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Der Gerichtstermin für Mike steht

Von Brigitte Hürlimann, 18.06.2019

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Es ist ein Datum, das er sich seit Monaten herbeisehnt; ein Anlass, mit dem er unglaublich viele Hoffnungen verknüpft. Ende Oktober wird sich der landesweit unter dem Pseudonym Carlos bekannte Straftäter, den wir in der Republik Mike nennen, einmal mehr vor Gericht verantworten. Das Bezirksgericht Dielsdorf hat zwei Prozesstage vorgesehen, den 30. und den 31. Oktober. Das Urteil soll am 6. November verkündet werden. Die Verfahrensleitung liegt bei Gerichtspräsident Marc Gmünder.

Vorbildlich, dass sich das erstinstanzliche Gericht so viel Zeit nimmt für einen ungewöhnlichen und umstrittenen Fall und für einen Täter, der seit Jahren die Gemüter der Schweiz bewegt – und den Strafvollzug bis ans Limit herausfordert. Es geht um viel.

Die Anklageschrift von Staatsanwalt Ulrich Krättli umfasst mehrere Dutzend Vorwürfe; allesamt Ereignisse, die im Justizvollzug passiert sind. Der schlimmste Vorfall soll sich im Juni 2017 im Gefängnis Pöschwies im zürcherischen Regensdorf ereignet haben: eine handgreifliche Auseinandersetzung im Büro eines Abteilungsleiters, bei dem ein Mitarbeiter leichte Kopfverletzungen erleidet. Krättli qualifiziert die Auseinandersetzung als versuchte schwere Körperverletzung. Der heute 23-jährige Mike und dessen Verteidiger Thomas Häusermann lehnen die Darstellung des Anklägers allerdings entschieden ab. Die Auffassungen darüber, was im Büro der Justizvollzugsanstalt Pöschwies geschah, gehen diametral auseinander.

Die weiteren Vorwürfe betreffen Vorfälle in den Gefängnissen Winterthur, Pfäffikon, Limmattal, Burgdorf und ebenfalls die Pöschwies. Es geht um einfache Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beschimpfung, Gewalt und Drohung gegen Beamte. Ulrich Krättli äussert sich in der Anklageschrift nicht über die von ihm beantragte Bestrafung – auch nicht darüber, ob er eine Verwahrung verlangen wird, wie er es im Vorfeld der Anklageerhebung angedeutet hat. Er wird seine Anträge Ende Oktober am Bezirksgericht Dielsdorf stellen.

Mike befindet sich seit zwei Wochen in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg; in Sicherheitshaft, wie vom Staatsanwalt beantragt. Es ist damit zu rechnen, dass er bis zum Prozesstermin in Haft bleiben muss. Die Versetzung aus der Pöschwies nach Lenzburg war von seinem Verteidiger seit Monaten verlangt worden. Es sei unhaltbar, so Thomas Häusermann, dass der 23-Jährige von jenen Leuten beaufsichtigt wird, die ihn im laufenden Straffall massiv belasten. Für besonders stossend hält der Anwalt einen Vorgang, der schon länger zurückliegt: die Rückverlegung von Mike aus dem Regionalgefängnis Burgdorf, wo sich seine Situation zum Positiven entwickelt hatte, in die Sicherheitsabteilung der Pöschwies.

Die Republik hat Anfang Juni in einer Artikelserie die restriktiven Haftbedingungen für Mike beleuchtet, die in der Schweiz einzigartig sind. Wir haben in einem ersten Teil dargelegt, wie sich Mikes verzweifelter Vater an die Republik wendet, von einem nicht enden wollenden Justizskandal spricht und davon, dass sein Sohn im Gefängnis zugrunde gehe. In einem zweiten Teil schildern wir, wie der fordernde und lebhafte Bub schon als Kind und Jugendlicher unzumutbare Situationen und willkürliche Anordnungen erdulden musste; behördliche Entscheide, die eines Rechtsstaats unwürdig sind.

Ein besonders gravierendes Ereignis, die tagelange totale Fixierung am Spitalbett, wird derzeit strafrechtlich untersucht. Mit einer Anklageerhebung gegen die verantwortlichen drei Ärzte ist diesen Herbst zu rechnen.

In Teil drei der Serie kommt Mike zu Wort – und vor allem seine Mutter. Sie berichtet, wie der Horror begann, als ihr Sohn zu «Carlos» wurde. Sie hegt Zukunftspläne für ihren Jüngsten und hofft, dass die Zeiten im Gefängnis endlich ein Ende nehmen werden. Auch sie setzt höchste Erwartungen in den bevorstehenden Prozesstermin.

Interview mit Justizprofis

Hat der Justizvollzug im Umgang mit Mike versagt? In einem Interview mit der Republik äussern sich Andreas Naegeli, Direktor der Justizvollzugsanstalt Pöschwies, und Marcel Klee, früherer Direktor des Regionalgefängnisses Burgdorf, ausführlich über den Umgang mit unkooperativen Insassen. Die Vollzugsprofis sprechen von ihrem gesetzlichen Auftrag, von Grenzen, Interventionen – und von Verzweiflung.

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