Kann die Kunst sich das leisten?

Fragwürdige Sponsoren, schmutziges Geld – die Kunstwelt wird vom Big Business vereinnahmt. Jetzt entdecken Künstlerinnen den Widerstand neu. Und beissen die Hand, die sie füttert.

Von Jörg Heiser, 13.07.2019

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Kultursponsoring als PR-Massnahme: Die Pharmazeuten-Familie Sackler verdiente Milliarden am süchtig machenden Oxycontin. Luke Hayes/Serpentine Galleries

Die deutsche Künstlerin Hito Steyerl hielt im April bei der Presse­konferenz zur Eröffnung ihrer Solo-Schau in der Londoner Serpentine Gallery eine knapp zehnminütige Rede. Steyerl ist eine der international bedeutendsten Gegenwarts­künstlerinnen: 2017 wurde sie vom Magazin «ArtReview» zur einflussreichsten Persönlichkeit überhaupt in der Kunstwelt erklärt, ihre essayistischen Video­installationen wurden an allen bedeutenden Kunstevents gezeigt, von der Kasseler Documenta über die Venedig-Biennale bis zum MoMA in New York.

Ebenfalls anwesend waren der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist, künstlerischer Direktor der Serpentine Gallery, und die Kanadierin Yana Peel, damals geschäftsführende Direktorin des Museums. Sie erlebten live, wie Steyerls Statement eine Schockwelle unter den rund 150 Anwesenden auslöste. Denn Steyerl griff einen der Haupt­sponsoren der Kunsthalle, in der sie gerade ihre Ausstellung eröffnete, frontal an: die US-Pharmazeuten-Familie Sackler, nach der eines der beiden Häuser der Serpentine Gallery benannt ist.

Künstlerin Hito Steyerl kritisierte an der Eröffnung ihrer Solo-Schau in der Serpentine Gallery das Engagement der Familie Sackler scharf. Shutterstock

Es gebe da einen «Elefanten im Raum» – ebendiesen Sponsor. Die Sacklers haben Milliarden verdient durch den Verkauf des süchtig machenden Schmerz­mittels Oxycontin. Es gilt als Haupt­ursache für die Opioid-Krise in den USA, der pro Jahr Tausende Süchtige durch eine Überdosis zum Opfer fallen. Steyerl sagte, die Sacklers als Sponsor zu haben wäre so, als sei man mit einem «Serien­mörder verheiratet». Und es dürfe doch kein Problem darstellen, sich von einem Serien­mörder scheiden zu lassen – also kein Geld mehr anzunehmen und die Ausstellungs­räume wieder umzubenennen. Die berühmte New Yorker Fotokünstlerin Nan Goldin, die selbst von Oxycontin abhängig war, würde dem zustimmen: Sie hat die Protest­welle gegen das Kunst­sponsoring der Sacklers in den USA und weltweit ins Rollen gebracht.

Die Enthüllung

Im Nachhinein wirkt Steyerls Rede allerdings nur wie die Ouvertüre zum eigentlichen Stück. Denn am 14. Juni veröffentlichte die britische Tages­zeitung «The Guardian» eine ausführliche Recherche. Darin geht es um Yana Peel. Die ehemalige Goldman-Sachs-Finanz­managerin hatte sich stets als Kunst­patronin, fashion queen und Menschenrechts­engagierte profiliert und bei ihrem Amtsantritt 2016 an der Serpentine gesagt, dass sie die Galerie als einen «sicheren Ort für ungesicherte Ideen» verstehe. Laut «Guardian» ist Peel aber auch massgebliche Anteils­eignerin der israelischen Softwarefirma NSO. Mit deren Cyberkriegs­software Pegasus soll unter anderem der Journalist Jamal Khashoggi ausgespäht worden sein, bevor er im Istanbuler Konsulat Saudi-Arabiens ermordet wurde (NSO bestreitet, dass die Software zu diesem Zweck eingesetzt worden sei, das unabhängige Institut Citizen Lab der Universität Toronto bestätigt dies jedoch nach Untersuchung des Handys eines mit Khashoggi eng befreundeten Dissidenten).

Mit dieser Software kundschafteten zudem die Vereinigten Arabischen Emirate den Regime­kritiker Ahmed Mansoor aus, bevor man ihn mit Repressalien zum Schweigen zu bringen versuchte (2018 wurde er für Äusserungen auf Twitter und Facebook zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt – er sitzt nun in Einzelhaft). Und in Mexiko wurde die NSO-Software – die laut dem Unternehmen nur an Regierungs­organisationen verkauft wird – unter anderem zur Ausspähung Dutzender Journalisten und unabhängiger Ermittler eingesetzt, die das bis heute ungeklärte Verschwinden von 43 Studenten im Jahr 2014 untersuchten.

Ausgerechnet in die dunkle Welt der Cyber­söldnerei hat die Direktorin einer der weltweit renommiertesten Kunsthallen im Februar dieses Jahres also ihr Geld investiert – via die Private-Equity-Firma ihres Ehemanns Stephen Peel. Yana Peel wohlgemerkt war Jury-Mitglied des Freedom of Expression Award, der 2018 an eine Menschrechts­organisation ging, die in Ägypten offenbar von Geheim­diensten mittels Cyberattacken ins Visier genommen wurde.

Der «Guardian» war der Sache wohl nicht aus der Kunst­perspektive auf die Spur gekommen, sondern weil man sich, ähnlich wie zuvor die «New York Times», den Software­hersteller NSO genauer angeschaut hatte. Gleichwohl dauerte es nur ein Wochen­ende, bevor sich – unter Beteiligung von Steyerl und dem Londoner Künstler James Bridle, der ebenfalls schon mit der Serpentine gearbeitet hat – eine breite Koalition von Kunst­schaffenden brieflich an Hans Ulrich Obrist wandte mit der Bitte, die Serpentine Gallery möge bedenken, dass eine solche Geschäfts­führerin die Glaubwürdigkeit der Institution untergräbt.

Private Investitionen in die Firma NSO, die auch Cyberkriegs­software herstellt, wurden der Serpentine-Gallery-Direktorin Yana Peel (hier mit Hans Ulrich Obrist im Juni 2018) zum Verhängnis. Dave Benett/Getty Images

Einen Tag später stand der Rücktritt Yana Peels fest. Diese zeigte sich allerdings alles andere als einsichtig und bezeichnete die Künstler­proteste in einem E-Mail-Statement als «toxische, persönliche Angriffe». Und schickte hinterher: «Wenn sich Kampagnen dieser Art fortsetzen, riskieren die wertvollen Institutionen der Kunstwelt – welche so wichtig für unsere Gesellschaft sind – eine Erosion privater Unterstützung. Dies wird ein grosser Verlust für alle werden.»

Das kann man durchaus als Drohung verstehen.

Protest, Kunst oder Protestkunst?

Die Proteste gegen grosse Kunst­institutionen häufen sich. Weil einer der Beirats­mitglieder des New Yorker Whitney-Museums Hersteller von Tränengas­patronen ist, die beispielsweise an der amerikanisch-mexikanischen Grenze gegen illegale Einwanderer eingesetzt werden, zog sich der Documenta-Künstler Michael Rakowitz mit einer Protest­note von der renommierten Biennale des Hauses zurück. Die Liste liesse sich leicht fortsetzen – und erinnert an einen Traditions­strang der zeitgenössischen Kunst, der besonders eindrücklich repräsentiert wird durch den deutschen Konzept­künstler Hans Haacke.

Der Deutsche hatte 1971 eine grosse Überblicks­schau im New Yorker Guggenheim. Er nutzte die Gelegenheit, um haarklein die Immobilien­geschäfte eines gewissen Harry Shapolsky offenzulegen, eines New Yorker slum landlord, der über ein Netz von Holdings und Immobilien­firmen ein Vermieter­monopol in den armen, überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Teilen der Stadt aufgebaut hatte. Haackes Recherchen und seine Angriffslust führten letztlich dazu, dass der zuständige Kurator gefeuert und die Ausstellung abgesagt wurde. Bis heute wird spekuliert, ob Mitglieder des Museums­vorstands in die dubiosen Geschäfte involviert waren.

Die Performance-Künstlerin Andrea Fraser brachte jüngst ein Buch im Geiste von Haacke heraus: Ganz in der Manier des investigativen Journalismus dokumentiert «2016 in Museums, Money, and Politics» fein säuberlich die Wahlkampf­zahlungen der trustees – also Kuratoriums­mitglieder von Museums­stiftungen – von 125 amerikanischen Museen im Jahr 2016. So legt sie eine untergründige Verbindung zwischen Philanthropie, Plutokratie und Populismus offen.

Wie Haacke steht Fraser für eine Spielart der politischen Konzept­kunst, die unter dem Begriff institutional critique (Institutions­kritik) in die Kunst­geschichte eingegangen ist. Und dort, in der Kunst­geschichte, schien diese streitlustige Form der künstlerischen Intervention auch abgelegt und eingekapselt zu sein, während der real existierende Kunstbetrieb im Fahrwasser globaler Finanz­spekulation zum Spielball der Super­reichen geworden zu sein schien: Erlesene Gemälde und sündhaft teure Skulpturen wandern heute von Gross­galeristen zu Oligarchen wie die zeitgenössische Entsprechung der Fabergé-Eier.

Doch genau in dieser Entwicklung liegt wohl der Grund, warum die Institutions­kritik zurückkehrt: Es ist ja nicht so, dass sich der überwiegende Teil der Künstler, die nicht unmittelbar zum extremen Luxus­segment des Kunstmarkts gehören, einfach in Luft aufgelöst hätte. Vielmehr hat sich über die Jahre des Booms mit Schlagzeilen über Auktions­rekorde und protzige Museums­gründungen durch Privat­sammler reichlich Unmut angestaut. Nicht über die Philanthropie der Vermögenden als solche, sondern darüber, wie im Wind­schatten ebendieser Philanthropie oft betrieben wird, was man mittlerweile artwashing nennt: das Weisswaschen fragwürdiger politischer oder wirtschaftlicher Aktivitäten durch vermeintlich grosszügiges Kunst-Gönnertum.

Dabei geht es nicht nur um einen bestimmten Typus reicher Sammler und deren Geschäfts­gebaren. Es geht auch um Galeristen und Kuratoren, die sich allzu willfährig einreihen. Doch die Beispiele für Initiativen, die Kunst­institutionen für ihre Sammlungs- und Repräsentations­politik kritisieren, häufen sich. Die Kampagne #Achtungweisswurst beispielsweise kritisierte Ende April das Berliner Gallery Weekend dafür, dass die teilnehmenden Privat­galerien ganz in gewohnter Manier zu 75 Prozent die Werke weisser, meist älterer Herren ausstellten. Nicht zuletzt nimmt auch die Debatte um den Umgang mit den grossteils unter Kolonial­verhältnissen erworbenen ethnografischen Sammlungen in Deutschland und Frankreich weiter Fahrt auf.

Kritik an den Kritikern

Man hört sie regelrecht aufstöhnen, diejenigen, die noch im vergangenen Jahrhundert in der Kunstwelt sozialisiert wurden. Sie hatten sich gewöhnt an die Selbst­verständlichkeit bestimmter, meist unausgesprochener Privilegien, denen zufolge die Kunst genialischer Herren aus Düsseldorf und New York nun einmal alle Aufmerksamkeit verdient und jene von Frauen oder generell von Menschen aus anderen Teilen der Welt eben nicht oder nur am Rande. Sind die neuen Institutions­kritiker nicht, wie es der schwerreiche Leipziger Malerstar Neo Rauch in dramatischem Dissidenten­duktus 2018 dem «Handelsblatt» zu Protokoll gab, Wiedergänger jener «Bagage der Blockwarte, der Gesinnungsschnüffler und Politkommissare», die die Ostdeutschen 1989 zum Teufel gejagt hätten?

Eine verblüffende Verdrehung der Verhältnisse: Da kommen ein paar vereinzelte Künstler, Kritiker und Initiativen daher und nutzen ihre knappen oder nichtvorhandenen Ressourcen, um in den sozialen Netzwerken oder auf immer weniger gelesenen Feuilleton­seiten Missverhältnisse und Exklusionen anzuprangern – und werden flugs als Vertreter eines totalitären Macht­anspruchs denunziert. Es ist bestenfalls Geschichts­vergessenheit, eher aber ein Ablenkungs­manöver: Schliesslich sind es Autokraten und Handlanger autoritärer Regime, die rund um den Globus kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen versuchen. Unterdessen zeigen sich erfolgreiche Künstler wie Rauch äusserst empfindlich, wenn jemand es wagt, ihnen an den kunstmarkt­vergoldeten Karren zu fahren. Man könnte glauben, es sei eine Majestäts­beleidigung.

Kritik am Kunstbetrieb mit totalitärem Staats­terror zu vergleichen, ist offensichtlich absurd. Genauso absurd wäre es jedoch, die neuen Formen der Institutions­kritik gleich für sakrosankt zu erklären. Soziale Netzwerke begünstigen bekanntlich nicht nur basis­demokratischen Zugang und Graswurzel­kampagnen, sondern auch eine schmähende, vergiftete Debatten­unkultur. Entsprechend gibt es bei all den berechtigten institutions­kritischen Vorstössen auch Beispiele, bei denen Sündenbock­mechanismen und selbstgerechte Moral­panik die Oberhand gewonnen haben. Wenn Einzel­personen – Kuratoren, Künstler – regelrecht gemobbt beziehungsweise an den digitalen Pranger gestellt werden, während die eigentlich politisch Verantwortlichen weitgehend ungeschoren bleiben, hört der Spass auf.

Im Frühjahr 2017 forderte die britische Künstlerin Hannah Black auf Facebook dazu auf, ein in der Whitney-Biennale ausgestelltes Bild der Malerin Dana Schutz zu zerstören, weil darauf die Leiche Emmett Tills, des 1955 ermordeten Opfers rassistischer Verbrecher, dargestellt war: Gemäss Black wurde das Leiden der Afroamerikaner in Kunstmarkt-Profit für eine weisse Malerin verwandelt. Ein Shitstorm sondergleichen brach los – und überblendete alle möglicherweise berechtigte und differenzierte Kritik an dem Bild und seiner Schöpferin, vor allem aber an der ausstellenden Institution und deren struktureller Begünstigung einer reichen, weissen Elite.

Oder nehmen wir den Fall Chris Dercon und Volksbühne: Wurde anfangs noch halbwegs vernünftig darüber gesprochen, wie die Personalie auch eine womöglich falsche Richtungs­entscheidung durch den Berliner Senat darstellte, ging es irgendwann nur noch gegen die Person Dercon, dem man Scheiss­haufen vor die Tür legte und der in der U-Bahn angeschrien wurde. Solches Mob- und Hetzverhalten hintertreibt berechtigte Kritik. Zum Ziel werden Einzel­personen und ihr angebliches oder tatsächliches Fehl­verhalten. Es geht darum, diese zu beschämen und sich selbst dadurch eine kurze, digital-kognitive Genugtuung zu verschaffen; nicht mehr darum, was strukturelle Missstände für die Institutionen tatsächlich bedeuten.

Personen oder Strukturen im Visier?

Hatte Yana Peel also doch recht, als sie sich beklagte, man habe sie auf toxische Weise persönlich attackiert? Höchstens dann, wenn man darüber hinwegsieht, wie sie in ihrer Funktion als geschäfts­führende Direktorin der Serpentine Gallery selber die ganze Zeit im hohen Ton moralischer Ergriffenheit agierte – und nicht wissen wollte, wo das Geld hingeht, das sie investiert.

Sie spiegelt damit im Übrigen das Verhalten des Unternehmens, in das sie sich einkaufte: Die Softwarefirma NSO behauptet zwar ständig, die Menschen­rechts­verletzungen der Regierung eines Landes in Betracht zu ziehen, bevor es die Software zum Verkauf freigibt. Zugleich aber blockt die Firma alle Fragen zur Zusammen­arbeit mit Saudi-Arabien ab – einem Land, in dem die Menschen­rechte besonders eklatant missachtet werden. Der Skandal um Yana Peel ergibt sich also nicht aus übler Nachrede – sondern schlicht aus dem schreienden Widerspruch zwischen ihrer Selbst­darstellung in der Kunstwelt und ihrem tatsächlichen Verhalten als Investorin. Das erklärt wohl auch, warum ihr der Rücktritt so schnell nahegelegt wurde. Die Serpentine und ihr künstlerischer Direktor Hans Ulrich Obrist hatten aufgrund der eindeutigen Faktenlage gar keine andere Wahl.

Andrea Frasers erwähnte Publikation, die so dick ist wie ein Telefonbuch und Seite um Seite lange Listen mit Namen und Zahlen enthält, ist im Grunde auch ein Manifest gegen das Spiel der entkoppelten Personalisierung: Es zeigt die Verbindung zwischen den individuellen Akteuren und den zugrunde liegenden Strukturen auf. Fraser benutzt die Ästhetik des Administrativen (wie es der Kunst­kritiker Benjamin Buchloh einmal vielsagend nannte), nicht um eine vage Assoziation von Macht und Gesellschaft aufzurufen, sondern um Ross und Reiter zu benennen. Wer in welchem Museumsrat sitzt und welche Partei wie stark unterstützt hat (alles legal zu ermittelnde Daten übrigens), wird nachschlagbar. Es entsteht ein Bild der Herrschaft der Super­reichen und ihrer massiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Zugleich wird deutlich, dass letztlich Demokraten und Republikaner gleichermassen die demokratischen Strukturen unterhöhlt haben und deshalb Mitschuld tragen am Aufstieg von Donald Trump. In dessen Figur vereint sich beides wie in einer Kern­schmelze: Plutokratie und Populismus.

Und dann ist da das Nachwort zu Frasers Buch. Geschrieben hat es Jamie Stevens, ehemaliger Kurator des Wattis Institute, einer renommierten Kunsthalle, die zum California College of the Arts in San Francisco gehört. Er hatte Fraser bereits 2014/15 mit einem Werk beauftragt. Die Künstlerin lehnte ursprünglich ab; unter dem Eindruck des Wahljahrs 2016 und Trumps Triumph änderte sie jedoch ihre Pläne. Nun schreibt also Stevens – und er wiederholt es mehrfach –, wie hoch es allen beteiligten Institutionen anzurechnen sei, dass sie das Risiko dieser Publikation eingegangen seien. Zu diesen Institutionen zählen: der Verlag MIT-Press, dem die «möglichen Konsequenzen» des Buches wohl am wenigsten schaden würden, da sein langjähriges akademisches Standing ihn schütze; die Mitherausgeber Thea Westreich und Ethan Wagner, denen es als ehemals sehr erfolgreichen Kunst­händlern gelinge, sich aufgrund ihres Ruhestandes «gewissen diplomatischen Verpflichtungen» zu entziehen; und nicht zuletzt das Wattis Institute selbst, das wohl am ungeschütztesten sei gegenüber dem «potenziellen Backlash», der sich aus dem Buch ergebe.

Man stutzt. Unumwunden offenbart der Kurator, dass das blosse Recherchieren, Auflisten und Publik­machen von – prinzipiell allgemein zugänglichen – Fakten geeignet sei, angesehene Institutionen in Bedrängnis zu bringen. Denn die kunstliebenden Gönnerinnen und Gönner könnten, offen oder versteckt, mit Liebes-, also Geldentzug antworten.

Die Angst vor Geldverlust

Beiss nicht die Hand, die dich füttert! Aus jeder Zeile spricht hier die Angst. Und wenn man an Yana Peels dunkle Drohung zu ihrem Abgang denkt, ist diese Angst wohl alles andere als unbegründet. Hans Haacke jedenfalls kann ein Lied davon singen: 1970 fragte er in einer Ausstellung im MoMA die Besucherinnen und Besucher mit einer Tafel, ob sie erwägen würden, Gouverneur Nelson Rockefeller – zugleich Vorstands­mitglied und Gönner des Museums – die Wiederwahl zu verweigern, weil er Nixons Vietnam­politik mitträgt. Ein Jahr später kam dann seine erwähnte Ausstellung im Guggenheim. Danach musste Haacke sich erst einmal auf europäische Galerien verlegen; im MoMA jedenfalls tauchte er erst 14 Jahre später wieder in einer Gruppen­ausstellung auf.

Ob Nan Goldin mit Repressalien zu rechnen hat? Die Künstlerin hat vieles überstanden, inklusive ihre eigene Oxycontin­abhängigkeit. Man stellt sich Goldin nicht als ängstlich vor – sie erlebte bereits die 1980er mit den sogenannten culture wars der Reagan-Ära, eine Zeit, in der viele mit ihr befreundete Künstler an Aids starben und vielen anderen die staatlichen Kultur­subventionen gestrichen wurden. Die Gruppe Act Up organisierte damals mit Witz und Mut Protest­aktionen, von Postern mit gleich­geschlechtlich Küssenden bis hin zu Die-ins – sich totstellend am Boden liegen als Protestform – in der New Yorker St.-Patricks-Kathedrale.

Künstlerin Nan Goldin (Mitte) bei einer Die-in-Aktion gegen Sponsoring durch die Familie Sackler im Guggenheim-Museum in New York. Elizabeth Bick

Nach dem Vorbild von Act Up hat Goldin vergangenes Jahr gegen die Sackler-Familie und den Oxycontin­missbrauch die Organisation PAIN (Prescription Addiction Intervention Now) formiert, nur dass man heute zusätzlich die digitalen Mittel für Protest nutzen kann. Auf die Anfrage, ob es Versuche gegeben habe, sie einzuschüchtern beziehungsweise ihr mit Konsequenzen zu drohen, antwortet Goldin nicht direkt. In ihrer E-Mail erwähnt sie aber, dass ein Zweig der Sackler-Familie mittels einer PR-Firma darauf insistiert habe, nicht im Zusammenhang mit den Protesten genannt zu werden, da man mit den Oxycontin­geschäften nichts zu tun habe. Laut Goldin stimmt das aber nicht: Es gebe sehr wohl Hinweise, dass dieser Familien­zweig «von den Oxycontin­verkäufen profitiert hat». Und dann schreibt sie noch: «Wir können relativ sicher sein, wie dies auch unsere Anwälte sind, dass die Sacklers unsere Online­aktivitäten überwachen lassen. Den Beweis dafür müssen wir noch finden.»

Hito Steyerl erwähnt bei einem telefonischen Gespräch beiläufig, sie benutze nun wieder ein altmodisches Nokia-Handy ohne Smartphone-Funktionen. Wer sich mit der Anteils­eignerin einer Firma anlegt, die für Geheimdienste weltweit Überwachungs­software liefert, tut wahrscheinlich gut daran. «Ich vermute, dass wir in naher Zukunft Mittel sehen werden, etwa durch Preis­manipulationen, Leute abzustrafen.» Aber Steyerl beharrt zugleich darauf, dass es nicht darum gehen könne, nur zu schauen, wie sich Individuen verhalten. Sondern darum, Strukturen zu ändern. Ob sie denn dabei an ein übergreifendes Gremium der Kunst­institutionen denke, das – ähnlich wie beispielsweise der Presserat, der Beschwerden verhandelt und Rügen erteilt, wenn gegen ethische Grundsätze des Journalismus verstossen wurde – bei fragwürdigem Umgang mit Geldern oder auch Sammlungs­politiken in Aktion treten könnte? «Ja! Warum gibt es keine verbindlichen Regeln, keine Ethik­komitees, die verhindern, dass beispielsweise auf Gebäuden die Namen von Privat­spendern stehen, obwohl diese dennoch zum grösseren Teil aus Steuer­geldern finanziert wurden?»

Artwashing – ein Ausblick

Spätestens an dieser Stelle mag sich die mitteleuropäische Leserschaft denken: Ach, wie schön ist doch, dass die angloamerikanische Welt weit weg ist. Das betrifft uns doch kaum. Ob in der Schweiz, Deutschland oder auch Österreich: Kunst­institutionen sind überwiegend aus öffentlichen Geldern finanziert, und damit hat es sich. Da ist etwas dran. Aber es gibt Gegenbeispiele und eine Entwicklung, die Privat­sponsoren auch in hiesigen Gefilden zu immer grösserer Macht darüber verhilft, welche Kunst wie gezeigt wird. Der Franzose François Pinault ist protzig präsent in Venedig mit seiner Privat­sammlung. Und die Schweizer Mäzenin Maja Hoffmann, die neben ihrer Unterstützung der Serpentine Gallery auch Vorstands­mitglied sowie Gönnerin der Kunsthalle Zürich ist und im französischen Arles die LUMA Foundation betreibt, übt zweifellos einen grossen Einfluss aus. Das Engagement dieser Sponsoren ist grundsätzlich sehr zu begrüssen. Aber man muss sich auch fragen, ob die Strukturen, die dadurch favorisiert werden, nicht sehr anfällig sind – da sie die öffentliche Hand immer mehr aus der Verantwortung für Museen und Kunsthallen nehmen.

Man denke etwa an den «Fall Flick» zurück. Friedrich Christian Flicks Kunst­sammlung wurde Anfang der 2000er von Zürich dankend abgelehnt und wurde in der Folge Teil der Berliner National­galerie im Hamburger Bahnhof – unter erbittertem Protest zahlreicher Kunst- und Kulturleute. Flick hatte sich damals geweigert, in einen Entschädigungs­fond für ehemalige Zwangs­arbeiter während der Nazi-Zeit einzuzahlen, auf deren Ausbeutung auch Teile seines Vermögens aufbaute. Zur Debatte stand der ethische Umgang mit der eigenen Vergangenheit, zu dem doch auch gehören würde, dass man sich nicht auf die Rolle des grosszügigen Kunstmäzens zurückzieht und sich aus seiner Verantwortung herauswindet.

Artwashing ist also kein neues Phänomen. Doch in der Zeit zwischen Mitte der 2000er und Mitte der 2010er schien der Institutions­kritik der Dampf auszugehen. War sie nicht selbst zu einer Art institutionellem Feigenblatt geworden, zu einer Art bestellter Kritik, mit der sich die Institutionen als selbstkritisch und reflektiert präsentieren konnten, während sie im Hintergrund weiter fuhrwerkten wie bisher?

Diese Zeiten scheinen heute jedenfalls wieder vorbei. Die Empfindlichkeiten sind grösser, die – immer schon zähneknirschende – Toleranz gegenüber dirty money ist eindeutig gesunken. Drei Gründe potenzieren sich zu diesem Effekt hin. Erstens der angestaute Verdruss über eine Kunstwelt, die seit über einem Jahrzehnt von Oligarchen­sammlern und Gross­galeristen bis in die öffentlichen Museen hinein dominiert wird. Zweitens ein erstarktes politisches Bewusstsein angesichts der Gefährdungen zivilgesellschaftlicher Errungenschaften durch den weltweiten Rechtsruck. Drittens die Möglichkeit, mittels sozialer Netzwerke zu mobilisieren und Öffentlichkeit zu erzeugen. Die Zeiten sind zu brutal und Informationen zirkulieren zu gut, als dass Feigenblätter funktionieren würden. Jedenfalls ist das zu hoffen.

Zum Autor

Jörg Heiser ist Direktor des Instituts für Kunst im Kontext der Universität der Künste in Berlin. Er war knapp zwanzig Jahre Redaktor der britischen Kunstzeitschrift «Frieze».

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