Der deutsche Italiener aus Babylon
Von Michael Rüegg, 15.06.2019
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Wenn seine Majestät, der König von Babylon, das Wort ergreift, dann schwäbelt er. Allerdings nicht in der Rolle. Sondern privat. Michael Volle heisst der Mann, der Nabucco darstellt. Seine Stimme trägt nicht nur beim Gesang, sie füllt den Raum auch, wenn er spricht.
Es dauert noch eine Weile, bis Crew, Cast und Chor zu den Proben eintreffen. Michael Volle sitzt im Foyer der Probenbühne, gut gelaunt, obschon er unseres Gesprächs wegen eine Stunde früher aufkreuzen musste.
Den gebürtigen Schwarzwälder könnte man sich auch als «Tatort»-Kommissar vorstellen, der sich nicht immer an die Regeln hält. Oder als unkonventionellen Chefarzt in einer TV-Serie. Irgendwas, wo er zur Geltung kommt.
Dass Volle heute eine grosse Rolle in einer italienischen Oper singen kann, ist nicht selbstverständlich. Denn er ist unverkennbar deutsch. Und Deutsche singen Mozart. Oder Wagner. Zumindest tun sie das gemäss Michael Volle noch immer in den Köpfen vieler Operndirektoren. Wobei etwa «Don Giovanni» zwar in italienischer Sprache geschrieben ist, aber, weil von Mozart, als deutsch gilt. «Wir reden von Fächern. Das deutsche Fach. Das italienische. Das französische», sagt der Solist.
Warum er überhaupt den Sprung ins italienische Fach geschafft hat? Weil ihm die für die Besetzung Verantwortlichen an einigen Opernhäusern das zugetraut haben. London und New York etwa. Oder eben Zürich – allerdings erst, nachdem er sich zwei Jahrzehnte durch Wagner und Mozart gesungen hatte.
Nabucco wird Michael Volles Rollendebüt. Vor zwanzig Jahren dachte er nicht im Traum an diese Rolle. Damals begann er im Ensemble des Opernhauses Zürich. Er blieb acht Jahre, wechselte dann nach München. Und entschied sich 2011 für die Selbstständigkeit.
«Nabucco» ist also eine Rückkehr an das Haus, wo Michael Volles Karriere ihren Anfang nahm. Mittlerweile lebt er bei Berlin, ist mit einer Schweizer Sängerin verheiratet und hat eine Vollzeitnanny für die beiden Kinder. Anders ginge das nicht. Denn wer allerorts singt, ist viel unterwegs. So musste auch die Zürcher Crew zwischendurch für einen Tag ohne Volle auskommen, weil er kurz nach Wiesbaden musste, wo er Hans Sachs in Wagners «Meistersinger» zum Besten gab.
So ist das für freischaffende Sängerinnen und Sänger: Sie verdienen nur, wenn sie singen. «Wenn du angestellt bist und krank wirst, bekommst du trotzdem dein Gehalt», sagt Volle. Krankheiten vertragen sich überhaupt schlecht mit dem Sängerberuf. Wer mit angeschlagener Stimme singt – «bei uns heisst das ‹auf krankem Material›» –, riskiert bleibende Schäden. Und ist die Stimme hin, ist auch die Karriere vorüber.
Michael Volle ist Bariton. Baritone liegen zwischen Tenören und Bässen. «Helden und Frauenschwärme sind in der Regel Tenöre», sagt Volle. Dem Bariton bleibt etwa Nabucco, der übergeschnappte alte König, der vom Blitz getroffen und vom Thron geschubst wird. Und am Ende geläutert ist.
Bei «Nabucco» hat Volle als Bariton quasi die Bühne für sich. Ismaele, der jugendliche Liebhaber ist – selbstredend – ein Tenor. Ebenso Abdallo, ein alter Offizier des Königs. Zaccaria, der jüdische Hohepriester und sein babylonischer Gegenpart, der Oberpriester des Gottes Baal, sind Bässe. Dabei gebe es Baritone wie Sand am Meer, sagt Volle. Es ist das häufigste Stimmfach. Die goldene Mitte eben, zwischen hoch und tief. Eine Stimmlage, in der man schon etwas bieten muss, um nicht mit der Masse mitzuschwimmen.
Bei Rollendebüts ist Michael Volle manchmal «wahnsinnig nervös», wie er sagt. Etwa, als er zum ersten Mal den Hans Sachs in «Meistersinger» gesungen hat. «Eine der schwierigsten Rollen.» Mittlerweile ist der Hans Sachs in seinem Repertoire wie eine CD, die man aus dem Schrank holt.
Dass Volle vor «Nabucco» allzu viel Lampenfieber hat, kann man sich schwer vorstellen. Schliesslich kennt er das Haus. Die Leute. Und das Zürcher Publikum.
«Nabucco» mag für Michael Volle also neu sein. Der Rest ist eine Heimkehr. Für einen, der ein bisschen überall zu Hause ist.
Unter dem Titel «Ballett für alle» überträgt das Opernhaus Zürich am Samstag, 22. Juni, das Ballett «Romeo und Julia» live auf eine Grossleinwand auf dem Zürcher Sechseläutenplatz. Bereits am Vorabend, am Freitag, 21. Juni, wird Jules Massenets Oper «Werther» auf derselben Leinwand zu sehen sein. Zudem wird die Premiere der neuen «Nabucco»-Inszenierung am Sonntag, 23. Juni, live auf ARTE concert ausgestrahlt.
Michael Rüegg besucht bis zur Premiere am 23. Juni über mehrere Wochen die Proben für «Nabucco» am Zürcher Opernhaus und spricht mit zahlreichen Beteiligten. In der nächsten Folge lesen Sie, wie Sängerinnen und Orchester das erste Mal aufeinandertreffen. Hier finden Sie alle erschienenen Beiträge.