Was diese Woche wichtig war

Anschlag in Neuseeland, Proteste im Balkan – und ein Griff in die Mottenkiste

Woche 12/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Adelina Gashi, Michael Kuratli und Isabelle Schwab, 22.03.2019

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Mindestens 50 Tote bei Anschlag auf Moscheen in Neuseeland

Darum geht es: Vergangenen Freitag erschoss ein australischer Terrorist in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 50 Menschen. Sechs Personen schweben noch immer in Lebens­gefahr. Der mutmassliche Täter wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Neuseeland trauert, nachdem ein Terrorist in Christchurch 50 Personen erschossen hat. Dianne Manson/Getty Images

Warum das wichtig ist: Neuseeland gilt als Vorbild, wenn es um das Zusammen­leben der unterschiedlichen Kulturen geht. Das Land steht nach den Anschlägen unter Schock. Der Täter nannte in einem vorgängig ins Internet gestellten Manifest den norwegischen Attentäter von Utøya, Anders Behring Breivik, als Vorbild. Das Video des Täters, welches seine minutiös geplante Attacke dokumentierte, machte in den Medien weltweit die Runde, zusammen mit dem Manifest. Die rechtsradikale Botschaft des Täters wurde damit ebenfalls weiterverbreitet. Die Kritik am Verhalten der Medien lesen Sie im Kommentar von unseren Autoren Oliver Fuchs und Elia Blülle.

Was als Nächstes geschieht: Neuseelands Premier­ministerin Jacinda Ardern kündigte am Mittwoch eine umfassende Verschärfung des Waffenrechts an. Sturm­gewehre und halbautomatische Waffen werden per sofort verboten, weitere Mass­nahmen sollen folgen. Bis zu 1,5 Millionen Schuss­waffen soll es gemäss Angaben der Behörden im Land geben. Wie viele der nun verbotenen Gewehre im Umlauf sind, weiss niemand.


Gelbwesten-Proteste eskalieren in Paris

Darum geht es: Die Proteste der gilets jaunes eskalierten vergangenen Samstag auf den Champs-Élysées in Paris. Verschiedene radikalisierte Unter­gruppen innerhalb der Bewegung verursachten grosse Sach­schäden. Unter anderem wurde ein Haus in Brand gesteckt und Geschäfte geplündert.

Die französischen Gelbwesten demonstrierten am Samstag zum 18. Mal in Folge – und verursachten dabei grosse Sachschäden. Mustafa Yalcin/Anadolu Agency/Getty Images

Warum das wichtig ist: Nach Monaten der Mobilisation verliert die Bewegung der gilets jaunes allmählich an Rückhalt in der Bevölkerung. Nur noch rund 10’000 Personen beteiligten sich nach Angaben des Innen­ministeriums in Paris bei den Protesten. Über 1500 Demonstrierende setzten dabei auf gewaltsame Konfrontation. Im Nachgang der Ausschreitungen wurden rund 1800 Verurteilungen ausgesprochen, 40 Prozent davon mit Haftstrafen. Der französische Senat verabschiedete vergangene Woche ein umstrittenes «Anti-Randale»-Gesetz, welches es der Polizei erlaubt, bekannte Randalierer vorab zu verhaften. Präsident Emmanuel Macron tourt derweil mit seiner grand débat durch das Land. Es ist die Antwort Macrons auf die Unruhen, die sich vor allem gegen seine Präsidentschaft richten.

Was als Nächstes geschieht: Ausschreitungen und Sach­schäden sind auch in Zukunft an Wochen­enden in Paris zu erwarten. Das verschärfte Demonstrations­gesetz könnte dazu führen, dass die Zusammen­stösse zwischen Demonstranten und Polizei weiter eskalieren. Am kommenden Wochenende will die Regierung zudem Elitesoldaten in mehreren Städten patrouillieren lassen.


Orbáns Partei von der EVP suspendiert

Darum geht es: Die Europäische Volkspartei (EVP) beschloss am Mittwoch, Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán und dessen Partei Fidesz von der Sammel­partei zu suspendieren. Der EVP gehören fast alle konservativen Parteien Europas an, darunter die deutsche CDU/CSU. Sie ist die stärkste Fraktion im Europaparlament.

Warum das wichtig ist: Die Beziehung zwischen Orbán und der EVP ist schon länger schwierig. Jüngst waren Jean-Claude Juncker, Parteikollege in der EVP, und George Soros, der Lieblingsfeind Orbáns, zudem Opfer einer diffamierenden Plakatkampagne in Ungarn. Orbán nannte EVP-Politiker ausserdem «nützliche Idioten», ein Ausdruck der sowjetischen Propaganda. Soll man das Enfant terrible der europäischen Politik aus den eigenen Reihen ausschliessen oder nicht? Die EVP war sich ob des Vorgehens gegen Orbán unschlüssig. Im Falle eines Ausschlusses hätte er sich als Märtyrer inszenieren können, bei einer Weiterführung der Mitgliedschaft als durchschlagender Politiker. Der ungarische Regierungs­chef strebt mit den rechtskonservativen Parteien ohnehin ein rechtes Gegengewicht zur zentristischen EVP an.

Was als Nächstes geschieht: Die Suspendierung ist der Zwischen­weg, der es der EVP erlaubt, ihr Gesicht zu wahren – in der Hoffnung, noch ein Mindestmass an Kontrolle über Orbán und die Fidesz ausüben zu können. Für die stärkste Fraktion im Europa­parlament war die Entscheidung angesichts der anstehenden Wahlen von Ende Mai wegweisend.


Anhaltende Proteste im Balkan

Darum geht es: Die Region befindet sich in Aufruhr. Seit Monaten wird in Albanien, Bosnien, Serbien und Montenegro protestiert. In Belgrad kam es am letzten Wochenende zu gewaltsamen Ausschreitungen.

Warum das wichtig ist: Die Hintergründe der Proteste sind zwar unterschiedlich. Was die Demonstrantinnen eint, ist aber ihre Ablehnung der jeweiligen Regierungsführer.

  • In Serbien demonstrierten Tausende Menschen gegen das autoritäre Regime des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic und für die Medienfreiheit. Etwa 50 Demonstranten stürmten am Samstag in Belgrad das Gebäude des nationalen Senders RTS, dem sie politisch beeinflusste Bericht­erstattung vorwerfen. Die Demonstrationen in Serbien, die im vergangenen Dezember begannen, wurden von RTS in seiner täglichen Nachrichten­sendung weitgehend ignoriert. Am Sonntag kam es dann zu gewaltsamen Ausschreitungen, als Tausende Menschen während Vucics Presse­konferenz den Präsidenten­palast umzingelten. Sicherheits­kräfte versuchten die Demonstrantinnen davon abzuhalten, Lautsprecher zu installieren und Barrieren niederzureissen.

  • Was im albanischen Tirana als Protest gegen die Erhöhung von Studien­gebühren begann, entwickelte sich zu einer nationalen Bewegung gegen den Minister­präsidenten Edi Rama, dem Korruption, Wahlbetrug und Verbindungen zu kriminellen Organisationen vorgeworfen werden.

  • In Montenegro ist Premierminister Milo Djukanovic in einen schweren Korruptions­skandal verwickelt, der schon seit Jahren schwelt. Djukanovic ist bereits seit 1991 an der Macht. Nun fordern Tausende Montenegriner den Rücktritt Djukanovics.

  • Und in Bosnien begannen die Proteste vor etwa einem Jahr in Banja Luka, als der 21-jährige David Dragicevic auf ungeklärte Weise starb. Die Demonstranten vermuten, dass die Polizei den Vorfall vertuscht, und fordern seitdem «Gerechtigkeit für David». Das Urteil gegen den ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic spaltet die Bevölkerung Bosniens hingegen. Das UN-Tribunal verurteilte ihn in zweiter Instanz zu lebenslanger Haft. Karadzic war einer der politisch Haupt­verantwortlichen beim Völkermord von Srebrenica. Während viele muslimische Bosnier das Urteil begrüssen, sind viele Einwohner der Republika Srpska, die zum serbischen Teil Bosniens gehört, sauer über den Entscheid. Sie werfen dem Tribunal Serben­feindlichkeit vor.

Was als Nächstes geschieht: Die Regierungs­führer zeigen sich von den Demonstrationen bisher unbeeindruckt. Gerade in Serbien werden die Proteste wohl aber nicht so schnell abreissen. In den Medien wird unterdessen über einen «balkanischen Frühling» spekuliert.


Brexit-Star der Woche: John Bercow

Er bremste Premierministerin Theresa May aus und griff dafür tief in die Trickkiste. Oder eher Mottenkiste. Der Unterhaus­sprecher John Bercow hat Theresa Mays Vorhaben, dem britischen Parlament ihren EU-Deal ein drittes Mal zur Abstimmung vorzulegen, auf Eis gelegt. Er zitierte dafür eine Regel aus dem Jahr 1604, die verhindert, dass abgelehnte Anträge während einer Parlamentsperiode erneut vorgelegt werden können. May ist davon gemäss Medien­berichten kalt erwischt worden. Ihre Regierung prüft nun verschiedene Taktiken, um die Blockade zu umgehen. Eine davon wäre, die Queen aufzubieten. Sie kann eine Parlaments­periode beenden und eine neue eröffnen.


Zum Schluss: Wer überwacht die Flugwächter?

Die Boeing-Krise zieht immer weitere Kreise. Das US-Justizministerium und das US-Verkehrsministerium ermitteln gegen den Flugzeugbauer. Und gegen die eigene Flugaufsicht, die FAA. Sie wollen herausfinden, ob beim Verfahren der Zulassung der Boeing-Flugzeuge vom Typ 737 Max 8 getrickst wurde. Zwei dieser Maschinen sind innerhalb von sechs Monaten unter verdächtig ähnlichen Umständen abgestürzt. Anfang dieser Woche enthüllte die «Seattle Times», dass sich Boeing – geduldet von der Flugaufsicht – weitgehend selber kontrolliert hatte. Zudem seien FAA-Beamte von ihren Vorgesetzten dazu gedrängt worden, die Sicherheits­prüfungen zu beschleunigen. Mitten in der Krise hat Präsident Trump nun einen Leiter für die Flugaufsichtsbehörde nominiert. Der Posten ist seit Januar 2018 vakant.


Top-Storys: Schmerzen und andere Krisen

Marktversagen: In einer Umfrage innerhalb der American Economic Association gaben zahlreiche Ökonominnen an, diskriminiert oder sexuell belästigt worden zu sein. Wie die Branche in den USA auf diese Umfrage reagiert, berichtet die «New York Times».

Virus gegen die Wahrscheinlichkeit: Ein Virus besitzt einen vollständigen Satz von Genen und infiziert eine Zelle, wo sie sich reproduziert. Die Regel, die bislang alle Viren definierte, haben Forscher der Universität Montpellier nun auf den Kopf gestellt. «The Atlantic» berichtet von der revolutionären Entdeckung.

Cap’n Crunch war ein Hacker: Wie ein Plastikhorn aus einer Müesli­packung zum Hacken von Telefonen verwendet werden konnte und was das Ganze mit der Gründung von Apple Computers Inc. zu tun hat, lesen Sie auf «Atlas Obscura».

«Ebit macht frei»: Mangelndes Geschichts­bewusstsein kann man dem VW-Konzern eigentlich nicht vorwerfen. Der in der Nazizeit gegründete Auto­hersteller unterstützt seit dreissig Jahren das Auschwitz-Komitee. Konzernchef Herbert Diess schaffte es vergangene Woche mit seiner unbedarften Wortwahl trotzdem, sein Personal vor den Kopf zu stossen, wie das «Manager-Magazin» berichtet.

Schmerz als Gefühl: Die Opioid-Krise in den USA ist die Folge einer Säkularisierung der Schmerzen in der westlichen Kultur. So argumentiert zumindest der Kardiologe Haider Warraich in der «New York Times» – und fordert eine Rückbesinnung auf Schmerzen als Gefühlsempfindung.

Was diese Woche wichtig war

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