Geld für die AHV – je früher, desto besser

Was passiert bei einem Ja, was bei einem Nein zur Steuer-AHV-Reform (Staf) am 19. Mai? Eine kleine Orientierungshilfe für unentschlossene Mitte-rechts-Wähler.

Von Urs Bruderer, 30.04.2019

Teilen8 Beiträge8

Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!

Die Defizite der AHV bereiten Ihnen Sorge.

Sie halten strukturelle Reformen in der Altersvorsorge für notwendig.

Die Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist Ihnen ein Anliegen.

Dann ist dieses Erklärstück zum Bundes­gesetz über die Steuer­reform und die AHV-Finanzierung (Staf), über das die Schweiz am 19. Mai abstimmt, für Sie bestimmt. Es behandelt den AHV-Teil des Reform­pakets. Und zwar aus einer Perspektive, die irgendwo rechts der politischen Mitte angesiedelt ist.

Mitte bis rechts aus ganz pragmatischen Gründen: Falls Sie politisch links stehen, ist der Fall ohnehin klar. Dann haben Sie eigentlich keinen Grund, nicht Ja zum Altersvorsorge-Teil der Staf zu sagen, und können gleich zu unserem anderen Erklärstück – zum Steuerteil – wechseln.

Worum geht es?

Die AHV ist in finanzielle Schieflage geraten. Sie gibt seit fünf Jahren mehr aus, als sie einnimmt.

Das Defizit wird grösser. Seit zwei Jahren liegt es bei über einer Milliarde Franken. Und es wächst rasant: Geschieht nichts, häuft die AHV bis ins Jahr 2030 Verluste von über 40 Milliarden Franken an. Zum Vergleich: Für die Armee gab der Bund letztes Jahr 4 Milliarden aus.

Und es kommt noch schlimmer. Die AHV ist ein Fonds. Und das Gesetz sieht vor, dass dieser Fonds über ein Vermögen in der Höhe der jährlichen Renten­ausgaben verfügen muss. Weil diese Ausgaben steigen, muss auch der Fonds wachsen. Geschieht nichts, fehlen der AHV darum bis ins Jahr 2030 sogar über 50 Milliarden Franken.

Kein Wunder, ist die Reform der AHV ein Dauerthema. Und kein Wunder, ist sie so umstritten. Denn es gibt nur zwei Lösungswege für dieses Problem:

  • Man kann die Ausgaben senken. Das wollen die Rechten.

  • Man kann die Einnahmen erhöhen. Das wollen die Linken.

Und dann gibt es noch unzählige Möglichkeiten, diese beiden Lösungswege zu kombinieren.

Über einen Teil einer solchen Kombination stimmen wir am 19. Mai ab. Die AHV soll Mehreinnahmen in der Höhe von 2 Milliarden Franken bekommen. Die weiteren Teile müssen in der nächsten AHV-Reform erarbeitet werden: Sie wird weitere Einnahmen, aber auch kosten­senkende Massnahmen enthalten.

Aus bürgerlicher Sicht stellt sich die Frage: Warum schon jetzt der Linken entgegen­kommen und die AHV-Einnahmen erhöhen? Warum diesen Verhandlungs­trumpf vorab verschenken?

Leck möglichst früh stopfen

Dafür gibt es einen knallharten Grund: Es eilt. Denn mit dem Finanzloch der AHV verhält es sich wie mit einem Schiffsleck: Je früher man es stopft, desto weniger wächst es und desto kleiner sind die Probleme.

Weil sie Defizite schreibt, muss die AHV derzeit auf ihr Vermögen zurückgreifen. Und das ist doppelt problematisch: Weil sie gesetzlich gezwungen ist, ihr Vermögen zu halten. Und weil sie ihr Vermögen anlegt und daraus Erträge erzielt, die in die Renten fliessen. Diese Erträge werden kleiner, wenn das Vermögen schmilzt.

Mit der vorgesehenen Finanz­spritze erhielte die AHV in den nächsten zwölf Jahren 24 Milliarden Franken zusätzlich. Das würde ihren Fonds schonen und zu höheren Vermögens­erträgen führen. Unter dem Strich wären diese 24 Milliarden darum für die AHV mehr wert, nämlich rund 30 Milliarden Franken. Das haben die Experten des Bundes berechnet.

Kurz: Je früher das Leck gestopft wird, desto besser.

Ein ungefährliches Geschenk an die Linke

Trotzdem kann man sich fragen, ob es klug ist, der Linken ohne Gegen­leistung entgegen­zukommen. Oder ob man der AHV erst zu Mehreinnahmen verhelfen sollte, wenn auch auf der Ausgaben­seite angesetzt wird. Wenn also zum Beispiel das Rentenalter angehoben oder flexibilisiert wird.

Solche Reformvorschläge sind nicht vom Tisch, wenn die AHV jetzt eine Finanz­spritze erhält. Denn die 2 Milliarden lindern zwar ihr Problem, aber sie lösen es nicht. Die AHV wird noch mehr Geld brauchen. Auch mit den 2 Milliarden kippt sie im Jahr 2023 wieder ins Minus.

Darum wird die Linke kompromissbereit bleiben.

Zwar stimmt, dass die Linke bei der AHV eine starke Position hat. Sie verfügt über den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, um Renten­kürzungen zu verhindern. Sie hat eine Blockade­macht. Aber keine Gestaltungsmacht.

Zur Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 haben SP und Grüne darum schon einmal Hand geboten: bei der letzten, vom Volk knapp abgelehnten Reform AHV 2020. Sogar der Schweizerische Gewerkschaftsbund sprach sich damals für eine Flexibilisierung des Rentenalters aus. Die Sorge, dass eine Erhöhung des Rentenalters auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden könnte, ist also nicht berechtigt.

Eine AHV-Reform ist weiterhin nur als Kompromiss denkbar. Die Kunst wird sein, das Rentenalter sozialverträglich ansteigen zu lassen. Dieser Kompromiss gelingt eher, wenn die finanzielle Lage der AHV ein wenig entschärft ist und ihre Zahlen vorerst wieder schwarz sind. Weil dann schrille Extremisten die Debatte weniger beeinflussen können.

Was ist mit der Generationen­gerechtigkeit?

Aus bürgerlicher Sicht kann man sich weiter fragen, ob für diese 2 Milliarden die Richtigen zur Kasse gebeten werden. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen jetzt in Rente. Ihre Beiträge an die AHV waren kleiner. Die jüngeren Generationen müssen jetzt mehr bezahlen. Die Generationen­gerechtigkeit scheint in Gefahr.

Tatsächlich stimmen wir über eine Erhöhung der Lohnprozente für die AHV ab. Für beide, für Arbeit­geber und Arbeit­nehmer, steigt mit dem AHV-Teil des Reform­pakets die Belastung von 4,2 Prozent auf 4,35 Prozent. Wer 6000 Franken verdient, muss für die AHV also monatlich 9 Franken mehr abgeben. Und auch die Arbeit­geberin muss 9 Franken dazulegen.

Kleine Beträge für ein grosses Wort wie Generationen­gerechtigkeit. Wer davon spricht, sollte seinen Blick erweitern.

Etwa darauf, dass die jüngere Generation in der Schweiz heute viel mehr Möglichkeiten hat als die heutigen Rentner in jungen Jahren. Ob man auf die Ferien schaut, auf das, was auf dem Teller liegt, oder wie man wohnt – überall wurde das Leben vielfältiger und grösser.

Den Boden für diesen Wohlstand hat die ältere Generation geschaffen. Und der vielleicht wichtigste Treiber dafür war die gestiegene Produktivität, die zu höheren Löhnen führte und dazu, dass die Schweizer Bevölkerung finanziell besser dasteht denn je.

Wenn man so viel mehr hat, kann man auch ein wenig mehr für die AHV abgeben.

Und die Belastung der Wirtschaft durch die Lohnprozente für die Arbeitgeber? Die wird mehr als ausgeglichen durch die Steuer­senkungen, die der Unternehmens­steuerteil der Staf bringt.

Steigende Umverteilung

Also die AHV finanzieren: ja, und zwar schnell. Aber wirklich so? «Wenn du Lohnprozente für die AHV kriegst, dann nimm sie und renne», sagte die SP-Nationalrätin Jacqueline Badran der linken WOZ. Da sollten Bürgerliche hellhörig werden.

An Lohnprozenten haben Linke so viel Freude, weil sie stark umverteilen. Kleinverdiener bezahlen wenig und Grossverdienerinnen viel – für eine Rente, die nicht oder nur ein wenig grösser ist.

Die Folge: Über 90 Prozent aller Personen zahlen weniger in die AHV ein, als sie später in Form von Renten beziehen. Anders gesagt: Die AHV wird von den Topverdienern finanziert. Und zusätzliche Lohnprozente verschärfen die Tendenz noch.

Als prinzipentreuer Bürgerlicher, der den umverteilenden Staat ablehnt, muss man da dagegen sein.

Denkt man hingegen pragmatisch, wird man auch berücksichtigen, dass die Einkommen der Grossverdiener in den letzten drei Jahrzehnten explodierten. Und dass es für den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht schlecht ist, wenn der Staat ein wenig ausgleicht.

Kommt hinzu, dass nur 1,2 der insgesamt 2 Milliarden Franken für die AHV aus Lohnprozenten kommen. Die übrigen 800 Millionen steuert der Bund bei. Und den Löwen­anteil bestreitet er aus seinen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Das heisst, da bezahlen alle mit: Alt und Jung, Reich und Arm.

Die Abwägung

Was heisst das nun für Sie als bürgerlich eingestellte Wählerin? Mit dem Reformpaket wird ein Finanzloch in der AHV frühzeitig gestopft. Und zwar mit einem 2 Milliarden Franken teuren Lappen.

Sie können das aus drei Gründen ablehnen.

  • Sie sehen die AHV generell eher skeptisch und hoffen, dass die drohenden riesigen finanziellen Probleme dazu führen, dass die Altersvorsorge in der Schweiz zusammen­gestrichen wird.

  • Sie bewerten die Frage der Generationen­gerechtigkeit, die in Bezug auf die AHV bedeutender scheint als sie ist, als wichtiger als die in Bezug auf die AHV sehr grosse Frage der sozialen Gerechtigkeit.

  • Anstatt mit einer Vorleistung dem nötigen Kompromiss mit der Linken den Weg zu ebnen, gehen Sie lieber auf Konfrontation.

Ein Nein zum AHV-Teil des Reformpakets macht also vor allem für Libertäre und Radikalliberale Sinn sowie für Bürgerliche mit hoher Risiko­bereitschaft. Denn was nach einem Nein zur Staf mit der AHV geschieht, ist ungewiss.

Sicher ist nur, dass dann hektische Verhandlungen um die nächste AHV-Reform einsetzen würden. Und dass die bürgerliche Position von der Abstimmung nicht profitieren würde. Weil ein solches Nein als ein Erfolg der linken Linken gewertet würde. Sie hat über 50’000 Unterschriften gegen die Staf zusammen­gebracht und das Referendum allein ermöglicht. Die bürgerlichen Nein-Komitees kamen zusammen nur auf 7000 Stimmen.

Entweder Sie lassen sich aus grundsätzlichen Überlegungen auf ein Wagnis ein und stellen sich auf eine schwierige Schlacht um die AHV ein, mit der Sie auch viele ältere Wählerinnen in den bürgerlichen Parteien vor den Kopf stossen. Oder Sie vertrauen darauf, dass auf den 2-Milliarden-Lappen eine ordentliche Reparatur folgen muss. Dass die ausgehandelt wird und dass die Linke sich dafür genau so bewegen muss wie die Rechte.

Immer noch unsicher?

Dann lesen Sie zusätzlich unser Stück zum Unternehmenssteuerteil der Staf.

Wenn Sie weiterhin unabhängigen Journalismus wie diesen lesen wollen, handeln Sie jetzt: Kommen Sie an Bord!