenrechte einerseits bekannt sind und andererseits respektiert werden. Das Kompetenzzentrum organisiert Veranstaltungen und Weiterbildungen und steht den Behörden, Nichtregierungsorganisationen oder der Privatwirtschaft als Dienstleistungszentrum zur Verfügung.
Von seiner Struktur her ist das SKMR ein universitäres Netzwerk und ein Pilotprojekt im Auftrag des Bundes mit Geschäftssitz in Bern. Es hat 2011 seine Arbeit aufgenommen. Am Kompetenzzentrum beteiligt sind die Universitäten Bern, Freiburg, Genf, Neuenburg und Zürich. 2015 lief die Pilotphase aus, und der Auftrag wurde um fünf Jahre verlängert. Eigentlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass aufs Pilotprojekt eine definitive Nachfolgeinstitution folgen soll. Bei der Frage jedoch, wie diese im Detail auszusehen hätte, gehen die Meinungen auseinander. Und unabhängig davon besteht die grosse Gefahr, dass das Kompetenzzentrum abgeschafft wird, bevor die Nachfolgeinstitution ihren Betrieb aufnimmt.
Der Bundesrat hat im Juni 2017 den Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Unterstützung einer nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI) in die Vernehmlassung geschickt. Eine der ablehnenden Stellungnahmen stammt überraschend von der FDP.
Die Liberalen vertreten folgende Auffassung: Weil der europäische Gerichtshof für Menschenrechte nur wenige Verurteilungen gegen die Schweiz ausspreche, sei erwiesen, dass der Menschenrechtsstandard hierzulande hoch sei. Damit wird impliziert, es brauche in der Schweiz keine Menschenrechtsinstitution. Die FDP verkennt allerdings, dass gerade Staaten mit einem hohen Menschenrechtsstandard (darunter Deutschland, Österreich, Frankreich und Liechtenstein) den Mehrwert einer inländischen Menschenrechtsinstitution erkannt haben.
Vergessen geht auch immer wieder, was es braucht, um überhaupt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gelangen. Bevor eine Beschwerde nach Strassburg zulässig ist, muss der innerstaatliche Instanzenzug ausgeschöpft worden sein. Das bedeutet in aller Regel, dass man einen Prozess durch drei Instanzen geführt und finanziert haben muss. Viele Menschen können sich das nicht leisten oder eben: Sie sind über ihre Rechte schlicht und einfach nicht informiert.
Auch darüber forscht das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte – «Zugang zur Justiz» ist ein Schwerpunktthema. Das Zentrum zeigt zahlreiche rechtliche und faktische Hürden auf, welche die gerichtliche Einforderung von Menschenrechten erschweren. Die Analyse belegt, dass es für einen effektiven Menschenrechtsschutz Prävention, Sensibilisierung und Rechtsschutz braucht. Es ist falsch, die tiefe Anzahl von Verurteilungen als Argument gegen die Notwendigkeit einer neuen, definitiven Menschenrechtsinstitution anzuführen.
Derzeit sieht es ganz danach aus, als ob das Projekt auf die lange Bank geschoben werden soll; das ist bedenklich und ineffizient. In der Sommersession hat Bundesrat Cassis in der Fragestunde geäussert, dass die sogenannten Vertiefungsarbeiten zur Menschenrechtsinstitution im dritten Quartal 2019 abgeschlossen sein sollten. Das ist eine äusserst vage Zusicherung. Sie nährt die Befürchtung, dass der Gesetzesentwurf kaum noch dieses Jahr ins Parlament kommen wird und das offizielle Ziel, die neue Institution per Anfang 2021 einzusetzen, kaum realisierbar sein dürfte. Trotzdem soll das heutige Kompetenzzentrum per Ende 2020 aufgelöst werden.
Es wird also in Kauf genommen, dass eine Lücke entsteht und wertvolles Know-how verloren geht.
Maya Hertig Randall ist ordentliche Professorin an der Uni Genf, Direktorin des Departements für öffentliches Recht und Vizepräsidentin des Vereins «Unser Recht».
Daniel Hürlimann ist Assistenzprofessor an der Uni St. Gallen, Co-Direktor der Forschungsstelle für Informationsrecht und Vorstandsmitglied von «Unser Recht».