Briefing aus Bern

Fall ETH, Linksrutsch, Durchhalte­parolen – und eine schwierige Mango

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (51).

Von Andrea Arezina, Urs Bruderer, Christof Moser und Carlos Hanimann, 04.04.2019

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Zwei Gläser Prosecco stehen auf dem Küchentisch. Es ist Sonntagmittag. Zwei Freundinnen brunchen und diskutieren über die neuesten kantonalen Wahlergebnisse. Der Espresso­kocher pfeift vom Herd. Die eine lässt ihren Blick kurz in der kleinen Küche umherschweifen. Schon platzt die andere heraus: «Ich weiss. Ich hätte die Mango nicht kaufen sollen. Magst du Mango?»

Das Klima. Es ist an diesem Wochenende überall. In der Küche. In Luzern und Baselland. Aber auch im aktuellen «Magazin»: Es liefert, alphabetisch geordnet, 75 Ideen, wie man den Klimawandel stoppen kann.

Neben altbekannten Klimasünden wie Fliegen und Fleisch stehen da einige Überraschungen: Vielleser kaufen besser keine Bücher mehr. Sie legen sich einen E-Reader zu. Beim zehnten Buch, das man nicht mehr auf Papier anschafft, kippt die Klimabilanz ins Positive.

Baden ist böse. Weil Warmwasser ein Energie­fresser ist. Lieber kurz duschen. Ausser das Badewasser dient einer vierköpfigen Kinder­schar. Und die tägliche Dusche ist nicht obligat, wenn man nicht in einer Kohlemine arbeitet.

Und es gilt: Tee vor Kaffee. Der ökologische Fussabdruck einer Tasse Kaffee entspricht einer Autofahrt von einem Kilometer.

Zum Prosecco steht im Magazin nichts. (Zu Wein schon, aber bis zum W sind die beiden Freundinnen an diesem Sonntag­nachmittag noch nicht gekommen.) Und weil der Schaum­wein guttut, sieht auch die Mango immer feiner aus. Immerhin wurde sie in der Auslage nicht als Flugware angepriesen. Das schlechte Gewissen mag genährt sein, sagen sich die beiden Freundinnen, aber ohne Kompromisse ist der Klima­wandel auch nicht zu schaffen.

Und damit zum Briefing.

Fall ETH: Aufsicht und Politik machen Druck

Was bisher geschah: Nachdem die Republik gravierende Verfahrens- und Führungsfehler im Umgang der ETH mit einer angeblich mobbenden Professorin aufgedeckt hat, teilte der ETH-Rat am vergangenen Freitag nach einer ausserordentlichen Sitzung mit, die beschuldigte Professorin vor dem Entlassungs­entscheid anzuhören. ETH-Präsident Joël Mesot kündigte ausserdem an, die von Physik­professorin Ursula Keller erhobenen Sexismus- und Korruptions­vorwürfe extern untersuchen zu lassen. Geäussert hat sich am Sonntag auch die Sprecherin des eidgenössischen Bildungs­departements: «Wir erwarten, dass der ETH-Rat die rechtlichen Vorgaben einhält.»

Warum das wichtig ist: Ganz freiwillig reagieren die ETH und ihr Präsident nicht. Die Enthüllungen der Republik ziehen weitere Kreise, als die ETH erwartet hat. Der Druck der Aufsichts­gremien auf die ETH steigt – und auch die Politik wird jetzt aktiv. Das zeigen Recherchen. Der ETH-Rat habe das strukturelle Ausmass der Affäre erst durch die Bericht­erstattung der Republik erfasst, heisst es informell aus dem Aufsichts­gremium. Und weiter: Die korrekte Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren sei «elementar für den Forschungs­standort Schweiz». Der angekündigte Kurs von ETH-Präsident Joël Mesot für Reformen und eine Verbesserung der Governance wird grundsätzlich unterstützt. Allerdings, so heisst es aus der Geschäftsprüfungs­kommission in Bern, die das Thema ETH diese Woche ebenfalls erneut thematisiert hat, müsse genau beobachtet werden, ob die Hochschule die gravierenden Mängel auch tatsächlich strukturell anpacke.

Was als Nächstes geschieht: Voraussichtlich im Mai wird der ETH-Rat den Entscheid über die Entlassung der beschuldigten Professorin fällen. Für die Untersuchung der Sexismus- und Korruptions­vorwürfe ist die Suche nach einem externen Untersuchungs­leiter bereits angelaufen. Die Aussagen von ETH-Professorin Ursula Keller spalten nicht nur die ETH, sondern auch die Freisinnigen: Keller will im Herbst als FDP-Kandidatin für den Nationalrat kandidieren – zur Freude der einen, zum Ärger der anderen.

Neue grüne Welle

Was bisher geschah: Es wird derzeit so viel über die SVP geschrieben und geredet, man könnte glauben, sie sei die Partei der Stunde. Doch bei den Wahlen in Zürich und – jetzt am Wochenende – in Luzern und Baselland gab es einen Linksrutsch: Die SVP verliert. Die Linken und die Grünen gewinnen.

Was Sie wissen müssen: Bei den kantonalen Wahlen in Luzern wie auch im Baselbiet hat die SVP massiv eingebüsst: In beiden Parlamenten verliert sie sieben Sitze – ein Viertel ihrer bisherigen Stärke. Im gleichen Ausmass zugelegt haben dafür linke und grüne Parteien: In Luzern sind das die Sozial­demokraten (von 16 auf 19 Sitze), die Grünen (von 7 auf 14 Sitze) und die Grünliberalen (von 5 auf 8 Sitze). Ganz ähnlich die Ergebnisse im Kanton Baselland, wo die Grünen 6 Sitze gewannen (neu: 14) und die SP einen (neu: 22). Die SP kehrte nach vier Jahren in der Opposition ausserdem zurück in die Regierung: Die Sozialdemokratin Kathrin Schweizer schlug den SVP-Kandidaten Thomas de Courten.

Wie es weitergeht: Die Wahlen in Zürich, Basel und Luzern gelten in der Regel als Gradmesser für die nationalen Wahlen im Herbst. Der Trend der Grünen dürfte anhalten, zumal die Partei seit 2015 bei kantonalen Wahlen insgesamt 41 Sitze zugelegt hat.

SVP im Klimastress

Was bisher geschah: Nach den Wahlschlappen in Zürich, Baselland und Luzern geht die SVP über die Bücher. In Zürich wurde fast die gesamte Partei­leitung ausgewechselt. Auch in Baselland gab der Präsident seinen Rücktritt bekannt, der war allerdings schon länger geplant und erfolgt wegen einer wohl schweren Erkrankung. In Luzern kommt es zu keinen Rücktritten.

Was Sie wissen müssen: Die SVP-Leitung ist nervös. Bei der Auswechslung der Zürcher Parteispitze soll Partei­übervater Christoph Blocher die entscheidende Hand im Spiel gehabt haben. Von ihm und anderen national bekannten SVP-Politikern sind jetzt Durchhalteparolen zu vernehmen. Bloss nicht sechs Monate vor den Wahlen den Kurs ändern. Die Partei dürfe jetzt nicht auf den «Modehype» Klima­wandel aufspringen. Wahlkampf­thema Nummer eins der SVP soll der Kampf gegen ein Rahmen­abkommen mit der EU bleiben. In den Reihen der SVP gibt es aber auch kritische Stimmen. Für die Bauern­fraktion ist der Klima­wandel längst Wirklichkeit. Der abtretende Baselländer Partei­präsident kritisierte die Partei­prominenz, weil sie das Klimathema verschlafen habe. Und SVP-Bundesrat Ueli Maurer warf seiner Partei vor, sie könne zwar immer Nein sagen zu einem Geschäft: «Entscheidend ist aber, dass die Partei dann auch genau begründen kann, weshalb sie das tut, und Alternativen aufzeigt. Das ist im Moment zu wenig der Fall.»

Wie es weitergeht: Die Partei hält wahrscheinlich Kurs und zählt darauf, dass ihre straffe landesweite Organisation sie bei den nationalen Wahlen im Herbst bewahrt vor einer so grossen Schlappe wie bei den letzten kantonalen Wahlen.

Kantone helfen ausländischen Milliardären beim Tricksen

Was bisher geschah: Im Berner Nobelort Gstaad bezahlten vermögende Ausländerinnen und Ausländer viel zu wenig Steuern. Das zeigen Daten, die dem «Tages-Anzeiger» vorliegen.

Was Sie wissen müssen: In der Schweiz werden bestimmte Personen nicht nach ihrem tatsächlichen Einkommen und Vermögen besteuert, sondern nach dem Lebensaufwand. Das nennt sich Pauschal­besteuerung. Vorwiegend profitieren davon reiche Ausländer im Ruhestand. Bei der Schätzung des Lebens­aufwandes müssen die Steuer­behörden die Lebenshaltungs­kosten im In- und Ausland berücksichtigen. Doch nicht alle Kantone taten dies. Bern zum Beispiel ging nur von den Lebenskosten in der Schweiz aus. Für den zweifachen Milliardär und Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone hiess dies zum Beispiel, dass seine 40 Millionen Franken teure Jacht und deren Unterhalt nicht in die Steuer­rechnung einbezogen wurden. Er bezahlte nur 500’000 Franken Steuern – ein Viertausendstel seines Vermögens. Hätten die Stimm­bürgerinnen 2014 die Steuerdaten aus Gstaad schon gekannt, wäre die Initiative zur Abschaffung der Pauschal­besteuerung womöglich chancenreicher gewesen.

Wie es weitergeht: Das Gesetz über die Pauschal­besteuerung wurde revidiert und trat 2016 in Kraft. Bis 2020 läuft noch eine fünfjährige Übergangs­frist. Bis dahin können die Kantone weitermachen wie bisher, weil nach wie vor die Kontrolle darüber fehlt, ob sie sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten oder nicht.

Debatte zum Briefing aus Bern

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