Wasserstoff treibt die Bürgerlichen an

Innovation, Eigenverantwortung, Privatwirtschaft: Auf diesen Pfeilern ruht die Klimastrategie der Bürgerlichen. Genügt das? Rundgang mit den Spitzen von FDP und SVP auf einer Wasserstoffanlage.

Von Simon Schmid, 05.06.2019

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Vorne laufen drei zentimeterdicke Stromkabel hinein, oben links führt ein kleines Metallröhrchen mit Wasserstoffgas hinaus: Es ist ein unscheinbarer Apparat, den sich das Besichtigungs­grüppchen an diesem Samstag im Juni erklären lässt. Aber einer, der die Augen der Politiker zum Leuchten bringt.

Und die politischen Fantasien zum Blühen. Wasserstoff-Elektromobilität: Eine neue Technologie soll den Durchbruch beim Klimaschutz bringen, und das ganz ohne Staat. Hier in Aarau, in einem Bunker gleich neben dem städtischen Flusskraftwerk, wird der kostbare Rohstoff erstellt: Wasserstoff.

Die FDP-Spitze sagt Hallo zum Wasserstoff: Petra Gössi, Doris Fiala, Beat Walti (v. l.). Vesa Eskola/Hyundai/Keystone

Petra Gössi, Beat Walti, Hans-Ulrich Bigler – viel freisinnige Politprominenz ist erschienen. Von der SVP ist Albert Rösti da. Stilisiert wurde der Event zu einem bürgerlichen «Klimagipfel», obwohl es eigentlich ein gewöhnlicher Anlass der FDP-Frauen ist, wie er alle 14 Tage stattfindet. Egal. Die Chance, die eigene Klimapolitik ins gute Licht zu rücken, lässt man sich nicht entgehen. Sogar die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens ist gekommen.

Doris Fiala, Nationalrätin und Chefin der FDP-Frauen, ist gut gelaunt. «Alle ziehen am gleichen Strick», frohlockt sie und schärft dem Publikum die Grundsätze freisinniger Klimapolitik ein. «Privat vor Staat, Gesamtökobilanz, Verursacherprinzip, neue Technologien.» Die Wirtschaft denke voraus, sagt Diana Gutjahr, SVP-Nationalrätin aus dem Thurgau, zur Begrüssung. Und das sei schon lange so, man vollziehe hier keinesfalls einen Kniefall vor den klima­streikenden Jugendlichen. Nicht Gesetze und Regulierungen würden das Klima am besten schützen, sondern Forschung und Pioniergeist.

Die Ironie: All dies spielt sich in den Räumlichkeiten eines Staatsbetriebs ab. Die Eniwa AG gehört zu 95 Prozent der Stadt. Früher hiess sie Industrielle Betriebe Aarau, letztes Jahr wurde der Name geändert. Die Eniwa AG versorgt 30 Gemeinden im Aargau mit Strom, Trinkwasser und Glasfaser. Sie bietet Energie­dienstleistungen an, zum Beispiel als Installateurin von Solarpanels.

Und, was ziemlich innovativ ist: Sie produziert seit kurzem auch Wasserstoff: für die Firma H2 Energy, ein Start-up, an dem sie selbst eine Beteiligung hält, neben anderen Investoren wie Coop. Produziert wird der Wasserstoff mittels Elektrolyse, eines Verfahrens, das eigentlich zum Standardrepertoire jedes Chemielehrers gehört, aber bislang nicht im grossen Stil angewandt wurde. Dabei wird elektrischer Strom über ein Metallplatten­arrangement durch Wasser (H2O) geleitet. Dieses spaltet sich sodann in seine Einzelteile auf. So entstehen Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2). Eines dieser beiden Gase, Wasserstoff, kann als klimafreundlicher Treibstoff verwendet werden.

Im Bunker neben dem Elektrizitätswerk, dicht gedrängt um eine Maschine, die den Wasserstoff für den anschliessenden Transport zur Tankstelle auf 200 bar zusammenpresst, erklärt der Chef von H2 Energy die Technik. Die anwesenden Politiker löchern ihn mit Fragen:

  • Fliesst das Gas in diese Röhren da? Ja, von hier aus fliesst das Gas dann zum Tanklastwagen.

  • Ist der Betrieb selbsttragend? Ja, wir beziehen billigen Überschussstrom vom Flusskraftwerk.

  • Kann man solche Anlagen skalieren? Ja, das kann man. Kleine und grosse Anlagen sind möglich.

  • Kann man flexibel hoch- und runterfahren? Ja, man kann die Produktion innerhalb von Sekunden starten.

  • Kann man die Energie saisonal speichern? Ja, genau dafür ist sie geeignet.

Für die FDP und die SVP ist die Wasserstoff­mobilität sehr interessant, weil alles anscheinend wie von selbst funktioniert, ohne staatliche Förderung. Fortschritt, Innovation, Eigenverantwortung, keine Bevorteilung bestimmter Technologien, Wettbewerb der Ideen: Das ist der bürgerliche Klimasound.

Natürlich half auch öffentliche Unterstützung, dass Wasserstoff­mobilität in der Schweiz zur Option werden könnte. Zum Aarauer Projekt beigetragen haben das zum ETH-Bereich gehörende Paul-Scherrer-Institut in Villigen, wo über Brennstoffzellen und die Wasserstoffwirtschaft geforscht wird, und die Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in Dübendorf, die technische und rechtliche Fragen rund um Betrieb einer Wasserstoff-Testtankstelle geklärt hat, sodass diese eine Bewilligung erhalten konnte. Sowohl die Elektrolyse-Anlage (766000 Franken) als auch die H2-Tankstelle (1,9 Millionen Franken) wurden überdies mit staatlichen Fördergeldern unterstützt, die das Bundesamt für Energie für Pilotprojekte vergibt.

An einem bürgerlichen Klimagipfel steht das aber weniger im Vordergrund.

Viel lieber spricht man über H2 Mobilität, einen privaten Förderverein für die Wasserstoff­mobilität. Dort macht eine ganze Reihe von Firmen mit: Coop, Migros, Fenaco, Agrola, Avia, Galliker Transporte, Emil Frey – alles was in der Schweizer Transportbranche Rang und Namen hat. Sogar die Ölmultis Shell und Socar sind dabei. Sie alle wollen helfen, das Tankstellen­netz aufzubauen, und wollen selbst auch Lkw einsetzen, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Massgebliche Kraft hinter dem Projekt war Coop, der Konzern will bis 2023 CO2-neutral werden (für seinen ersten H2-Lastwagen hat auch Coop übrigens 362000 Franken an Fördergeldern erhalten).

Lieferant dieser Lkw wird Hyundai. Die südkoreanische Autofirma will in den nächsten 6 Jahren insgesamt 1600 Wasserstoff­lastwagen in die Schweiz liefern und diese zusammen mit H2 Energy in einer Art Leasing-Modell anbieten: Die Transporteure zahlen einen fixen Preis pro Kilometer, um die Finanzierung der Fahrzeuge kümmert sich Hyundai.

Eine ganze Armada von Ingenieuren habe Hyundai auf das Projekt angesetzt, erzählt einer der Projekt­koordinatoren stolz. Alles sei massgeschneidert für die Schweiz: die Grösse der Lastwagen (2 Achsen, 4 Räder), das Gewicht (34 Tonnen mit Anhänger), die nötige Energieleistung für zwei Kühl­aggregate, 2 Hebebühnen und die Bewältigung von Schweizer Voralpen­pässen.

In einer ersten Phase sollen nur Lkw die Tankstellen nutzen – später dann auch private Wasserstoffautos.

Solche Modelle stehen für die Eventbesucher in Aarau zum Test bereit. Im Toyota Mirai aus Japan und im Hyundai Nexo dürfen sie um den Parkplatz des Aargauer Strassen­verkehrsamts kurven. Das ist zwar weniger spektakulär als die Testfahrten auf Hoch­geschwindigkeits-Schleuder­strecken, die manche anderen Autohersteller für Medien gern organisieren, aber man merkt schon: Diese Dinger haben Pfupf.

Ähnlich wie andere Elektroautos auch. Einfach nicht dank Batteriestrom, sondern dank dem Strom, der mit Wasserstoff in der Brennstoffzelle hergestellt wird.

Gegenüber Batterieautos haben Wasserstoff­­autos einen grossen Nachteil: Der Wirkungsgrad ist über die ganze Kette hinweg miserabel, weil Strom zuerst in Wasserstoff und dann wieder in Strom umgewandelt werden muss – von der Energie­gewinnung bis zum Autoantrieb bleibt viel Energie auf der Strecke (das ist übrigens auch bei Autos mit Verbrennungs­motoren der Fall).

Wasserstoffautos haben aber auch ein paar Vorteile. Ihre Reichweite ist mit rund 500 Kilometern deutlich höher als jene von Batterieautos. Zudem dauert das Auftanken nur ein paar Minuten, nicht eine halbe Stunde. Vor allem aber lässt sich Wasserstoff über die Jahreszeiten hinweg aufbewahren, sofern man die nötigen Tanks dafür baut. Man kann ihn also im Sommer produzieren und im Winter verbrauchen – dann, wenn in der Schweiz Strommangel herrscht. Batterien eignen sich dagegen eher für die Strom­speicherung über Nacht.

Die drei von der Tankstelle: Petra Gössi, Albert Rösti und Doris Fiala (v. l.). Vesa Eskola/Hyundai/Keystone

Ein Vertreter von H2 Mobilität erklärt all dies den versammelten Politikern. Die Gruppe steht rund um eine Wasserstoff­zapfsäule, die über eine Infrarot-Schnittstelle mit dem Auto kommuniziert. Besonders SVP-Präsident Albert Rösti drängt als wissbegieriger Fragensteller in den Vordergrund:

  • Kann man sagen, die Schweiz sei eine internationale Pionierin? Ja, das kann man sagen.

  • Wie viel kostet eine Tankfüllung? 55 Franken – pro Kilometer ungefähr so viel wie bei einem Dieselfahrzeug.

  • Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie? Die Befreiung von der LSVA-Schwerverkehrsabgabe bis 2023 und wenn möglich darüber hinaus.

  • Die CO2-Abgabe auf Treibstoffe erübrigt sich also? Darüber sage ich lieber nichts.

Auf politisch heikles Terrain gibt man sich an diesem Sommersamstag nicht – es soll um die Wasserstoff­technologie gehen, nicht um neue Abgaben.

Was der Angesprochene höflich verschweigt: Selbstverständlich braucht es Massnahmen wie CO2-Lenkungsabgaben, damit die Wasserstoff­mobilität und ähnliche Technologien ins Rollen kommen. Steuern auf fossile Energien sind einer der wichtigsten Gründe, warum Ölfirmen wie Shell sich überhaupt um Dinge wie Wasserstoff bemühen. An einem CO2-Emissionspreis führt nichts vorbei, wenn die Welt wirklich klimaneutral werden soll. In der Ökonomie ist dies inzwischen Common Sense: Nur wenn sie die Kosten spüren, werden Ölfirmen motiviert, langfristig auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Ähnlich anreizgetrieben funktioniert Klimapolitik in der Autobranche. Ab 2020 sinkt der Emissions­grenzwert von 130 auf 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Importeuren, die ihn im Durchschnitt mit ihrer Flotte nicht erreichen, drohen Strafzahlungen im dreistelligen Millionenbereich. Eine harte, aber effektive Regulierung: Sie wird benzin­betriebene SUV gegenüber E-Autos verteuern.

Regulierungen sollen beim bürgerlichen «Klimagipfel» aber im Hintergrund stehen. Die Wasserstoff­pioniere sprechen lieber über Eigeninitiative. «Wir wollen keine Staatsmittel, damit würden wir uns nur abhängig machen.»

Doch die grösste aller Fragen wird allein mit freiwilligem Pioniergeist nicht geklärt werden: Wer den ganzen sauberen Strom produzieren könnte – inklusive günstigem «Überschussstrom» –, der die Wasserstoff­mobilität dereinst antreiben soll. Heute stammt nur gut die Hälfte der Elektrizität aus erneuerbaren Quellen. Meint man es ernst mit dem Klima, so muss sich die Produktion aus Wasser, Sonne und Wind in baldiger Zukunft verdoppeln. Besonders der Ausbau der Solarkraft muss viel rascher vonstattengehen als heute.

Ohne Gesetze, die einerseits fossile Energien verteuern und andererseits die Investitions­sicherheit erneuerbarer Stromprojekte erhöhen – zum Beispiel über Einmalvergütungen für neue Solaranlagen –, wird die Energiewende nicht rasch genug vonstattengehen. Bauern haben zurzeit keinen finanziellen Anreiz, auf ihren Scheunen Solarpanels zu installieren. Im Grunde genommen braucht es bald eine nationale Solar-Anbauschlacht.

Und es braucht die ordnende, regulierende und fördernde Hand des Staates, damit Dinge wie die Wasserstoff­mobilität nicht nur Pilotprojekte bleiben.

Bei SVP-Präsident Albert Rösti ist das noch nicht richtig angekommen. «Wir brauchen den Staat nicht», lautet sein Fazit zum Schluss des Tages.

Bei der FDP scheint dagegen ein Umdenken im Gange zu sein. Und so klingt auch bei Parteipräsidentin Petra Gössi am Ende eine andere Note an. «Eigenverantwortung braucht Rahmenbedingungen», sagt sie dem Publikum.

Bei aller antistaatlichen Rhetorik, die an einem Anlass der Freisinnigen wohl einfach dazugehört, ist das immerhin ein Anfang.

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