Staatsanwälte arbeiten bei Ermittlungen mit privaten Securitys statt mit der Polizei

Zürcher Staatsanwälte setzen bei Einvernahmen auf eine private Sicherheits­firma mit zweifelhaftem Ruf. Interne Dokumente zeigen, wie die Justiz­direktion unter SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr staatliche Kern­aufgaben und sensible Daten an Private auslagert.

Von Carlos Hanimann (Text) und Vincent Burmeister (Illustration), 19.06.2019

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Herr Meier fühlt sich überrumpelt. Eines Morgens im Sommer 2018 nehmen ihn mehrere Beamte der Kantons­polizei Zürich an seinem Wohnort in einer Zürcher Seegemeinde fest. Sie bringen ihn nach Uster zur Einvernahme bei der Staats­anwaltschaft See/Oberland.

Für Herrn Meier ist das alles neu. Er hatte noch nie mit der Polizei zu tun.

Die Polizisten werfen Herrn Meier vor, er habe die Behörden getäuscht: Er führe mit seiner Frau eine Scheinehe, um ihr zu einem legalen Aufenthalt in der Schweiz zu verhelfen.

Herr Meier heisst nicht wirklich so. Aber um seine Persönlichkeit zu schützen und weil sein Verfahren noch läuft, nennen wir seinen richtigen Namen nicht.

Als Herr Meier in Uster aus dem Wagen der Polizei steigt, nimmt ihn ein Mann in Empfang, der keine Polizei­uniform trägt. Er legt Herrn Meier Hand­schellen an, nimmt ihm seine persönlichen Gegen­stände ab und sperrt ihn in einen kleinen Raum, wo er auf die Einvernahme warten muss.

Herr Meier wundert sich: Der Mann sieht nicht aus wie ein Polizist.

Dann führt ihn dieser Mann ins Büro des Staats­anwalts. Dort wird er befragt: zur Sache und zur Person. Wobei im Fall von Herrn Meier beide Teile höchst persönlich sind: Beim Vorwurf der Scheinehe drehen sich die Fragen um intime Dinge – wer hat wann wo genau in welchem Bett geschlafen und mehr.

Bei der Einvernahme ist ein Mann anwesend, der aussieht wie die Karikatur eines Straftäters: kräftig, tätowiert, Stiernacken – «eher der Typ Türsteher», erinnert sich Herr Meier später. Ihm sei dessen Anwesenheit «sehr unangenehm» gewesen, weil «sehr private, sehr familiäre Dinge besprochen wurden».

Dieser Mann ist für die Sicherheit zuständig. Deshalb bleibt er während der ganzen Einvernahme im Raum und hört mit. Aber er gehört – wie auch der Mann, der Herrn Meier mit Hand­schellen gefesselt hat – weder zur Staats­anwaltschaft noch zur Polizei.

Er ist ein privater Sicherheits­mann der Firma Delta Security.

Delta Security

Die Delta Security ist eine private Sicherheits­firma mit Sitz in Weinfelden, Thurgau. Sie besteht seit 1992. Nach eigenen Angaben macht sie unter anderem Personen­schutz, sogenannten Ordnungs­dienst und Zugangs­kontrollen bei Festivals. Auf der Website schreibt die Firma auch, sie unterstütze «seit Jahren verschiedene Kantone bei Sicherheits­aufgaben rund um Straf­verfolgungs- und Massnahmen­organisation». Schweizweit bekannt wurde die Delta Security in der Vergangenheit aber auch, weil sie jahrelang die Sicherheit in verschiedenen Schweizer Fussball­stadien verantwortete. Die Deltas sorgten allerdings immer wieder für Negativ­schlagzeilen, denn sie galten selber als berüchtigte Schläger.

Die Hafteinvernahme ist Teil des Vorverfahrens – und damit laut Strafprozessordnung geheim. Zu diesem Zeitpunkt gilt für den Beschuldigten die Unschulds­vermutung. Das Gesetz legt deshalb besonderen Wert auf den Schutz seiner Persönlichkeit. Nur die Strafverfolger – Staatsanwalt und Polizei – sowie die Verteidiger dürfen anwesend sein.

Wie kommt es also, dass in dieser heiklen und geheimen Phase der Straf­untersuchung ein privater Sicherheits­mann anwesend ist?

War das im Fall von Herrn Meier eine Ausnahme? Ein akuter Notfall, weil keine Polizei im Haus war?

Der Grundsatz ist klar: Das Gewalt­monopol liegt beim Staat. Es gibt Aufgaben, die sind dem Staat vorbehalten: Nur die Polizei kann jemanden verhaften, nur die Staats­anwaltschaft eine Straf­untersuchung führen.

Trotzdem vergeben die Behörden immer wieder Aufträge an private Dienst­leister: Im Asylbereich übernimmt beispiels­weise die ORS Service AG Aufträge des Bundes. Die ORS ist auch im Asylwesen des Kantons Zürich führend. Im medizinischen Bereich setzt der Bund auf die Ärzte der Oseara AG, die Ausschaffungs­flüge mit Geflüchteten begleiten. Und im Justiz­vollzug setzt der Kanton Zürich auf die SOS Ärzte Turicum AG – und in einigen Gefängnissen auch auf die Delta Security AG.

Diese Privatisierungen sorgen immer wieder für Kontroversen, gerade wenn die privaten Unter­nehmen in diesen grundrechtssensiblen Bereichen Fehler machen.

Besonders das Auslagern von polizeilichen Aufgaben an Private ist umstritten, etwa beim Gefangenen­transport oder bei der Gefängnis­aufsicht durch Private. Denn nur Polizistinnen dürfen Zwang ausüben. Was aber tun die privaten Sicherheits­kräfte, wenn es bei so einem Transport zu Auseinander­setzungen kommt?

Nun zeigt sich, dass der Kanton Zürich bei der Privatisierung von Sicherheits­aufgaben in neue Gebiete vorgestossen ist. Das zeigen Recherchen der Republik.

Die Justiz­direktion unter Vorsteherin Jacqueline Fehr (SP) lagert staatliche Kern­aufgaben in der Straf­untersuchung an Private aus: Seit über zwei Jahren ist die Delta Security an geheimen Haft­einvernahmen für die Sicherheit verantwortlich.

Das private Unter­nehmen mit Sitz in Weinfelden hat den Zuschlag für einen Auftrag über fünf Jahre erhalten und kassiert dafür insgesamt 1,6 Millionen Franken.

Das ist rechtsstaatlich fragwürdig. Und laut einem Rechtsexperten sogar rechtswidrig.

Einbindung der privaten Firmen hat System

Die Republik hat über das Öffentlichkeits­gesetz Einsicht in die Vertrags­unterlagen und zahlreiche interne Dokumente der Justiz­direktion verlangt. Sie belegen, dass die Beobachtungen von Herrn Meier in Uster kein Einzel­fall sind. Sie haben System.

Laut Verträgen mit der Justiz­direktion übernimmt die Delta Security Aufgaben, die eigentlich nur die Polizei erledigen dürfte: Fesselung und Bewachung von Beschuldigten sowie die Aufbewahrung von persönlichen Gegenständen.

Die Securitys sind während der Einvernahmen anwesend und hören mit. Zu ihren Aufgaben gehören das sogenannte «Arrestanten­handling» (Zuführung, Betreuung, Bewachung der Gefangenen) sowie die «Bewachung während Haft­einvernahmen» und «gegebenen­falls Intervention».

Die Delta Security arbeitet vorwiegend für die Staats­anwaltschaft in Uster. Über 3000 Stunden steht sie dort jährlich im Einsatz. Rund 100 Stunden pro Jahr bewacht sie auch die Einvernahmen bei den Jugendanwaltschaften.

Die Vertrags­unterlagen zeigen zudem, dass die Sicherheits­firma höchst schützens­werte Personen­daten bearbeitet und aufbewahrt. Die Staats­anwaltschaft verschickt der Sicherheits­firma die vertraulichen Informationen per E-Mail.

Der kantonale Daten­schützer Bruno Baeriswyl sah sich auf Anfrage der Republik «nach einer summarischen Prüfung» der Unter­lagen «aus datenschutz­rechtlicher Sicht» zu keiner Bemerkung veranlasst.

Die Republik hat die Verträge auch dem renommierten Juristen Rainer Schweizer vorgelegt. Schweizer dozierte jahrzehnte­lang Staats­recht an der Universität St. Gallen und ist seit einigen Jahren emeritiert. Er beurteilt die abgeschlossenen Verträge als äusserst fragwürdig und kritisiert zahlreiche Punkte.

Die Verträge offenbaren demnach mehrere rechtliche Probleme:

  • einen möglichen Verstoss gegen die Strafprozessordnung;

  • eine mögliche Verletzung des Amtsgeheimnisses;

  • einen möglichen Verstoss gegen das kantonale Polizeiorganisationsgesetz.

Delta Security überprüft sich selbst

Das gravierendste Problem ortet Schweizer darin, dass die Einvernahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden müsste – und private Sicherheits­leute nicht daran teilnehmen dürften. Für Schweizer ein klarer Verstoss gegen die Strafprozessordnung.

Der Justizdirektion muss bewusst gewesen sein, wie heikel die Auslagerung an eine private Sicherheits­firma ist. In den Verträgen hat sie denn auch eine «Geheimhaltungs­pflicht» für die Delta-Mitarbeiter festgeschrieben und sie vertraglich dem Amts­geheimnis unterstellt. Zudem gibt es eine Personen­sicherheits­überprüfung.

Ob es zulässig ist, das Amtsgeheimnis auf private Auftrag­nehmer auszuweiten, ist umstritten. Gemäss dem Zürcher Datenschutz­beauftragten ist das grundsätzlich möglich.

Anders sieht es Rainer Schweizer: Das Amts­geheimnis gelte nur für Staats­personal. Private Dritte gehörten nicht dazu, ausser ein Gesetz sehe dies vor. Mit der letzten Änderung des Zürcher Polizeigesetzes unterstehen private Beauftragte immerhin einer gesetzlichen Schweigepflicht.

Als «völlig ungenügend» bezeichnet Schweizer die Sicherheits­überprüfung des eingesetzten Personals, die die Justiz­direktion in den Vertrag mit Delta geschrieben hat. Demnach ist es nämlich die Delta Security selber, die das Personal überprüft. «Das ist ein schlechter Witz. Das müsste, wenn schon, die Polizei übernehmen. Dass sich die Sicherheits­firma selber überprüfen soll, ist unzureichend.»

Rechtsexperte Schweizer kritisiert ganz grundsätzlich die Auslagerung derartiger Aufgaben an eine private Sicherheits­firma. Die Bewachung von Einvernahmen sei eine «klassische Polizei­aufgabe». Man biete die Polizei ja auf, weil unter Umständen polizeilicher Zwang und körperliche Gewalt angewendet werden müssten. «Gerade das dürfen private Sicherheits­kräfte aber nicht.» Das Polizeiorganisationsgesetz sei in diesem Punkt sehr klar, sagt Schweizer: «Zwangs­massnahmen sind der Polizei vorbehalten.»

Das Problem, das der ganzen Angelegenheit zugrunde liege, sei ein politisches, sagt Schweizer. «In den Kantonen gibt es noch 16’000 Polizisten. Aber wenn man das Bevölkerungs­wachstum berücksichtigt, bräuchten wir mindestens 20’000 Polizisten.»

Was die Justizdirektion dazu sagt

Die Republik hat die Justiz­direktion von SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr, die Ober­staatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie das Unter­nehmen Delta Security um eine Stellung­nahme gebeten.

Delta Security gab keine Auskunft.

Nach zwei Wochen beantwortete immerhin die Justizdirektion die Fragen der Republik, auch im Namen der Oberstaatsanwaltschaft.

Der Einsatz privater Sicherheitsfirmen, schreibt Sprecher Benjamin Tommer, hänge «mit der spezifischen Situation» der Staatsanwaltschaft See/Oberland zusammen. Im Gegensatz zu anderen regionalen Staatsanwaltschaften sei dort «kein Gefängnis in der Nähe», was mit «beträchtlichem Mehraufwand» verbunden sei. Deshalb habe man sich in Absprache mit der Polizei für die vorliegende Lösung entschieden: «Auch, weil zu wenig Polizeikräfte zur Verfügung standen für diese Art von Aufgaben.»

Grundsätzlich halte das Polizeiorganisations­gesetz fest, «dass Private mit der Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben im Rahmen von Strafverfahren betraut werden können». Würden während eines Transports oder der Betreuung von arretierten Personen durch Private Probleme auftreten, so hätten diese sofort die Polizei zu kontaktieren: «Bei Gefahr im Verzug sind die Privaten berechtigt, die erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen.» Wie oft private Security-Mitarbeiter bei Hafteinvernahmen intervenieren mussten, konnte der Sprecher bis Redaktionsschluss nicht sagen.

Die Tatsache, dass Delta Security gleich selber überprüft, ob ihre Mitarbeiter für diese heiklen Einsätze infrage kommen, sieht die Justizdirektion nicht als Problem: «Da die Sicherheitsfirma letztlich auch in ihrem eigenen Interesse gehalten und verpflichtet ist, ihre Mitarbeitenden einer standardisierten Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, ist der Mehrwert einer erneuten Überprüfung nicht ersichtlich», sagt Tommer.

Immerhin: Dass der privaten Sicherheitsfirma Name, Adresse, Geburtsort, Geburtsdatum, Beruf und strafrechtliche Vorwürfe von Personen übermittelt werden, die einvernommen werden sollen und zu diesem Zeitpunkt als unschuldig gelten, sieht auch die Justizdirektion unter dem Aspekt des Datenschutzes kritisch – und will nachbessern: «Die Staatsanwaltschaft hat das Vorgehen selbstkritisch hinterfragt und ist zum Schluss gekommen, dass die Aufträge an die Delta Security AG auch übermittelt werden können, ohne dass direkte Rückschlüsse auf die Identität der Beschuldigten mehr möglich sind. Das Prozedere wird in diesen Tagen angepasst.»

Wie diese höchst schützenswerten Personendaten von der privaten Firma bisher aufbewahrt wurden und wie lange? Es würden die Vorgaben des Kantons gelten, teilt die Justizdirektion mit. Wie Delta Security diese konkret umgesetzt habe, möge man doch bei der Firma nachfragen. Überprüft, ob die Firma den Datenschutz einhält, hat die Justizdirektion laut Mediensprecher Benjamin Tommer nie.

Herr Meier fühlt sich entblösst

Das Strafverfahren gegen Herrn Meier läuft nach wie vor, ein Prozess­datum ist noch nicht festgelegt. «Rückblickend», sagt er, «fühle ich mich entblösst. Das waren sehr intime Daten und Gespräche. Da wünscht man sich, dass der Staat sie mit der nötigen Vorsicht behandelt.»

Die Einvernahme sei ja keine offene Gerichts­verhandlung, bei der jeder dabei sein könne, sagt Herr Meier. «In der Einvernahme wurden sehr intime Dinge besprochen, die niemanden etwas angehen, der nicht direkt mit dem Staat zu tun hat.»

Herr Meier sagt, er sei natürlich stutzig geworden, als ihn ein privater Security gefesselt und in einen Raum gesperrt habe. Aber er habe sich darauf verlassen, dass das schon alles seine Richtigkeit habe. «Ich dachte: Das wird wohl normal so sein.»

Die ganze Geschichte habe ihn misstrauisch gemacht. Herr Meier macht sich insbesondere Sorgen, ob der Staat seine persönlichen Daten genügend geschützt habe, als er sie ohne weiteres per Mail an das private Sicherheits­unternehmen geschickt habe. «Daten­schutz ist etwas vom Wichtigsten in der heutigen Zeit», findet Herr Meier. «Der Staat ist für die Sicherheit der Leute da. Man muss ihm trauen und sich darauf verlassen können, dass er so heikle Aufgaben und Daten nicht einfach an private Firmen weitergibt.»

Korrektur: In einer ersten Version des Beitrags schrieben wir, die Oberstaatsanwaltschaft habe keine Auskunft erteilt. Die Justizdirektion des Kantons Zürich antwortete auch in deren Namen.

Zur Recherche

Private Sicherheits­leute in Haft­einvernahmen? Als Reporter Carlos Hanimann vergangenen Herbst zum ersten Mal davon hörte, war er zunächst erstaunt. Eine erste Anfrage bei den Behörden ergab aber, dass das im Kanton Zürich an der Tages­ordnung ist. Als rechtliche Grundlage gab die Justiz­direktion einen Beschluss des Regierungsrats von 2016 an. Und das Polizei­organisations­gesetz, wonach auch private Dritte «Transport und Betreuung von bereits arretierten Personen» übernehmen können. Die Republik verlangte daraufhin gestützt auf das Öffentlichkeits­gesetz des Kantons Zürich Einsicht in die abgeschlossenen Verträge, die Ausschreibungs­unterlagen und die direktions­internen amtlichen Dokumente, die zum Auftrag an die Delta geführt hatten. Vor rund zwei Monaten landete das Dossier dann auf der Redaktion.

Die Republik stellt die abgeschlossenen Verträge (betreffend Staatsanwaltschaften und das Amt für Justizvollzug) sowie einzelne Dokumente aus den Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung.

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