Der nackteste Wahlkampf aller Zeiten

Facebook hat Wahlgesetze gebrochen, immer wieder den Rechtsstaat strapaziert. Jetzt sorgt ausgerechnet der Tech-Konzern für mehr Transparenz in der Schweizer Politik.

Eine Recherche von Adrienne Fichter, 18.07.2019

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Die Nachricht wurde kaum beachtet, ging wohl unter im Lärm um die Daten­schutz­klagen, die derzeit auf Facebook einprasseln. Am 25. Juni kündigte der Konzern in einer Medienmitteilung an, seine sogenannte Facebook Ad Library sukzessive für alle Staaten auszurollen. Dieses Archiv macht sichtbar, wer politische Werbung auf der Plattform schaltet – und wer diese vorgesetzt bekommt.

Klar ist es vorderhand spektakulärer, wenn hochrangige Vertreter des Konzerns vor Untersuchungsausschüsse zitiert werden. Oder wenn Behörden das Geschäfts­gebaren von Facebook mit Milliardenbussen sanktionieren.

Doch für die Schweiz dürfte dieser – notabene freiwillige – Schritt von Facebook mindestens genauso grosse Konsequenzen haben.

Der Druck wurde zu gross

Der Big-Tech-Konzern weigerte sich lange, die Kampagnen seiner politischen Werbe­kunden öffentlich zu machen. Offiziell aus Gründen des Geschäfts­geheimnisses. Doch der zunehmende Druck aus Washington aufgrund der russischen Einflussnahme bei den US-Wahlen 2016 bewirkte ein Umdenken.

Facebook anerkennt nach Jahren des Verdrängens, dass es eine Mitverantwortung für politische Ereignisse trägt. Der Konzern ergreift endlich handfeste Massnahmen. Drei aktuelle Beispiele.

  1. Der Konzern baut seine Politik-Kompetenz aus. Unter­dessen arbeiten gemäss Auskunft von Facebook 40 Personen in einem Election War Room in Dublin. Ihr Auftrag: Desinformation, Hasspostings und andere Inhalte zu finden und zu löschen, die Wahlen und Abstimmungen unterlaufen könnten.

  2. Parteien, die während der Europa­wahlen auf Facebook um Wählerinnen buhlten, mussten sich ausweisen und sich verpflichten, alle Kampagnen zu veröffentlichen.

  3. Die Einführung der Facebook Ad Library schliesslich ist wohl eines der überfälligsten Zugeständnisse an seine Kritiker. Sie umfasst neben Facebook auch die hauseigene Bild- und Video­plattform Instagram.

Die Ad Library enthält viele Details über politische Kampagnen. Alle Interessierten können sie durchsuchen – und müssen sich dazu nicht einmal einloggen. Das Archiv weist beispiels­weise aus, was eine Anzeige kostete – und wer für sie bezahlte. Und auch, welche Wähler­gruppen damit erreicht wurden; ob eine Werbe­anzeige also an 45-jährige Frauen in urbanen Regionen oder 25-jährige Männer in ruralen Gebieten ausgeliefert wurde.

Ein Blick in die Ad Library der SPD-Facebook-Seite zeigt, welche Wahlwerbung an welche Gruppen versendet wurde.

Letzteres ist aus demokratie­politischen Gründen hoch relevant. Denn das sogenannte Micro­targeting – also die zielgruppen­spezifische Werbung – führt dazu, dass verschiedene Wählerinnen unterschiedliche politische Botschaften sehen. Eine Partei kann also gleichzeitig bestimmten Wählern strengere Waffen­gesetze versprechen – und sich bei einer anderen Zielgruppe als Freundin der Sport­schützen inszenieren. Beide Gruppen sehen nur die jeweilige Botschaft, die breitere Öffentlichkeit gar nichts. Man spricht dabei von sogenannten Dark Ads.

Folglich kann auch niemand den gesamten Wahlkampf analysieren. Individuell zugespielte Fake News oder Schmutz­kampagnen lassen sich kaum komplett aufdecken. Hinzu kommt, dass die zunehmende Personalisierung des Wahl­kampfs den öffentlichen Diskurs gefährdet, weil die gemeinsame Informations­basis fehlt.

Transparenzinitiative aus dem Silicon Valley

Wann wird die Facebook Ad Library in der Schweiz verfügbar sein? In seiner Medien­mitteilung hebt Facebook vier Länder explizit hervor, in denen dieses Jahr nationale Wahlen stattfinden: die Ukraine, Singapur, Argentinien und Kanada. Die Schweiz wird nicht erwähnt, obwohl auch hierzulande im Oktober gewählt wird.

Auf Nachfrage der Republik stellt Facebook klar: Das Werbe­archiv ist nun auch in der Schweiz verfügbar. Das Angebot wird nach den nationalen Wahlen weiter verfügbar sein, also auch bei kommenden Abstimmungen.

Einen Haken hat die Sache allerdings.

In der Schweiz wird nur die Minimal­variante der Facebook Ad Library angeboten. Das bedeutet: Die Parteien behalten weitgehend die Kontrolle. Sie entscheiden bis auf weiteres selbst, ob sie ihre Wahl­werbung deklarieren wollen. Machen sie mit, sind ihre Anzeigen in der neuen Datenbank abrufbar. Und dies sieben Jahre lang.

Tun sie es nicht, hat das vorderhand keine Konsequenzen.

Trotz diesen Einschränkungen ist die Transparenz­offensive von Facebook in der Schweiz fast schon ein subversiver Akt. Denn mit dem Werbe­archiv schafft ausgerechnet ein amerikanischer Big-Tech-Konzern mehr Transparenz über Geld in der Politik, als es die hiesigen Gesetze verlangen.

Sogwirkung statt Abschreckung

Mit dem Prinzip der Freiwilligkeit hat sich Facebook taktisch geschickt verhalten. Denn eine Verpflichtung würde wohl im Land der Diskretion das politische Establishment abschrecken. Stattdessen setzt man auf Sogwirkung. Wenn einige mitmachen, werden sich die anderen auf Dauer kaum entziehen können.

Facebook hat sämtliche Partei­sekretariate letzte Woche offiziell über die Ad Library informiert. Die Republik hat bei ihnen nachgefragt, wie sie damit umzugehen gedenken.

Musterschüler sind die Grünen, die Grün­liberalen, die CVP, die BDP und selbst die sonst bei Budget­fragen sehr verschlossene FDP. Sie alle haben eine Absichts­erklärung abgegeben, vollständige Transparenz zu gewähren, also alle ihre Anzeigen in der Ad Library auffindbar zu machen. Zurzeit durchlaufen sie den Akkreditierungsprozess.

Für die Grünen sind sogenannte Dark Ads – also massgeschneiderte Werbung – ein No-Go. «Weil in der politischen Debatte nur Argumente verhandelt werden können, deren Inhalte auch öffentlich bekannt sind», sagt Grünen-Sprecherin Regula Tschanz.

Für Überraschung sorgt die Haltung von zwei bürgerlichen Parteien. Zum einen diejenige der FDP, die bei Medien­anfragen zu ihrem Budget schweigt. Sie will sich laut Sprecher Matthias Leitner am Europa­wahl­kampf orientieren und alle Details offenbaren.

Zum anderen die der CVP. Auch sie beabsichtigt, auf maximale Transparenz zu setzen. Die CVP wird einen ausschliesslich digitalen Wahlkampf führen – auch das ein Novum in der Schweiz. Insgesamt 13 Prozent des Budgets sollen in Social-Media-Marketing fliessen, sagt Sprecherin Vera Tschan.

Wer sich windet und warum

Die bei Finanzfragen zugeknöpfte SVP ist hingegen erwartungs­gemäss skeptisch. «Wir werden es wohl nicht offenlegen», sagt General­sekretärin Silvia Bär. Entschieden habe man aber noch nicht. Immerhin lässt sich die SVP derzeit von Facebook autorisieren.

Ausgerechnet die Sozial­demokraten – die Vorzeige­partei in Sachen Transparenz schlechthin – geben sich zurück­haltend. Dies liegt auch daran, dass die Partei zum Zeitpunkt der Republik-Anfrage noch nicht offiziell von Facebook informiert worden ist. Sprecher Michael Sorg sagt: «Wir prüfen das und sind gegenüber Transparenz­anliegen grundsätzlich positiv eingestellt.»

Das Engagement möchte die SP von der Konkurrenz abhängig machen. Sprich: Erst wenn auch die anderen Parteien sich entblössen, macht die SP mit. Für die Linken seien Informationen über die Einnahmen­seite ohnehin relevanter, sagt Sorg.

Google macht in der Schweiz nicht mit

Bisher betreiben die anderen grossen Plattformen kein vergleichbares Angebot für die eidgenössischen Wahlen.

Google unterhält zwar eine ähnliche Datenbank. Der Tech-Konzern geriet insbesondere wegen Propaganda­videos seiner Tochter­firma Youtube unter Druck. Mit dem «Transparency Report» sind nun alle Werbe­anzeigen rund um den Europa­wahl­kampf abrufbar. Doch der Such­maschinen­konzern wird kein Update für die Schweiz vornehmen, wie er auf Anfrage bestätigt.

Auch der Kurznachrichten­dienst Twitter, der eine Anfrage der Republik unbeantwortet liess, kennt ähnliche Instrumente. Wie jedoch aus einem internen Dokument der Bundes­verwaltung – das der Republik vorliegt – hervorgeht, verzichtet das Netzwerk auf eine Spezial­erweiterung für die Schweiz.

Und schliesslich ist auch die Facebook-Daten­bank nicht über alle Zweifel erhaben. Denn eine Schlüssel­information fehlt: wen die Parteien auf Facebook überhaupt adressieren wollen, welchen Zielgruppen sie ihre Anzeigen ausspielen. Diese Daten sind deshalb relevant, weil Parteien in der Vergangenheit dabei immer wieder illegale Werbestrategien verfolgt haben.

Die Republik entdeckte dank ihres Tools «Political Ad Collector» Verstösse gegen das Schweizer Datenschutzgesetz. Facebook sperrte das Recherche-Tool Anfang 2019 aus. Dank neuer Schirm­herrschaft ist die Browser­erweiterung wieder einsatzbereit – und ein unverzichtbares Werkzeug für Medienschaffende.

Verschiedene Journalisten brachten während des Europa­wahl­kampfs Kritik an der Library an. Wie zum Beispiel die, dass die Kategorien des Archivs nicht granular genug seien. «netzpolitik.org»-Journalist Ingo Dachwitz stellte fest, dass die Reaktionen auf Werbe­postings eine entscheidende Metrik sind. Und auch diese fehlen in der Datenbank, wie er gegenüber der Republik sagt.

Trotz all diesen Einschränkungen: Für die Schweiz ist diese Transparenz mit ein paar wenigen Klicks fast schon eine kleine Revolution. Nicht zuletzt auch deshalb, weil fast alle angefragten Parteien gegenüber der Republik bekannt gegeben haben, mehr in den digitalen Wahlkampf zu investieren. Schliesslich surfen 3,6 Millionen Schweizerinnen und Schweizer täglich auf Facebook.

Höchstens im Bereich der Anzeigen in Print­medien gibt es in der Schweiz ähnlich viel Transparenz darüber, wie die Parteien ihr Geld ausgeben. Und hier müssen politikwissenschaftliche Institute wie Année Politique Suisse die Anzeigen sammeln – und die Wahrnehmung mit zeitlicher Verzögerung rekonstruieren.

Ausgerechnet ein Big-Tech-Konzern, der in anderen Ländern wie Grossbritannien Wahlgesetze gebrochen hatte, verhilft der Schweizer Demokratie nun zu mehr Transparenz.

Zwar «nur» darüber, wie die Parteien ihr Geld ausgeben. Und «nur» im digitalen Raum.

Aber es ist ein Anfang.

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