Am Gericht

Zwischen Märchen­prinzen und globalem Pharma­handel

Swissmedic ermittelt und richtet wie eine Staatsanwaltschaft. Dabei beurteilt die Heilmittel­kontrollstelle nicht nur Fälle wie illegal eingeführtes Viagra, sondern auch globalen Handel mit gefälschten Krebsmedikamenten und die Frage, ob Prinzen «medizinisch-pharmazeutische Laien» sind.

Von Dominique Strebel, 22.05.2019

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Ort: Bern
Zeit: 7. September 2018 bis 20. November 2018
Fall-Nr: 600 13 732 vom 20. November 2018 und neun weitere
Thema: Strafurteile der Verwaltung

Dieser «Gerichtssaal» hat den Charme eines modernen Serverraums: Effizient entzippt eine Software das Datenpaket, das Swissmedic auf Anfrage zugänglich macht. Und dann liegen sie da auf dem Desktop – zehn PDF-Dateien, nicht anonymisiert und in voller Länge von bis zu 105 Seiten. Es sind die aktuellsten Entscheide der Abteilung Strafrecht von Swissmedic.

Die Heilmittel­kontrollstelle ist nämlich nicht nur eine Zulassungs­behörde, die Medikamente etwa darauf prüft, ob sie den wissenschaftlichen Kriterien genügen und ob Packungsbeilagen die Käufer über allfällige Risiken und Nebenwirkungen aufklären. Nein, Swissmedic ist auch eine strafrechtliche Untersuchungs­behörde.

Swissmedic fällt, wie eine Staatsanwaltschaft, selbst Urteile oder bringt Anklagen vor Gericht. Die Strafen können happig sein: bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe. Journalistinnen können die Entscheide per Mail anfordern – eine vorbildliche Urteilsverkündung.

Die Urteile erzählen erstaunliche Geschichten.

Einige werfen ein Licht auf den Alltag in Zoll und Spitälern: Wenn etwa ein Autofahrer in Chiasso über die Grenze will und in einer Keksschachtel 343 Beutel des Potenzmittels Kamagra und 410 Tabletten eines Viagra-Generikums versteckt (1000 Franken Busse); oder wenn ein Kantonsspital zwischen Mai 2017 und September 2018 pflichtwidrig 28 schwerwiegende Vorkommnisse mit Medikamenten nicht an Swissmedic meldet (5000 Franken Busse).

Oder wenn eine Pharmafirma für ein Haarmittel mit dem Märchen von Rapunzel Werbung macht und behauptet, das Produkt sei «vom Prinzen empfohlen». Gemäss Swissmedic ist das unzulässige Werbung, weil Märchenprinzen als «medizinisch-pharmazeutische Laien» gelten, mit denen gemäss Arzneimittelverordnung (Art. 22 Bst. g AWV) nicht geworben werden dürfe (4000 Franken Busse).

Doch die Untersuchungsleiter von Swissmedic haben es auch mit Fällen zu tun, die einen Einblick ins globale Pharmageschäft erlauben.

75 Fässer mit Steroiden

Am 16. August 2013 lagert ein Waadtländer Kaufmann im Genfer Zollfreilager 75 Fässer à je 40 Kilogramm Androstendion ein. Androstendion ist ein Steroid, das bei Bodybuildern beliebt ist. Der Zoll erstattet Meldung an Swissmedic.

Das Verfahren dauert fünf Jahre, erfordert zahlreiche Bankauskünfte, Entscheide des Bundes­strafgerichts und Rechtshilfe­gesuche. Doch am Ende ist Swissmedic überzeugt: Der Mann betreibt einen Grosshandel mit Rohstoffen für die Arzneimittel­produktion, beliefert ein multinationales Pharmaunternehmen mit Ware vor allem aus China. Allein für die Jahre 2012 und 2013 lassen sich 47 Lieferungen nachweisen.

Das wäre alles legal, hätte der Kaufmann für Einfuhr und Handel eine Bewilligung von Swissmedic.

Wer Substanzen zur Produktion von Arzneimitteln in einem Schweizer Zollfreilager einstellt, braucht eine Einfuhrbewilligung – auch wenn er es gar nicht in die Schweiz bringen will. Und wer im Ausland mit Medikamenten oder Vorprodukten Handel treibt, benötigt ebenfalls eine Bewilligung – auch wenn die Ware nie mit der Schweiz in Berührung kommt.

Der Kaufmann verteidigt sich, das alles habe er nicht gewusst. Der Untersuchungsleiter des Swissmedic-Strafrechts­dienstes lässt das nicht gelten: Als Verantwortlicher einer Firma, die im Pharmabereich handelt, hätte er das wissen müssen.

Er verurteilt ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 1500 Franken, also insgesamt 180’000 Franken. Der Tagessatz ist so hoch, weil Swissmedic feststellte, dass der Beschuldigte allein in den Jahren 2012 und 2013 mit seinem Handel einen Bruttogewinn von 28,8 Millionen Euro und 2,5 Millionen Dollar erzielte. Neben der bedingten Geldstrafe muss der Verurteilte eine (unbedingte) Busse von 53’000 Franken und Gerichtskosten von rund 33’000 Franken bezahlen. Der Strafbescheid von Swissmedic ist rechtskräftig.

Personell eng besetzt

Solche internationalen Fälle mehren sich bei der Abteilung Strafrecht von Swissmedic. Doch sie verfügt nur über acht Untersuchungsleiterinnen und Untersuchungsleiter, die sich 7,4 Vollzeitstellen teilen. Immer öfter müssen diese auch Beweismittel in elektronischer Form auswerten. Dabei können sie weder auf IT-Spezialisten noch auf die Polizei zurückgreifen, die bei normalen strafrechtlichen Verfahren viele Aufgaben der Staats­anwaltschaften übernimmt. Die Untersuchungsleiter erledigen all dies selbst.

Deshalb dauern die Verfahren mitunter überlange, und das Strafmass muss reduziert werden – wie etwa bei den Fällen um das Krebsmittel Avastin und das HIV-Medikament Atripla. In beiden spielt ein Zuger Pharma­unternehmen die zentrale Rolle.

Gemäss Swissmedic kaufte die Zuger Firma im Herbst 2011 in Ägypten gefälschtes Avastin, das sie an eine dänische Pharmafirma weiterverkaufte und das schliesslich zu 19 kalifornischen Onkologen gelangte. Die Arzneimittel waren als Avastin deklariert, enthielten aber nur Salz, Stärke und wirkungslose Chemikalien.

Das Krebsmittel ist einer der grössten Umsatzträger des Pharmakonzerns Roche. Eine einzige Ampulle kostet mehr als 1500 Franken. Swissmedic verurteilte den Firmeninhaber im September 2018 – nach einem Verfahren von mehr als 6 Jahren – wegen «fahrlässiger Einfuhr von Arzneimitteln ohne die dafür erforderliche Bewilligung» und wegen «Verstössen gegen die Sorgfalts­pflichten im Umgang mit Heilmitteln».

Das Strafmass: eine bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 500 Franken und eine Busse von 13’000 Franken. Zwei Angestellte erhielten tiefere Strafen.

Arzneimittel aus einem Hilfsprogramm

Dieselben Personen werden von Swissmedic im November 2018 ein zweites Mal verurteilt, weil sie sieben Jahre zuvor (zwischen November 2011 und September 2013) das HIV-Mittel Atripla von einem Händler in Kenia kauften, der es von einem Afrika-Hilfsprogramm abgezweigt hatte.

Auf den Verpackungen sei klar «NOT FOR SALE IN SOUTH AFRICA» aufgedruckt gewesen und die Beschuldigten hätten gewusst, dass die Arzneimittel aus dem Unterstützungs­programm eines Pharmakonzerns stammten.

Die Zuger Pharmafirma hat dieses HIV-Mittel gemäss Swissmedic zu tiefem Preis gekauft und mit hoher Marge in Westeuropa und anderen Ländern weiterverkauft. Damit habe das Unternehmen eine Unterversorgung der afrikanischen Region in Kauf genommen, für die die Heilmittel gedacht waren.

Der Firmenchef und drei Mitarbeiter haben sich gemäss Swissmedic strafbar gemacht, weil sie im Ausland mit Arzneimitteln handelten, «bei denen aus den Umständen erkennbar war, dass sie für widerrechtliche Zwecke bestimmt sein könnten». Strafmass für den Firmenchef: Busse von 9000 Franken. Die Mitarbeiter erhielten tiefere Bussen.

Beide Entscheide hat der Chef der Zuger Firma angefochten (die Mitarbeiter nicht). Für ihn gilt somit die Unschuldsvermutung. Gemäss «NZZ am Sonntag», die ausführlich über die beiden Fälle berichtete, ist er der Meinung, Swissmedic habe «schwere Verfahrensfehler» begangen. Der Entscheid beruhe auf einer «oberflächlichen Würdigung von rechtlich nicht beweiswürdigen Behauptungen aus verschiedenen Medien und nicht auf Tatsachen». Der Firmenchef kritisiert, dass sich Swissmedic in die Preisbildung unter Privaten einmische, wenn es beim Ankauf von Hilfsgütern zu tiefem Preis einschreite. Dazu habe die Heilmittel­kontrollbehörde keine Kompetenz, werde doch weder die Qualität der Arzneimittel geschmälert noch die Gesundheit sonst wie gefährdet.

Bei solchen Strafverfahren ist die Heilmittel­kontrollbehörde Swissmedic weit weg von illegal eingeführtem Viagra, nicht gemeldeten Vorfällen in Spitälern und unzulässiger Werbung mit Märchenprinzen.

Doch das ist vom Gesetzgeber so gewollt, der bereits den Handel mit Heilmitteln im Ausland – ohne Bezug zur Schweiz – ausdrücklich verboten hat, wenn «aus den Umständen erkennbar ist, dass sie für widerrechtliche Zwecke vorgesehen sind». So starke Kontrollen des globalen Pharmahandels erlauben weltweit nur wenige Länder. Eigentlich setzt hier die Schweiz Anliegen der Konzern­verantwortungs­initiative bereits um.

Alle diese Entscheide zeigen eine Strafbehörde mit zunehmender Bedeutung. Die Statistik bestätigt den Eindruck: 2010 eröffnete Swissmedic nur 17 Strafverfahren, 2018 waren es bereits 41. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Entscheide von 37 auf 55.

Auf Anfang 2019 haben die Untersuchungsleiter mehr Kompetenzen erhalten: Neu können sie auch verdeckte Fahndungen anordnen und Telefonüberwachungen beantragen (dann müssen sie das Verfahren unter Umständen an die Bundesanwaltschaft abgeben). Und sie können in Zukunft vor Gericht bereits dann Freiheitsstrafen von bis zu 10 Jahren verlangen, wenn ein Verstoss gegen das Heilmittelgesetz zu einer bloss abstrakten Gefährdung der Gesundheit führt. Sie müssen keine konkrete Gefährdung mehr nachweisen.

Definitiv: Von dieser Strafbehörde wird man in Zukunft sicher noch mehr hören.

Illustration Friederike Hantel

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