33 Fragen

Wie geht es Ihnen mit Ihren Positionen für eine liberale Migrations­politik in Ihrer eigenen Partei, der GLP?

Von Andrea Arežina und Urs Bruderer, 02.08.2019

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27 – Herr Schlegel, Sie wollen im Herbst in den Nationalrat gewählt werden. Wie viel Schaden haben Ihre Wahlchancen im Verlauf dieses Gesprächs genommen?
Ich hoffe, keinen. Ich hoffe, es gibt viele Leute, die die Schweizer Migrations­diskussion wie ich als steril und ausgetreten empfinden und sich jemanden in den Nationalrat wünschen, der die allzu eingeschliffenen Debatten aufzubrechen versucht.

33 Fragen

Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer bewegen auch diesen Sommer die Gemüter. Was könnten Lösungen sein? Stefan Schlegel (36) forschte am Max-Planck-Institut zu Migrations­recht und arbeitet heute als Oberassistent für öffentliches Recht an der Universität Bern. Er ist Mitgründer der Operation Libero und Nationalrats­kandidat für die Grünliberale Partei (GLP).

28 – Wie geht es Ihnen mit Ihren migrations­politischen Positionen in Ihrer eigenen Partei, bei den Grünliberalen (GLP)?
(lacht) Ich bin nicht in die Partei, weil sie mich migrations­politisch überzeugt, sondern weil ich auch anderes machen möchte als Migrations­politik. Aber um die Migrations­politik zu verbessern, müssen wir die Diskussion darüber grundsätzlich neu aufrollen. Die geltenden Paradigmen sind ja links wie rechts problematisch. Und aufbrechen lassen sie sich wohl am besten von der progressiven Mitte her. Ich will nicht sagen, dass die GLP das derzeit macht. Aber sie ist die plausibelste Wahl, wenn man eine Partei sucht, von der aus man es probieren könnte.

29 – Ist Ihnen die GLP migrations­freundlich genug?
Immerhin ist sie verlässlicher als die SP, wenn es um die Verteidigung der Personen­freizügigkeit mit der EU geht. Und verlässlicher als die Bürgerlichen, wenn es zum Beispiel um den Migrations­pakt geht. Da haben FDP und CVP es sich erlaubt, die Paradigmen von extrem rechts aussen, von der identitären Bewegung, direkt in die schicken Salons des Züribergs zu tragen, damit haben sie in unerhörter Weise den bestehenden cordon sanitaire verletzt. Das ist der GLP nicht passiert. Aber Migrations­politik ist für sie bis jetzt einfach keine Priorität, ihre Positionen sind darum auch nicht sehr originell.

30 – Nicht originell? Die GLP war für die Abschaffung des Botschaftsasyls. Sie war dafür, dass Militärdienst­verweigerung kein Asylgrund mehr sein darf, dass Asylsuchende nur noch Nothilfe und keine Sozialhilfe mehr bekommen. Auch die GLP redet von echten und unechten Flüchtlingen und will den Asylmissbrauch bekämpfen.
Genau das meine ich mit unoriginell. Ich kann hier nichts zur Verteidigung der GLP sagen. Ich kann nur sagen, dass sie als junge, kleine, progressive Partei für mich am ehesten die Kandidatin ist, deren Position noch formbar ist. Bis jetzt konnte ich die Partei nur von aussen beeinflussen. Dabei kam es zu einigen Zusammen­stössen. Jetzt hoffe ich auf mehr Erfolg, weil ich es intern machen und meine Ideen in eine Strategie und in ein Narrativ einbetten kann. Bis jetzt, so mein Gefühl, wurden die migrations­politischen Positionen in der GLP etwas zu schnell festgelegt.

31 – Wenn Sie in den Nationalrat gewählt werden: Wie würden Sie in der Migrations­politik ganz konkret vorgehen?
Ich halte es für wichtig, zunächst einmal unabhängig von konkreten Vorstellungen einen neuen Diskurs zu etablieren. Die Idee, dass Migration grundsätzlich ein Problem sei; die Idee, dass Migration Verdrängung bedeute; dass es sich lohne, Leute von unserem Markt auszuschliessen, wo es in Wahrheit unter dem Strich allen schadet – all diese Ideen muss man bekämpfen.

32 – Wieso ist ein neuer Diskurs so schwer zu realisieren? Fehlt es uns an Strategie oder an Empathie?
Ganz offensichtlich an Empathie. Und das wiederum hängt eng damit zusammen, dass die Betroffenen, um die es in der Migrations­politik eigentlich geht, in der Debatte selber keine Stimme haben. Nothing about us without us («Kein Entscheid über uns ohne uns») war ein zentraler Punkt in allen Bürgerrechts­bewegungen, ob es um Frauen­rechte ging oder die Rechte von Schwarzen in den USA. In der Migrations­politik fehlt dieses Element. Darum ist der Diskurs konzeptionell so schlecht, fehlerhaft und negativ.

33 – Wenn der Klimawandel erst richtig einsetzt, wird die Migration noch einmal massiv zunehmen. Werden wir das schaffen?
Im Verhältnis zum Klimawandel ist der Umgang mit Migration ein recht überschaubares Problem, auch wenn die Migration durch den Klimawandel zunimmt, sie gefährdet in keiner Weise unsere Existenz. Die Frage ist nur, wie viel Leid unterwegs entstehen muss, bis sich etwas ändert.

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