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Cum-Ex-Prozess: Geheimnisverrat, aber keine Spionage

Von Carlos Hanimann, 11.04.2019

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Sehr viele Freisprüche in sehr zentralen Punkten und einige wenige Schuld­sprüche in Neben­punkten. So lässt sich das Urteil des Bezirksgerichts Zürich im Cum-Ex-Prozess zusammenfassen.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft hatte drei Deutsche angeklagt, weil sie Bankunterlagen entwendet und nach Deutschland weitergegeben hatten. Nach einer langjährigen Strafuntersuchung wurde ihnen Wirtschafts­spionage sowie die Verletzung von Bank- und Geschäfts­geheimnissen vorgeworfen beziehungsweise die Anstiftung dazu.

Von den zahlreichen schweren Vorwürfen ist fast nichts übrig geblieben.

Wenig erstaunlich, dass der beschuldigte Stuttgarter Anwalt Eckart Seith direkt nach der Urteils­verkündung scharfe Worte wählte: «Das ist ein schmutziges Urteil in einem schmutzigen Verfahren.» Die Justiz habe nicht anerkennen wollen, dass man den drei Beschuldigten jahrelang unrecht getan und damit die «organisierte Kriminalität» geschützt habe.

Der Anwalt ist kein Spion

Der Anwalt Eckart Seith hatte über einen Angestellten der Bank Sarasin Dokumente aus der Bank zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften beschafft. Damit wollte er in einem Zivil­verfahren in Deutschland belegen, dass sein Klient, der Milliardär und «Drogeriekönig» Erwin Müller, von der Bank Sarasin falsch beraten worden war (Müller und Seith erhielten recht).

Seith stellte die Dokumente auch deutschen Behörden zur Verfügung. In Deutschland gehört er damit zu den zentralen Whistle­blowern in der Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre. In der Schweiz dagegen kam er deswegen vor Gericht, gemeinsam mit dem Bank­angestellten, der die Unterlagen besorgte, und einem Mittelsmann.

Das Gericht unter dem Vorsitz von Richter Sebastian Aeppli entschied nun, dass die Übergabe eines grossen Teils der Dokumente an Seith nicht strafbar war.

Der Grossteil der Dokumente unterstehe weder dem Bank- noch dem Geschäfts­geheimnis. Ausserdem handle es sich bei der Übergabe dieser Unterlagen nicht um wirtschaftlichen Nachrichten­dienst. Empfänger der Unterlagen sei Erwin Müller gewesen – eine natürliche Person, kein Unternehmen. Wirtschafts­spionage liegt nur vor, wenn ein Geschäfts­geheimnis einer «fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation oder privaten Unternehmung oder ihren Agenten» zugänglich gemacht wird.

Die Staatsanwaltschaft unterlag hier klar: Der beschuldigte Anwalt Eckart Seith ist kein Wirtschaftsspion.

In einem Punkt sprach der Richter Seith und den Mittels­mann dennoch schuldig: Der Bank­angestellte habe dem Deutschen nämlich auch ein Dokument übergeben, das dem Bank­geheimnis unterstehe. Es geht dabei um eine «Kleine Kundenliste», auf der sechs Namen standen.

Darüber verärgert kritisierte Seith, das Gericht versuche «mit einem kleinen Dokument» eine Schlappe der Staats­anwaltschaft zu kaschieren und Entschädigungs­ansprüche der Beschuldigten zu verunmöglichen. Die «Kleine Kundenliste» habe in der ganzen Cum-Ex-Affäre überhaupt keine Rolle gespielt.

Seith wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 360 Tages­sätzen à 460 Franken (165’600 Franken) verurteilt, der Mittels­mann zu einer bedingten Geldstrafe von 360 Tages­sätzen à 360 Franken (129’600 Franken). Die Probezeit beträgt zwei Jahre.

Übergabe an Journalist war Wirtschaftsspionage

Der Bankangestellte, der die Unterlagen beschafft und an Seith übergeben hatte, war – trotz freiem Geleit – nicht zur Urteils­verkündung erschienen. Er wurde nicht nur wegen Bank­geheimnis­verletzung, sondern auch wegen Wirtschafts­spionage verurteilt. Allerdings machte das Gericht dafür eine etwas merkwürdige Volte.

Der Bankangestellte hatte ein Steuer­gutachten der Bank Sarasin nicht nur an den Anwalt Eckart Seith übergeben, sondern in geschwärzter Form auch an den deutschen Investigativ­journalisten Oliver Schröm, der damals für das Nachrichten­magazin «Stern» arbeitete. Heute ist Schröm Chef­redaktor der Non-Profit-Recherche­plattform «Correctiv» (und arbeitete für Recherchen zu Cum-Ex auch mit der Republik zusammen).

Die Übergabe dieses Dokuments an den deutschen Journalisten wertete Richter Aeppli als Wirtschafts­spionage. Die Begründung: Schröm sei Journalist eines ausländischen Unternehmens gewesen. Oder um es in der Terminologie des Gesetzes zu sagen: Agent einer ausländischen Organisation.

Der Bankangestellte wurde zu einer bedingten Haftstrafe von 13 Monaten und einer Geldstrafe von 170 Tagessätzen à 120 Franken verurteilt. Auch seine Strafe wurde aufgeschoben und die Probezeit auf zwei Jahre angesetzt.

Die Anwälte von Eckart Seith und dem Mittels­mann meldeten noch im Gerichtssaal mündlich an, in Berufung zu gehen. Die Staats­anwaltschaft will das Urteil erst prüfen.

PS: Während in der Schweiz die Aufdecker der Cum-Ex-Affäre in verschiedenen Punkten schuldig gesprochen werden, gehen die deutschen Straf­behörden weiter gegen mutmassliche Cum-Ex-Verantwortliche vor. Am Dienstag fanden laut «Handelsblatt» zahlreiche Haus­durchsuchungen in verschiedenen Bundes­ländern statt.

PPS: Obwohl Richter Sebastian Aeppli die Verfahren in Deutschland und in der Schweiz keinesfalls zusammen­bringen wollte, liess er die Cum-Ex-Geschäfte nicht ganz unkommentiert. Er sprach im Gerichtssaal von einem «klar zu missbilligenden Geschäfts­gebaren der Bank Sarasin». Immerhin.

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