Am Gericht

Journalistin verurteilt – Tierschützer gewinnt (teilweise)

Es ist heikel, über die Nähe gewisser Tierschützer zu rassistischem Gedankengut zu berichten. Das musste jüngst eine Journalistin erfahren – über den Strafprozess hinaus.

Von Sina Bühler, 01.05.2019

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Ort: Kreisgericht St. Gallen
Zeit: 26. April 2019, 8.30 Uhr
Fall-Nr.: ST.2017.27519
Thema: Üble Nachrede

Der Tierschutzaktivist, um den es hier geht, fällt seit vielen Jahren durch provokative Äusserungen und Vergleiche auf. Er selbst aber reagiert auf Provokation und Kritik höchst empfindlich, bombardiert die Gerichte förmlich mit Klagen. Seine Klage­freudigkeit führt gleichzeitig dazu, dass ständig über ihn geredet und geschrieben wird. In dieses Fahr­wasser möchten wir nicht geraten; die Republik hat deshalb entschieden, ihm die Publizität zu verwehren, seinen Namen nicht zu nennen – und dennoch über den jüngsten von ihm angestrebten Prozess zu berichten. Der Tierschutz­aktivist hat wieder einmal eine Journalistin vor Gericht gezogen.

Die Sankt Gallerin hatte 2017 einen Kommentar zum Fall Hefen­hofen publiziert. Tier­schützerinnen und Tier­schützern war es im Thurgauer Dorf in der Nähe von Amriswil gelungen, einem quälerischen Pferde­händler das Hand­werk zu legen. Bei der Durchsicht der Facebook-Profile der protestierenden Tier­schützer fiel der Journalistin auf, dass sich einige unter ihnen nicht gerade als Menschen­freunde hervortaten – oder, wie sie es im Artikel ausdrückte: «dass Xenophobe und Rassisten sich eben doch lieber um Tiere kümmern als um ihre Mitmenschen».

«Die grosse Solidarität mit den Tieren in Hefenhofen ist erfreulich», schrieb sie auf der Online­plattform des Kultur­magazins, bei dem sie als Redaktorin angestellt ist. Der Kampf sei löblich und selbstverständlich zu unterstützen. Etwas erfülle sie allerdings mit Unbehagen: «Man soll nicht verallgemeinern, schon klar. Trotzdem drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass hunderte Tier­schützer und Aktivistinnen ins Thurgau pilgern, während an Europas Grenzen und andern Orten dieser Welt jeden Tag Menschen im Stillen verrecken, ersaufen, verhungern oder schlicht am System kaputt­gehen, also genauso ‹elend leiden müssen› und ‹Lebewesen sind, die auf Menschen mit Herz und Verstand angewiesen› wären.»

Ähnliches habe sich auch eine Schweizer Politikerin gedacht, erwähnte die Journalistin und integrierte deren Facebook-Eintrag in ihren Artikel. Der Beitrag der Politikerin lautet: «Ein Blick in die Filter­blase meines Zweit­accounts zeigt mir: Dieselben Menschen, welche beim mutmasslichen Tier­quäler in Amriswil protestieren, wünschen sich 2 Einträge weiter unten, dass alle Flüchtlings­boote absaufen. Tja».

Weiter schrieb die Journalistin, dazu passe, dass sich auch besagter Tier­schützer zum Fall gemeldet habe: «Der Mann ist in rechten Kreisen bestens bekannt und auch darüber hinaus – spätestens seit er gegen die Einführung der Antirassismus-Straf­norm Sturm gelaufen ist.»

Sie nannte seinen Namen. Und der Tierschutz­aktivist reagierte sofort. Er strengte eine super­provisorische Verfügung zur Löschung des Text­abschnitts an und deponierte zwei Klagen: eine Zivilklage wegen Persönlichkeits­verletzung an einem Thurgauer Bezirks­gericht sowie eine Straf­anzeige wegen übler Nachrede am Kreis­gericht St. Gallen. Nach einem zweimaligen Hin und Her zwischen der Staats­anwaltschaft, dem Tier­schützer und der Anklage­kammer wurde eine Anklage­schrift eingereicht. Es kam zum Prozess.

Doch der Tierschutz­aktivist belässt es nicht nur bei den Klage­einreichungen. Mit den Namen potenzieller Kritikerinnen geht er grosszügig um. Seit mehreren Wochen steht der Name der Journalistin auf seiner Website, er hat dort die Anklage­schrift publiziert, samt Adresse der Beklagten. Nennt sie eine «gefühlskalte, sich als Gutmensch aufspielende ‹Kultur›-Dame». Und weist darauf hin, dass die Verhandlung öffentlich sei. Als es so weit ist, steht er allerdings allein vor Gericht, ohne Anwalt, ohne Unterstützer. Anders die Journalistin, die breiten Support erhält.

Sie erläutert Einzel­richter René Suhner ihren Kommentar: «Dazu passt» beziehe sich auf ihre eigenen allgemeinen Beobachtungen – nämlich, dass bei Tier und Mensch oft mit unterschiedlichen Ellen gemessen werde. Und dass sie sich wünsche, das Engagement für Geflüchtete wäre gleich gross wie jenes für Tiere, damit sich in der Migrations­politik etwas zum Positiven verändere. Die Einleitung beziehe sich nicht auf das Zitat der Politikerin, das im Übrigen klar von ihrem journalistischen Text abgehoben sei, nur schon durch die grafische Facebook-Darstellung.

Der Tierschutz­aktivist, der seine Sache am Kreis­gericht selbst vorbringt, sieht das komplett anders. Die Journalistin stelle eine Verbindung zwischen ihm und jenen her, die sich wünschten, dass Flüchtlings­boote absöffen. Mit dem darauffolgenden Satz stelle sie ihn in die rassistische, rechtsextreme Ecke. «Darüber hinaus» lasse sich nämlich nur in einem Sinn verstehen: Über den rechten Kreisen hinaus befänden sich die rechtsextremen Kreise.

Niemand könne sich überall einsetzen, meint der Tier­schützer weiter. Und moniert: «Tierschutz ist im Magazin nie ein Thema – oder höchstens negativ.» Die Journalistin gebe ihre abgrundtiefe Tier­verachtung und Tierschutz­feindlichkeit auch selber zu. In einem Text habe sie bekannt, Foie gras, also Stopfleber, zu mögen. Eine barbarische Tier­quälerei. Die Journalistin sei «eine unkultivierte, schon fast krankhafte Egoistin mit einem ungezügelten Hass gegen Tierschützer».

Der grösste Teil seiner weiteren Ausführungen kann in wenigen Stich­worten zusammengefasst werden: «… grausames Schächten … jüdische Desinformation … Tierfolter … provokativ, aber nicht rassistisch und antisemitisch … unsachliche Kritik … frühere Gerichts­entscheide verzerrt dargestellt … linke Hetzer, angeführt von einem muslimischen Anwalt aus der links­extremen Szene …»

Mit dem aktuellen Fall haben all diese Ausführungen allerdings nichts zu tun. Darauf muss ihn auch der Richter mehrfach aufmerksam machen.

Verteidigerin Bettina Surber plädiert für einen Freispruch der Journalistin und betont noch einmal, diese habe ein gesellschaftliches Phänomen kritisiert. Ihre Äusserungen seien von der Medien­freiheit geschützt, von Grund­rechten wie der Informations­freiheit, der persönlichen Meinungs­äusserungs­freiheit und dem Recht auf freie Berufsausübung.

Dass der Tierschutz­aktivist dies alles für sich selber beansprucht und zudem hart an der Grenze kommentiert, zeigt sie an einem konkreten Beispiel auf. Als vor einigen Jahren zwei Fischer in der Stadt Zürich von einem Auto­fahrer getötet wurden, habe er dies mit «Erfreulich: Zwei Tier­quäler weniger» kommentiert. Das stimme nicht, er habe sich nie über den Tod der Fischer gefreut, widerspricht der Angesprochene sofort. Er habe sich gefreut, dass die Fische zwei Tier­quäler weniger zu befürchten hätten: «Es war eine Satire über den Unfall­tod zweier Fischer. Ich habe eingangs darauf aufmerksam gemacht, dass ich das Stil­mittel der Verfremdung benutze.»

Nach einer Stunde Beratung gibt René Suhner sein Urteil mündlich bekannt. Die Journalistin wird wegen übler Nachrede verurteilt, allerdings nur für einen der drei Vorwürfe. Das Gericht ist der Ansicht, der Einschub «dazu passt» könne nur so verstanden werden, dass sich der Tierschutz­aktivist ebenfalls wünsche, Flüchtlings­boote würden untergehen. Was den Rest des inkriminierten Textes angehe, erkenne das Gericht jedoch keine üble Nachrede. «In rechten Kreisen bekannt» könne auch von linken Politikerinnen und Politikern gesagt, «darüber hinaus» als «in der SP» verstanden werden. Auch dass erwähnt werde, der Tier­schützer habe die Einführung des Antirassismus­gesetzes bekämpft, sei nicht ehrverletzend – ansonsten würde jede Diskussion über eine neue Straf­norm verhindert.

Das Verschulden der Journalistin sei gering, daher werde sie mit einer bedingten Geld­strafe von 10 Tages­sätzen à 80 Franken bestraft. Eine zusätzliche Busse, welche die Staats­anwaltschaft forderte, «eine Denkzettel­busse», sei in keiner Art und Weise angebracht. Die Journalistin muss allerdings die Verfahrens- und Anwalts­kosten der Gegenseite tragen, insgesamt 4750 Franken. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Zivilverfahren endete übrigens mit demselben Urteil. Es ist ebenfalls noch nicht rechtskräftig.

In Sachen Transparenz: Die Autorin dieses Artikels ist freie Journalistin und gelegentlich für das Magazin tätig, das Gegenstand des beschriebenen Straf­prozesses war.

Illustration Friederike Hantel

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