Serie «Homestory» – Folge 7

Like a Prayer

EVP-Nationalrat Nik Gugger erzählt den beiden Reportern einen Witz. Zum Glück können sie danach die Grünen-Nationalrätin Aline Trede besuchen. Denn die ist wirklich lustig. Und sie trinkt Bier. Serie «Homestory», Folge 7.

Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 18.07.2019

In der Nacht sind wir mit der Berner Bloggerin Jessica Jurassica ganz schrecklich abgestürzt. Jetzt fahren wir scheintot mit der Standseil­bahn den Gurten hoch, wo wir das 100-Jahr-Jubiläum der Evangelischen Volks­partei besuchen. Vor dem Eingang kann man für verfolgte Christen in aller Welt spenden, und drinnen, im Vortrags­saal, trägt Aussen­minister Ignazio Cassis gerade das Grusswort der Landes­regierung vor. «Ich gönne Ihnen Ihr ganz spezielles Gurtenfestival», sagt der Katholik und gesteht: «Ja, ich habe den Zwingli-Film gesehen. Ich habe probiert, ihn aus ökumenischer Sicht zu betrachten.» Gelächter. Applaus. Mittag­essen. Nach diversen weiteren Gruss­botschaften und humoristisch-musikalischen Einlagen singen wir «Amazing Grace» und beten gemeinsam für Fraktionsstärke.

«Vater im Himmel, ich danke dir für all die Menschen, die auf allen politischen Ebenen im Einsatz stehen dürfen», spricht eine Rednerin mit gesenktem Haupt. «Ich danke dir für das Vorrecht der Beteiligung, und ich bitte dich, dass du die EVP und ihre Mandats­trägerinnen und Mandats­träger auf nationaler Ebene, auf kantonaler Ebene, auf Gemeinde­ebene, überall dort, wo sie im Einsatz stehen, zu Menschen des Vertrauens machst, sie als das erhellst und sie für andere Menschen als Vorbild dienen lässt. Ich bitte dich auch um das Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern, auch gerade im Hinblick auf die nationalen Wahlen, dass sie den EVP-Menschen ihr Vertrauen schenken und sich an den Wahlen beteiligen. Amen.»

Serie «Homestory»

Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.

Folge 3

Pro­te­stan­ti­sche Disziplin, ka­tho­li­scher Genuss

Folge 4

Lust for Life

Folge 5

Highway to the Danger Zone

Folge 6

Und täglich grüsst das Murmeltier

Sie lesen: Folge 7

Like a Prayer

Folge 8

Black Hawk Down

Folge 9

Brokeback Olten

Folge 10

Kommando Leopard

Folge 11

In einem Land vor unserer Zeit

Folge 12

Straight White Male

Folge 13

When the Man Comes Around

Folge 14

Die Posaune des linksten Gerichts

Folge 15

Guns N’ Roses

Folge 16

Wir Sonn­tags­schü­ler des Li­be­ra­lis­mus

Folge 17

Alles wird gut

Folge 18

Höhenluft

Folge 19

Im Osten nichts Neues

Folge 20

Here We Are Now, Entertain Us

Wir fahren mit der Bahn wieder hinunter. Nik Gugger gesellt sich zu uns. Schon zum dritten Mal. Seit der Nationalrat aus Winterthur realisiert hat, dass wir Journalisten sind, schwänzelt er ständig um uns herum, schenkt uns EVP-Pins.

In der Bahn geht der Strom aus. Es gibt einen heftigen Ruck. Die Leute erschrecken. Einige kreischen.

«Wenn man mit so vielen EVP-Mitgliedern ins Tal kracht, landet man vermutlich nicht in der Hölle», sagen wir. Gugger sagt: «Apropos Hölle, kennen Sie den Witz?» Und dann erzählt der Politiker einen Witz, aber wer einen derart miserablen Humor hat, wird unsere Stimme auf keinen Fall bekommen: «Der Pastor wird gefragt, ob er lieber in die Hölle will oder in den Himmel. Der Pastor antwortet: ‹In die Hölle.› Der Teufel fragt: ‹Wieso das denn?› Der Pastor sagt: ‹Weil in der Hölle alle heissen Katzen sind.›»


In den Medien liest man nach den Wahlen in Zürich, Baselland und Luzern von einer «grünen Welle». Nach den Wahlen 2015 fast schon tot geglaubt, ist die Farbe Grün plötzlich allgegenwärtig. Nach ein paar Monaten Klimastreik sind die Grünen und Grün­liberalen im Hoch, und die SVP ist in Panik. In der «Arena» des Schweizer Fernsehens wechseln sich die National­räte Balthasar Glättli und Regula Rytz ab. Langweilig. Gibt es im Bundes­haus nicht noch andere Figuren, welche die grüne Politik in den letzten Jahren geprägt haben? Eine SP-National­rätin empfiehlt, mit Aline Trede zu reden, sie sei wirklich lustig.

«Der Satz, den ich am meisten höre im Parlament: Du bist so anders.»

Wir sitzen am Küchentisch von Tredes Einfamilien-Reihenhaus im Berner Quartier Weissenstein und trinken Bier. Es riecht nach Feuer. Die Kinder schreien. Ein Hörspiel läuft. Am Kühl­schrank hängt ein Zettel, auf dem steht, die anderen würden es Chaos nennen, aber hier nenne man es liebevoll Familie. Der Mann bringt eine neue Kiste mit kaltem Bier.

«Frau Trede, man hat uns gesagt, wir sollten mit Ihnen sprechen. Sie seien lustig. Sind Sie lustig?»

«Ich bin wahnsinnig lustig, ja. Und ich finde mich selber sehr lustig. Wollen Sie mehr Bier?»

«Gerne.»

Wir sinnieren mit Trede über Vorurteile gegenüber Grünen: Liegevelo fahrende, humorlose und moralinsaure Menschen in hässlichen Outdoor-Jacken, die in überteuerten Bioläden einkaufen und an der ETH Umwelt­naturwissenschaften studiert haben.

«Das Schlimmste sind die Foulards», sagt Aline Trede. «Dieses Gehenk immer. Nach der Abwahl von Marlies Bänziger war für mich klar: Nie mehr ein Foulard im Fernsehen.»

«Aber wir haben ja wirklich dieses Vorurteil: Wir assoziieren grün mit Menschen, die in teuren Bioläden einkaufen und nichts lustig finden. Kommt das von nichts?»

«Es ist vielleicht auch ein bisschen eine Generationen­frage. Wenn ich zum Beispiel einkaufen gehe und jemanden kenne, wird immer geschaut, was ich einkaufe. Neulich waren meine Kinder krank. Ich wollte Fencheltee für sie kaufen. Eine Frau schaute mir an der Kasse über die Schulter: ‹Frau Trede, das ist aber kein Biotee.› Immer wieder fragen mich die Leute: ‹Was, du isst Fleisch?› Ich esse wahnsinnig gerne Cervelats. Das Ghüder­fleisch muss ja auch gegessen werden. Die Frage ist bei uns Grünen immer sofort: Könnt ihr überhaupt geniessen?»

«Können Sie geniessen?»

«Ja.»

«Beweisen Sie es, indem Sie uns ein weiteres Bier öffnen.»

«Ich warte schon lange drauf. Sie trinken so langsam.»

Nächstes Bier. Trede sagt: «Wenn ein Mann gerne ein Bier trinkt und einen doofen Spruch macht, dann ist das normal, dann ist er einä vo üs. Wenn es eine Frau macht, eine junge Frau, und dann noch eine Linke, die ja sowieso alle spassbefreit sind, dann ist das irgendwie aussergewöhnlich. Der Satz, den ich am meisten höre im Parlament: Du bist so anders.»

«War das eigentlich sexistisch, Sie darauf anzusprechen, dass Sie lustig seien?»

«Heute ist ja auch immer gleich alles sexistisch. Ich habe aber schon das Gefühl, dass es bei Frauen anders gehandhabt wird. Als ich in den National­rat kam, schrieb der ‹Bund›: ‹Die Ulknudel ist jetzt im Nationalrat.› Das werde ich denen nie verzeihen. Und ich bin gut im Verzeihen. Ständig haben sie dann geschrieben: ‹Trede, auch Ulknudel genannt …› Bring als Frau diesen Stempel mal weg. Es gibt gerade im Bundeshaus einen riesigen Sexismus. Ich wurde ja abgewählt und bin später wieder nachgerutscht. Dazwischen lag die Debatte um den Hashtag Aufschrei. Damals habe ich erzählt, was mir als Frau in der Politik passiert ist und habe Namen genannt. Tschäppät, der mir seine Hand aufs Knie legt. SVP-Nationalrat Res Aebi, der mich mit einer Kuh verglichen hat.»

Als sie nach ihrer Wiederwahl ins Bundes­haus zurückgekehrt sei, hätten gewisse ältere Politiker plötzlich ganz anders mit ihr gesprochen: «Einer fragte mich: ‹Ui, hab ich im Suff auch mal was Blödes zu dir gesagt?› Da hast du gesehen: Viele überlegen sich das gar nie. Sie leben in ihrem Wohlfühl­becken und reden halt sexistisch. Claudio Zanetti begrüsste mich nach meiner Rückkehr in den Nationalrat mit den Worten: ‹He he, wieder zurück im Palast des Sexismus?›»

Es sei wichtig, dass eine Diskussion über Sexismus stattfinde. Teilweise werde die Diskussion aber auch ad absurdum geführt. Die Debatte um den Sommerhit «079» von Lo & Leduc zum Beispiel sei völlig überflüssig gewesen. «Plötzlich waren die Musiker Lo & Leduc im Bett mit den Rechten. Die beiden sind alles andere als rechts», sagt sie. «Gleichzeitig fingen Rechte wie Erich Hess an, Lo & Leduc abzufeiern, weil sie angeblich ein sexistisches Lied gemacht haben. Die Debatte war komplett irre und hat niemandem geholfen.»

Grundsätzlich würden viele Männer beim Thema Feminismus extrem reagieren. Einmal, sagt Aline Trede, habe sie mit den Nationalrats­kandidatinnen Kathrin Bertschy und Lea Kusano ein Wahl­plakat produziert, das sie beim Grillieren zeigte mit dem Titel «Würstchen gehören auf den Grill, starke Frauen in den Nationalrat!». «Uns war es darum gegangen, die Rollen­bilder zu diskutieren», sagt Trede. «Drei Frauen am Grill haben gereicht, dass unzählige Männer komplett abgedreht sind. Unglaublich, wer sich alles als Würstchen angesprochen gefühlt hat.»

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