Jenseits von Gut und Basis

Schlechte Zeiten für die SVP: Die Temperaturen steigen, die Wählerzahlen sinken. Und die Partei wird lauter, schriller und faktenfreier. Es ist der falsche Populismus für die Schweiz.

Eine Einordnung von Urs Bruderer, 01.04.2019

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Schaut her, sagte Christoph Blocher, ich kann mir alles leisten, auch einen sinnlos grossen ökologischen Fussabdruck. Er nahm den Helikopter zur Vorstands­sitzung der SVP. Und den Traktor vom Helikopter zur Tür. Und liess sich dabei fotografieren.

Fünf Tage vorher verlor die SVP bei den Wahlen im Kanton Zürich massiv. Sieger waren die Grünen und die Grün­liberalen. Nach den Wahlen gestern in den bürgerlichen Kantonen Baselland und Luzern ergab sich dasselbe Bild: Linksgrün legt stark zu. Die Rechte verliert. Und die SVP am meisten.

In Baselland schlug die SP-Kandidatin ihren SVP-Gegner für die Regierung brutal deutlich. Im Parlament verlor die SVP ein Viertel ihrer Sitze – an die Grünen und an die SP. Die Sozial­demokraten sind jetzt die stärkste Partei im Kanton. In Luzern verlor die SVP ebenfalls ein Viertel ihrer Sitze. Und ja, es wird repetitiv: Die Grünen, die Grün­liberalen und die SP gewannen.

Alles deutet darauf hin, dass das Wahljahr 2019 in die Geschichte eingehen wird als das Jahr einer brüsken Korrektur.

Und was macht die SVP?

Kurs halten!

Nach der Schlappe in Zürich musste die kantonale Partei­leitung dort auf Druck von Blocher zurücktreten. Die wichtigste Kantonal­partei der SVP – die, die seit drei Jahrzehnten Ton und Themen vorgibt – verlor Knall auf Fall den Präsidenten, beide Vize­präsidenten und beide Parteisekretäre.

Köpfe mussten rollen, so die Erklärung von Partei­spitzenleuten, weil man zu faul wurde, zu wenig tat und die eigenen Leute nicht mehr an die Urne brachte. Was nachvollziehbar klingt, ist nachweislich falsch: Die SVP verlor in Zürich nicht, weil sie schlecht mobilisierte. Sondern weil in der Stadt und der Agglomeration heute mehr gut ausgebildete Leute wohnen, die links wählen.

Die SVP wechselt Leute aus, um nicht über ihre Linie nachzudenken.

Kurs halten! Wenn Blocher mit seiner Traktor­fahrt eines sagen wollte, dann dies: Kurs halten! Das war auch das Thema von SVP-Nationalrat Roger Köppels Rede vor den Delegierten am vergangenen Samstag. Er warnte vor einer «staatlichen Klima­kolchose», beschrieb die für das Klima demonstrierenden Jugendlichen als Opfer von «Kinds­missbrauch durch linksgrüne Lehrer» und raunte, dass «unter der Tarnkappe des Klima­schutzes organisierter Selbstmord der Gesellschaft» betrieben werde.

Der Verbalradikalismus brachte Köppel wie immer viel Applaus ein, aber auch viele skeptische Blicke. In der SVP nimmt die Bereitschaft ab, es sich mit den Argumenten von Klima­leugnern gemütlich zu machen. Für die Bauern in ihren Reihen ist der Klima­wandel ohnehin längst zu einer bedrohlichen Wirklichkeit geworden.

Blocher zog immer schon gern gegen Moralisten vom Leder, gegen die Anständigen, die Gutmenschen, die Landesverächter.

Doch am Klimawandel droht er damit zu scheitern.

Faktenfreier Populismus

Die SVP-Chefs politisieren zunehmend an ihrer Basis vorbei. Das zeigte sich an der Delegierten­versammlung auch noch bei einem zweiten Thema. Als die Delegierten die Parole zur Doppel­vorlage Staf (das Paket aus Unternehmens­steuersenkung und AHV-Finanzierung, über das im Mai abgestimmt wird) hätten fassen sollen, wurden sie von der Partei­leitung überrascht: Anders als angekündigt wollte sie nicht über Ja oder Nein zur Vorlage diskutieren, sondern über Stimmfreigabe.

Das brachte viele und vor allem ältere Delegierte ans Mikrofon. In rührender Umständlichkeit brachten sie zum Ausdruck, dass ihnen gefällt, was die reichen Unternehmer an der Spitze der Partei stört: der 2-Milliarden-Franken-Zustupf für die AHV, die sozialste aller Sozial­versicherungen. Die Stimmung im Saal war gegen Stimmfreigabe – bis die Partei­leitung die letzten drei Redner ans Mikrofon bat. Ständerat Peter Föhn, Nationalrat Roger Köppel und – ein Raunen ging durch die Reihen, als er angekündigt wurde – Christoph Blocher.

Noch verzeihen die SVP-Mitglieder ihm alles, noch folgen sie ihm. Die Stimm­freigabe wurde beschlossen.

Doch sein trotziger Auftritt auf dem Traktor und die überdrehte Rhetorik Köppels zeigen, wie die SVP-Spitze auf die sich in diesem Wahljahr abzeichnende Krise reagiert: Sie setzt zunehmend auf faktenfreien Populismus. Und zwar in seiner härtesten, nämlich völlig unsozialen Form.

Es gibt erfolgreiche Vorbilder für diese Politik. Trump in den USA. Viktor Orbán in Ungarn. Doch in diesen Ländern herrschen andere Verhältnisse als in der Schweiz. Die Gesellschaften sind gespalten, und viele Leute werden von den ebenso gespaltenen oder gleichgeschalteten Medien schlecht informiert.

Die SVP spürt die Niederlage kommen – und radikalisiert sich. Doch abwenden kann sie die Schlappe bei den Wahlen im Herbst dadurch nicht. Im Gegenteil: Womöglich verschärft sie ihre Niederlage eher. Und aus einer Korrektur im normalen helvetischen Rahmen von plus/minus drei Prozent wird womöglich eine Zäsur.

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