Das Leben spielt

Dickpics mit Wachstums­potenzial

Von Krsto Lazarević, 05.03.2019

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Freitagabend in der Berliner U8. Zwischen den Stationen Kottbusser Tor und Hermann­platz haben die meisten Fahrgäste schon ordentlich einen sitzen. Durch den Gang läuft eine Künstlerin mit einer Schachtel in der Hand. Sie schreit laut: «Dickpics, Dickpics!» – und verkauft Bilder von männlichen Geschlechts­teilen, die ihr auf Dating-Apps ungefragt geschickt worden waren. Die kleinen für 2 Euro, die grossen für 5 Euro.

Der Preis hängt von der Grösse der Buttons ab, auf denen die Dickpics kleben. Es scheint aber, als seien die grossen Penes (laut Duden Plural für Penis) auch auf die grösseren Buttons geklebt. Die Künstlerin erklärt, es handle sich nur um Dickpics, die ungefragt zugesendet wurden. Freitag­abends in einer Bahn voller Betrunkener verkaufen sie sich besonders gut. Das Business hat Wachstums­potenzial. Wahrscheinlich könnte man Millionen Panini-Sammel­bände mit Fotos von Schwänzen füllen, die ungefragt an Frauen gesendet wurden. Acht Aufkleber für 3,99 Euro am Kiosk.

Ich weiss nicht, ob es erlaubt ist, fremde Schwänze auf Buttons zu kleben und sie in der U-Bahn zu verkaufen. Aber es interessiert in Berlin ja auch niemanden, dass der Konsum von Alkohol in der U-Bahn untersagt ist. Manche Dinge sollten getan werden, weil sie gut sind.

Mit den Männern, deren Penis offen durch die Bahn getragen wird, sollte man kein Mitleid haben. Sie waren es, die ihre Geschlechts­teile ungefragt in die Welt geworfen haben. Sie nutzen die Möglichkeiten der digitalen Wissens­gesellschaft dazu, Frauen auch dann ungefragt den Penis zu zeigen, wenn diese gar nicht im selben Raum sind.

In einer britischen YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2017 gab knapp die Hälfte der befragten Frauen im Alter zwischen 18 und 36 Jahren an, bereits Dickpics erhalten zu haben. Fast alle auch solche, nach denen sie nicht gefragt hatten. Doch nur 5 Prozent der Männer aus derselben Alters­kohorte gaben zu, bereits ungefragt Dickpics versendet zu haben.

Das lässt zwei Schlüsse zu. Entweder ist es eine relativ kleine Zahl von Männern, die sehr vielen Frauen ungefragt Fotos von ihren Geschlechts­teilen sendet, oder aber die Männer lügen. Wahrscheinlich sind beide Schlüsse richtig. Und falls du das hier liest und zu diesen Männern gehörst: Schäm dich! Ich hoffe, dass du eines Tages nichts ahnend in der U-Bahn sitzt und ein Foto von deinem Penis entdeckst, das du ungefragt einer unbekannten Frau über eine Dating-App gesendet hast.

Die Künstlerin mit den Dickpic-Buttons jedenfalls leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Die verschickten Bilder von unförmigen, behaarten, schlaffen oder harten Penes, nach denen nie irgendjemand gefragt hat, sind eine sexuelle Belästigung. Die Frau packt diese Fotos auf Buttons und verwandelt sie damit in erheiternde Abend­unterhaltung und ein kleines Souvenir. Aus etwas Ungewolltem wird etwas Gewolltes, und damit wird die Welt, zumindest ein klein wenig, zu einem gerechteren Ort.

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