Am Gericht

Albtraumwohnung mit Seesicht

Ein befristeter Mietvertrag wird vorzeitig gekündigt, der vorgeschlagene Nachmieter passt den Hauseigentümern nicht. Wer muss nun die ausstehende Miete bezahlen?

Von Sina Bühler, 06.03.2019

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Ort: Kreisgericht Rorschach
Zeit: 28. Februar 2019, 9 Uhr
Fall-Nr.: VV.2018.14-RO3ZE-OLH
Thema: Vorzeitige Kündigung des Mietvertrages

Die Wohnung am Bodensee wird als «grosse, helle, luxuriöse Traum­wohnung» mit Seesicht angepriesen. Vom Fenster zum See fällt der Blick allerdings zuerst auf die Gleise der Linie Zürich–München, dann auf die Hauptstrasse. Und rechts liegt der Flughafen, nur gut einen Kilometer ist die Rollbahn entfernt. Das Haus selber ist unauffällig und wenig beeindruckend, der Preis für die Wohnung hingegen happig: 2280 Franken plus Neben­kosten von 160 Franken für 120 Quadratmeter, und dies in einem Durchfahrts­dorf am See.

Zum Vergleich: 130 Quadratmeter in einer historischen Villa am St. Galler Rosenberg, dem teuersten Hügel der Kantons­hauptstadt, kosten aktuell 1900 Franken. Beim Vergleichs­portal Comparis schrammt die «luxuriöse Traum­wohnung am See» denn auch nur knapp an einem «ungenügend» vorbei; der durchschnittliche Markt­preis im Dorf liegt 10 Prozent tiefer.

Um den Preis für diese Wohnung geht es am Kreisgericht Rorschach allerdings nur indirekt. Ein Ehepaar, das vor fünf Jahren eingezogen war, wollte im Dezember 2017 aus dem Miet­vertrag aussteigen. Laut Vertrag, der auf fünf Jahre befristet war, elf Monate zu früh. Sie stellten deshalb pflichtgemäss Nachmieter. Die Vermieter, ein Ehepaar aus dem Kanton Schwyz, lehnten diese jedoch ab – und akzeptierten damit auch die Kündigung nicht. Nach dem in Mietfragen obligatorischen Weg über die Schlichtungs­stelle gelangten sie ans Kreisgericht.

Das Vermieterpaar fällt auf. Der Mann, stark gebräunt, kommt im Anzug und wird auch während der Verhandlung sein Handy nicht abstellen. Mehrfach bimmeln die eingehenden Nachrichten. Seine Frau, stark blondiert, trägt schwarze Skinny-Jeans und weisse Sneakers mit Luxus­marken­logo und schnieft im Wartesaal pausenlos durch die Nase. Das Paar besitzt mehrere Immobilien, und wie den lauten Gesprächen vor Prozess­beginn zu entnehmen ist, sind sie zurzeit mit mehreren Fällen vor Gericht beschäftigt.

Das deutlich weniger auffällige Mieterpaar nimmt mit geradem Rücken auf den Sesseln im historischen Gerichts­saal Platz. Als Thomas Brunner, der Anwalt der klagenden Vermieter, aufzählt, was sie alles bezahlen sollen, bleibt ihre Miene zuerst unbewegt – es geht um 28’000 Franken ausstehende Miet­zinsen und allfälligen Schaden­ersatz für Mängel in der Wohnung. Ihre Augen werden erst grösser, als angekündigt wird, dass noch mehr dazukommen soll: Betreibungs­kosten von fast 1500 Franken und Inserate­kosten von 1200 Franken. Insgesamt also mehr als 30’000 Franken.

Anwalt Brunner kommt schnell zum Punkt. Seine Mandantin und sein Mandant klagten, weil die angebotene Ersatz­mieterschaft sehr undurchsichtig sei. Sie hätten Einkommens­verhältnisse nicht adäquat belegt und Schulden verschwiegen. Noch viel stossender sei aber, dass sie versucht hätten, den Mietzins anzufechten, noch vor Unterzeichnen des Mietvertrags. Dabei stehe es klar im Gesetz: Nachmieter müssen den bestehenden Mietvertrag ohne Änderungen übernehmen. Nur so sei eine vorzeitige Kündigung möglich.

Haben die Nachmieter wirklich die Höhe der Miete angefochten?

Gegenanwalt Matthias Kradolfer, der Vertreter des Mieterpaars, schildert den Vorfall anders. Schliesslich seien die angeblich so undurchsichtigen Nachmieter zuerst sehr wohl infrage gekommen, sie hätten auch einen Vertrag zugeschickt bekommen. Unbelegte Einkommens­verhältnisse oder Schulden seien erst später ein Thema geworden – im Übrigen völlig unberechtigt, denn das Einkommen der Nachmieter sei mit 11’600 Franken klar genügend. Bei den Schulden handle es sich um stillstehende Rache­betreibungen eines ehemaligen Partners. Jedenfalls: Die Vermieter hätten die Bewerbung zuerst akzeptiert und den Nachmietern einen Vertrags­entwurf zugeschickt, den diese aber nicht unterschreiben wollten. Er hatte nämlich eine wesentliche Änderung drin: Die gleich hohe Miete kombinierten die Haus­eigentümer keck mit dem aktuell viel tieferen Referenzzinssatz.

Dazu muss man Folgendes wissen: Die Mietpreise in der Schweiz sind an den Referenz­zinssatz gekoppelt, den der Bundesrat periodisch anhand der durchschnittlichen Hypozinsen festlegt. Sinkt er, so können Mieterinnen und Mieter eine Reduktion der Miete verlangen. Steigt er, so kann auch die Miete steigen. Als der Mietvertrag im Dorf am Bodensee erstmals ausgestellt wurde, im Herbst 2013, lag der Referenz­zinssatz bei 2,25 Prozent. Seither ist er vom Bundesrat dreimal gesenkt worden, seit über zwei Jahren liegt der Satz bei rekordtiefen 1,5 Prozent. Eine korrekt angepasste Miete wäre 132.50 Franken günstiger. Der Vertrag kam also nicht zustande, und nur über die Schuld am Scheitern sind sich die Parteien uneinig.

Die Nachmieter zogen auf jeden Fall nicht ein – und die Vermieter zogen die alten Mieter vor Gericht. Zudem reichten sie monatlich Betreibungen gegen das Mieterpaar ein. «Unnötig», sagt Rechtsanwalt Kradolfer, «es geht anscheinend nur darum, ihnen maximal zu schaden.» Das habe der Vermieter noch auf ganz anderem Weg versucht. Er schrieb dem obersten Chef seines ehemaligen Mieters, dem CEO einer Bank, einen Brief und denunzierte den Mitarbeiter wegen seiner angeblichen Miet­schulden. «So klingt die Begleit­musik dieses Verfahrens», sagt der Anwalt. Zum Glück habe es der CEO mit Humor aufgenommen.

Bleiben die Inseratekosten von 1200 Franken. Schaut man sich die heutigen Inserate allerdings an, kann man sich über solche Kosten nur wundern. Die Fotos in den Online-Inseraten stammen nicht aus der fraglichen Wohnung im oberen Geschoss, sondern aus der Parterre­wohnung, die ebenfalls leer zu stehen scheint. Die Seesicht wird auf einem verwackelten Bild mit viel Schatten angepriesen, auf dem man sich offensichtlich Mühe gab, die Gleise zu verbergen. Auf der Website des angeheuerten internationalen Immobilien­maklers erscheint das Inserat überhaupt nicht. Seit fünfzehn Monaten steht die Wohnung leer, vor vier Monaten lief der bisherige ordentliche Mietvertrag aus. «Es hat keinerlei Anfragen für Besichtigungs­termine gegeben» bleibt die einzige Erklärung von Rechtsanwalt Brunner, dem Vertreter der Hauseigentümer.

Einzelrichter Olav Humbel hört sich die Plädoyers der beiden Anwälte an und verzichtet darauf, die Parteien und die als Zeugen angebotenen Nach­mieter zu befragen. Dann wird die Verhandlung hinter geschlossenen Türen fortgesetzt und ein Vergleich geschlossen. Das Resultat: Der Streitwert wird hälftig geteilt.

Illustration: Friederike Hantel

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