Briefing aus Bern

Daten für die Firmen, Geld für die Kultur – und kein Schutz für Whistleblower

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (60).

Von Andrea Arezina, Elia Blülle und Urs Bruderer, 06.06.2019

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Manchmal verstehen wir nur noch Bahnhof. Wenn zum Beispiel der Nationalrat den Ausbau der Eisen­bahn bis ins Jahr 2035 um zwei Bahnhöfe erweitert, was den Preis für das ganze Paket von 12,82 Milliarden auf 12,89 Milliarden Franken steigen lässt. Und die Presse dann wegen dieses Anstiegs zwei Stellen hinter dem Komma aufheult wie eine alte Dampflok.

Die Summe sei selbst linken Politikern nicht mehr geheuer, schrieb der «Tages-Anzeiger» und zitierte Verkehrs­ministerin Simonetta Sommaruga, die die Begeisterung der Nationalräte für die Bahn auf das Wahljahr zurückführte. Und die NZZ klagte, es sei eben zu viel Geld da für die Eisenbahn.

Klar, bei Milliarden­beträgen geht es hinter dem Komma immer noch um Millionen. In diesem Fall um 70. Doch die sind gut ausgegeben: Auch Sommaruga hält die beiden Bahnhöfe in den Agglomerationen Winterthurs und Thuns für «sinnvoll», für «fachlich und sachlich unbestritten», wie sie in der Debatte sagte. Die Bundes­rätin wollte diese beiden kleinen Bauvorhaben in den nächsten Planungs­schritt verschieben, der Nationalrat nicht. «Kein Drama», meinte dazu die Verkehrsministerin.

Dennoch fühlten sich manche Beobachter an die Debatte um den Ausbau des Strassen­netzes im Frühling erinnert. Auch da stockte der Nationalrat die Pläne des Bundes­rates auf. Aber vor dem Komma, allein für die Auto­bahnen von 4,6 auf über 6 Milliarden Franken. Und auch um Projekte, die der Bundesrat für noch nicht ausgereift hält.

Da soll nun der Ständerat die Notbremse ziehen. Tut ers nicht, geht hoffentlich ein Geheul durch die Medien wie beim Start eines Formel-1-Rennens. Und wir biegen jetzt mit quietschenden Reifen ab ins Briefing aus Bern.

Die elektronische ID – Referendum garantiert

Worum es geht: Ein digitaler Ausweis für das Netz soll her – staatlich anerkannt –, herausgegeben von privaten Firmen. Das hat am Dienstag der Ständerat entschieden, und zwar deutlich. Er folgte damit dem Nationalrat, der dem sogenannten E-ID-Gesetz im März zugestimmt hatte. Einzige Korrektur: Ein Antrag von SP-Stände­rätin Anita Fetz wurde angenommen. Er gibt dem Bund die Möglichkeit, auch selbst eine E-ID herauszugeben. Der Bund kann, aber er muss nicht. Fetz selbst nennt es nicht mehr als einen «Auffangartikel».

Was Sie wissen müssen: Mit der elektronischen ID soll es in Zukunft möglich werden, per Mausklick zum Beispiel die Steuer­unterlagen einzureichen, einen Strafregister­auszug zu verlangen oder online einzukaufen. Eine Karte für alles. Herausgegeben und betrieben werden soll die E-ID von privaten Firmen. Beispielsweise von der Swisscom oder der UBS, die sich mit 18 anderen Firmen zum Konsortium Swiss Sign zusammen­geschlossen haben. Die Stände­rätin Anita Fetz warnte vergebens: «Diese Daten, wer sich wann wo eingeloggt hat, gehören nicht in private Hände

Wie es weitergeht: Dass gegen diese E-ID-Vorlage das Referendum ergriffen wird, ist so sicher wie dass Sie heute noch einmal auf Ihr Smartphone schauen werden. Daniel Graf von Wecollect, einem Webprogramm für die Unterschriften­sammlung im Netz, hat es bereits in Aussicht gestellt.

Mehr Geld für digitale und mehrsprachige Kultur

Worum es geht: Bundesrat Berset hat die neue Kulturbotschaft des Bundes­rates vorgestellt. Er will von 2021 bis 2024 insgesamt 943 Millionen Franken für Kultur ausgeben. Das sind rund 5 Prozent mehr als bisher.

Was Sie wissen müssen: Mit 10 Millionen Franken soll neu der schulische Austausch zwischen der Deutsch­schweiz, der Romandie und dem Tessin intensiviert werden. Die Jugendlichen sollen so für die Sprachen­vielfalt der Schweiz sensibilisiert werden. Ein weiterer Schwer­punkt der Kultur­botschaft ist der digitale Wandel. Kultur­minister Alain Berset sagt: «Die Digitalisierung verändert den Zugang zur Kultur tiefgreifend, bringt aber auch neue Chancen.» Besonders stark davon betroffen ist die Film­branche. Sie spürt die rasante Zunahme von Streaming­diensten immer mehr. Der Bundesrat möchte darum die Online­anbieter von Filmen verpflichten, 4 Prozent ihrer Brutto­einnahmen in den Schweizer Film zu investieren oder eine Ersatz­abgabe zu bezahlen. Weitere 2 Millionen Franken will der Bundesrat in die Förderung von Design und interaktiven digitalen Medien investieren. Und rund 8 Millionen sollen für die musikalische Bildung ausgegeben werden. Damit will der Bundesrat der Initiative «Jugend + Musik», die 2012 mit über 70 Prozent von der Stimm­bevölkerung angenommen worden ist, gerecht werden.

Wie es weitergeht: Die Kultur­botschaft ist bis zum 20. September in der Vernehmlassung bei Verbänden und Parteien.

Whistleblower bleiben weiterhin ungeschützt

Worum es geht: Der Nationalrat hat den neusten Vorschlag zum Schutz von Whistle­blowern mit grosser Mehrheit abgelehnt. Die Parlamentarierinnen monierten, dass die Vorlage viel zu kompliziert geraten sei. Viele gehen davon aus, dass die neue Regelung die Bekannt­machung von Korruption und Missständen sogar erschweren könnte. Denn um keine Strafe zu riskieren, müsste sich ein Whistle­blower gemäss der bundesrätlichen Vorlage an ein mehrstufiges Kaskaden­verfahren halten, das detailliert vorschreibt, welche Schritte einzuhalten sind, wenn man einen Vorfall melden will.

Was Sie wissen müssen: Seit 15 Jahren versuchen der Bundesrat und das Parlament, ein sinnvolles Gesetz zum Schutz von Whistle­blowern zu erarbeiten. Und seit 15 Jahren haben sie nichts zustande gebracht. In der Schweiz geniessen Whistle­blower nach wie vor keinen gesetzlichen Kündigungsschutz.

Wie es weitergeht: Als Nächstes stimmt der Ständerat über den Entwurf des Bundesrates ab. Da linke wie auch rechte Parlamentarier die Vorlage bekämpfen, wird wohl auch der Ständerat den Gesetzes­vorschlag versenken. Und mit einem neuen, besseren Anlauf ist in nächster Zeit nicht zu rechnen, so die zuständige Justiz­ministerin Karin Keller-Sutter.

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