Am Gericht

Fragen verboten!

Fragen darf man immer, sagt das Sprichwort, wenn man die Antwort nicht scheut. Kostet ja nichts. Da liegt der Volksmund falsch – es kommt drauf an, wer wen was fragt.

Von Yvonne Kunz, 19.06.2019

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Ort: Obergericht Zürich
Zeit: 23. Mai 2019, 8.30 Uhr
Fall-Nr.: GG180023
Thema: Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses

Die Sache beginnt vor über zwei Jahren. Ein junger Mann gerät wegen eines Bandenzwists in arge Nöte. Verzweifelt wendet er sich an eine Bekannte. Diese will vermitteln, die Eltern einschalten. Als der Junge nicht zu einem vereinbarten Treffen erscheint und auch in den Tagen danach unauffindbar ist, schwant ihr Übles. Sie ruft Arbeitskollegen an, durchsucht Facebook nach Hinweisen, erkundigt sich in der Moschee, wo sie beide beten.

Als sich der Gesuchte dann doch meldet, ist er wie verwandelt: Nun droht er ihr. Sie solle sich raushalten. Sie, enttäuscht und erbost, zeigt ihn an. Um die Drohungen zu belegen, händigt die Frau der Polizei ihr Handy zur Daten­analyse aus. Dabei stösst diese auf einen Chat, der zeigt: Die Beschuldigte hatte auch einen befreundeten Polizeibeamten kontaktiert und sich nach dem jungen Mann erkundigt. Aktuelle Adresse, Geburtsdatum, Eltern – und dabei die gewünschten Informationen postwendend erhalten.

Damit, so die Anklage von Staatsanwalt Stephan Keel, habe die Frau «vorsätzlich jemanden dazu bestimmt, ein Geheimnis zu offenbaren, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist», wie es im Strafgesetzbuch so schön heisst. So sieht es auch das erstinstanzliche Bezirksgericht Dietikon und verurteilt die Beschuldigte zu einer bedingten Geldstrafe von 25 Tagessätzen à 70 Franken.

Anders die Frau: Sie zieht mit einem naheliegenden Einwand vor das Obergericht des Kantons Zürich: «Der Beamte hätte ja einfach Nein sagen können.» Sie habe ihn nicht gezwungen, Auskunft zu geben. Es sei ihr auch nicht bewusst gewesen, dass dieser mit der Informationsherausgabe etwas Verbotenes tun würde. Nicht mal, dass der Mann Polizist sei, habe sie gewusst. Sie hat ihn für einen Betreibungs­beamten gehalten.

«Anstiftung» kann ja logischerweise kaum fahrlässig erfolgen, ein Vorsatz ist zwingend. Dabei, so steht es im erstinstanzlichen Urteil, genügt es, wenn die Täterin den Tatbestand in der «Parallelwertung der Laiensphäre» erfasst. So wie jeder «normale, erwachsene Mensch» eben. Andernfalls könnte ja jede die Naive geben und geltend machen, juristisch nicht so genau Bescheid gewusst zu haben.

Hier aber, sagt Verteidiger Bernhard Zollinger, sei das fehlende Unrechts­bewusstsein offensichtlich: Sonst hätte die Beschuldigte der Polizei doch ihr Handy nicht zur Verfügung gestellt – oder die heiklen Informationen vorher gelöscht. Der entscheidende Punkt sei ohnehin ein anderer: «Kann die blosse Frage überhaupt eine Anstiftung zur Amtsgeheimnis­verletzung sein?» So wie dies das Bundesgericht, auf das sich die Vorinstanz stützt, wiederholt festgestellt hat? Dass als Anstiftungsmittel jedes «motivierende Tun» taugt, also auch eine einfache Bitte?

Ganz entschieden nein, sagt Rechtsanwalt Zollinger, und fordert einen Freispruch. Nicht nur für seine Mandantin, sondern «für den Rest der Welt». Denn nicht nur er, sondern auch viele Stimmen aus der Rechtslehre kritisierten die «abenteuerliche Begründungs­akrobatik» des Bundesgerichts. Einige gar als Grundrechtsverletzung – eines der zitierten Urteile wurde denn auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassiert.

Es sei Sache der angefragten Behörde, über die Geheimnisqualität der erbetenen Auskunft zu entscheiden, so Zollinger weiter. Konkret: «Die Frau hat erwarten dürfen, dass ein Beamter die Anfrage zurückweist, wenn sie das Amtsgeheimnis betrifft.» Dass sich der Beamte, wie er sagt, durch die Whatsapp-Nachrichten gedrängt gefühlt habe, auf das Polizei-Informationssystem Polis zuzugreifen, passe nicht dazu, dass er die gewünschten Informationen drei Mal prompt geliefert habe.

Und zudem auch noch Informationen, nach der die Frau gar nicht gefragt hatte: dass der Gesuchte der Polizei «bestens bekannt ist». Diese Auskunftsfreudigkeit dürfe keinesfalls der Beschuldigten angerechnet werden, sagt Zollinger. Da sei ihm herzlich egal, was das Bundesgericht meine.

Trotz des engagierten Plädoyers bestätigt das Obergericht unter dem Vorsitz von Rolf Naef sowohl den Schuldspruch als auch die Sanktion – wenn auch etwas widerwillig. Der Verteidiger habe die juristischen Schwachpunkte der Bundesgerichts­praxis sehr gut herausgeschält, sagt der Referent im Fall, Beat Gut. Und ob man das nun gut finde oder nicht, es sei fraglich, ob das Bundesgericht demnächst von seiner strengen Sicht abrücken werde.

Auch Gerichtspräsident Naef räumt ein, dass bei Personendaten der strafrechtliche Geheimnisschutz weit gehe – doch das entspreche ganz einfach dem Willen des Gesetzgebers. Und weiter: «Polis ist eine geheime Datenbank, nicht einfach ein Telefonbuch.» Das Nachfragen der Beschuldigten sei zudem nicht rein zufällig und recht beharrlich gewesen.

Vor allem aber habe sie gewusst, dass der Beamte Gefallen an ihr finde – und deshalb sehr geneigt war, ihrer Bitte zu entsprechen.

Illustration: Friederike Hantel

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