Die Schweiz bastelt an einem Bumerang

Der Wirtschaftsminister, die Wirtschaft und das Parlament streben ein Freihandels­abkommen mit den USA an. Warum das ins Auge gehen könnte.

Eine Analyse von Joseph de Weck, 10.07.2019

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Der Agrarbereich als möglicher Konfliktherd mit den USA: Wirtschaftsminister Guy Parmelin besucht einen landwirtschaftlichen Betrieb in Puidoux VD (Juni 2019). Andrew Harnik/AP/Keystone

Seit je herrscht in Bundesbern die Meinung vor, Wirtschafts­minister sollten einfach still sitzen, ab und zu die Sozial­partner zum runden Tisch einladen und sonst den Markt spielen lassen. Das Wesentliche regle sich von allein.

Darum ist der Wirtschafts­minister in erster Linie Handels­minister. Hier zahlt sich Aktivismus aus. Es gibt spannende Reisen zu wichtigen Gesprächs­partnern, Fotos für die Medien, mitunter handfeste Ergebnisse.

So reist Guy Parmelin in die Welt und vor allem nach Washington.

Sein Ziel: ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, dem zweitwichtigsten Handels­partner der Schweiz. Der SVP-Bundesrat möchte dem Volk aufzeigen: Die Schweiz hat handels­politische Alternativen zur Europäischen Union. 2020 wird über die Begrenzungs­initiative der Schweizerischen Volkspartei abgestimmt. Sie fordert die Kündigung der Personen­freizügigkeit, also das Ende der bilateralen Handels­abkommen mit der EU.

Auch das Parlament und die Wirtschaft wollen ein Freihandels­abkommen mit Washington. 2006 scheiterte ein erster Versuch, doch die Strategie lautet unverändert: Die Schweiz soll ihre Handels­ströme geografisch diversifizieren und Länder mit starkem Wachstum besser erschliessen. Dazu zählen primär die Schwellen­länder, aber auch die USA, wo Präsident Donald Trump die Konjunktur mit tieferen Steuern und hohen Defiziten anheizt.

Schlafende Hunde

Manchmal ist weniger jedoch mehr. Donald Trump ist in zwei Punkten äusserst konsequent: in seiner Handels- und Chinapolitik.

Schon in den 1980er-Jahren beklagte er das Handels­defizit der USA. Dieses habe die Verarmung der Mittel­schicht verursacht; sie sei das Opfer unfairer Diskriminierungen durch die Länder, mit denen die USA Handel treibt.

China ist die andere Konstante. Trump ist einer, der «gewinnen» will und «Schwäche» verabscheut. Für ihn ist es evident, dass die USA jederzeit das stärkste Land der Welt sein müssen. China ist der neue Herausforderer, da muss man dagegenhalten.

Viele Demokraten sehen das ähnlich. Die Rüstungs­industrie ohnehin, da sie nach dem Untergang der Terrormiliz Islamischer Staat einen neuen, für das Geschäft nützlichen Feind braucht. Und weite Teile der amerikanischen Wirtschaft unterstützen immer deutlicher Trumps Vorgehen gegen China.

Die Schweiz ist kleiner, kein politischer Machtfaktor, aber in wirtschaftlicher Hinsicht nervt sie den US-Präsidenten genauso. Dies aus zwei Gründen:

1. Der Schweizer Handelsüberschuss
Die Vereinigten Staaten sind die zweitgrösste Exportdestination für Güter made in Switzerland. Vor allem Uhren, Pharma­produkte, Maschinen und Elektronik verschifft die Schweiz über den Atlantik. In die Gegenrichtung fliesst nicht viel. Das Handels­defizit der USA gegenüber der Schweiz beträgt gut 19 Milliarden Franken jährlich. Pro Kopf ist die Eidgenossenschaft damit der fast vier Mal schlimmere «Sünder» als Deutschland.

Der unermüdliche Twitterer Trump stellt die Bundes­republik oft an den Pranger, ihn ärgert das Handels­defizit von fast 50 Milliarden Euro gegenüber den Deutschen. Der Präsident droht mit Zöllen auf die Einfuhr von Autos, sollte die EU ihre Märkte nicht weiter öffnen. Brüssel und Berlin werden zwar nicht müde klarzustellen, dass die Handels­bilanz relativ ausgeglichen ist, wenn man den Handel mit Dienst­leistungen einbezieht. Aber Trump interessiert sich nur für die Industrie­jobs in seinen Wähler-Stamm­landen des Mittleren Westens und des nordamerikanischen «Rostgürtels».

2. Die China-Nähe der Schweiz
Die Schweiz biedert sich dem immer autoritärer werdenden China an. Sie ist der erste kontinental­europäische Staat, der einen modernen Frei­handels­vertrag mit Peking geschlossen hat. Auch macht der Bundesrat keine Anstalten, den Verkauf von Schweizer Unternehmen und Zukunfts­technologien an chinesische Staats­konzerne zu unterbinden.

Der sonst auf den Schutz der Privat­sphäre samt Inländer-Bank­geheimnis bedachten Schweizer Politik macht es ebenso wenig Sorgen, dass mit Sunrise ein grosser Telekom-Anbieter seine Infrastruktur von morgen (5G) in die Hände des staatsnahen chinesischen Unternehmens Huawei legt. Doch die Trump-Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Konzern kleinzumachen.

Zuletzt signalisierte die Schweiz sogar unverblümt, sich der «Belt and Road»-Initiative anzunähern – die «neue Seidenstrasse» ist das Prestige­vorhaben des chinesischen Staats­präsidenten Xi Jinping. Ein zweifelhaftes Unterfangen: China will dank undurchsichtigen Investitionen in Verkehrs­infrastrukturen auf dem eurasischen Kontinent dem chinesischen Staats­kapitalismus das Tor zu Europa öffnen.

Man müsste also annehmen, dass sich Bern zurückhält und hofft, in Washington werde die «kleine» Schweiz erst gar nicht auf dem Radar von Trump und seines Handels­beauftragten Robert Lighthizer erscheinen.

Problematische Klauseln

Im Trio mit Bundes­präsident Ueli Maurer und auch Aussen­minister Ignazio Cassis macht Parmelin jedoch genau das Gegenteil. Er spricht bei Lighthizer in Washington vor, es geht um die Aufnahme von Gesprächen über einen Freihandelsvertrag.

Welch einen strategischen Fehler Bern gerade begeht, wird noch deutlicher, wenn man einen Blick auf die offiziell veröffentlichten Ziele der USA in den laufenden Verhandlungen mit der Europäischen Union, Grossbritannien und Japan wirft. Sie unterscheiden sich kaum voneinander.

Der erste Abschnitt der Verhandlungs­mandate stellt jeweils unverblümt klar, worum es bei den Verhandlungen vorrangig gehen muss: um die Verringerung des Handels­defizits. Die USA wollen ihre Exporte steigern.

Im Auge hat Trump vor allem die Land­wirtschaft. Darum drängen er und der Kongress darauf, die Agrar­zölle zu senken. Darüber hinaus wollen die USA die technischen Handels­barrieren beseitigen, also etwa die nationalen Auflagen zur Tierhaltung oder Pestizid­nutzung. Kurzum, Washington will hormon­behandeltes Rindfleisch und genmanipulierten Mais exportieren.

Selbst gegenüber den Brexit-Briten, zu denen die USA angeblich eine «special relationship» pflegen und die nun ebenfalls ein Handels­abkommen anstreben, macht Trump in den Verhandlungen keine Zugeständnisse. Im Falle der Schweiz dürften die US-Handels­diplomaten erst recht Druck machen: Die hiesigen Zölle auf die Einfuhr von landwirtschaftlichen Gütern betragen durchschnittlich 36,1 Prozent – in der EU sind es bloss 10,7 Prozent.

Umgekehrt sind die Schweizer Bauern geschäfts­tüchtige Exporteure: Seit der Jahrtausend­wende haben ihre Verkäufe in die USA stark zugenommen. Im Agrar­bereich hat die Schweiz einen Überschuss von 500 Millionen Dollar.

In Trumps neuen Handels­verträgen findet sich zudem die berüchtigte Anti-China-Klausel. Im neuen nord­amerikanischen Freihandels­abkommen setzten die USA etwa durch, dass sie faktisch ihr Veto einlegen dürfen, wenn Kanada und Mexiko Wirtschafts­abkommen mit China anstreben: Ottawa und Mexico City müssen die Vertrags­texte, die sie mit Peking aushandeln, dreissig Tage vor der Unterzeichnung Washington vorlegen. Sind die USA nicht einverstanden, darf der US-Präsident das Freihandels­abkommen mit Kanada bzw. Mexiko innerhalb von sechs Monaten kündigen.

Trump stellt seine Handels­partner damit vor die ultimative Entscheidung: China oder die USA. Auch in den Zielen für die Verhandlungen mit der EU und Grossbritannien wird eine solche Klausel gefordert. In einem formellen Verhandlungs­mandat für der Schweiz dürfte dies kaum anders sein.

Eine weitere Standard­forderung Trumps betrifft die Nahost­politik. Die Schweiz und die EU verweigern die Einfuhr von Gütern, die aus illegalen Siedlungen Israels in Palästina stammen. Aus europäischer Perspektive ist klar: Eine völker­rechtliche Anerkennung dieser Siedlungen kann erst erfolgen, wenn es zu einer einvernehmlichen Lösung kommt. Doch Trump fordert, dass die EU und das Vereinigte Königreich diese Import­sperren aufheben und damit die Zweistaaten­lösung untergraben.

Abgerundet werden diese abschreckenden Mandate mit einer Wechsel­kurs­klausel: Es sei sicherzustellen, dass die Handel­spartner ihre Währung nicht künstlich zulasten der USA schwächen.

Auch das ist ungemütlich: Seit Jahren wirft das US-Finanz­ministerium der Schweiz nicht ganz unberechtigt vor, den Kurs des Schweizer Frankens zu drücken, um die Export­wirtschaft zu stützen. Das bilaterale Handels­defizit hat sich in der Tat erst nach Einführung des Euro-Franken-Mindest­kurses durch die Schweizerische National­bank im Jahr 2011 aufgetan.

Verlorene Mühen

Vor diesem Hintergrund ist die Offensive in Washington im besten Fall eine Vergeudung von Steuer­geldern. Denn die Eidgenossenschaft wird einem solchen Vertrag nie zustimmen: nicht die Bauern, nicht die gesundheits- und umwelt­bewussten Kräfte, nicht die National­bank – und am wenigsten die Super­patrioten, die immerfort der Unabhängigkeit das Wort reden.

Präsidenten unter sich, fast auf Augenhöhe: Donald Trump und Ueli Maurer am 16. Mai 2019 im Weissen Haus. Jean-Christophe Bott/Keystone

Im schlechtesten Fall schadet sie jedoch der Schweiz. Denn die Schweiz wird Trump nur enttäuschen können. In solchen Fällen kennt dieser nur eine Methode: Sanktionen. China, Japan, Türkei, die EU – allen drohte er mit Zöllen und führte diese auch ein. Mit welchem Hebel werden die USA auf die Schweiz einwirken? Und wie liesse sich dann eine Eskalation entschärfen? Durch die Bestellung von US-Kampfjets?

Selbst wenn die Schweiz mit Trump einen Handels­vertrag schliessen könnte: Vor seiner Willkür ist niemand sicher. Im November 2018 unterschrieb er mit Mexiko ein Freihandel­sabkommen. Das hielt ihn nicht davon ab, mit neuen Zöllen zu drohen, um Zugeständnisse in der Migrations­politik zu erwirken. Wer einmal einknickt, wird es ein zweites Mal tun, hat sich Trump gedacht.

Falsche Freunde

Teile der Landesführung, des Parlaments wie auch der Wirtschaft wollen einen Freihandels­vertrag mit einem Land abschliessen, dessen Präsident sich keinen Deut um Abmachungen schert und dessen Verhandlungs­strategie auf Erpressung beruht. Das ist wahnwitzig.

Zumindest das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) müsste jedoch wissen, dass die trans­atlantischen Ambitionen ihres Bundesrats grob fahrlässig bis gefährlich sind. Oder dringt das Seco bei Parmelin nicht durch, da dieser in erster Linie seiner Partei einen Erfolg bei der kommenden Abstimmung über die Kündigung der bilateralen Verträge ermöglichen will? Offenbar stellt das General­sekretariat seines Departements – wider die Einschätzung des Seco – zurzeit sogar offen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU infrage.

Veröffentlichen die US-Handels­diplomaten aber erst einmal die offiziellen Ziele für die Verhandlungen mit der Schweiz, dürfte eine solche Strategie wie ein Bumerang auf Parmelins SVP zurückfallen.

Wofür würden sich die Schweizerinnen und Schweizer eher entscheiden: für einen Vasallen­vertrag mit den unberechenbar gewordenen USA oder für ein ausgefeiltes Rahmen­abkommen mit den Schwester­demokratien in Europa?

Sicher: Auch die EU setzt auf Macht­politik wie jetzt mit dem Auslaufen der Börsen­äquivalenz. Doch Brüssel wäre eben bereit, dieser Macht­politik Grenzen zu setzen und die Beilegung möglicher Konflikte einem unabhängigen Schieds­gericht in die Hände zu legen. Im Gegensatz zu den USA ist es der EU bisher auch nicht in den Sinn gekommen, ein Vetorecht bei Abkommen der Schweiz mit Dritt­staaten zu fordern, geschweige denn die National­bank in ein vertragliches Korsett zu schnüren.

Ob Bundesbern, Wirtschafts­vertreter und insbesondere die SVP bald ganz anders über Guy Parmelin und seinen offensiven Umgang mit dem USA-Dossier denken?

Zum Autor

Joseph de Weck ist Politologe in Paris. Zuvor hat er für «Bloomberg News» in Deutschland und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern gearbeitet. Joseph de Weck schrieb in der Republik zuletzt über ein ganz neues Spiel in Europa.

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