Theorie & Praxis

Sag mir, wo die Feinde sind

Kate Manne: «Down Girl»

Was ist Frauenfeindlichkeit, und wie wirkt sie sich aus? Die Philosophie­professorin Kate Manne hat «Die Logik der Misogynie» erforscht.

Von Margarete Stokowski, 07.05.2019

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Wenn man sich längere Zeit mit Feminismus beschäftigt, kennt man irgendwann all die Standard­situationen des Antifeminismus. Seine Denkweisen, die Argumentations­muster, die typischen Ablenkungs­versuche. Man wird mit der Zeit besser darin, auf Einwände zu reagieren, und oft auch gelassener im Umgang mit Gegnern. Einerseits.

Andererseits passiert es mit grosser Wahrscheinlichkeit auch, dass man zumindest ab und zu verzweifelt. Menschen stellen immer wieder neu dieselben Fragen. Warum dieses oder jenes Verhalten denn nun sexistisch oder frauenfeindlich sein soll. Man selbst denkt: «Es ist so klar, Leute!», und die anderen denken: «Was hat sie nur?»

Mit Kate Mannes Buch über Misogynie ist es so ähnlich. In «Down Girl: Die Logik der Misogynie» erklärt die australische Philosophin, wie Frauen­feindlichkeit funktioniert und welche Mechanismen und Argumente dabei typisch sind. Man kann beim Lesen als Feministin dabei halb euphorisch und halb traurig werden: Denn diejenigen, die besser verstehen wollen, wie Misogynie funktioniert und wie Frauen unter ihr leiden, werden nach dem Lesen dieses Buchs wohl viele vorher diffus erscheinende Situationen klarer sehen, weil Manne sehr brauchbare Begriffe und Modelle bereitstellt, die Ungerechtigkeiten erklären und leichter beschreibbar machen. Diejenigen aber, die ohnehin der Meinung sind, Frauen seien heute ja eh schon gleichberechtigt, werden sich kaum durch 500 Seiten Moral­philosophie arbeiten. (Falls solche Leute mitlesen: Trauen Sie sich!)

Ein gesellschaftliches Phänomen

Eine von Mannes Haupt­thesen besteht darin, den üblichen – oder wie sie sagt: naiven – Begriff von Misogynie für unbrauchbar zu erklären: Denn Frauen­feindlichkeit bedeutet nicht einfach, dass es Menschen gibt, die Frauen hassen, eben weil sie Frauen sind. Mit einem solchen Begriffs­verständnis liesse sich schlecht arbeiten, und zwar aus zwei Gründen.

Erstens kann ein Mann, dem Frauen­feindlichkeit vorgeworfen wird, einfach sagen, dass er Frauen gar nicht hasse – schliesslich liebe er zum Beispiel seine Frau und seine Töchter. Was ja sogar stimmen kann. («Zeit online» porträtierte kürzlich einen radikalen Abtreibungsgegner, darin fand sich der Satz: «Manche hielten ihn für einen Frauen­feind, aber das könne nicht sein, sagt er mit einem Lächeln: ‹Immerhin bin ich mit einer verheiratet.›») Man muss den Begriff also von einer falschen Verabsolutierung befreien: Frauen­feindliches Verhalten erfordert keineswegs generelle Feind­seligkeit gegenüber sämtlichen Frauen.

Zweitens: Auch Frauen können sich frauen­feindlich verhalten – was natürlich ebenfalls nicht bedeutet, dass sie alle Frauen, einschliesslich sich selbst, hassen.

Manne schlägt stattdessen ein anderes Konzept vor. Misogynie ist für sie nicht unbedingt eine Eigenschaft einzelner Personen, sondern ein «systematisches gesellschaftliches Phänomen», das sich auch in Institutionen, Gruppen, Kunst­werken, Praktiken, Unternehmen und anderen Umgebungen finden lässt. Manne versteht Misogynie als ein Mittel, patriarchale Ordnungen aufrechtzuerhalten, die mit anderen Herrschafts­systemen zusammen­hängen, zum Beispiel mit Rassismus, Klassismus, Diskriminierung von Alten oder Behinderten, Schwulen-, Lesben- und Trans­feindlichkeit. Eine Frau, die sexuell missbraucht wurde, muss etwa damit rechnen, bei der Polizei auf weniger Gehör zu stossen – oder sogar auf erneute Anfeindungen –, wenn sie schwarz ist oder als Prostituierte arbeitet.

Misogynie richtet sich nicht gegen Frauen an sich, sondern bestraft bestimmte Frauen für bestimmte Handlungen (oder versucht sie zu bestrafen). Und sie belohnt andere, die am Erhalt des Systems mitarbeiten: am liebsten jene, die klarmachen, dass sie absolut gerne und freiwillig ihrem Mann «den Rücken freihalten»; dass sie eh nicht so gern Vollzeit arbeiten würden, Feministinnen auch ein bisschen anstrengend finden, eklige Komplimente aber nicht so schlimm.

Um auch einen Eindruck vom Sound des Buches zu geben: Die titelgebende «Logik der Misogynie» besteht laut Manne darin, «dass Männer Frauen in asymmetrischen Rollen moralischer Unterstützung in Anspruch nehmen». Klingt eventuell erst mal unverständlich? Nachvollziehbar. Und eines der Probleme dieses ansonsten klugen Buches.

Was hier gemeint ist: Männer (nicht unbedingt alle) glauben, dass Frauen (nicht unbedingt alle) ihnen bestimmte Dienste und Fähigkeiten schulden, und zwar mehr als umgekehrt. Diese Unterstützung nehmen sie in Anspruch, als würden sie sie verdienen, einfach dadurch, dass sie Männer sind, ohne sie zurückgeben zu müssen: «sei es auf dem Gebiet der Fürsorge, des Trostes, der Pflege oder der sexuellen, emotionalen und reproduktiven Arbeit».

Dabei ist Misogynie nicht einfach nur ein Relikt aus alten Zeiten, das sich mit fortschreitender Gleich­berechtigung erübrigt, sondern ein stabilisierendes Mittel mit ganz bestimmten Funktionen: Es stellt sicher, dass Frauen bestimmte Dinge tun, die für diese Gesellschaft, wie sie momentan verfasst ist, notwendig sind. Weil sie sonst überhaupt nicht funktionieren würde.

Wer als Frau nicht fürsorglich und aufmerksam genug scheint, wer in Macht­positionen gelangen will, Diskriminierung anprangert oder einfach besonders durchsetzungs­stark oder laut ist, verstösst gegen – meist ungeschriebene – Regeln, die Frauen an ihrem Platz halten sollen. «Frauen sind nicht einfach Menschen», schreibt Manne, «sondern werden für die dominanten Männer, die unterschiedliche Arten von moralischer Unterstützung, Bewunderung, Aufmerksamkeit usw. bei ihnen suchen, zu gebenden Menschen

In diesem Sinne versteht sie ihr Buch auch als «Bollwerk gegen Gaslighting», also die gezielte Verunsicherung und Unter­minierung weiblichen Selbst­bewusstseins. Denn Frauen, die ungerechte Zustände kritisieren, wird immer noch oft vorgeworfen, sie seien zu empfindlich, würden nur Aufmerksamkeit wollen, sich einfach irren oder seien auf irgendeine Art psychisch krank.

«Obwohl Misogynie häufig einen persönlichen Ton anschlägt, ist es am produktivsten, sie als politisches Phänomen zu begreifen», schreibt Manne. Misogynie sei «als System zu verstehen, das innerhalb der patriarchalischen Gesellschafts­ordnung dafür sorgt, dass die Unterwerfung von Frauen durchgesetzt und kontrolliert und die männliche Herrschaft aufrecht­erhalten wird». Das bedeutet nicht, dass man Misogynie nicht auch psychologisch untersuchen könnte, wie das Klaus Theweleit mit seinem Buch «Männerphantasien» schon in den 1970ern gemacht hat. Allerdings läuft eine psychologische Untersuchung von Frauen­feindlichkeit Gefahr, sich allzu sehr mit den Gründen und Abgründen von Tätern zu beschäftigen statt mit den Auswirkungen auf die Betroffenen.

Die Banalität der Misogynie

Wie sehr Frauen den unterschiedlichen Ausdrucks­formen der Misogynie ausgesetzt sind, zeigt Manne an vielen historischen und aktuellen Beispielen. Dass Männer sich oft mehr erlauben dürfen als Frauen, belegt Manne anhand zahlreicher Studien und Forschungs­arbeiten, die untersuchen, wie unterschiedlich Menschen das Verhalten von Männern und Frauen bewerten, weil sie unbewusst versuchen, Gender­hierarchien aufrechtzu­erhalten: In einer Studie wurden den Teilnehmenden fiktive berufliche Profile von Personen vorgelegt, die mal «James» und mal «Andrea» genannt wurden. James wurde – trotz ansonsten durchgängig identischer Informationen – als kompetenter und sympathischer bewertet, ohne jegliche rationale Grundlage. In einer anderen Studie bekamen die Teilnehmenden Anekdoten über Eltern vorgelegt, die kurz das Haus verliessen. Das Verhalten von Müttern, die ihre Kinder allein liessen, wurde als riskanter eingeschätzt als dasselbe von Vätern.

Auch eine ganze Menge an Alltags­phänomenen versteht man besser, wenn man Kate Mannes Begriff von Misogynie folgt. Die Tendenz etwa, «privilegierten Männern ihre Sünden zu vergeben». Manne bezeichnet das als himpathy: Empathie mit Männern in Macht­positionen, während gleichzeitig die von ihnen attackierten weiblichen Opfer erst einmal verdächtigt werden, zu lügen oder nur Aufmerksamkeit zu wollen.

Das ist übrigens nicht erst eine Idee von heute. Über den menschlichen «Hang, die Reichen und Mächtigen zu bewundern und beinahe göttlich zu verehren» und «Personen in ärmlichen und niedrigen Verhältnissen zu verachten oder wenigstens zurückzu­setzen», hat Adam Smith schon 1759 in seiner «Theorie der ethischen Gefühle» nachgedacht.

Was die Bewertung von Übergriffen betrifft, wird die himpathy noch verstärkt durch den Mythos, Vergewaltiger oder andere Sexual­straf­täter seien irgendwie monströse, dunkle Gestalten. Die meisten Menschen können sich zwar darauf einigen, dass Vergewaltigung ein schreckliches Verbrechen ist – aber sie haben eine falsche Vorstellung davon, wie Vergewaltigungen ablaufen und wie Vergewaltiger aussehen und handeln.

Diese Vorstellung hat eine schützende Funktion für diejenigen, die sich dadurch nicht klarmachen müssen, dass auch ganz «normal» und nett wirkende Menschen gewalt­tätig werden können. Sie ist aber verheerend in der Beurteilung von Straf­taten. Menschen glauben an eine, wie Manne es nennt, «Karikatur» von Vergewaltigern: einen düsteren, bösartigen Mann, der im Dunkeln seinen Opfern auflauert. Diesen Glauben wollen die meisten nicht aufgeben, um in der Illusion zu verbleiben, dass das Böse ausserhalb ihres Alltags existiert.

Manne spricht hier unmissverständlich: «Wenn sich auf diesem Gebiet etwas ändern soll, muss man unter anderem akzeptieren, dass misogyne Gewalt und sexuelle Übergriffe in der Regel von unauffälligen, keineswegs monströs erscheinenden Menschen begangen werden. Wir müssen die Banalität der Misogynie akzeptieren, um einen berühmten Ausdruck – und eine oft verteufelte Idee – von Hannah Arendt zu übernehmen.»

Kleine Kritikpunkte

Mannes Buch ist also in vielerlei Hinsicht äusserst hilfreich, um misogyne Strukturen aufzudecken und zu beschreiben. Aber es gibt mindestens drei Punkte, in denen die Autorin hinter ihren Möglichkeiten bleibt.

Das erste Problem spricht sie selbst an: «Die wohl wichtigste Auslassung dieses Buches (von denen es viele gibt) ist die Erörterung der Transmisogynie.»

Manne begründet diese Auslassung damit, dass ihr hier die Sach­kompetenz fehle. Das ist schade, denn in anderen Bereichen, die sie selbst nicht betreffen, etwa bei der besonderen Verwundbarkeit schwarzer Frauen und anderer von Rassismus betroffener Menschen, schafft sie es ebenfalls, auf Überschneidungen von Diskriminierung hinzuweisen. Wer sich für die Verbindung von Misogynie und Trans­feindlichkeit interessiert, greift also besser zu Felicia Ewerts Buch «Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung». Ewert beschreibt unter anderem, wie Trans­frauen oft sogar in feministischen Kreisen genau die Art von Ausgrenzung erfahren, die Feministinnen ansonsten trifft, wenn sie auf Antifeministen treffen: Sie werden als zu emotional und aggressiv wahrgenommen, wenn sie Ungerechtigkeiten ansprechen.

Eine zweite Schwäche von Mannes Buch liegt in dem Bemühen, den Begriff der Misogynie nur «sparsam auf Personen» anzuwenden. Manne möchte Einzel­personen kein «beschämendes Etikett» anheften. Dabei geht es ihr darum, sich vor Übertreibung und Moralismus zu hüten – prinzipiell ehrenwert. Doch handelt sie sich dadurch nicht nur immer wieder eine falsche Zurück­haltung ein, sondern auch eine gedankliche Inkonsequenz.

Über Beleidigungen schreibt sie: «Es ist nichts dagegen einzuwenden, eine Ratte als solche zu bezeichnen, wenn sie denn eine ist.» Warum nicht ebenso mit den Feinden der Emanzipation verfahren und sie als Feinde bezeichnen? Es gibt nicht wenige Menschen, die sich der Gleich­berechtigung von Frauen so aktiv entgegen­stellen, dass man sie ohne Weiteres als misogyn bezeichnen kann.

Schliesslich drittens, das klang bereits an: die Sprache des Buches. Manne ist Professorin für Philosophie an der Cornell University, es ist also legitim, dass sie in einem akademischen Duktus schreibt. Dennoch ist es angesichts des Themas bedauerlich, dass ihr Buch nur von Menschen mit akademischer Vorbildung oder extremer Geduld und Nachschlage­bereitschaft gelesen werden kann – bei dem ganzen Fremdwort­feuerwerk aus «quasi-kontrapositionalen moral­psychologischen Aussagen», «Konjunkten» und «Usurpation».

Was man Manne nicht anlasten kann, ist die teilweise schlechte Übersetzung ihres Werks. Es ist ziemlich irritierend, ein feministisches Buch im generischen Maskulinum zu lesen («Die grosse Mehrheit der Strangulierungs­opfer sind weibliche Intim­partner») und einen intersektional argumentierenden Text, in dem race einfach mit dem deutschen «Rasse» übersetzt ist.

Dennoch ist «Down Girl» ein empfehlenswertes, beeindruckendes Buch. Auch wer nicht gerade Philosophie studiert hat, wird allein aufgrund der ausführlich beschriebenen Beispiele sehr viel Anschauungs­material dafür finden, wie verbreitet Misogynie heute noch ist und welchen Regeln sie folgt. Und wer die Regeln kennt, kann sie besser brechen.

Das Buch

Kate Manne: «Down Girl. Die Logik der Misogynie». Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2019. 500 Seiten, ca. 36 Franken.

Zur Autorin

Margarete Stokowski, 1986 in Polen geboren und seit 1988 in Berlin lebend, ist freie Autorin. Seit 2015 erscheint wöchentlich ihre Kolumne «Oben und unten» auf «Spiegel online». Ihr feministisches Sachbuch «Untenrum frei» erschien 2016, zwei Jahre später folgte die Textsammlung «Die letzten Tage des Patriarchats».

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