Preis der Republik

Ihr Kinderlein, sparet!

Auf die Kürzung von Kinderrenten verzichten, nur weil das herzlos klingt? Man kann dem Kind doch einfach einen anderen Namen geben! Eine Verneigung vor 106 Parlamentariern mit Weitblick.

Von der Republik-Jury, 14.03.2019

Ihr Kinderlein, sparet!
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Sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger

Sehr geehrte Damen und Herren

Sehr geehrte Verlegerinnen und Verleger

Grossmutter wusste es schon längst: Von den Reichen lernt man sparen! Wie recht sie damit hatte, haben Sie, liebe Preis­trägerinnen und Preisträger, erst dieser Tage wieder einmal bewiesen. Die fünf reichsten Nationalräte machen sich geschlossen stark für die Kürzung der Kinder­renten von IV-Bezügern – so viel Reverenz an ihre Weisheit hätte Gross­mütterchen wohl nicht einmal von unseren Volks­vertretern zu erwarten gewagt. Doch die Reichtums­elite der grossen Kammer – also Magdalena Martullo, Thomas Matter, Marcel Dobler, Franz Grüter und Andreas Glarner – stand nicht allein: 106 Nationalräte und National­rätinnen – von FDP und SVP, aber auch mit solider Unterstützung der BDP und der sogenannten C-Partei – haben sich für die Kürzung der Kinder­renten ausgesprochen. Ihnen allen wird der heutige Preis der Republik für ausserordentlich gewiefte Sparsamkeit verliehen. Ehre, wem Ehre gebührt – oder, um es feierlicher auszudrücken: Wer hat, dem wird gegeben!

Denn Sie wissen: Politik beginnt mit der Sprache. Und weil die Worte Kinder, Rente und Kürzung eine etwas heikle Kombination sind, haben Sie, verehrte Nationalrätinnen und -räte, erst einmal einen Taufakt vorgenommen. «Zulage für Eltern» heisst das künftig! Bei hoffnungslosen Sozial­romantikern kann ja schnell mal der Eindruck aufkommen, man nehme, trotz Milliarden­überschuss des Bundes, ausgerechnet den Schwächsten etwas weg. Dabei werden in Wahrheit doch lediglich Privilegien reduziert – die Boni der Bedürftigen sozusagen.

Und so haben Sie, liebe Preisträger, auf Empfehlung der Sozial­kommission (da wir gerade bei Namen sind: Wann kommt endlich ihre Umbenennung in Kommission für Eigen­verantwortung?) nichts anderes getan als in Zeiten, wo das besonders anspruchsvoll ist, in Zeiten der prallen Kassen nämlich, den Gürtel etwas enger zu schnallen. Also den Gürtel der anderen.

Dieser volkswirtschaftlichen Weitsicht, liebe Volks­vertreter, ist es zu verdanken, dass die Kinder von kranken und behinderten Eltern in Zukunft rund ein Viertel weniger Zulage vom Staat erhalten – natürlich zu ihrem eigenen Wohl. Schliesslich geht es um Motivation. Um die richtigen Anreize. Und überhaupt, warum Geld in die Aufbringung von Kindern investieren, die ohnehin auf der Verlierer­seite des Lebens stehen? Vergebene Liebesmüh!

Natürlich: Jetzt werden die Taktiker und Beschwichtiger unter Ihnen mit ernster Miene zu bedenken geben, dass durch die Kürzung im schlimmsten Fall ein Teil der Familien zu Sozialfällen würde und also Ergänzungs­leistungen aus der Kasse der Sozial­hilfe erhielte. Aber hey, genau hier liegt eben die preiswürdige Raffinesse: Nur schlichte Gemüter leben in der Illusion, Sozial­abbau bewerkstellige man mit der Abriss­birne. Unsere bürgerlichen Chef­strateginnen greifen weise zum Filetier­messer: Scheibchen um Scheibchen, nach dem Abbau ist vor dem Abbau. Jetzt, wo man bei der IV erfolgreich mit Sparen angefangen hat, wird man sich bei den Kinder­renten der Sozialhilfe und der AHV nicht zieren. Mit der richtigen Namensgebung, versteht sich.

Nur Mut, liebe Preisträger!

Denn was am Ende wirklich zählt: Geschätzte 70 Millionen Franken spart der Staat – sparen wir alle! – dank Ihrem Effort jedes Jahr! Das entspricht satten 0,87 Prozent des Betrags, den die Schweizer Armee dieses Jahr für die Erneuerung der Luftwaffe budgetieren will. Fehlen also nur noch 7,93 Milliarden Franken, damit unsere top ausgerüsteten Kampfjet­piloten (und unsere Kampfjet­pilotin) auch im nächsten Krieg neutral sein können.

Politik heisst eben Prioritäten setzen. Und immerzu Hilfe zur Selbsthilfe! Hohe Kinderzulagen nämlich schaffen Fehl­anreize, wie mehrere von Ihnen in ihren Voten unbestechlich festhielten. Fürwahr! Warum sollte sich ein IV-Bezüger um Wieder­eingliederung in den Arbeits­markt bemühen, solange seine Kinder satt und zufrieden sind? Wo bleibt da die heilende Kraft der Verelendung?

Es muss endlich Schluss sein mit der geradezu spätrömischen Dekadenz auf Kosten der Allgemeinheit! Das sagt auch die C-Partei!

Freilich, solche unangenehmen Wahrheiten will nicht jeder hören. Weshalb Sie den gravierendsten aller Fehlanreize – auch dies eine preiswürdige Raffinesse – wohlweislich unausgesprochen liessen. Aber mal ehrlich: Die Frage muss doch erlaubt sein, ob IV-Bezüger überhaupt Kinder haben sollten! Wem nämlich liegt die benachteiligte Brut denn eines Tages auf der Tasche, ist sie erst einmal ihrer Prekariats­sozialisierung entwachsen?

Na eben.

Geschätzte Preisträger, anders als mit Ausgaben für Menschen mit Behinderung soll man mit Lob, wo es am Platz ist, nicht sparsam sein! Schliesslich lässt sich das Potenzial der Kinder­rentenkürzung, Pardon, also der Eltern­zulagen­anpassung, über Generationen ausschöpfen.

Und bitte: Ignorieren Sie die obstinate Kritik an Ihrem wegweisenden Entscheid. Es muss schon ein gehöriger Erbsen­zähler sein, wer an einem solchen Freudentag darauf hinweist, dass dem Bund jährlich Unsummen an Steuer­einnahmen entgehen, weil die grössten Sparfüchse unter den Parlamentariern das sakrosankte Bank­geheimnis im Inland partout nicht anrühren wollen.

Das wäre ja noch schöner! Geld, das der Staat nie hatte, kann er gar nicht vermissen. Und überhaupt wusste schon die Grossmutter: Wer die Kinderrenten-Fränkli nicht ehrt, ist der Schwarzgeld-Milliarden längst nicht wert.

Liebe Preisträger, die Republik-Jury gratuliert! Und erhebt den Champagner-Kelch! Prost!

Illustration: Doug Chayka

Der Preis der Republik

Er wird jede Woche am Donnerstag verliehen. Für jede Sorte von Leistung. Die miserable. Die mittelmässige. Und natürlich auch die hervorragende. Niemand soll von seinem Erhalt ausgeschlossen werden, niemand verschont bleiben. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich unsere Jury.

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