Was diese Woche wichtig war

May knickt ein, ein Komiker gewinnt – und «Onkel Joe» sieht alt aus

Woche 14/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Christof Moser und Oliver Fuchs, 05.04.2019

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No-Deal-Brexit wird immer wahrscheinlicher

Darum geht es: Seit Beginn der Brexit-Verhandlungen hat sich Premier­ministerin Theresa May gegen Kompromisse mit der Opposition gesträubt. Am Dienstag knickte sie schliesslich ein: Sie will nun mit der Labour-Partei einen Weg aus der Blockade suchen – und das Austritts­datum ein zweites Mal verschieben. Doch dafür ist die Zustimmung der EU notwendig.

Mit Wortspielen mokieren sich Demonstranten über ihre Politiker. Facundo Arrizabalaga/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Bisher kam May den konservativen Hardlinern und dem extremen nordirischen Koalitions­partner immer wieder entgegen – und beharrte auf einem «harten» Brexit. Sie versprach vergangene Woche gar, im Gegenzug für die Annahme ihres Deals zurückzutreten. Alles vergebens. Nun geht sie erstmals auf die Opposition zu – und riskiert damit eine Spaltung ihrer Partei. Denn Labour-Chef Jeremy Corbyn wird auf einen deutlich «weicheren» Brexit (mit zum Beispiel dem Verbleib in der Zollunion mit der EU) und möglicherweise gar auf eine zweite Volks­abstimmung pochen. Derweil rückt das Austritts­datum, der 12. April, näher. EU-Kommissions­präsident Jean-Claude Juncker schloss am Mittwoch einen erneuten kurzen Brexit-Aufschub aus.

Wie es jetzt weitergeht: Juncker und andere EU-Offizielle sprechen inzwischen offen von einem No-Deal-Brexit als dem «wahrscheinlichsten Szenario». Um das zu vermeiden, muss entweder bis zum 12. April das Parlament einen Deal verabschieden – oder der Brexit wird auf längere Zeit verschoben. Bei einer längeren Verschiebung müsste Gross­britannien an den Europa­wahlen teilnehmen. Darüber wären viele in Gross­britannien und in der EU not amused.


Komiker gewinnt Wahl in der Ukraine

Darum geht es: Der Komiker, Schauspieler und TV-Produzent Wolodimir Selenski hat den ersten Durchgang der Wahl in der Ukraine gewonnen. Der Polit­neuling liess alle anderen 38 Kandidatinnen weit hinter sich – darunter auch den amtierenden Staats­präsidenten Petro Poroschenko und die frühere Ministerpräsidentin Julija Timoschenko.

Schon wieder ein Komiker, der eine Politkarriere anstrebt: Wolodimir Selenski. Gisela Linschinger/APA/Keystone

Warum das wichtig ist: Der 41-jährige Selenski holte alleine so viele Stimmen wie die beiden nächstplatzierten Kandidaten zusammen. Sein Spitzen­platz ist eine Absage an die politische Elite des Landes. Er gilt als Hoffnungs­träger vieler jungen Ukrainerinnen, die unzufrieden sind mit der Bilanz der Regierung und den politischen Akteuren fünf Jahre nach der Maidan-Revolution 2014. Erstmals seit 2010 wurde auch wieder in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk gewählt, die an der Front­linie des Krieges im Donbass liegen. Mit Selenski führt ein Kandidat das Präsidentschafts­rennen an, der wie der amtierende Präsident Poroschenko für eine West­integration der Ukraine einsteht und sich gegen Russland stellt, das die selbst ernannten Volks­republiken im Donbass unterstützt und die Halbinsel Krim annektierte. Prorussische Kräfte haben es nicht in die Stichwahl geschafft. Selenski hatte bisher noch nie ein politisches Amt inne und gibt mit seinen Parodien die Elite der Ukraine der Lächerlich­keit preis. Im Wahlkampf hielt er keine einzige inhaltliche Rede.

Was als Nächstes geschieht: Die Stichwahl für das Präsidenten­amt findet am 21. April statt. Der amtierende Präsident Poroschenko dürfte alles tun, um nach dem zweiten Wahlgang an der Macht bleiben zu können. Im Oktober wird dann das ukrainische Parlament neu gewählt.


Denkzettel für den türkischen Präsidenten

Darum geht es: Bei landesweiten Kommunal­wahlen in der Türkei haben die Wähler die Partei des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan abgestraft. Sowohl in der Hauptstadt Ankara als auch in der Touristenhochburg Antalya und in der Millionenmetropole Istanbul unterlagen die Kandidaten der AKP. Die Partei verlangte in Istanbul eine Neuauszählung der Stimmen. Dem Antrag wurde in mehreren der 39 Wahl­bezirke stattgegeben.

Warum das wichtig ist: Der grösste Heraus­forderer von Erdoğan, HDP-Politiker Selahattin Demirtaş, sitzt seit zweieinhalb Jahren in Haft, die Opposition ist geschwächt. Umso mehr ist der Macht­verlust der AKP in der Hauptstadt Ankara und wahrscheinlich auch in Istanbul eine schwere Niederlage für Erdoğan. Beide Städte wurden von der AKP und ihrer islamisch-konservativen Vorgänger­partei 25 Jahre lang regiert. Vor allem das Ergebnis in Istanbul markiert für den Präsidenten eine Zäsur: Dort startete er 1994 seine politische Karriere als Ober­bürger­meister. Nach Auszählung der Stimmen lag Mansur Yavaş von der Oppositions­partei CHP vor dem Kandidaten der AKP. Erdogan hatte die Abstimmung zu einer Art Referendum über seine Politik gemacht – und zu einer Frage des Überlebens für sein Land. Der politische Aufstieg Erdoğans ging einher mit dem Wirtschafts­boom der Türkei. Inzwischen sind viele Türkinnen unzufrieden, das Land steckt in einer Wirtschafts­krise. Und doch stimmen immer noch viele Türken für die AKP: entweder, weil sie weiterhin an Erdogan glauben, oder weil sie einen Macht­wechsel für das grössere Übel halten.

Was als Nächstes geschieht: Erdoğan sagte nach der Wahl, seine Regierung werde nun ein Wirtschafts­programm umsetzen. Ob er die Wahl­ergebnisse ohne Manöver akzeptiert, ist nicht sicher. Die türkische Demokratie ist nach der Einführung des Präsidialsystems angeschlagen. Und Erdoğan will mindestens bis 2023 Präsident bleiben, weil dann die türkische Republik 100 Jahre alt wird. Solange Erdoğan Europa Flüchtlinge vom Hals hält, dürfte die EU weiterhin wenig Druck auf ihn ausüben.


Anti-Populistin wird Präsidentin der Slowakei

Darum geht es: Zuzana Čaputová holte am Samstag in der Stichwahl für die slowakische Präsident­schaft 58 Prozent der Stimmen. Čaputová ist geschieden, überzeugte Proeuropäerin – und Umweltanwältin. «Populismus ist keine notwendige Strategie, um Wahlen zu gewinnen», sagte sie am Sonntag zu ihrer Wahl.

Für Europa, für die Umwelt und gegen Korruption: Zuzana Čaputová. Alexey Vitvitsky/Sputnik/Keystone

Warum das wichtig ist: In vielen osteuropäischen Ländern waren in den vergangenen Jahren rechts­nationale Parteien auf dem Vormarsch. In Polen, Ungarn und Tschechien sind sie an der Macht. In der Slowakei regiert die Partei Smer, ihrem Namen nach zwar sozial­demokratisch, aber ebenfalls zunehmend nationalistisch und immigrations­feindlich eingestellt. Čaputovás Wahlerfolg dürfte allerdings weniger mit ihren liberalen Werten als mit ihrem Engagement gegen Korruption zu tun haben. Der Urnen­gang stand im Zeichen der Ermordung des Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Februar 2018. Er hatte über Korruption im Umfeld der Smer-Partei recherchiert. Viele Slowaken werfen der Regierung vor, die Aufklärung des Mordes zu verschleppen.

Wie es jetzt weitergeht: Das Präsidial­amt hat in der Slowakei vor allem repräsentativen Charakter. Die Slowakei ist nach wie vor ein tief katholisches Land; wer nach dieser Wahl allein schon eine «progressive Wende» erwartet, könnte enttäuscht werden. Nächstes Jahr sind Parlamentswahlen.


Zum Schluss: Der #MeToo-Moment der Demokraten?

Er liegt in Umfragen vorn, obwohl er seine Kandidatur noch nicht einmal bekannt gegeben hat. Doch es gilt als sicher, dass «Onkel Joe» Biden der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Der 76-Jährige war Barack Obamas Vize­präsident, zuvor lange Jahre Senator – und gilt als bodenständig, humorvoll, gar grossväterlich. Doch seit dem vergangenen Freitag dreht die Stimmung. Eine demokratische Politikerin aus Nevada beschuldigt Biden in einem Essay, sie 2014 begrapscht zu haben. Seitdem sind weitere Frauen mit ähnlichen Geschichten an die Öffentlichkeit gegangen. «Buzzfeed» schrieb am Montag, zahlreiche ähnliche Vorfälle seien seit Jahren ein offenes Geheimnis. Biden reagierte zunächst defensiv («Es war nie meine Absicht …» und dergleichen.) Am Mittwoch veröffentlichte er schliesslich ein Video, in dem er verspricht, den personal space von Frauen besser zu respektieren. Wird das reichen? Die Demokraten haben Präsident Trump immer wieder für sein sexistisches Verhalten kritisiert – die Vorwürfe gegen Biden bringen die Partei in ein Dilemma. Die «New York Times» kommentierte die Kontroverse so: «Biden mag ein Kind seiner Zeit sein, aber diese Zeit ist abgelaufen.»


Top-Storys: Das Beste der anderen

Keine Alternative: Kein Text hat diese Woche im deutschsprachigen Twitter-Universum mehr Diskussionen ausgelöst. Das Langzeit­porträt des ultrarechten AfD-Politikers Markus Frohnmaier im «SZ Magazin» erzählt von dessen Aufstieg bis in den Bundestag. Der Text hält mit Wertungen zurück – und wirkt trotzdem (oder gerade deshalb) entlarvend.

Versteckt vegan: «Wollen Sie Ihren Whopper™ mit oder ohne Fleisch?» So könnte es bald auch in Schweizer Fast-Food-Filialen tönen. Burger King experimentiert in den USA mit einem täuschend echten fleischlosen Burger. Die «New York Times» erklärt, wieso vegane «Fleisch­produkte» das nächste grosse Ding im Silicon Valley werden könnten.

Feige «Post»: Demokratie stirbt in Dunkelheit, das ist der markige Wahlspruch der «Washington Post». Das will so gar nicht mit dieser Geschichte zusammenpassen: Offenbar hat das Blatt eine Investigativ­geschichte zu den Belästigungs­vorwürfen gegen den Fernseh­mann Charlie Rose in letzter Sekunde gekippt. Ein beteiligter Reporter erzählt.

The kids are defined: Während die «Generation Z» auf den Strassen mit Klimastreiks von sich reden macht, entdeckt die Werbe­industrie sie gerade als heisse neue Kunden­gruppe. «The New Republic» erzählt, wie eine Gruppe von Beratern die «Millennials» definierte – und was sie mit der nächsten Generation vorhat.

Die Verwandlung: Apropos Klimawandel … «Das Magazin» hat 75 Ideen zusammengetragen, wie Sie persönlich etwas gegen den Klimawandel tun können.

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