Binswanger

Der Linksrutsch

Die grössten Zuwächse haben in Zürich die Grünliberalen. Dabei machten sie denselben Fehler wie die Verlierer von der SVP: einen Europa-Wahlkampf.

Von Daniel Binswanger, 30.03.2019

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Welche Schlüsse lassen sich aus dem Ergebnis der Zürcher Kantonsrats­wahlen ziehen? Worin sind sie der Trend­barometer für die nationalen Wahlen im Herbst? Die ganze Woche wurden verworrene Diskussionen geführt, dabei ist die Antwort denkbar einfach: Das Land rückt nach links. Die Klima-Wahl hat nicht nur die G-Parteien favorisiert, sondern die politischen Koordinaten nach links verschoben. Wie lange diese Tendenz andauern wird, weiss niemand. Aber es ist bemerkenswert, dass bisher viel mehr über das vermeintliche Comeback der Mitte als über den Erfolg der Linken debattiert wird.

Am greifbarsten sind zunächst zwei Elemente des Wahl­ausgangs: zum einen das dramatische Einbrechen der SVP, das durch den weniger ausgeprägten, aber immer noch deutlichen Rückgang der FDP komplementiert wird, zum anderen der spektakuläre Erfolg der Grün­liberalen und der Grünen. Die delikate Frage, wie stark die Grün­liberalen nun eine bürgerliche, eine der Mitte zuzurechnende oder gar eine «sozialliberale» Formation sein sollen, wollen wir hier getrost einmal offenlassen. Man darf gespannt sein, welche Finanz- und Sozial­politik die Partei nun verfolgen wird. Völlig offenkundig liegt allerdings schon heute eine Tatsache auf dem Tisch: Die GLP wächst vornehmlich auf Kosten der anderen Mitte­parteien. Das Links-rechts-Gleichgewicht verschiebt sich aufgrund ihres Erfolges nur in bescheidenem Mass.

Schlagend deutlich wird das, wenn wir Sitzgewinne und Verluste betrachten. Die GLP gewinnt neun Kantonsrats­sitze, die CVP hingegen verliert einen, die BDP fünf Sitze. Das heisst, dass zwei Drittel der GLP-Gewinne auf Kosten der Konkurrenz aus der Mitte gehen. Die GLP expandiert, die BDP wird eliminiert. Das wars im Wesentlichen. Viel mehr als eine Binnen­umverteilung ist in der Mitte nicht geschehen.

Völlig anders ist die Situation auf dem linken Flügel des Parteien­spektrums: Die Grünen gewinnen ebenfalls neun Sitze, aber nicht auf Kosten ihrer linken Rivalin. Die SP verliert zwar einen Sitz, aber die AL gewinnt im Gegenzug einen dazu. Die linken Parteien machen einen Netto­gewinn von vollen neun Sitzen. Sie graben sich nicht gegenseitig das Wasser ab, sondern expandieren insgesamt. Auch der Erfolg des grünen Regierungsrats­kandidaten Martin Neukom ist ein klares Indiz dafür, dass die Klima-Wahl nicht primär die Mitte, sondern die Linke gestärkt hat.

Das mag auch daran liegen, dass die offiziellen Punkte­siegerinnen des Urnen­gangs, also die Grün­liberalen, strategisch fast alles falsch gemacht haben. Okay, das ist leicht übertrieben: Sie sind angetreten mit vielen weiblichen Kandidatinnen und haben einen substanziellen Beitrag geleistet zur Erhöhung des Frauen­anteils. Von den zehn neu in den Kantons­rat einziehenden GLP-Vertretern sind neun Vertreterinnen. Sie haben zudem erfolgreich einen Generationen­wechsel aufgegleist und ein kantonales Präsidentschaftsduo lanciert, das sicherlich auch in Zukunft noch von sich reden machen wird. In jeder anderen Hinsicht jedoch dürfte die Wahl­kampf­strategie mehr als suboptimal gewesen sein – auch wenn der G-Faktor letztendlich zu einem glänzenden Sieg geführt hat.

Auf dem Höhepunkt der grünen Klimawelle haben die Grün­liberalen es tatsächlich geschafft, keinen grünen, sondern einen Europa-Wahl­kampf zu führen. Sicherlich: Es ist gut nachvollziehbar, wie sie zur Fehl­einschätzung gelangten, das Rahmen­abkommen werde die Agenda bestimmen. Eine entscheidende Rolle dürfte dabei auch gespielt haben, dass im Wahl­kampf 2015 die ökologischen Fragen plötzlich keine Zug­kraft mehr hatten und die grünen Parteien herbe Verluste hinnehmen mussten. Politische Organisationen stehen immer in Gefahr, die Kriege von gestern zu führen und die Auseinandersetzungen, die heute dringlich sind, nicht im Blick zu haben. Als Ökopartei die Ökofrage zu verpassen – beziehungsweise im Wahl­kampf nur unter «ferner liefen» zu behandeln –, ist trotzdem eine reife Leistung.

Der zweite Fehler war die Fixierung auf das linke Feind­bild. Die gesamte Wahl­kampf­strategie der GLP war konsequent darauf ausgerichtet, in den urbanen Milieus der SP Wähler abspenstig zu machen, die unglücklich sind über die sozialdemokratische Ablehnung des Rahmen­abkommens. Das hat nicht funktioniert. Die SP ist mehr oder weniger stabil geblieben, der Galladé-Stunt war für die Füchse. Wie hoch wären die Grün­liberalen gekommen, wenn sie sich statt an der gewerkschaftlichen Linken an der Ökobilanz der FDP abgearbeitet hätten? Die Vermutung liegt nahe, dass das noch wesentlich einträglicher gewesen wäre. Doch auch die neue Generation scheint nach rechts an einer Beiss­hemmung zu leiden.

Die Mitte reorganisiert sich. Politisch relevanter wird allerdings eine ganz andere Frage werden: Wie irreversibel ist der Einbruch der SVP? Die Volks­partei hat denselben Fehler begangen wie die GLP: einen reinen Europa-Wahl­kampf. Während die Grün­liberalen ihren Kurs im Hinblick auf den Herbst noch justieren könnten, steht bei der SVP wohl schon heute fest, dass sie die nationalen Wahlen mit derselben Agenda bestreiten wird.

Die Nominierung von Roger Köppel zum Ständerats­kandidaten hat zweierlei gezeigt: Erstens ist die SVP noch immer eine reine Blocher-Veranstaltung. Wenn Herrliberg ein Machtwort spricht, darf die Partei nur noch abnicken. Zweitens wird die SVP im Herbst nicht darauf setzen, möglichst viele Wähler zu erreichen, sondern ausschliesslich darauf, die bestehende Basis zu mobilisieren. Die Volks­partei adoptiert die Trump-Strategie: keine Kompromisse, keine Brücken, keine Angebote an einen erweiterten Wähler­kreis. Stattdessen maximale Polarisierung: Man wird mit allen Mitteln die eigenen Kern­truppen aufzupeitschen versuchen. Der Chef­einpeitscher ist nun designiert. Es wäre überraschend, wenn der Schweizer Politdiskurs im kommenden Wahl­kampf nicht auf neue Gipfel der Niveau­losigkeit zusteuern würde.

Der Blick in die USA ist instruktiv. Ein dezidiert wissenschafts­feindliches Bekenntnis zur Bestreitung des Klima­wandels ist mittlerweile zum eigentlichen Nibelungen-Eid der Republikanischen Partei geworden. Die SVP ist auf dem Weg dorthin. Nichts wird unversucht gelassen, um den Klima­wandel in Abrede zu stellen und endlich Raum zu schaffen für Blochers No-EU-Agenda. Die Erfolgs­aussichten dürften jedoch mässig sein. Wer die drängenden Themen erst kleinreden muss, um sein Kern­anliegen zu pushen, hat denkbar schlechte Karten.

In Herrliberg kann man eigentlich nur noch beten, dass beizeiten irgendwo ein Krieg ausbricht und eine «Flüchtlings­welle» auslöst. Oder dass Brüssel diesen Sommer Amok läuft. Und wir können dem Herrn nur dafür danken, dass Blocher – im Gegensatz zu Trump – die Macht nicht in den Händen hält, einen solchen Krieg vom Zaun zu brechen.

Illustration: Alex Solman

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