Eidgenössische Randnotizen

1971 waren sie Revolutionärinnen

Von Adelina Gashi, 08.03.2019

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«Frauen gehören ins Haus – ins Bundeshaus, ins Rathaus, ins Gemeindehaus», sagte Ständeratspräsidentin Josi Meier. Das war 1991, als sie und 250 Frauen im Nationalratssaal zusammenkamen – die Frauensession feierte damals 20 Jahre Frauenstimmrecht.

Josi Meier gehörte zu den ersten Parlamentarierinnen der Schweiz, war die erste Frau, die den Ständerat präsidierte. Als Juristin eröffnete sie ihre eigene Anwaltskanzlei, als Politikerin kämpfte sie für die Mitbestimmung der Frauen. Kaum hatten die Schweizer Stimmbürger das Frauen­stimmrecht angenommen, wurde Meier 1971 für die CVP Luzern in den Nationalrat gewählt, 1983 wechselte sie in den Ständerat. Neben ihr schafften es direkt nach der Annahme des Frauen­stimmrechts elf weitere Frauen ins Bundeshaus.

Nun sind diese Pionierinnen in den Ratssälen des Bundes­hauses verewigt. Auf ihren ehemaligen Pulten sind neben den Platznummern die Namen und Amtszeiten der Parlamentarierinnen eingraviert worden. Eine Erinnerung daran, dass es lange genug dauerte, bis auch Frauen etwas in der Politik zu melden hatten.

Am Donnerstag, 7. März, einen Tag vor dem internationalen Frauentag, weihte Nationalrats­präsidentin Marina Carobbio die Plaketten ein. Zwischen zwei Abstimmungen erinnerte sie die Ratsmitglieder in einer kurzen Ansprache an die zwölf Frauen, deren Namen und Sitzplatznummer sie vorlas. Für einen kurzen Moment sahen tatsächlich alle im Parlament von ihren Laptops und Handys auf, um der Rednerin Gehör zu schenken.

Gabrielle Nanchen, die 1971 für die SP ins Parlament gezogen war, und Hanna Sahlfeld-Singer, ebenfalls eine der ersten SP-Nationalrätinnen, nahmen an der Einweihung teil und erhielten unter stehendem Applaus der Nationalrätinnen Blumen überreicht.

Es war eine Würdigung für ihren Kampf für Gleichberechtigung. Meier, Nanchen und Sahlfeld-Singer hatten den Frauen den Weg in die Politik geebnet.

Doch wagt man es, einen Blick auf die aktuellen Zahlen zu werfen, kommt man nicht drum herum, sich etwas zu schämen. Denn zurzeit sitzen nebst 136 Männern nur 64 Frauen im Nationalrat. Im Ständerat sind es gerade einmal 6 Frauen. Auf kantonaler Ebene ist es nicht besser: Frauen machen dort gerade einmal 24 Prozent der Regierungsmitglieder aus.

Der Kampf der Pionierinnen ist also noch lange nicht vorbei. Da ist sich auch Carobbio sicher, die am selben Nachmittag zur Diskussions­runde im Bundeshaus einlud. Thema: «Berufe: Frauen können alles».

Vier Frauen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Sport sprachen über ihren beruflichen Werdegang. Vier Frauen, die zeigten, dass Sexismus in fast allen Berufsbereichen ein Problem ist. Eingeladen zum Gespräch im Nationalrats­saal waren alle. Doch es kamen vor allem Frauen. Dabei wäre es gar nicht so verkehrt gewesen, hätten sich mehr Männer angehört, was die Rednerinnen zu sagen hatten.

«Gleichstellung geht alle etwas an», sagte Simona Scarpaleggia, CEO von Ikea Schweiz. Sie sei gut für das Geschäft, wie die aktuellen Zahlen des Unternehmens bewiesen. Ikea hat in der Schweiz im Jahr 2015 die Gleichstellung in Sachen Geschlechter­verteilung auf allen Unternehmens­ebenen erreicht.

«Wenn Ikea das geschafft hat, weshalb sollten dann andere Unternehmen in der Schweiz nicht nachziehen können?», fragte Scarpaleggia. Schliesslich wissen alle, die mal ein Ikea-Möbel zusammengebaut haben: Auch beim Einrichtungs­haus sind die Dinge kompliziert.

Von Gleichstellung weit entfernt ist hingegen die ETH Zürich. Nur etwas mehr als 10 Prozent der Professuren sind von Frauen besetzt. Häufig gilt immer noch: Männer werden Ingenieure, Frauen Pflegerinnen. Dass Mädchen und Knaben noch immer so sozialisiert werden, sei ein Problem, sagte Ursula Keller. Sie hat an der ETH einen Lehrstuhl für Physik, die erste Frau in diesem Fach. Die Hochschule müsse selbst dafür sorgen, dass sich das ändere. Frauen in Führungs­positionen müssten zur Normalität werden.

Auch mit dem Fussball gibt es ein Problem. Dieser sei «männerlästig», sagte Caroline Abbé aus Genf, früher Captain des Schweizer Nationalteams. Eigentlich wollte sie männerlastig sagen, traf damit aber trotzdem ins Schwarze. Fussballerinnen würden schlechter bezahlt und der Sport sei darum für viele bloss ein Hobby, allerdings mit demselben Trainings­aufwand, wie ihn die Männer betrieben. Nur leben könne man davon eben nicht.

Giada Crivelli ist Uno-Jugenddelegierte für die Schweiz. Sie ist es leid, dass sie heute noch immer erklären muss, was es mit dem Feminismus auf sich hat. Dass es um Gleichstellung geht. Und nicht um irgendwelche Kämpfe um Dominanz.

Was bleibt: ein etwas schaler Nach­geschmack. Bei allem Enthusiasmus für Veränderung, bei aller Hoffnung, die die vier Frauen an den Tag legten. Was sie beschrieben, war letztlich nichts Neues, sondern der mühselige Alltag, dem sich Millionen von Frauen täglich stellen. Dabei wärs nicht so schwer.

Nur hinhören müsste man. Oder hinschauen: etwa wenn man Parlamentarier ist und an einem der Pulte sitzt, auf denen der Name einer Pionierin eingraviert ist.

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