Nick Lobeck

Buchclub

Wir sprachen über «Grand Tour»

Der Buchclub der Republik diskutierte über «Grand Tour», eine Anthologie der europäischen Dichtung der Gegenwart. Verfolgen Sie das Gespräch im Video.

Von Daniel Graf, 03.04.2019, Update: 24.04.2019

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Im Buchclub diskutierten wir über eine literarische Neuerscheinung: die Lyrik-Anthologie «Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas», herausgegeben von Federico Italiano und Jan Wagner.

Zu Gast in der Rothausbar in Zürich war der Lyriker und Übersetzer Max Czollek, der für die Anthologie Gedichte aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen hat. Bei einem Glas Wein diskutierten Barbara Villiger Heilig, Daniel Binswanger und Daniel Graf von der Feuilleton-Redaktion mit ihm über die grossen politischen Fragen, welche die «Grand Tour» in ihren Gedichten aufwirft.

Das Buch

Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas. Herausgegeben von Federico Italiano und Jan Wagner. Carl-Hanser-Verlag, München 2019. 582 Seiten, ca. 50 Franken. Ein Video zu Entstehung, Idee und Zielen des Anthologieprojekts findet man hier.

Es ist die ambitionierteste Bestands­aufnahme der europäischen Gegenwarts­lyrik seit langem: über 700 Gedichte aus 49 Ländern. Und wenn wir uns nicht verzählt haben, aus 47 Sprachen. Denn nicht nur die zeitgenössische französische, russische oder dänische Dichtung haben hier ihren Auftritt. Auch samische, baskische oder rätoromanische Texte sind im Original und auf Deutsch versammelt, Gedichte in schottischem Gälisch oder gleich in mehreren Sprachen, sodass man sie im Inhalts­verzeichnis unter P findet: «polyglott».

«Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas» heisst die soeben erschienene Anthologie, die Federico Italiano und Jan Wagner herausgegeben haben. Und mit der sie in den kommenden anderthalb Jahren durch Europa reisen, in immer neuer Gesprächs­konstellation mit den Autorinnen und Autoren des Bandes, an immer anderen Ecken und Enden Europas. Das Buch ist eine Feier der europäischen Gegenwarts­lyrik in ihrer Stimmen­vielfalt, eine Hommage an die Kunst der Übersetzung. Und selbst ein Akt der Verdichtung. Denn bei allem Überbau: «Grand Tour» ist zunächst und zuvörderst ein Rummel­platz herausragender Gedichte.

Überhaupt ist es ja auf dem hiesigen Buchmarkt die Zeit der grossen Lyrik­anthologien. Das 21. Jahrhundert feiert bald 20-Jähriges, und das Bedürfnis nach einer Zwischen­bilanz scheint Literaturwissenschaftler ebenso wie die Dichterinnen umzutreiben. Nachdem das Schlagwort «junge Lyrik» schon ein wenig gealtert ist, stellt sich nun vermehrt die Frage: Was bleibt?

Gleich drei grosse Sammlungen zur deutschsprachigen Gegenwarts­lyrik sind zuletzt erschienen. Von Steffen Popp, der, betont subjektiv, unter seinen Zeit­genossen die «Spitzen» ermittelt und eine «Hall of Fame» errichtet hat. Von Michael Braun und Hans Thill, die seit Jahren zuverlässig die interessantesten Stimmen der Gegenwart in Anthologien versammeln. Von Nancy Hünger und Helge Pfannenschmidt, die mit dem Fotografen Dirk Skiba Gedicht und Dichter­porträt kombinierten. (Unsere Buchvorstellung finden Sie hier.)

«Grand Tour» aber hat andere Vorbilder.

Italiano/Wagner stehen mit ihrer Anthologie in der Tradition von Hans Magnus Enzensbergers «Museum der modernen Poesie» (1960), die bereits Joachim Sartorius mit dem «Atlas der neuen Poesie» (1995) fortgeführt hat. Womöglich sagt es einiges über unsere Gegenwart, dass diese Sammlungen noch emphatisch den kosmopolitischen Gedanken hochhielten, während «Grand Tour» auch eine Reaktion darauf ist, wie sehr die europäische Idee unter Beschuss steht. Den beiden älteren Sammlungen gegenüber ist der Blick von Italiano/Wagner zugleich beschränkter und inklusiver: Statt der globalen Perspektive ist es hier die paneuropäische – und doch ist die Sprachen­vielfalt grösser. Denn wo das «Museum» und der «Atlas» noch den dominanten Sprachen und National­literaturen galten, führt die «Grand Tour» auch durch die sogenannten kleinen Sprachen.

Dass wir in diesem Republik-Buchclub also die grossen politischen Fragen berühren werden, ergibt sich schon aus dem Konzept der Sammlung. Aber ansetzen wollen wir doch vor allem bei den Texten selbst, den ursprünglichen ebenso wie den Über­setzungen. «Grand Tour» ist nicht von Albanien bis Zypern geordnet, sondern assoziativ, nach den Gesetz­mässigkeiten der Dichtung. Entlang von Motiven, Bildern, poetischen Korrespondenzen.

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