Der Pistolero

Wenn es brenzlig wird, schiesst UBS-Chef Sergio Ermotti schneller als seine Gegner. Nach acht Jahren zuoberst zeigt sich: Statt Pulverdampf braucht die Bank frischen Wind.

Von Lukas Hässig, 12.04.2019

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Alphatier: Sergio Ermotti ist alleiniger Herr im UBS-Haus. Kalpesh Lathigra

Seit neuestem ist Sergio Ermotti auf Twitter. Dort erreicht er 2300 Followers. Und feuert gerne Salven ab: «No truth to this @manager_magazin story» tönt es beim Spitzen­banker zu einem Artikel im genannten Medium. Umgekehrt lobt er einen NZZ-Aufruf zum Widerstand des Finanz­platzes gegen Druck­versuche aus dem Ausland. «Must read», meint der Tessiner.

Was das heisst, Widerstand, machte Ermotti kürzlich vor. Statt sich von französischen Anklägern ins Bockshorn jagen zu lassen und einem Ablass­handel zuzustimmen, wagte sich die UBS in die Pariser Gerichts­arena. Und sagte dort: Die UBS habe mitnichten systematisch reichen Franzosen bei der Steuer­hinterziehung geholfen. Das Plädoyer misslang. 4,5 Milliarden Euro muss die UBS dem französischen Staat zahlen, wenn es beim Verdikt bleibt.

Doch Ermotti wäre nicht Ermotti, wenn er nicht sofort Rekurs gegen das Urteil verkündet hätte. Zuletzt würde «die Gerechtigkeit siegen», so der Manager in einer Mitteilung an seine knapp 70’000 Mitarbeitenden.

Für ihn persönlich bleibt die Affäre ohne negative Folgen. Im Gegenteil, der 58-Jährige hat für das vergangene Geschäfts­jahr insgesamt 14 Millionen Franken erhalten. Damit zählt er zu den Spitzen­verdienern des Landes. Seine Einkünfte summieren sich: In den acht Jahren als UBS-Chef nahm Ermotti insgesamt 94 Millionen Franken ein – eine sagenhafte Summe.

Wer seine Einkünfte kritisiert, wird von Ermotti jedoch abgekanzelt. Das passiert nicht nur Journalisten, sondern auch dem ehemaligen Vizechef der britischen Noten­bank, Paul Tucker. Er stritt mit Ermotti an einer Konferenz über hohe Boni im Banking. Wer diese falsch finde, sei von Neid zerfressen, beschied der Schweizer Grossbankenchef dem Ex-Zentralbanker.

Das harte Austeilen: Es überrascht angesichts der erzielten Resultate.

Die Frage

Zwar steht die UBS stabiler und ertragreicher da als ihre helvetische Rivalin, die Credit Suisse. Doch berauschend ist der Leistungs­ausweis der grössten Schweizer Bank unter ihrem Langzeit­chef nicht. Die Resultate zeigen nicht nachhaltig nach oben, sondern sie schwanken von Jahr zu Jahr stark.

Ermotti übernahm Ende 2011 das Steuer. 2012 erzielte die UBS, wie es nach Chefwechseln öfters vorkommt, einen Verlust: minus 2,5 Milliarden Franken. 2013 und 2014 ging es wieder nach oben, da erzielte die Bank 3,2 respektive 3,5 Milliarden Franken Gewinn. 2015 schoss der Rein­gewinn sogar auf 6,2 Milliarden hoch, um ein Jahr später bei nur noch 3,2 Milliarden zu landen. 2017 blieben gar nur 1,1 Milliarden, 2018 schliesslich 4,5 Milliarden, jetzt in US-Dollar, der neuen UBS-Rechnungswährung.

Das Auf und Ab ist ein Grund, warum Anleger die Bank meiden. Die UBS-Aktie verlor letztes Jahr an der Börse 32 Prozent. Aktuell schwankt das Papier zwischen 12 und 13 Franken. Seit zehn Jahren kommt es damit nicht vom Fleck.

Ein ewiges Auf und Ab

Aktienkurs der UBS

20092014201912,470510152025 Franken

Quelle: Yahoo Finance

Zur Erklärung verweisen Ermotti und seine Kollegen auf die allgemeine Unbeliebtheit europäischer Banken­titel. Doch das ist zu einfach. Im Schnitt verloren diese Banken letztes Jahr nur 28 Prozent. Die UBS bleibt also hinter der Konkurrenz zurück. Und dies trotz formidabler Ausgangs­lage: Sie ist die grösste Vermögens­verwalterin von reichen Privat­kunden auf der Welt.

Warum hält sich Ermotti trotzdem im Sattel?

Der Anfang

Geboren und aufgewachsen in Lugano, absolvierte Ermotti eine Lehre bei der dortigen Cornèr Bank. Seine Karriere führte ihn zur US-Investment­bank Merrill Lynch und zur italienischen Grossbank Unicredit, wo er 2007 stellvertretender CEO wurde. In dieser Position war er mitverantwortlich für die Gross­offensive in Osteuropa, mit Zukäufen von Banken, deren Kredit­positionen in der Finanz­krise zum Problem wurden. Ermottis Chef musste 2010 seinen Platz räumen, wenig später war auch Ermotti weg.

Der zweifache Familienvater ging auf Stellen­suche – und wurde bei der UBS fündig. Das war im April 2011. Ermotti wurde Chef für die erweiterte Europa-Region: eine Position ohne viel Verantwortung, geeignet für Newcomer. Dass er für Grösseres geschaffen sei, liess Ermotti rasch durchblicken. Schon am ersten Tag sagte er dem damaligen Chef Oswald Grübel, er wolle dereinst sein Nachfolger werden, besagt die Legende. Der abgebrühte Grübel nahm die Ansage offenbar gelassen. Der Neue sollte erst mal zeigen, was er draufhat.

Es folgten quälende Monate und ein unerwartetes Drama. Grübel war mit seiner Strategie gescheitert, die UBS nach ihrem Nahtod-Erlebnis von 2008 erneut zu einer führenden Kraft im Handels­geschäft zu machen. Sein Plan war, den Gewinn vor Steuern auf 15 Milliarden Franken zu schrauben. Doch der Deutsche, der mehr Stürme im Big Banking erlebt hatte als alle anderen Schweizer Banker, täuschte sich. Die Welt war nach der Krise nicht mehr die gleiche. Grübel brauchte einen neuen Plan.

Dann kam der Fall Adoboli. Ein junger Händler in London spekulierte mit UBS-Geldern auf den grossen Gewinn. Lag er falsch, verdoppelte er den Einsatz – so lange, bis er nicht mehr konnte. Im September 2011 flog die Sache auf: über zwei Milliarden Franken Verlust. Grübel warf den Bettel hin.

Wer würde übernehmen? Ulrich Körner, der damalige Operations-Chef, machte in jenen Herbst­tagen klar, dass er sich als neuen CEO sehe. Doch der UBS-Verwaltungs­rat konnte sich nicht für ihn erwärmen; zu umstritten war er als Person. Dann gab es noch Jürg Zeltner, den Chef der Vermögens­verwaltung. Ihm trauten die Verwaltungs­räte den Schritt noch nicht zu. Es blieb: Ermotti.

Was er hatte, war: Ambitionen, Selbst­vertrauen, Ausstrahlung. Kaspar Villiger, damals UBS-Präsident, begann, sich für Ermotti zu erwärmen, obwohl die Verluste bei Unicredit zum Teil auf dessen Konto gingen. So wurde der Tessiner zum neuen Chef. Erst nur interimistisch, dann definitiv.

Die Strategie

Ermotti war am Ziel. Als 51-Jähriger war er CEO einer Grossbank geworden. In den folgenden Monaten setzte der selbstbewusste Manager fort, was Grübel aufgegleist hatte. Im Oktober 2012, ein Jahr nach seiner Kür, stellte er den neuen Plan vor: Beschleunigung. Die UBS-Investment­bank sollte keine eigenen Wetten mehr eingehen, sondern Dienste für die vermögenden Privat­kunden erbringen: lieber Firmen bei Fusionen und Börsen­gängen begleiten als selber riskante Handels­positionen aufbauen.

Der Plan traf den Geschmack der Investoren. Zum Chef seiner domestizierten Investment­bank machte er einen Bekannten von Merrill Lynch: Andrea Orcel. Für ihn griff Ermotti tief in die Schatulle. Orcel erhielt stolze 25 Millionen Franken als Ablöse­summe. Doch die Verpflichtung zahlte sich aus. Orcels Division sollte mit Ausnahme eines Tauchers im Jahr 2014 stetige Gewinne erzielen, und dies mit einer auf 5000 Banker abgespeckten Crew.

Es war die Zeit, als Ermotti alles richtig zu machen schien. Gerade im Vergleich zur Konkurrenz: Die Credit Suisse sah sich 2014 gezwungen, in den USA eine Strafe von rund 2,8 Milliarden Dollar wegen Schwarz­geld-Vergehen zu zahlen und kriegte einen Aufpasser aus Washington ins Haus, der das letzte Wort bei allen Geschäften der zweitgrössten Schweizer Bank hatte.

Umso besser für Ermotti, der nun alle Trümpfe bei sich sah. Seine Bank hatte ihren US-Schwarzgeldfall längst hinter sich und war auch in Deutschland günstig davongekommen. Nach Selbstanzeigen im Libor-Skandal galt intern eine neue Null­toleranz. Gewähr dafür, dass es die UBS ernst meinte, bot Axel Weber, der neue Präsident und ehemalige deutsche Notenbankchef.

So kam wie von allein das hohe Entgelt. Lag Ermottis Entschädigung 2012 noch unter 9 Millionen, stieg sie 2013 und 2014 auf rund 11 Millionen Franken an. 2015 erfolgte dann der Sprung über die 14-Millionen-Grenze. Dort, hoch oben, blieben die Bezüge des UBS-Aushängeschilds bis heute.

Auf hohem Niveau

Jährliches Salär von Sergio Ermotti

20122018051015 Mio.

Quelle: UBS. Dargestellt ist die Vergütung ohne Arbeitgeberbeiträge und Nebenleistungen.

Doch Ermottis Einkünfte sind losgelöst von der Leistung. Der Erste, der zu diesem Schluss kam, war ausgerechnet der grösste Aktionär der UBS: GIC, einer der beiden Staats­fonds von Singapur. Er war 2007 wichtigster Investor der Bank geworden, als diese in der US-Immobilien­krise Milliarden verlor. Der Einstieg war bei einem Aktien­kurs von knapp 44 Franken erfolgt.

Vor zwei Jahren entschied sich GIC, der Bank den Rücken zu kehren. Und verkaufte einen bedeutenden Teil der Anteile – zum Preis von noch rund 16 Franken. Man sei «enttäuscht», liessen die Verantwortlichen verlauten.

Dass die Retterin aus Asien zehn Jahre nach ihrem Milliarden-Engagement frustriert von dannen zog, hätte der UBS-Führung zu denken geben müssen. Tat es aber nicht. Hinter vorgehaltener Hand gaben UBS-Verantwortliche zu verstehen, dass sich die Beziehung unabhängig von der Aktien­entwicklung abgekühlt hätte. Unzufrieden mit unserer Leistung – das kann nicht sein.

Statt sich zu hinterfragen, kümmerte sich Ermotti um interne Widersacher wie Jürg Zeltner. Der Berner war drei Jahrzehnte lang die Karriere­leiter hochgestiegen und begann, Ermottis Position zu bedrängen. 2017 musste er gehen. Das Manöver barg Risiken, verlangte nach einer Erklärung.

Ermotti lieferte diese Anfang 2018 mit einem internen Zusammenschluss. Die Vermögens­verwaltung in Amerika wurde mit jener der restlichen Welt verschmolzen. Diese hatte zuvor Zeltner geleitet, ein erklärter Gegner der Fusion. Statt ihm übernahmen nun zwei Vertraute Ermottis die Co-Leitung des Global Wealth Management. Diese sollten rasch Synergien freisetzen.

Doch zu einer personellen Bereinigung kam es zunächst nicht. Fast alle Topkader der zuvor getrennten Divisionen behielten ihre Posten, die Co-Leitung fand ihre Fortsetzung auf zweiter und dritter Führungs­stufe. So konnten keine Kosten gespart werden. Um die Ziele dennoch zu erreichen, mussten im mittleren Kader und im «Maschinen­raum» umso mehr Leute entlassen werden. Eine ganze Hierarchie­stufe verschwand, was auf die Stimmung schlug.

Die Bilanz

Stimmen wenigstens die Ergebnisse der neuen Super­division? Bis jetzt nicht wirklich. Die Ertrags­kraft stagniert: Das bereinigte Vorsteuerresultat sank zuletzt von 4,2 Milliarden auf 3,7 Milliarden Dollar. Auch bei der wichtigsten Effizienz-Messgrösse, dem Verhältnis von Kosten und Einnahmen, schneidet die neue Einheit unbefriedigend ab. Es stieg 2018 von 74 auf 78 Prozent. Auf jeden eingenommen Dollar entstanden damit fast 78 Cent Kosten.

Ein guter Schuss italienischer Stil: Ermotti in seinem Büro am Hauptsitz der UBS in Zürich.Kalpesh Lathigra

Die UBS produziert im neuen Set-up also teurer als zuvor. Das Problem der Vermögens­verwaltung sind die USA: Dort flossen in den vergangenen zwei Jahren viele Kundengelder ab. Ob die Trend­umkehr gelingt, ist offen.

Auch für die ganze Bank gilt: Die Erträge stagnieren. Und die Kosten sinken nicht, sondern bleiben hoch – gerade beim Personal, bei den Kader­leuten. Unabhängig davon, wie gut oder schlecht ein Jahr ist, zeigt sich: Die UBS-Elite profitiert weiterhin von stolzen Entschädigungen.

So wurden der 10-köpfigen Geschäfts­leitung vor fünf Jahren, also 2014, Saläre über insgesamt 80 Millionen Franken ausbezahlt. Das macht 8 Millionen pro Person. 2018 sassen 13 Leute in der Geschäfts­leitung. Total flossen 101 Millionen Franken – immer noch fast 8 Millionen pro Kopf.

Auch die erweiterte Führungsriege wird anhaltend verwöhnt: das oberste Prozent des Personals, Key Risk Taker genannt. 2014 verdienten 615 von ihnen im Schnitt 1,92 Millionen Franken. 2018, in einem Jahr mit einem miserablen Schluss­quartal, kamen 675 Risk Taker auf durchschnittlich 1,85 Millionen Franken. Fast unveränderte Beträge also – Jahr für Jahr.

Die Einzigen, die bei der UBS tatsächlich Risiken tragen, sind die Aktionäre. Ihnen muss sich die Bank an der General­versammlung vom 2. Mai 2019 stellen.

Um die Eigentümer bei Laune zu halten, kaufte die UBS vergangenes Jahr eigene Aktien von der Börse auf; ein typisches Vorgehen, um den Wert der verbleibenden Anteile zu steigern. Die Aktion war von mässigem Erfolg gekrönt, wie sich am Kurs ablesen lässt. 2019 dürfte die Bank nach Ansicht von Beobachtern bereits wieder zurückkrebsen und auf weitere Aktienkäufe verzichten. Dies auch wegen der drohenden Busse aus Frankreich. Die UBS hat erst ein paar hundert Millionen Dollar an Rück­stellungen für den Prozess getätigt, der einen Aufwand in Milliarden­höhe bedeuten könnte.

Beiden Gross­banken am Schweizer Finanz­platz fehlten nicht nur das Momentum, sondern auch «die Impulse», so das Fazit der Finanzpresse.

Zu Investoren sagt die UBS seit Jahren, sie wolle «die Effektivität verbessern», «ins Wachstum investieren», «aus dem Vorteil des early movers Kapital schlagen». Kommen leichte Unsicherheiten in der Welt­wirtschaft auf, so wie in den letzten zwei Quartalen, zeigt sich jedoch: Das Geschäfts­modell des helvetischen Vorzeige-Geldhauses ist so schwankungs­anfällig wie eh und je.

Die UBS kontert und verweist in einer Stellung­nahme darauf, dass die Bank seit 2014 insgesamt 19 Milliarden Dollar Rein­gewinn erzielt habe, obwohl sie in dieser Zeit fast 9 Milliarden für Rechts­angelegenheiten und regulatorische Vorgaben habe ausgeben müssen. «Die UBS ist kerngesund und eine der bestkapitalisierten Banken der Welt.» Die Rendite sei hoch, über 13 Prozent.

Der Zwiespalt lässt Experten ratlos. Rainer Skierka, ein unabhängiger Analyst bei Research Partners in Zürich, attestiert der UBS zwar, dass sie im Vergleich zu deutschen oder englischen Banken gefestigter dastehe. Zudem sei das Umfeld für alle internationalen Finanz­institute schwierig. Gleichwohl stelle sich die Frage nach der Zukunft. «Wie kann sich die UBS ausrichten, damit sie zuverlässige Erträge erwirtschaftet und angemessene Gewinne erzielt?»

Javier Lodeiro, Analyst bei der Zürcher Kantonal­bank, schätzt, dass die UBS im Prinzip richtig aufgestellt sei: mit einer starken Vermögens­verwaltung und einer ergänzenden Investment­bank. «Dafür, dass die UBS die weltweite Nummer eins im Private Banking ist, müssten die Ergebnisse allerdings besser sein.» Besonders bei den Kosten gäbe es Anpassungs­bedarf.

Ermotti stellt sich auf den Stand­punkt, die UBS werde an der Börse unter ihrem Wert geschlagen. Zur Unterstreichung schritt er vor einigen Monaten demonstrativ zur Tat. Er kaufte für 13 Millionen Franken Aktien seiner Bank, und zwar als Privat­investor. Schaut her, so die Botschaft: Die UBS ist ein Kauf.

Am Markt dringt Ermotti damit nicht durch. In der Bank schon. Warum?

Der Charakter

Ein Kadermann lobt ihn als harten, aber fairen Leader, der das Bank­geschäft von der Pike auf gelernt habe und es à fonds verstehe. «Sergio ist unglaublich diszipliniert, er bereitet sich minutiös auf Sitzungen vor, geht strukturiert die Themen­liste durch, Punkt für Punkt.» Wer Versprechen nicht eingehalten habe, komme bei ihm nicht davon. «Eine faule Ausrede suchen oder einem Kollegen die Schuld in die Schuhe schieben, das akzeptiert Sergio nie.»

Aus den Worten des Mannes dringt grosser Respekt. Auch am Finanzplatz wird Ermotti gemocht. Zum Beispiel von Konrad Hummler. Er, der lange für die UBS-Vorgänger­bank SBG tätig war, lobt Ermotti als «hochintelligent». Er habe das Banking genau verstanden und wisse, was Risiken seien. «Und diese geht er auch ein.» Oder von Hans Geiger, einem einstigen Spitzen­mann der Kredit­anstalt und späteren Banken­professor. «Ermotti ist bodenständig geblieben, er hat wenig Berührungs­ängste und scheut auch nicht davor zurück, sich mit unpopulären Aussagen in den Wind zu stellen», sagt er.

Sich in den Wind stellen: Hier kommt vermutlich Ermottis grösstes Talent zum Vorschein. Der Spitzen­banker hat – nicht unähnlich wie US-Präsident Donald Trump – eine Art, die zwar polarisiert, aber von Fans umso stärker geschätzt wird. Weil er nicht abgehoben und geschliffen wirkt, sondern wie einer aus ganz gewöhnlichen Verhältnissen, der es nach oben geschafft hat.

Das gute Image wird sorgfältig gepflegt. Ermotti ist in den Medien bestens vernetzt. Mit «Weltwoche»-Besitzer Roger Köppel ist er per Du; «Bilanz»-Chefredaktor Dirk Schütz tauscht sich regelmässig mit dem UBS-Chef aus, das Wirtschafts­magazin berichtet mit Wohlwollen über Ermotti.

Beim Medien­haus Ringier sitzen seine Vertrauten sogar in der obersten Führung: Lukas Gähwiler, der lange die UBS Schweiz leitete, ist Mitglied des Verwaltungsrats. Ebenso Claudio Cisullo, ein Informatik-Unternehmer, der unter Ermottis Führung den Einkauf beim Finanzmulti übernehmen konnte und mithilfe von UBS-Aufträgen später eine eigene Einkaufs­firma gründete.

Ermotti tritt nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch als Front­mann in Aktion. Die Schweizer müssten sich auf längeres Arbeiten vorbereiten, sagte er in einem Interview: In Pension soll es neu erst mit 70 oder 72 gehen. Bei anderer Gelegenheit kritisierte er SNB-Präsident Thomas Jordan, obwohl sich dies für Konzern­chefs eigentlich nicht geziemt. Doch Ermotti kümmert sich nicht um Konventionen. Und betont, die grösste Gefahr für die Schweiz seien nicht CS und UBS, sondern die National­bank und ihre grosse Bilanz.

Die Attitüde imponiert vielen. Ermotti sieht attraktiv aus: Der Anzug sitzt, die Frisur ist elegant, die Stimme sonor. Ein Schuss Italienisch im englischen Business-Talk sorgt für zusätzlichen Appeal. Ermotti beherrscht den Auftritt, ist gern gesehener Gast bei Bloomberg und CNBC, den amerikanischen Finanz-TV-Sendern. Läuft die Kamera, lehnt sich der oberste UBS-Mann entspannt im Sessel zurück. In seinen kastanien­braunen Augen blitzt der Schalk auf, alles wartet gespannt auf eine überraschende Neuigkeit oder ein peppiges Statement aus dem Mund des bekanntesten Schweizer Bankers.

Ermotti zieht schnell, schiesst scharf. Wohl nicht zufällig ist sein privater Held eine Western-Comicfigur aus Italien: Tex Willer, ein Cowboy, der Böse­wichte das Fürchten lehrt und mit der Pistole ebenso umzugehen weiss wie mit den Fäusten. Ein Lucky Luke mit weniger Humor, dafür mehr Härte. Dass Willers Pose es Ermotti angetan hat, passt ins Bild. Beide strahlen die Coolness und Abgebrühtheit überlegener Duellisten aus: Don’t mess with me.

Wenn es um seine Person geht, versteht Sergio «Tex» Ermotti keinen Spass. Eine US-Nachrichtenagentur machte Anfang Jahr publik, die UBS führe mit potenziellen CEO-Kandidaten Anstellungs­gespräche – später doppelte das «Manager Magazin» nach mit einem Artikel über die Geschäftsleitung, in der es keinen fähigen Nachfolger gäbe. Ermotti drückte dem renommierten Wirtschafts­magazin via Gerichts­entscheid eine Gegen­darstellung aufs Auge.

Intern lässt Ermotti niemanden vorbei: Die Nummern zwei und drei in der Hackordnung, Jürg Zeltner und Andrea Orcel, zogen im Macht­gerangel den Kürzeren. Zeltner wurde Ende 2017 abserviert, Orcel ging letzten Herbst von sich aus, weil er in Spanien bessere Chancen für seine Karriere sah.

Auch deshalb ist Ermotti heute alleiniger Herr im grossen UBS-Haus: weil er als Alphatier alles dominiert. In der Geschäfts­leitung gibt es keinen mehr, der ihm den CEO-Job streitig machen könnte: Niemandem aus dem 13-köpfigen Gremium wird die Nachfolge von Ermotti überhaupt zugetraut. Er selbst könne sich gut vorstellen, noch bis 2022 zu bleiben, kommentierte Ermotti zuletzt Gerüchte, wonach die UBS auf der Suche nach einem neuen Chef sei.

Die Reihen sind geschlossen. Keinen Mucks gegen jenen Chef, der seit acht Jahren bei der grössten Schweizer Bank das Sagen hat. Wer Widerstand leistet, wurde längst aus dem Weg geräumt. Zurück bleiben Kader­leute, die ihm nicht gefährlich werden können: Sergio Ermotti, dem Pistolero der Schweizer Finanzbranche.

Zum Autor

Lukas Hässig ist Finanzjournalist und Betreiber des Portals «Inside Paradeplatz». Er schreibt seit vielen Jahren über die Finanzindustrie und ist Autor eines Buchs über den Crash der UBS. Hässig schrieb für die Republik bereits über «Das System Vincenz».

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