Briefing aus Bern

Pestizide, Psychologen – und auch die Pilatuswerke haben ein Problem

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (63).

Von Urs Bruderer und Dennis Bühler, 27.06.2019

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Sechs Stunden lang dauerte Petra Gössis Sieg. Sechs Stunden lang liess sie mit keiner Regung auch nur eine Spur von Genugtuung oder Zufriedenheit aufblitzen.

Es war ein kalter, regnerischer Samstag in Zürich-Altstetten. Mit misstrauischem Blick schaute die FDP-Präsidentin vom Podium auf die Delegierten ihrer Partei, wie sie sich Absatz um Absatz durch das neue Umwelt- und Klima­programm arbeiteten und es mit jeder Abstimmung grüner machten.

Es fing gut an und wurde immer besser. Schon nach wenigen Minuten stimmten die Delegierten der Wirtschafts­partei für ein Netto-null-CO2-Ziel ab dem Jahr 2050 – also für die Gletscherinitiative. Sie sprachen sich für Lenkungs­abgaben aus, auch auf Benzin, und sogar für eine Flugticketabgabe.

Petra Gössi hat ein wichtiges politisches Manöver gewagt und erfolgreich abgeschlossen. Nur wenige glaubten, dass diese Wende gelingen könnte. Auch die Republik hielt Gössis Vorgehen für unglaub­würdig. Zu Unrecht.

Vor wenigen Monaten versenkte die FDP im Bundes­haus noch griffige Massnahmen zur Eindämmung der Klimakrise. Jetzt sind auch die Blauen eine grüne Partei – jedenfalls programmatisch.

Das verändert die politische Landschaft der Schweiz. Denn endlich wagt es die FDP wieder einmal, in einem wichtigen Dossier eine Grenze zu ziehen zwischen sich und der SVP. Es ist eine Grenze der Vernunft.

Vor allem aber verändert es die FDP. Das geht nicht ohne Nebengeräusche: Der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen zieht sich als Vizepräsident zurück. Fraktions­mitglieder vom rechten Rand der Partei murren ein wenig. Und bei den irrlichternden Jungfreisinnigen überlegen sich jetzt wohl manche, ob sie nicht doch eher in die SVP gehören.

Die FDP ist jetzt eine getriebene Partei. In jedem konkreten Fall wird man ihre Taten nun an den Worten ihres Umwelt­papiers messen. Darum wohl der misstrauische Blick der Parteipräsidentin.

Aber die FDP ist die Getriebene ihrer eigenen Basis. Die will nicht nur, die weiss auch, was sie will. Etwas Besseres kann einer Partei eigentlich nicht passieren.

Und damit zum Briefing aus Bern – und zu einem der letzten Geschäfte vor dieser Delegierten­versammlung, bei dem es sich die FDP-Nationalräte noch einmal erlaubten, auf die Meinung der Partei­basis zu pfeifen.

Anti-Pestizid-Initiativen fallen im Nationalrat durch

Worum es geht: Im Verbund mit der SVP und einer Mehrheit der CVP hat die FDP-Nationalrats­fraktion vergangene Woche die beiden Anti-Pestizid-Volksinitiativen zur Ablehnung empfohlen, die voraussichtlich 2020 an die Urne kommen werden. Die Trinkwasserinitiative will nur noch jenen Bauern Direkt­zahlungen gewähren, die auf Pestizide und prophylaktischen Antibiotika­einsatz verzichten; die radikalere Pestizidverbotsinitiative postuliert ein vollständiges Verbot synthetischer Pestizide und ein Import­verbot für Waren, die mithilfe solcher Pestizide produziert wurden. Chancenlos blieb im Nationalrat auch der Versuch von Grünen, SP und GLP, Gegen­vorschläge zu den beiden Initiativen zu lancieren – und das, obwohl sich im Frühling bei Petra Gössis Umfrage zwei Drittel der FDP-Basis für ein Verbot von Pestiziden in der Lebensmittel­produktion ausgesprochen hatten.

Was Sie wissen müssen: Die Pestizid­frage spaltet nicht nur den Freisinn und den Nationalrat, sondern auch die Land­wirtschaft. Eindrücklich zeigt dies eine Reportage der «NZZ am Sonntag», die zu einem konventionellen Apfelbauer nach Egnach und auf einen Biobauernhof nach Dättlikon führt, aber auch einen Berater des Agrar­giganten Syngenta vorstellt, der seine Kunden mit Braten, Spätzli und Popcorn zum Kauf von Pestiziden anstiftet und sagt: «Wir schützen die Pflanzen, wir sorgen dafür, dass sie gesund sind.» Zur Glaubens­frage wird der Einsatz der Pestizide nicht zuletzt, weil deren Wirkungen nach wie vor nicht restlos geklärt sind. Fest steht: 80 Prozent unseres Trinkwassers sind Grundwasser, und darin findet sich oft ein Cocktail an Pestiziden, deren Wirkung im Einzelnen, nicht aber in Kombination bekannt ist. Die Schweiz kennt bis anhin keine strikten Regeln. So sind im EU-Raum viele hierzulande zugelassene Wirkstoffe verboten.

Wie es weitergeht: Glaubt man den im Schweizer Bauern­verband organisierten konventionellen Landwirten, führt eine Annahme der Initiativen zu massiven Ertrags­ausfällen. Zudem seien sie unnötig, denn es gebe ja den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes. Nur: Dieser ist rechtlich nicht bindend und daher kaum mehr als eine blosse Aneinander­reihung von Absichts­erklärungen. Rund 800’000 Franken hat der Bauernverband für den Kampf gegen die beiden Initiativen zurückgestellt. Ob das reichen wird? Im Sommer 2018 ergab eine breit angelegte Umfrage des «Tages-Anzeigers» eine Unterstützung von rund 70 Prozent für die beiden Initiativen. Die Anliegen waren nicht nur bei Wählerinnen von Rot-Grün populär, sondern auch bei Anhängern der bürgerlichen Parteien. Zunächst entscheidet im September nun der Ständerat, ob auch er auf Gegen­vorschläge verzichten will.

Einfacherer Zugang zu Psychotherapien

Worum es geht: Der Bundesrat schlägt vor, dass psychisch kranke Menschen sich neu direkt an Psychologinnen und Psychologen wenden und sich auf Kosten der Kranken­kasse von ihnen behandeln lassen dürfen. Bis jetzt bezahlt die Kranken­kasse eine psychologische Therapie nur, wenn sie unter ärztlicher Aufsicht und in der Praxis eines Arztes stattfindet. Der Bundesrat geht davon aus, dass mit der Neuerung mehr bedürftige Menschen Zugang zu einer Therapie bekommen, insbesondere auch Kinder und Jugendliche. Natürlich kostet das etwas. Kurzfristig geht es um 100 Millionen Franken jährlich, die neu von den Kranken­kassen übernommen würden, schätzt der Bundesrat, längerfristig um noch mehr.

Warum das wichtig ist: Psychische Krankheiten sind weit verbreitet und belasten die Betroffenen und ihre Angehörigen schwer. Wie schwer, können Sie im ersten Teil unserer in dieser Woche erschienenen Serie «Die einsame Volkskrankheit» nachlesen. Im zweiten Teil steht, warum wir die steigenden Kosten für die Behandlungen nicht scheuen sollten. Die kurze Antwort: Weil die volkswirtschaftlichen Schäden unbehandelter psychischer Leiden noch viel grösser sind.

Wie es weitergeht: Der Vorschlag des Bundes­rates geht jetzt in die Vernehmlassung. Die läuft bis Ende Oktober. Der Bundesrat wird die Reaktionen auf seinen Vorschlag bündeln und dann entscheiden, ob und unter welchen Auflagen Psychologinnen und Psychologen in der eigenen Praxis Behandlungen auf Kosten der Krankenkasse anbieten dürfen.

Bund verbietet Pilatus-Tätigkeiten in Saudiarabien

Worum es geht: Die Pilatus-Flugzeug­werke aus Stans im Kanton Nidwalden dürfen die Streitkräfte Saudi­arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate nicht länger logistisch unterstützen. Innert 90 Tagen müssen sie sich aus den beiden Ländern zurückziehen, die seit März 2015 im Jemen einen Luftkrieg führen, der bis jetzt mehr als 90’000 Menschen das Leben gekostet hat. Dies hat die Politische Direktion des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) entschieden. Die Pilatus-Tätigkeiten seien nicht mit den aussen­politischen Zielen des Bundes vereinbar. Konkret heisst das: Die Spezialisten des Bundes sehen in ihnen eine Verletzung der Neutralität. Ein Pilatus-Sprecher sagt zu den Vorwürfen bloss, man wolle zunächst «die Tragweite der Verfügung des EDA analysieren».

Was Sie wissen müssen: Nachdem Pilatus im Jahr 2012 55 Trainings­flugzeuge nach Riad geliefert hatte, unterzeichneten die Flugzeug­werke und die Royal Saudi Air Force Anfang 2017 einen über fünf Jahre laufenden Kooperationsvertrag. Darin geht es unter anderem um technischen Support, um Ersatzteil­management sowie die Problem­behebung am Flugzeugtyp PC-21 und an Simulatoren. Publik wurde der Vertrag im Oktober 2018 dank einer Recherche des «Tages-Anzeigers». Pilatus habe alles richtig gemacht, behauptete Firmenchef Oskar Schwenk damals. Nun ist klar: Schwenk irrte. Seine Werke verstiessen mit den Verträgen mit Saudi­arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gegen das Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen («Söldnergesetz»). Das Gesetz, das 2015 in Kraft trat, ist die Schweizer Antwort auf die seit Beginn des Irakkriegs 2003 stark gestiegene globale Nachfrage nach privaten Militär- und Sicherheitsdienstleistungen.

Wie es weitergeht: Die Politische Direktion des EDA hat nicht nur ein Verbot für weitere Tätigkeiten ausgesprochen, sondern auch eine Anzeige bei der Bundes­anwaltschaft eingereicht. Dies, weil Anhalts­punkte vorlägen, wonach Pilatus ihren gesetzlichen Meldepflichten nicht nachgekommen sei. Offenbar erhielt das Aussendepartement von den Stanser Flugzeugbauern erst am Tag, an dem deren Tätigkeiten für die saudische Luftwaffe publik wurden, über ein Dutzend eiligst verfasste Tätigkeitsmeldungen. Das nun ausgesprochene Verbot und die zeitgleich eingereichte Anzeige dürften einen seit je schwelenden Konflikt innerhalb der Bundes­verwaltung anheizen: Während das für den Export von Rüstungs­gütern zuständige Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) als äusserst industrie­freundlich gilt, ist das für den Export von Sicherheits­dienstleistungen zuständige EDA stärker auf die Einhaltung von Menschen­rechten aus.

Brüsseler Schuss vor den Schweizer Bug

Worum es geht: Das Tauziehen um ein Rahmen­abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz nimmt die Form eines Briefromans an. Diese Woche brachte der «Tages-Anzeiger» einen EU-internen Brief an die Öffentlichkeit. EU-Kommissar Johannes Hahn fordert den EU-Kommissions­präsidenten Jean-Claude Juncker darin auf, die Anerkennung der Schweizer Börse Ende Juni auslaufen zu lassen. Hahn schlägt eine sehr deutliche Sprache an. Er habe das Gefühl, die Schweizer Regierung spiele seit letztem Jahr auf Zeit und sei auf Nach­verhandlungen des Abkommens aus. Das Ende der Börsen­anerkennung sei der Schuss vor den Bug, den die Schweiz jetzt brauche.

Was Sie wissen müssen: Hahns Brief ging ein Schreiben des Bundes­rates an Juncker voraus. Die Regierung erklärte darin ihre Absicht, ein Rahmen­abkommen abzuschliessen, und wies auf drei Punkte hin, in denen sie noch Klärungen erwarte. Juncker antwortete darauf ebenfalls brieflich: Okay, und er wolle die Punkte jetzt sehr schnell klären. Das Gespräch, das der Schweizer Unter­händler Roberto Balzaretti daraufhin mit Vertretern der EU in Brüssel führte, verlief aber offenbar nicht nach deren Geschmack. Klar ist: Der EU eilt es, der Schweiz nicht. Klar ist auch: Die Schweizer Börse erfüllt alle Kriterien für eine Anerkennung durch die EU. Läuft sie aus, wäre das ein in der Sache unbegründeter Seiten­hieb mit Schadens­potenzial. Nach groben Fehlern im letzten Jahr gelang es dem Bundesrat, rund um das Rahmen­abkommen wieder ein Gesprächs­klima herzustellen, und zwar sowohl zwischen Bern und Brüssel als auch in der Schweiz zwischen der Regierung und den Sozial­partnern. Dieses Klima litte unter dem als unfair wahrgenommenen Druckversuch der EU.

Wie es weitergeht: Das wissen wir auch nicht. Aber wir vermuten mal: mit einem Brief.

Hinweis: In einer früheren Fassung schrieben wir irrtümlich, der Plan des Bundes­rates, den Zugang zu psychologischen Behandlungen zu verbessern, müsse noch durch das Parlament. Das ist falsch. Der Bundesrat muss dafür lediglich zwei Verordnungen anpassen und keine Gesetze. Dafür braucht er das Parlament nicht.

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