Margrethe die Grosse

Die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist die beliebteste Kandidatin für das höchste EU-Amt. Weil sie den Zeitgeist verkörpere, sagen Beobachter. Doch im Grunde war ihre Politik der Zeit stets voraus.

Ein Porträt von Adrienne Fichter, 18.06.2019

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Hart, aber herzlich: Margrethe Vestager. Oscar Meyer

Tax Lady, Superstar, weiblicher David gegen Goliath, Wikingerin in Brüssel, Jeanne d’Arc der EU. Die inoffizielle Spitzen­kandidatin der Liberalen für das Amt der EU-Kommissions­präsidentin kennt alle ihre Zuschreibungen. Und sie spielt bewusst mit ihnen.

Vertwittert Kuchenrezepte, bevor sie Buss­gelder in Millionen­höhe verkündet, verwöhnt ihre Mitarbeiter mit dänischen Backwaren, strickt Socken während Sitzungen, redet über ihre drei Kinder, betont ihre Weiblichkeit.

Gleichzeitig kennt die dänische EU-Kommissarin für Wettbewerbs­recht null Pardon mit den Tech-Giganten. Margrethe Vestager ist die Frau, die Google, also den Mutter­konzern Alphabet (8,3 Milliarden Euro Busse), Apple (13 Milliarden Euro Steuern) und Amazon (laufende Untersuchung) bluten lässt. Was Washington nicht hinkriegt, erledigt Vestager. Sie sei die De-facto-Regulatorin des Silicon Valley geworden, schrieb die «New York Times».

Mit ihr hat die anonyme EU-Bürokratie ein Gesicht bekommen. Nun hat sie sich öffentlich als Präsidentin der EU-Kommission beworben, den oder die der EU-Gipfel voraussichtlich am 21. Juni wählen wird. Vestager hat – je nachdem, welches Wahlverfahren die EU letztendlich wählt – gute Chancen. Für viele stellt sie die perfekte Nachfolge des älteren Herrn Jean-Claude Juncker dar.

Denn sie verkörpere den Zeitgeist, sagen Beobachter: feministisch, regulierend, progressiv.

Dabei war Vestager in vielen Punkten der Zeit voraus. Bemerkenswert früh – noch bevor sich liberale Prominente wie Christian Lindner zu solchen Positionen durchringen konnten – entwickelte sie eine glasklare Vision davon, was Liberalismus im digitalen Zeitalter bedeutet. Dass der Staat eingreifen muss, wenn der Wettbewerb kaputt­geht. Dass das Internet immer zu Zentralisierung und Monopol­bildung neigt, wenn keine Grenzen gesetzt werden.

Regulieren? Klar, wenn Tech-Unternehmen ihre Markt­macht missbrauchen. Strafen? Unbedingt, damit es wehtut.

Der Vestager-Fanclub wächst. Weltweit. Selbst in den USA, wo sie auch am SXSW-Festival, dem Mekka der Tech-Enthusiasten, tosenden Applaus für ihre markigen Statements erhält. Ihr Erfolgs­rezept? «Sie macht keine Kompromisse und hält Konflikte aus.» Dies sagt ihre Biografin Elisabet Svane im Gespräch mit der Republik. Vestager hatte den Mut, viele unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Genau das zahle sich nun aus.

Bibel-Erzählungen als Metaphern

8. Mai, Berlin: Vestager tritt an der re:publica auf, einer der grössten Internet-Konferenzen Europas.

Es ertönen Jubelrufe von allen Seiten, als die EU-Wettbewerbs­kommissarin die Haupt­bühne Stage 1 betritt. Der Auftritt beim gut informierten, datenschutz­affinen und techmonopol­kritischen Publikum wird zum Heimspiel. Schnell wird klar: Ginge es nach diesen Menschen, wäre Vestager die nächste EU-Präsidentin. Ganz im Gegensatz zum – in der Netz­gemeinschaft verhassten – deutschen EVP-Spitzen­kandidaten Manfred Weber. Er hat ihnen schliesslich ihrer Ansicht nach die Urheberrechtsrefom und Artikel 17 eingebrockt. Vestager ist klug genug, bei Fragen zur in Deutschland umstrittenen Urheberrechts­reform keine Stellung zu beziehen.

Sie alle wollen die EU-Kommission präsidieren (von links): Jan Zahradil, Allianz der Konservativen und Reformer in Europa; Nico Cué, Europäische Linke; Ska Keller, Europäische Grüne Partei; Margrethe Vestager, Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa; Frans Timmermans, Sozial­demokratische Partei Europas; und Manfred Weber, Europäische Volkspartei. Geert Vanden Wijngaert/Bloomberg/Getty Images

Lieber konzentriert sie sich auf ihr Lieblings­thema, die Macht der Tech-Monopole. Und greift auf grosse Erzählungen zurück, gerne auch auf die Bibel. Es gehe um Gier. Es gehe um Angst. Es gehe darum, wie man Macht nutze. «Und das sind Dinge, die es schon immer gab, seit Adam und Eva», sagte die Pfarrerstocher, die selbst nicht wirklich religiös ist, einmal in einem Interview am Hauptsitz der Kommission in Brüssel.

Auch bei ihrem zweiten grossen Kampf­thema – der Trennung von Platt­formen und den darauf präsentierten Angeboten – greift Vestager gerne auf eine Metapher zurück: jene von Sportverbänden.

Schon früh, noch bevor die deutsche oder die Schweizer FDP sich eine abschliessende Meinung gebildet hatten, war für Vestager klar: Google und Amazon müssten in einem fairen Wettbewerb ihre Funktionen als Platt­formen und ihre eigenen Angebote voneinander trennen.

Doch das tun sie nach Ansicht von Vestager nicht: indem Google beispiels­weise Smartphone-Herstellern für die Nutzung von Android, dem Betriebs­system von Google, seine eigenen Google-Apps aufzwingt. Oder indem Amazon eigene Produkte auf seinem Marktplatz anbietet. Das, so Vestager, sei Missbrauch der Wettbewerbsmacht.

Ihre Metapher, damit auch jeder ihre Position versteht: Google und Amazon seien im Grunde genommen Sport­verbände. Vestager zieht gerne den Vergleich zum Spitzensport. Die Verbände setzten die Spiel­regeln fest, ethische Standards, wie mit Doping umzugehen sei. «Sie haben aber keine eigenen Mannschaften, die in Wett­bewerben antreten.» Es ist ihre Kern­argumentation, die sie seit ihrem Antritt 2014 vertritt.

Dass Kritiker Vestager Populismus vorwerfen, ist durchaus nachvollziehbar. «Man muss den Menschen in Europa die grosse Geschichte erzählen», sagt sie, «nicht die Details von dem, was wir tun.»

Kompromisse sind für sie ein No-Go

Was Vestager im Grunde tut: Sie holt die Politik in die Märkte zurück. Sie ist überzeugte Europäerin und trennt nicht zwischen wirtschaftlicher und politischer Werte­gemeinschaft. Für sie ist Wettbewerbs­politik eine «friedenserhaltende» Operation der EU. Es ist etwas, was Europa im Innern zusammenhält. «Für uns gelten nicht die Gesetze des Dschungels, sondern die Gesetze der Demokratie», sagte sie am Web Summit 2017. Eine klare Abgrenzung zum Wildwest­kapitalismus des Silicon Valley. Das bekam insbesondere Google zu spüren – ihr Vorgehen brachte Vestager ihren Ruhm.

Ihr Vorgänger, Joaquín Almunia, war ein Mann der Kompromisse. Er zögerte, haderte, knickte ein vor Google. Er arbeitete hinter verschlossenen Türen auf einen Vergleich beim Google-Shopping-Urteil hin. Ausserdem kommunizierte er ungeschickt. Während eines laufenden Verfahrens gegen die Bank Crédit Agricole machte Almunia klare Äusserungen darüber, dass das Verfahren bereits entschieden sei, was ihm später eine Rüge von der EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly einbrachte.

Vestager trat 2014 seine Nachfolge an. Und änderte den Kurs sofort und radikal. Bereits ihre Antritts­rede war eine klare Ansage, was die Big Player erwarten würde: eine Wettbewerbs­kommission als regulatorische Superkraft. «Wir müssen so gerissen und detailversessen sein wie die Tech-Unternehmen».

Margrethe Vestager – hier im Jahr 1994 – war in vielen Punkten der Zeit voraus. Ritzau Scanpix/Imago Images

Dem schwierigen Google-Dossier räumte sie höchste Priorität ein. Das Europa­parlament gab ihr grünes Licht. Die Abgeordneten drohten mit der Zerschlagung von Google, sollte der Konzern bei den Unter­suchungen nicht kooperieren. Seither arbeitet ein Team von 900 Ermittlern an allen Fällen.

Vestager liess ihr Team gründlich recherchieren, sprach nicht mit Lobbyisten, nur mit Firmen­chefs. «Sie hat sich den Respekt der Brüsseler Wettbewerbs­szene auch deshalb erworben, weil sie so resistent gegenüber politischem Druck war», sagt Marta Testagrossa, Autorin für das auf Wettbewerbs­bericht­erstattung spezialisierte «The Capitol Forum», der Republik.

In einem Statement vom 15. April 2015 machte sie schliesslich klar: Almunias ausgehandelte Vergleichs­vorschläge würden allesamt fallen gelassen. Seither hat die EU-Kommission drei Bussen gegen Google ausgesprochen, die letzte über 1,49 Milliarden Euro diesen März.

Auch die Imperiums­gelüste von Mark Zuckerberg wurden von Vestager abgestraft. Facebook durfte die Messenger-App Whatsapp 2014 unter einer Bedingung kaufen: keine Verknüpfung der Whatsapp-Telefon­nummern mit Facebook-Profilen. Zuckerberg willigte ein, Europa segnete den Deal ab. Zwei Jahre später brach der Mutter­konzern das Versprechen. Seine Begründung: «Für ein besseres Nutzererlebnis» müsse man die Dienste eben doch alle miteinander verknüpfen. Es ist die Standard­floskel aller Daten­konzerne, die sich damit einen Freipass für illegales Profiling ausstellten. Doch Vestager beeindruckte das nicht. 110 Millionen Euro holte sie heraus, als ersten Denkzettel. Die Message: Wer Abmachungen bricht, gehört bestraft.

Zuckerbrot und Peitsche

Immer wieder werden ihr ihre Verdikte als Anti-Amerikanismus ausgelegt. Doch den Vorwurf des europäischen Protektionismus weist die 51-Jährige zurück: «Google bietet tolle Produkte an», betont Vestager immer wieder. In einem CNBC-Interview hebt sie die historische Verbundenheit von Dänemark und den USA hervor, erzählt von ihren ausgiebigen Reisen in den Staaten.

Und als Donald Trump 2018 über die «Tax Lady», die Amerika hasse, schnödete, parierte sie mit dem ihr eigenen trockenen Humor: «Ja, ich habe selbst den Fakten­check zu dieser Aussage gemacht: Es stimmt, ich bin eine Frau, ich arbeite auf dem Thema Steuern, aber alles andere ist falsch.»

Tatsächlich: Seit ihrem Amtsantritt verfügte die Kommission über 34 Rückforderungsentscheidungen bei Steuerbeihilfen. Doch nur 9 Prozent davon betreffen amerikanische Unternehmen.

Auch innerhalb von Europa eckt sie mit ihren Entscheidungen an. Die Steuer­oasen Irland (13 Milliarden Euro Rückzahlung von Apple) oder Luxemburg (250 Millionen Euro Rückzahlung von Amazon) freuten sich zudem gar nicht über den neuen Geldsegen. Mit ihrem Veto gegen die Fusion von Alstom-Siemens brachte Vestager für kurze Zeit auch ihre Verbündeten Emmanuel Macron und SPD-Bundes­finanz­minister Olaf Scholz gegen sie auf.

Sachkompetenz vor Seniorität

Vestagers Kommunikationsstil ist so, wie sie insgesamt auftritt: hart, aber herzlich. Am 24. Januar 2018 vertwitterte ihr Sprecher Ricardo Cardoso ein Bild eines Kransekage-Kuchens, den die Kommissarin für ihre Mitarbeiter gebacken hat. Ein dänisches Gebäck aus Marzipan, Zucker und Eiweiss. Noch am gleichen Tag folgte der nächste Coup: Die Kommission verkündete eine Geldstrafe von 997 Millionen Euro für den amerikanischen Chip­hersteller Qualcomm: wegen Lockens mit finanziellen Anreizen.

«Es ist sehr schwierig, sie nicht zu sehr zu loben. Sie ist eine äusserst sympathische und logisch argumentierende Person», sagt Jyrki Katainen, einer der Vizepräsidenten der Kommission, der grössten finnischen Tageszeitung «Helsingin Sangomat». Ihr Team ist eingespielt, das Arbeits­klima positiv. Trotz der enorm hohen Arbeits­belastung, die das Google-Dossier verursacht habe, sagt Testagrossa.

Bei Sitzungen priorisiert sie Sach­kompetenz gegenüber Seniorität. Nicht die höchsten Abteilungs­leiter sitzen neben ihr, sondern die für die Dossiers tatsächlich zuständigen Sach­bearbeiter. Auch wenn diese 28-jährige Berufs­einsteiger seien. Vestager könne gut zuhören und lasse sich immer von Argumenten überzeugen, sagt eine enge Mitarbeiterin zur Republik.

Sie vermeidet das B-Wort

Bei all ihrer Konsequenz meidet Margrethe Vestager bislang ein Wort, das andere durchaus gerne in den Mund nehmen: break-up. Obwohl der Zerschlagungs­diskurs selbst in den USA immer salon­fähiger wird, scheut Vestager das B-Wort.

Warum? Auch bei dieser Frage argumentiert sie streng wirtschafts­liberal. Eigentum jemandem wegreissen, sagte sie an der re:publica in Berlin, müsse immer die letzte aller möglichen Optionen sein.

Die Aufarbeitung eines solchen Prozesses würde ausserdem Jahre dauern. Sie aber will pragmatisch und rasch agieren, denn ihre Leitmaxime ist: Wie kriegen wir den gesunden Wettbewerb in Europa am schnellsten zurück? Kopfnicken im Publikum.

Washington hat mittlerweile das starke Signal aus Brüssel gehört. Das amerikanische Justiz­ministerium leitete kartellrechtliche Verfahren gegen Google und Apple ein, die Wettbewerbs­behörde FTC wird Amazon und Facebook unter die Lupe nehmen. Eine neue Taskforce der FTC konzentriert sich auf die technischen Fälle. Demokraten fordern Untersuchungen der grössten Big Player. Auch in Australien untersucht die Kartellbehörde ACCC die Dominanz von Google und Co. Eine neue Ära bricht an – eingeläutet von Margrethe Vestager.

Selbst die Tech-Konzerne spüren den Zeitgeist. Sie hüten sich mittlerweile vor zu viel öffentlicher Kritik an den Verdikten der EU – obwohl sie die Urteile hinter den Kulissen anfechten. Noch vor drei Jahren bezeichnete Apple-CEO Tim Cook das 13-Milliarden-Urteil als «total political crap». Zwar wehrt sich Google mit allen Mitteln gegen die Urteile, doch die CEOs Sundar Pichai und Jeff Bezos (Amazon) verwenden einen sachlicheren Ton und lassen ihre Anwälte reden.

Forschungszweck wichtiger als Privatsphäre

Als Liberale weiss Vestager, dass Bussgelder und Straf­zahlungen nicht dazu geeignet sind, Europas Ökonomie anzukurbeln. Eine andere Idee von ihr aber möglicherweise schon: die Daten-Sharing-Initiative. Daten von Tech-Giganten sollen in einer anonymisierten Form mit der Konkurrenz geteilt werden. Eine Forderung, die derzeit auf vielen Fach­konferenzen verhandelt wird.

Bei diesem Thema hat die prinzipien­treue Vestager ihre Meinung geändert. Dem Daten­schutz räumte sie als Wirtschafts­ministerin in Dänemark weniger Priorität ein. So hat Vestager eine Gesetzesänderung veranlasst, die Forscherinnen besseren Zugang zu Bürger-Daten­banken verschafft. Vestager sieht die Teilnahme an wissenschaftlichen Umfragen als Bürger­pflicht. Ein Opt-out-Recht wurde damit abgeschafft.

«Sie gewichtete die Interessen der Forschungs­gemeinschaft früher höher als die Privat­sphäre und die Datenschutz­rechte der Bürger», sagt der Aktivist Jesper Lund von der Organisation IT Pol der Republik. Auch haben viele Organisationen ihren – letztendlich gescheiterten – Versuch, E-Voting einzuführen, stark kritisiert.

Mythen über Serie «Borgen»

Ihre Zeit als Wirtschafts­ministerin Dänemarks von 2011 bis 2014 war ganz grundsätzlich von Spannungen geprägt. «Dysfunktional» war die Koalition nach Einschätzung von Autorin Svane. Vestager setzte als wirtschafts­liberale Ministerin harte Sozialreformen durch und kürzte die Arbeitslosengelder, was den Sozial­demokraten überhaupt nicht gefiel. Und auch den Medien nicht, die ihr den Übernamen «Eiskönigin» verpassten. Die Gewerkschaften schenkten ihr «als Dank» einen Mittel­finger aus Gips. Die «Fuck you»-Trophäe thront heute noch auf ihrem Schreibtisch. Als Erinnerung an ihre Feinde.

Viele Medien kolportieren, Margrethe Vestager inspirierte Filme­macher Adam Price zur Hauptfigur in der beliebten Politserie «Borgen». Doch in Wahrheit war die Protagonistin, die Premier­ministerin und Mitte­politikerin Birgitte Nyborg, nicht allein von der Person Vestager inspiriert. Sondern von der Dauer­fehde zwischen Premier­ministerin Helle Thorning-Schmidt und Vestager, sagt Biografin Svane. Beide Charaktere flossen in die Figur Nyborg ein.

Eine Folge war dabei bezeichnend: Nyborg wollte einen Gefährten abschieben und ihn für den EU-Posten in Brüssel berufen. Ihr Spin-Doctor Kasper Juul hat ihr dazu geraten: «In Brüssel hört dich niemand schreien.»

Ihre Zeit als Wirtschafts­ministerin Dänemarks von 2011 bis 2014 war von Spannungen geprägt: Margrethe Vestager (links) im Februar 2014 mit der dänischen Premier­ministerin Helle Thorning-Schmidt an einer Pressekonferenz. Francis Dean/Corbis/Getty Images

Die Parallele zur Realität: Thorning-Schmidt, so schreiben es viele, wollte Vestager mit der Berufung für das Juncker-Kabinett loswerden. Die Realität endete bekanntlich anders als in der Fiktion. Denn Vestager verstummte nicht. Im Gegenteil.

Zum Wohlgefallen der Dänen. 67 Prozent mögen laut einer Umfrage die Politik ihres internationalen Superstars.

Update des Kartellrechts

Vestagers Mandat als Wettbewerbs­kommissarin läuft am 31. Oktober 2019 offiziell aus. Nun greift sie nach dem höchsten Amt, der EU-Präsidentschaft.

Lange zögerte Vestager bei der Frage, ob sie nun kandidieren werde. Unter anderem auch, weil die Liberalen nicht wussten, wen sie offiziell ins Rennen schicken wollten. Denn neben Vestager gibt es noch einen weiteren Kandidaten, der um jeden Preis Junckers Nachfolger werden will: Guy Verhofstadt. Mit der Allianz von Macrons La République en Marche ist Alde zur drittgrössten Kraft im europäischen Parlament aufgestiegen. Und meldet nun Führungs­anspruch an. Doch die Liberalen unterstützten das vom Europa­parlament favorisierte Spitzen­kandidaten-Modell nicht, was ihnen nun zum Verhängnis werden könnte. Die Legislative will an den portierten Anwärterinnen und Anwärtern festhalten.

Wer das Rennen machen wird, wird wohl bis zur letzten Minute offen bleiben.

Für Vestager wäre dieser EU-Posten der logische nächste Schritt, wie ihre Biografin Elisabet Svane sagt. Sie will die Regeln mitgestalten und nicht mehr nur durchsetzen. Sie kennt die Grenzen des Wettbewerbs­rechts. Es greift bei Themen wie künstliche Intelligenz und Netzwerk­effekte zu wenig. Deswegen müssen sie neu gedacht werden.

«Die nächste EU-Kommission wird ihr Mandat mit einem sehr fortgeschrittenen Verständnis der digitalen Märkte starten können, dank der jahrelangen umfang­reichen Analysen und gründlichen Unter­suchungen von Vestager», sagt die Wettbewerbs­expertin Marta Testagrossa.

Vestager weiss, dass die EU an Tempo zulegen muss, um die Auswüchse im digitalen Markt in den Griff zu bekommen. Ein europa­weiter Standard für Daten­formate sowie ein griffiger Rechts­rahmen für die Zukäufe der Tech-Monopolisten sind die Knack­nüsse, die sie als Erstes angehen will.

Vestager legt damit ihre politische Agenda vor. Nun muss sie nur noch gewählt werden.

Hinweis: Für diese Recherche haben wir mit dem Fachmedium «Netzpolitik.org» zusammengearbeitet.

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