Aus der Redaktion

Zu den Fakten

Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut im Journalismus. Ein Medium, das sie verliert, stirbt. Deshalb hat die Republik einen Faktencheck – und korrigiert Fehler transparent. Hier erklären wir, wie das funktioniert.

Von Ihrem Expeditionsteam, 10.05.2019, Update: 06.07.2020

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Dieser Beitrag erscheint aus zwei Gründen. Er dreht sich um etwas, auf das wir stolz sind, auf das wir Wert legen.

Doch er erscheint auch, weil wir etwas klarstellen wollen.

Journalistinnen sind der Wahrheits­suche verpflichtet – zualleroberst und zuallererst. So steht es im Schweizer Journalistenkodex. Und so steht es in unserem Manifest.

Doch Journalisten sind auch nur Menschen – natürlich machen wir Fehler. Um möglichst wenige davon zu machen, haben wir einen Kontroll­prozess, ein Sicherheits­netz, das wir Fakten­check nennen. Und wenn wir trotzdem Fehler machen, dann stehen wir dazu – und korrigieren sie transparent.

Unsere Abläufe zur Qualitäts­sicherung wurden in den letzten Monaten immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Und – das wollen wir mit aller Deutlichkeit festhalten – wir haben diese Probe jedes Mal bestanden. Wir kommen später darauf zurück.

Zunächst zeigen wir Ihnen jetzt, wie unser Kontroll­prozess funktioniert.

So läuft unser Faktencheck

Die Grundlage des Kontroll­prozesses: Ausnahmslos alle Beiträge werden vor der Publikation mehrfach gegengelesen – von einer Redaktions­kollegin, der Produktion, dem Korrektorat. Das ist Standard auf vielen Redaktionen: Kein Stück erscheint, ohne dass mehrere Personen grünes Licht geben.

Doch wir gehen deutlich darüber hinaus. Die Republik ist eine der wenigen Publikationen in der Schweiz, die sich einen umfassenden Fakten­check leisten. Durchgeführt wird er bei allen grösseren Beiträgen. Das heisst konkret: Alle grösseren Reportagen, alle Investigativ­recherchen und alle Multimedia­produktionen durchlaufen diesen Prozess.

Unser Fakten­check hat bis zu sechs Stufen:

  1. Reporterin an Redaktor: Der Beitrag wird von einem Kollegen in der Redaktion abgenommen. Neben dramaturgischer und stilistischer Arbeit am Text wird auch der Inhalt kritisch hinterfragt: Stimmt das? Woher hast du diese Information? Konnten Personen, gegen die wir Vorwürfe erheben, mit ihren besten Argumenten darauf reagieren?

  2. Redaktor an Produzentin: Nach dieser Arbeit, die meistens mehrere Schleifen nimmt, geht der Beitrag in die Produktion. Dort wird er auf Verständlichkeit geprüft und redigiert, mit Titel und Lead versehen, Bildern und Legenden. Auch hier werden Fakten gecheckt: Gibt es Links auf Original­quellen? Was zeigt dieses Bild? Wo wurde es aufgenommen? Können die Kurven in der Grafik stimmen?

  3. Produzent an Fakten­check: Jetzt kommt die eigentliche Überprüfung der Fakten, systematisch und quellen­basiert. Reporter und Autorinnen liefern die Dokumentation ihrer Recherche an den Fakten­checker. In der Dokumentation sind alle Fakten mit Quellen hinterlegt. (So sieht eine solche Dokumentation aus.) Heisst die Ortschaft wirklich so? Stimmt die Kilometer­zahl zur Distanz zwischen zwei Orten? Leben in dieser Gegend wirklich Wüsten­füchse? Reporterin und Fakten­checker stehen hier in einem Wettbewerb. Ziel des Reporters: so sauber zu arbeiten, dass der Fakten­checker nichts zu beanstanden hat. Ziel des Fakten­checkers: So pingelig und unbequem zu sein, dass am Schluss alles stimmt. Hier ein Beispiel, wie die Endabnahme aussieht.

  4. Faktencheck an Korrektor: Die nächste Stufe ist das Korrektorat. Bei kleineren Produktionen ist das Korrektorat neben der Orthografie für den sogenannten «kleinen Fakten­check» verantwortlich: Namen von Personen und Ortschaften werden auf ihre richtige Schreib­weise geprüft und Fakten auf ihre Plausibilität, Jahres­zahlen nachgeschlagen.

  5. Korrektor an End­abnahme: Spätestens jetzt kommen Blatt­macher und Chef­redaktorinnen ins Spiel. Auch sie lesen den Beitrag noch einmal komplett durch. Und geben grünes Licht für die Veröffentlichung.

  6. Die Leserinnen und Leser: Natürlich wälzen wir die Verantwortung nicht auf Sie ab. Aber: Ihr Feedback und Ihre Kritik machen unsere Beiträge besser. Immer wieder können wir dank Ihnen Fehler beheben. Hier ein Beispiel aus unserem Dialog.

Bei investigativen Recherchen passiert der erste detaillierte Fakten­check bereits bei der ersten Übergabe an die Redaktion – und wird dann bei jedem weiteren Produktions­schritt wiederholt. Vor der Publikation steht nicht selten auch noch eine juristische Überprüfung durch unsere Anwälte an.

Für den Faktencheck wird eine umfangreiche Dokumentation angelegt. Jeder einzelne Fakt, jede einzelne Aussage in einem Beitrag muss bei der Abnahme belegt werden können.

Die Dokumentationen sorgen dafür, dass wir effizient und ausführlich Belege liefern können, wenn Fakten in Zweifel gezogen werden. Dabei müssen wir jedoch immer auch den Quellen­schutz berücksichtigen. Unsere Prozesse zur Qualitäts­sicherung tragen entscheidend dazu bei, dass wir sehr gelassen bleiben können, wenn uns zum Beispiel die ETH mit juristischen Schritten droht. Oder wenn uns National­rätin Magdalena Martullo-Blocher wegen «3 Seiten, 30 Lügen» einklagen will – wir können belegen, was wir publizieren.

Eine harte Probe für unseren Faktencheck

Kurz vor Weihnachten 2018. Das Nachrichten­magazin «Der Spiegel» lässt eine Bombe platzen: «Spiegel legt Betrugs­fall im eigenen Haus offen». Der junge Star­reporter Claas Relotius hat jahrelang Protagonisten seiner Texte frei erfunden, Szenen ausgedacht, verzerrt, plagiiert, gefälscht. Aufgeflogen ist er schliesslich, weil ein Kollege Unstimmigkeiten in einer Reportage aus den USA fand – und selber zu recherchieren begann.

Relotius, dieser Name ist im Journalismus zum Schimpf­wort geworden.

Wer eine Kollegin mit Relotius vergleicht – der spricht ihr alle Berufs­ethik, alle journalistische Integrität, eigentlich alles ab, was sie zur Journalistin macht. Und so etwas bleibt kleben. Gegen einen solchen Vorwurf gibt es im Grunde keine Verteidigung, die alle Zweifel aus der Welt schaffen kann.

Ein paar Wochen nach der «Spiegel»-Geschichte kontaktiert das Branchen­magazin «Schweizer Journalist» die Republik. Es gäbe in einer unserer Reportagen «viele Ungenauigkeiten und Fehler», die stutzig machen würden.

Es ging um eine Reportage, an die Sie sich vielleicht erinnern: «Race, Class, Guns and God». Unsere Journalistin Anja Conzett reiste zusammen mit Co-Autorin Yvonne Kunz und Fotograf Reto Sterchi durch die USA. Einer der umfangreichsten Beiträge in der noch jungen Geschichte der Republik: fünf Episoden, 130’000 Zeichen.

Es folgen weitere Mails, weitere Fragen. Das Porträt eines Protagonisten der Reportage soll «in weiten Teilen übertrieben, überzeichnet und – ja, gelogen» sein. Wir prüften die Vorwürfe und beantworteten alle Fragen ausführlich.

Einige Wochen später veröffentlicht der «Schweizer Journalist» seinen Text dazu. Der Titel: «Ein Hauch von Relotius bei der Republik». Die Republik-Reporterin Anja Conzett wird darin hart angegriffen.

Gerade erst hat der Fall Relotius den «Spiegel» erschüttert. Stellen Sie sich vor: Sie entlarven den Schweizer Relotius. Und dann arbeitet der auch noch bei der gerade viel beachteten jungen Republik. Was wäre das für ein Scoop!

Nur stimmt er nicht. Nicht ansatzweise.

In der Reportage hatte es tatsächlich einige Fehler und Unschärfen. Sie hätten den Fakten­check-Prozess eigentlich nicht überleben dürfen. Wir haben diese Fehler transparent korrigiert, so wie es unser Redaktions­prozess vorsieht. Sie finden die Korrekturen am Schluss der Beiträge.

Im Umgang mit publizierten Fehlern ist für uns entscheidend, ob die Fehler sinnentstellend sind. Das heisst: ob sie die Aussage eines Beitrags verändern oder nicht. Keiner der Fehler in der USA-Reportage war sinnentstellend und hat das, was wir publizierten, auch nur im Ansatz entscheidend verfälscht.

So korrigieren wir Fehler

Unser Umgang mit Fehlern richtet sich nach deren Schweregrad:

  1. Orthografische Fehler: Ist ein Name, eine Ortschaft, eine Bezeichnung falsch geschrieben? Hat das Korrektorat einen Tippfehler übersehen? Solche Fehler korrigieren wir, ohne speziell darauf hinzuweisen.

  2. Fehler, die nicht sinnentstellend sind: Stimmen Kilometer­angaben nicht? Ist etwas ungenau übersetzt? Haben wir ein Zitat beim Redigieren verkürzt? Diese Fehler korrigieren wir und weisen am Schluss des Beitrags in einem Korrigendum darauf hin. Wie in der USA-Reportage.

  3. Fehler, die sinnentstellend sind – oder anders gesagt Falsch­meldungen, tatsächliche Irrtümer: Diese korrigieren wir, weisen im Beitrag darauf hin – und informieren Sie zusätzlich in unserem Newsletter darüber. Bisher mussten wir das erst einmal tun.

Was bleibt von den Vorwürfen?

Vor allem: ein Etikett, das unsere geschätzte Kollegin so schnell nicht wieder loswird. Dafür gibt es nur ein Gegenmittel, und das gehört erfreulicherweise zur Philosophie unseres Unternehmens: Transparenz.

Hier unsere Antworten auf die Fragen des «Schweizer Journalisten».

Sie werden sehen: Ein Gross­teil der vermeintlichen Fehler waren gar keine. Viele Vorwürfe konnten wir bereits anhand der Faktencheck-Dokumentation widerlegen. Wir haben zudem den kompletten Fakten­check wiederholt und so auch die meisten der korrigierten Unschärfen selber entdeckt.

Und nach all dem dann: «Relotius».

Aus diesem Grund hat unsere Reporterin Anja Conzett nun beim Presserat Beschwerde gegen den «Schweizer Journalisten» eingereicht. Die Beschwerde umfasst zwanzig Verstösse gegen den Schweizer Journalisten­kodex. Anja Conzett hat dabei die volle Unter­stützung der Chefredaktion.

Ihnen, liebe Verlegerinnen, liebe Verleger, danken wir für Ihr Vertrauen. Wir machen weiter – faktenbasiert und nach bestem Wissen und Gewissen.

Zum Update

Der Presserat hat die Beschwerde von Republik-Autorin Anja Conzett im Januar 2020 gutgeheissen. Die Beiträge im «Schweizer Journalist» haben gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellen von Tatsachen, Anhören bei schweren Vorwürfen) und 7 (unge­rechtfertigte Anschuldigungen) des journalistischen Kodex verstossen. Die Republik wurde im Juli 2020 dafür gerügt, beim veröffentlichten Schrift­verkehr mit dem Autor der gerügten Beiträge Änderungen angebracht zu haben, die dazu geeignet sind, den Eindruck der Leserschaft zu beeinflussen.

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