Binswanger

Maginot-Linie der Kungelei

Volksvertreter sind den Wählern Rechenschaft schuldig, auch finanziell. Die Politikfinanzierung wird auch in der Schweiz transparent werden. Vermutlich schon bald.

Von Daniel Binswanger, 22.06.2019

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Sie schafften es tatsächlich ein weiteres Mal: Der Nationalrat hat den stände­rätlichen Entwurf zur Verschärfung der Offenlegungs­pflichten von Lobbyisten mit 102 zu 73 Stimmen abgeschmettert. Die Gesetzes­vorlage hätte lediglich eine minime, hauptsächlich symbolische Verbesserung der quasi inexistenten Transparenz­standards im eidgenössischen Politik­betrieb gebracht. Dennoch wurde sie in Bausch und Bogen verworfen.

Im Feld der Umwelt­politik und der Gleich­stellung haben sich in diesem Wahljahr bereits zweimal mächtige gesellschaftliche Transformations­kräfte manifestiert, deren Wirkung einen markanten Einfluss auf die Ergebnisse des Urnen­gangs im Herbst haben dürfte. Jetzt sieht es ganz danach aus, als könnte es ein drittes Politik­feld geben, in dem sich immer stärkerer Druck aufbaut: die Transparenz der Politik­finanzierung.

Mit immer grösserer Verzweiflung sperren sich zwar bis heute die rechts­bürgerlichen Kräfte, noch wird die Maginot-Linie absurder Schutz­behauptungen bis auf den letzten Mann verteidigt. Aber es ist wie bei der Gleich­stellung: Der Richtungs­sinn der Entwicklung lässt sich nicht umdrehen. Der gesellschaftliche Konsens hat sich verschoben. Die Kasachstan-Affäre, das stete Wirken von Transparency International sind nicht ohne Folgen geblieben. Mit knapper Not vielleicht noch für ein paar Jährchen, aber sicherlich nicht mehr ewig wird die Schweiz das einzige und allerletzte Mitglied des Europa­rates bleiben können, das überhaupt keine Vorschriften zur privaten Parteien-, Abstimmungs- und Parlamentarier­finanzierung kennt.

Der Dammbruch bei den Regeln zu monetären Interessen­bindungen in der Politik wird kommen. Und die politischen Kräfte, die sich selbst noch gegen minimalste Transparenz­forderungen sperren, werden einen potenziell sehr saftigen politischen Preis bezahlen.

Die Forderung nach einer Regulierung der Politik­finanzierung ist – wie die Gleich­stellung, wie die Klima­politik – schon lange kein ausschliesslich linkes Anliegen mehr. Vermehrt brechen auch bürgerliche Politiker aus dem rechten Konsens aus. Mit der BDP und der GLP bekennen sich zwei Mitte­parteien zur Deklarations­pflicht für Lobbyisten, und die BDP – an dieser Stelle eindeutig progressiver als ihre Konkurrenten in der Mitte – trägt auch die kommende Transparenz­initiative der SP mit.

Per se ist Transparenz keine linke Forderung, im Gegenteil: Sie ist das Insistieren auf sauberer governance und dem Vermeiden von Interessen­konflikten – Prinzipien, die im Wirtschafts­leben so selbst­verständlich und unbestritten sind, dass niemand, der noch bei Trost ist, sie auch nur für eine Sekunde infrage stellen würde. Wenn sogenannt wirtschafts­nahe Parteien Massnahmen zur Vermeidung von Interessen­konflikten – die in jedem Konzern, jedem KMU, ja jedem Musikvereins­vorstand eine absolute Selbstverständlichkeit wären – nicht ergreifen wollen, ist das einfach nur ein schlechter Witz. Volksvertreter, die von unausgewiesenen wirtschaftlichen Partikular­interessen finanziert werden, sollen ausschliesslich im besten Interesse ihrer Wähler handeln? Dass ein Offenlegungs­gesetz für Lobbyisten verhindert werden soll, das nicht viel mehr als eine Signal­wirkung gehabt hätte, legt trauriger­weise den Verdacht nahe, der Schweizer Politik­betrieb sei korrupter, als man befürchten könnte. Warum sonst hätte der Nationalrat auf stur stellen müssen?

Politik­finanzierung ist kein Neben­aspekt, sondern eines der zentralsten Problem­felder für jedes demokratische System. Eine über­proportionale politische Einfluss­nahme der wichtigsten wirtschaftlichen Kräfte und der Reichtums­eliten ist zwar erstens unvermeidlich und zweitens innerhalb gewisser Grenzen auch gerechtfertigt. Wichtige Wirtschafts­zweige sind auf gute Rahmen­bedingungen angewiesen, grosse Vermögen sollten wenigstens so weit bei Laune gehalten werden, dass sie sich nicht allesamt aus dem Staub machen. Aber selbstverständlich stehen Demokratien immer in Gefahr, von monetärer Macht dominiert zu werden – und nichts ist antidemokratischer als gekaufte Politik.

Überbordende Finanzmacht zerstört den freien Deliberations­prozess der Bürger, unterminiert die Aufsichts­funktion des Staates, unterläuft das Mehrheits­prinzip. Deshalb ergreifen alle Demokratien der Welt Massnahmen, um den Einfluss des Geldes zu begrenzen – durch Transparenz­pflichten, Budget­beschränkungen für Wahl­kampagnen, strikte Restriktionen für Neben­einkünfte von Politikern, Beschränkung von Spenden­höhen, ein ganzes Arsenal von Massnahmen. Alle Demokratien der Welt – ausser die Schweiz.

Die typischen Argumente gegen eine helvetische Regulierung der Politik­finanzierung – der Föderalismus, das Milizsystem, die direkte Demokratie – sind nichts anderes als offensichtliche Schutz­behauptungen. Weshalb soll der Bundes­staat in diesem Feld den Kantonen keine Vorschriften machen? Er tut es in vielen anderen Bereichen. Weshalb soll das Miliz­system, das ohnehin weitgehend zur Fiktion geworden ist, unsere Parlamentarier daran hindern, ihre Einkünfte sauber zu deklarieren? Und weshalb soll das direkte Mitsprache­recht der Bürger ein Grund dafür sein, dass sie darüber, wer sie wie manipulieren will und wer welchen Einfluss auf ihre politischen Vertreter hat, im Ungewissen gelassen werden müssen?

In Wahrheit ist die traditionelle helvetische Intransparenz­kultur ein Kompensations­mechanismus: Genau deshalb, weil die Schweizer Bevölkerung über weitgehende Mitsprache­rechte verfügt, soll sie ahnungs­loser und einfacher zu manipulieren sein als andere Staats­völker. Im helvetischen System ist der Stimm­bürger in ungewöhnlich direktem Mass an politischen Entscheidungen beteiligt. Die wirtschaftlichen Eliten haben deshalb andere Wege gefunden, sich eine gewisse Kontroll­macht zu sichern. Die Praxis der Politik­finanzierung in unserem Land hat nichts zu tun mit der helvetischen Tugend der Diskretion und dem Schutz der Privat­sphäre. Sie existiert, um der Volks­souveränität die Zügel anzulegen. Sie ist die Lebens­lüge der Schweizer Direktdemokratie.

Doch diese Lebenslüge wird nicht mehr ewig zu halten sein. Umfragen zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer keinen Grund mehr sieht, weshalb ausgerechnet unsere Volks­vertreter einen Freipass haben sollen. In mehreren Kantonen wurde eine strikte Regulierung bereits eingeführt, in anderen nur knapp abgelehnt. Die Transparenz­initiative ist hängig und setzt die bürgerlichen Kräfte unter Druck. Volks­vertreter und Parteien sind ihren Wählern Rechenschaft schuldig, auch und gerade in finanzieller Hinsicht. Dieses Prinzip ist so banal und offensichtlich, dass es sich durch­setzen wird – sogar im demokratischsten Land der Welt.

Die Dinge haben angefangen, sich zu bewegen. Es könnte plötzlich sehr schnell gehen.

Illustration: Alex Solman

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