Geliebte Psychobitch

Mit der TV-Serie «Killing Eve» ist auch die letzte Minderheit endlich Teil des Mainstreams geworden. Es hat dafür nur eine psychopathische Auftragsmörderin gebraucht.

Von Solmaz Khorsand, 22.05.2019

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Sie weiss ein gutes Gemetzel zu schätzen: Jodie Comer als Villanelle in «Killing Eve». Eric (Andy Secombe) wirkt noch recht munter. Parisa Taghizadeh/BBC America/Keystone

Villanelle ist ein Workaholic. Ein Arbeits­tier, durch und durch. Sie möchte ihren Job nicht gut, sondern ausgezeichnet machen. Das Resultat soll nicht befriedigen, sondern begeistern. Vor allem sie selbst. Denn nichts ist öder für einen Freigeist als der Dienst nach Vorschrift.

Auch in ihrem Metier.

Villanelle ist Auftrags­killerin, die anbetungswürdigste, die das Fernsehen derzeit zu bieten hat, sofern diese Berufs­gruppe angebetet werden darf.

Villanelle, gespielt von der Britin Jodie Comer, in der Serie «Killing Eve» wird es jedenfalls. Ihr Konterfei wird in Siebdruck-Optik an die Wände Londons gesprayt. Ihr Kleidungs­stil von Klein­kindern zu Halloween nachgeahmt. Ihr maliziöses Lächeln von jungen Frauen auf Instagram zur Schau gestellt.

Verstörend eigentlich.

Denn Villanelle ist eine Psycho­pathin. Reue, Scham oder Mitgefühl sind ihr fremd. Das stellt sie Folge um Folge unter Beweis. Mal lässt sie einen schmierigen Ehemann wie ein ausgeweidetes Tier im Schaufenster eines Amsterdamer Bordells vom Haken baumeln, mal füllt sie die Lungen eines chinesischen Generals mit Kohlenstoff­monoxid, während sie ihm in einer Berliner SM-Klinik die Hoden abklemmt, mal sticht sie einem grapschenden Opa in seiner Villa in der Toskana mit ihrer Haar­nadel das Auge aus.

Dabei immer schlagfertig, witzig und euphorisch. Sie weiss ein gutes Gemetzel zu schätzen, allein der Ästhetik wegen. Eine Frau, die Haute Couture trägt, achtet eben auf ein gewisses Farben- und Formen-Arrangement.

Motiv hat Villanelle keines. Sie operiert auf Werkvertrags­basis.

Als Zuschauerin ist es befremdlich befreiend, ihr bei der Arbeit zuzusehen. Da ist eine junge Frau, die sich um nichts schert, ausser ihr Potenzial so zu entfalten, wie sie es für richtig hält.

Im Grunde ist Villanelle eine unsentimentale Karrieristin. Eine, die hierarchische Strukturen schon einmal mit einem Kopf­schuss löst, nur weil ihr das affektierte Gehabe ihres stumpfsinnigen Vorgesetzten aufstösst, die Psychologen auslacht, die sie auf ihre Empathie abklopfen, und Familien­vätern gelangweilt den Hals umdreht, wenn sie beginnen, um Gnade zu winseln, und dabei treuherzig von ihren Kindern erzählen, nur weil sie glauben, eine Frau liesse sich mit so etwas erweichen.

Gejagt wird Villanelle von Eve Polastri, einer tollpatschigen Schreibtisch­beamtin des britischen Geheim­diensts, die ein Faible für Psycho­pathinnen hat. Polastri, gespielt von Sandra Oh, verfolgt die russische Auftrags­killerin quer durch Europa. Schnell wird klar: Das hier ist mehr als nur ein Katz-und-Maus-Spiel. Da haben sich zwei gefunden. Auf allen Ebenen.

Keine Lesbenkitsch-Ästhetik

«Killing Eve» läuft seit April 2018 auf BBC America. Seitdem räumt die Serie einen Preis nach dem nächsten ab. Ob bei den Golden Globes oder den Baftas, den britischen Oscars, vor zwei Wochen. «Killing Eve» geht nie leer aus. 2018 kürte der «Guardian» die Serie zur besten des Jahres. Ein Überraschungs­hit. Auf den ersten Blick ist unklar, warum. «Killing Eve» ist ein Agenten­thriller mit spritzigen Dialogen, schönen Outfits, tollen Kulissen. Nichts, was man nicht bisher schon gesehen hat.

Auf den zweiten Blick erklärt sich, was die Serie auszeichnet: Repräsentation.

Die queere Community jubelt, weil mit Villanelle und Eve zwei Frauen­figuren den Plot einer Serie antreiben, die einander ohne heterosexuelle Lesben­kitsch-Ästhetik einfach geil finden dürfen.

Und wieder zu spät: Sandra Oh als Eve Polastri findet einmal mehr eine Leiche vor. Parisa Taghizadeh/BBC America/Keystone

Die PoC-Community – People of Color – jubelt, weil mit Sandra Oh eine koreanisch­stämmige Kanadierin eine der zwei Haupt­rollen spielt.

Und die Frauen jubeln, weil die Serie von Frauen geschrieben, produziert, besetzt und bespielt wurde.

All jene, die der Mainstream jahrhunderte­lang in Sachen Sichtbarkeit, Komplexität und Humor links liegen lassen hat, geniessen in «Killing Eve» ohne politisch korrektes Erziehungs­brimborium ihren grossen Auftritt. Ganz normal, so als wäre es nie anders gewesen.

Katapultiert in die weisse Sichtbarkeit

Sandra Oh glänzte bislang in einer Rolle: die der besten Freundin. Mit der Ärzte­serie «Grey’s Anatomy» wurde sie einem breiten Publikum bekannt. Zehn Staffeln lang spielte sie da Cristina Yang, eine brillante bissige Chirurgin – und beste Freundin der Protagonistin. 2014 verliess Oh die Serie. Ihr Abgang hat viele Fans enttäuscht. Für sie war Cristina Yang der eigentliche Star der Show.

Danach gab es für Oh wenig interessante Angebote – und das trotz des Golden Globe, den sie als beste Neben­darstellerin erhalten hatte, zahlreichen Emmy-Nominierungen und einem Stern auf Kanadas Walk of Fame. Oh nahm es mit Fassung. Klar sei ihre Branche rassistisch, sagte sie in Interviews, aber sie weigere sich, ihre Karriere ausschliesslich unter der Linse der ausbleibenden Möglichkeiten zu betrachten. Zu schmerzhaft sei dieser Blick. Geprägt hat er sie dennoch. Als sie das Skript zu «Killing Eve» las, musste sie bei ihrer Agentin nachfragen, für welche Rolle sie denn vorsprechen solle. Dass es eine der beiden Haupt­rollen sein sollte, kam ihr gar nicht in den Sinn.

Mit «Killing Eve» wurde Sandra Oh in die weisse Sichtbarkeit katapultiert. Sie gewann einen zweiten Golden Globe, dieses Mal als beste Haupt­darstellerin, und durfte als erste asiatisch­stämmige Schau­spielerin die Preis­verleihung auch mitmoderieren. Mit tränenerstickter Stimme trug sie diesem Moment auf der Bühne Rechnung.

Nur Protagonistinnen

Dass es so weit kam, verdankt sie den Serien­macherinnen. «Killing Eve» ist ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Frauen massgeblich ein Projekt zum Laufen bringen. Und zwar exakt so, wie sie es möchten. Eine Sender­chefin, Sarah Barnett, die ihrer Produzentin freie Hand lässt. Eine Produzentin, Sally Woodward Gentle, die sich eine unkonventionelle Autorin sucht. Eine Autorin, Phoebe Waller-Bridge, die alle Protagonisten aus dem Original­buch zu Protagonistinnen umschreibt.

Phoebe Waller-Bridge wird derzeit als Wunder­kind der Serien­welt gefeiert. Vor drei Jahren schrieb sich die Schau­spielerin die Rolle für die Serie, die sie spielen wollte: «Fleabag». Waller-Bridge gibt darin eine erfolglose Café-Besitzerin, die sich hemmungslos durchs Leben schnorrt, vögelt und masturbiert. Kritikerinnen nennen die Serie die dreckige Cousine von «Sex and the City» und sind begeistert von der Britin mit dem schrägen Witz.

Sie sind nicht die einzigen. Auch James-Bond-Darsteller Daniel Craig hat Gefallen an dem Talent seiner Lands­frau gefunden und sie prompt seinen Produzenten als Autorin vorgeschlagen. Nun wird sie nach «Fleabag» und «Killing Eve» den neuen James Bond umschreiben, ihn entkorken aus seiner Sixpack-Agenten-Melancholie.

Hirnloses Sexspielzeug

Interessant dürfte das werden. Bisher waren Männer in Waller-Bridges Serien­welt Karikaturen. In «Fleabag» reichte das Spektrum vom Sensibelchen bis zum hirnlosen Sex­spielzeug. Höchstens.

In «Killing Eve» kommt die Autorin so gut wie ganz ohne Männer aus. Es ist erfrischend, wie irrelevant sie für die Handlung sind. Man sieht sie lediglich als gestresste Assistenten, langweilige Ehe­männer oder eifersüchtige Liebhaber. Ansonsten sind sie im Hintergrund. Nur in einer Rolle schaffen es Männer in «Killing Eve» regelmässig ins Rampen­licht. Und da immerhin in Nah­aufnahme: als Leichen.

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